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3630 Wollte und konnte. So war die Niederwerfung Napoleons 1815 nur eine halbe That, nur eine Episode in dem Kampf, sowohl mit Frank reich, wie zwischen Preußen und Oesterreich. Deutschland blieb herrenlos und der Spielball rivalisirender und intriguirender Mächte; Frankreich zog aus der Ohnmacht des germanischen Nachbars den Schluß, daß es die napoleonische Politik von 1806, die den Rhein- Bund schuf, wieder einmal aufnehmen könne. Nothwendig ergab sich daher als ein Ergebniß der beklemmenden Lage, daß Oesterreich und Preußen noch einen Entscheidungskamps führen mußten, wer von ihnen in Deutschland die Oberherrschaft haben solle; und ebenso ergab sich mit gleicher Nothwendigkeit, daß die siegreich daraus her vorgehende Macht gegen Frankreich, nachdem es sogar wieder napo leonisch geworden, die Unabhängigkeit Deutschlands Herstellen müsse. Die letzte^ vier Jahre haben diese Ereignisse gebracht und es ist nur ein natürlicher Verlauf derselben, daß Preußen siegreich hervorging. Oesterreich ist ein abgeblühcter Organismus, Preußen ein aufblühen der; ein Geschlecht, wie die Hohenzollern, welches seit Jahrhunderten in harter Arbeit sich empor gerungen, konnte gegen das HauS Habs burg, welches seit Jahrhunderten niedergeht, nicht um die Vollendung seiner Aufgabe und um den Preis seiner Leistungen kommen. In dem Kampfe beider siegte Preußen, die Jugendkraft über daS gebrech liche und scheltende Alter. In dem Kriege gegen Frankreich siegte es mit der Sittlichkeit der wiedererstandenen nationalen Idee über die Ge lüste gemeiner Herrschsucht. Jetzt erst kam die Revanche für 1806, für die napoleonische Vernichtung deS deutschen Reiches, denn Kaiser und Reich sind heute wieder erstanden. Mag man eS auch augen blicklich noch als Kriegsergebniß, als militairischen Vorgang betrachten — ganz von selbst wird die Arbeit anheben, dieses Reich zu einer nationalen Entwickelung zu bringen und ihm den Gedanken und die Interessen der gesammten deutschen Nation einzufügen. Seine Zu kunft ist in unsere Hand gegeben! /r« Bom neuen deutschen Kaiserreich. Wie die Zeiten sich ändern! Wer die Tage von 1849 erlebt hat, wird deS „Pfaffen Mauritzius" (Alfred Meißner) sich erinnern, der in seiner „Reimchronik" die „Gothaischen Kaisermacher" geißelte, nicht minder der Worte Uhland's von dem demokratischen Oele sowie auch der Worte, die Waldeck ist seiner Kaiserrede am Gründonnerstage 1849 ausrief: „Als Diplomatenkaiser kann er Wöhl einziehen, empfangen von weißgekleideten Jungfrauen, in die alte Kaiserstadt Aachen; setzen mag er sich wohl aus den Stuhl Carl's des Großen; er mag so glücklich sein; freuen mag er sich wohl, einen gehorsamen Reichsrath als Werkzeug der Herrschaft zu finden, — aber in den Herzen des deutschen Volkes wird nicht die Wurzel dieser Krone liegen: es wird sie von sich auslöschen." Friedrich Wilhelm IV. lehnte die Kaiserkrone ab. Die „Deutsche Reichsverfassung" kam nicht zur Ausführung. Der Frankfurter Fürsten- rongreß unter Kaiser Franz Joseph s Vorsitz im Jahre 1863 blieb ebenfalls resultatlos. DaS Jahr 1870, das alle deutschen Stämme mit Ausschluß Oesterreichs in blutiger Waffenbrüderschaft vereint sieht, bringt unS auch den deutschen Kaiser. Wie sind die parlamentarischen Staatsmänner, wie die kleinen und großen Historiker zu Schanden geworden! Bei der Berathung der Verfassung des Norddeutschen Bundes im constituirenden Reichstage sprach Graf Bismarck am 4. März 1867 : „Es liegt ohne Zweifel etwas in unserm National Charakter, was der Bereinigung Deutschlands widerstrebt. Wir hätten die Einheit sonst nicht verloren oder hätten sie bald wieder gewonnen. Wenn wir in die Zeit der deutschen Größe, die erste Kaiserzeit, zurückblicken, so finden wir, daß kein anderes Land in Europa in dem Maße die Wahrscheinlichkeit für sich hatte, eine mächtige nationale Einheit sich zu erhalten wie gerade Deutschland. Was ist der Grund, der uns die Einheit verlieren ließ und uns bis jetzt verhindert hat, sic wieder zu gewinnen? Es ist der Mangel jener Gefügigkeit des Einzelnen und des Stammes zu Gunsten des Gemeinwesens, jener Gefügigkeit, welche unsere Nachbarvölker in den Stand gesetzt hat, die Wohlthaten, die wir erstreben, sich schon früher zu sichern." Wenige Tage später, am 23. März 1867, sprach aus derselben Veranlassung der bekannt Historiker Heinrich v. Sybel: „Ich finde keinen Schaden darin, daß in der bescheidensten Weise nur von dem „Buitespräsidenten" die Rede ist. Es ist nichts GleichgiltigeS tick den Titel bei großen politischen Einrichtungen; denn nur zu häufig entscheidet der Titel über die künftige Entwickelung der Sache. Ich würde es im höchsten Grade beklagen, wenn hier ein Titel gewählt würde, der, so lange Deutschland existirt hat, immer nur das^ Signal zu Kata- strophen und tragischen Niederlagen gewesen ist." Wie muß der Schritt des jungen Königs von Bayern den Bonner Professor schmerzen, wie der Erfolg desselben ihn mit sorgenvollen Gedanken erfüllen! Er hat indeß den Trost, mit seiner Auffassung nicht allein da zu stehen. Am 3. August d. I. bei der Gedächtniß- feier auf den Stifter der Berliner Universität schloß der Reetor Prof, vr. Du Bois-Reymond seine in der Universitätsaula in Anwesenheit des Generals Wrangel, des jetzigen Cultusministers v. Mühler, des früheren Cultusministers v. Bethmann-Hollweg und des amerikanischen Gesandten Bancroft gehaltene Rede mit den Worten: „Und so lebe das deutsche Heer und dessen Führer, König Wilhelm, den wir Kaiser der Deutschen nicht nennen mögen wegen des übrigen Beigeschmacks» welchen dieser Name durch Caesarismus und Jmperatorenthum erhalten hat, den wir aber, rückgehend in die Vergangenheit, als „Herzog der Deutschen" begrüßen können." Am Meisten mag es wohl dem Franz mann wunderbar erscheinen, daß in diesen Tagen die Enkel derselben Fürsten, welche sich 1803 von Kaiser und Reich lossagten, um Souveraine zu werden, dem Könige von Preußen die Kaiserkrone an bieten und damit ihn als ihr Oberhaupt anerkennen. Es ist indessen wohl nicht romantischer Schwung, was den jugendlichen Wittelsbacher zu seinem Schritte bewog; derselbe ist vielmehr die Folge ruhiger Erwägung und Verabredung. Die süddeutschen Fürsten konnten sich darüber nicht täuschen, daß gerade in ihren Völkern das Streben nach nationaler Einigung unaustilgbar waltet. Ein Südbund war nicht möglich; das um seinen Zusammenhang und seine Existenz ringende Oesterreich bot keinen Rückhalt; es bleibt somit nichts übrig als die Unterordnung unter das mächtige, streng disciplinirte Preußen. Geschah dieses auch bereits durch die Schutz- und Trutzbündnisse vom August 1866, so war doch diese Form abstoßend für die Süddeutschen; denn sie erschien denselben als eine aufgezwungene Verpflichtung, der preußischen Annectirungspolitik mit Gut und Blut zu dienen. Indem aber die Fürsten während eines wahrhaft nationalen Krieges, welchen der Erbfeind Deutschlands begann, dem siegreichen königl. Heerführer sich unterordnen, ihn als Kaiser anerkennen, er seinerseits den süd deutschen Forderungen entspricht, kann von Unterwerfung und Der- preußung nicht mehr die Rede sein. Der neue Deutsche Bund ist in der That ein deutsches Reich; denn eS umfaßt bei 40 Millionen Deutsche, vereinigt sie zu einer deutschen Nation, die waffenstark ist wie keine andere, und sich die Achtung der ganzen Welt bereits er zwungen hat. Die deutsche Nation ist wieder zu Ehren gekommen. Dies müssen auch die Volksvertreter in Bayern und Württemberg beherzigen, so daß nur Diejenigen ein Veto einlegen dürfen, welche die Hoffnung auf eine kräftige deutsche Föderation auf breitester demokratischer Grundlage, an eine Republik der vereinigten deutschen Staaten, nicht aufzugebcn vermögen. Diese Demokraten sind allerdings in ihrem Rechte, wenn sie gegen die Annahme der Reichs- Verfassung stimmen; denn gegen ihre Bestrebungen sind einige Spitzen der Reichsverfassung gerichtet. So z. B. die Bestimmung, daß das Vereinswesen und die Presse der Competen; deS Reichstags über- wiesen und eben dadurch der Gesetzgebung der einzelnen Staaten ent zogen wird. In dem Reichstage wird aber das radical-demokratische Element voraussichtlich nie so stark vertreten sein, wie in den süd deutschen Landtagen, daher es auch für die verschiedenen Vereine und die Presse die gewünschte (und z. B. in Württemberg bereits errungene) Freiheit nicht durchzusetzen vermögen wird. Wohl noch weniger be freunden sich die Demokraten mit der Mi litairorganisation des Reichs, und zwar nicht allein wegen der finanziellen Lasten, welche sie dem Volke auferlegt, sondern mehr noch deswegen, weil sie in den Soldaten die Hauptstütze der Fürstenmacht erkennen („gegen die Demokraten braucht man Soldaten") und die Disciplin hassen, welche aus dem Soldatengeiste auf das ganze Volk übergeht und zur politischen Disciplin sich erweitert, wovon das republikanische Rom in seiner guten Zeit und neuestens das preußische Volk ein Beispiel lieferte. DaS Volk „in Waffen" nach preußischem System ist freilich etwas ganz anderes als die „Volksbewaffnung" oder das „Dolksheer" nach schweizerischem Muster, das in Süddeutschland nachgeahmt wer den wollte. Redaktion. Druck mrv Veriaq von E. M Mons- in Banken.