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Nr. LSS — L«. Jahrgang Mittwoch den 21. Juni IV1L »rlcheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. StuSgabe X mit .Die gett in Wort und Bild' vierteljährlich 8,10 Fk. In Dresden durch Boten 8 IO Ft In ganz Deutschland fret HauS 2,58 Fk; in Oesterreich 4.4Ä lc. UaSgabe N ohne tllultrtertc Beilage vierteljährlich I.ttO Ft. In Dresden durch Boten 8,10 Ft. In ganz Deutschland frei Haus 8,28 Fti in Oesterreich 4,07 L — Siuzel-Stz. IO ^ Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die Ngespnltenc Petitzeile oder deren Raum mit 15 1, Reklamen mit 50 g die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. «nchdrniterel. Redaktion und Mcschäftssteklc! TreSdcn, Pilluttzer Strafte 4». — Fernsprecher 1!t«0 JürRSckgabennverlang». Schrtststückc keine'verbindltchketr Rcdaklions>Sprechstunbe: 11 dis 18 Uhr. ^i-krisckenä unä IsbencU vredo-bis-vrops Vt k>kun<i IS Pt. üerliox L kaclcstrvli, vresäe». Niederlagen !n allen Ltadtteilen. Die regierungsfähige Sozialdemokratie. Das Berliner Regierungsblatt muß nnn doch reden und zwar recht deutlich! schüttelt die Sozialdemokraten weit von sich ab. „Gegen die Illusion, als ob die Sozial demokratie ihren staatsfeindlichen Charakter abgestreilt habe, sollte schon ein Blick in die sozialdemokratische Presse schützen. Natürlich ist auch durch jene Haltung von Rs- gierungsvertrctern nicht die geringste Aendernng in dem Verhältnis zwischen Staat und Sozialdemokratie einge treten Tie hier in Betracht kommenden Vorgänge bei den Verhandlungen um die elsaß-lothringische Reform liegen klar zutage. Tie konservative Fraktion hatte infolge ihres grundsätzlich ablehnenden Standpunktes ihre Mitarbeit ver sagt, die sozialdemokratische dagegen zu erkennen gegeben, daß sie mit den übrige» Fraktionen von der deutschen Reichs partei bis zu de» Freisinnigen den Hauptvorschriften des Verfassungsentwurfes zustuumen werde. Wenn also die sozialdemokratische Fraktion an einer Verfassungsgesetz gebung teilnehme» wollte, die entgegen ihrer program matischen Forderungen die Kaisergewalt stärkte, ein Ober haus einführtc, das Budgetrecht gegen parlamentarische Machtgelüste sicherte, so war es natürlich billig und zweck mäßig, daß zu der Besprechung, die ein neues befriedigendes Ergebnis einer nochmaligen Beratung in der Kommission vorbereiten sollte, auch Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion zugezogen wurden, und daß auch diesen gegenüber der Staatssekretär des Innern den Standpunkt der Re gierung in Einzelfragen darlegte. Der parlamentarische Mechanismus bringt auch soust ähnliche Berührungen mit sich. Selbst die konservative Partei hat es jahrelang nicht als ein Opfer der Weltanschauung betrachtet, z. B. in der Gcschäftsordnungskommission unter dem Vorsitze eines sozialdemokratischen Mitgliedes zu arbeiten." Der im letzten Satze niedergclegte Vergleich hinkt auf allen Seiten-, denn im Parlamente muß man einfach mit allen Parteien verkehrendie Negierung aber hat eine andere Stellung und kann sich hier nicht auf einmal mit den Fraktionen in eine Linie stellen. Aber wir nehmen Notiz von dieser Abschütte- lung und bedauern nur die badische Negierung, die durch diese Auslassungen recht scharf kritisiert wird, weil sie mit den Sozialdemokraten regiert und fraternisiert. Es bleibt also alles beim alten gegenüber den Genossen, heißt es in Berlin. Man darf sagen: Auf wie lange? Eben wurde im Abgeordnetenhause mit Hilfe der Sozialdemo kratie das Leicheuverbrenuungsgesetz angenommen. Wenn es im Reichstage wieder brenzelig wird, wird man die rote Krücke wieder heranholen und man hat sich ja schon den Weg zu derselben gebahnt, durch die ebenso unzutreffende wie überflüssige Bemerkung, daß die Opposition bei der Neichsversicherungsordnung mit „ritterlichen Waffen" ge kämpft habe. Wenn dem Staatssekretär Delbrück einmal die Tintenfässer und Pultdeckel um den Kopf fliegen, dann erst wird er solche Bemerkungen unterdrücken, eher Wohl nicht. Heute ist es aber das Gefühl der Scham, das das Regierungsblatt zu seiner Abschüttelung bringt. Man Witt sich jetzt „Unter den Linden" nicht grüßen und man fürchtet auch den roten Wechsel, den der „Vorwärts" für Preußen schon vorzeigt. In den Maientagen fühlte er sich viel wohler: da verhandelte man nicht nur mit Frank, sondern auch mit Emmel und Bohle unter dem Beifall des Libe ralismus, der noch vor zwei Jahren so ganz anders sich stellte, so daß die „Kreuzzeitung" sagt: „Hat nicht der Liberalismus den Fürsten Bülow dazu gedrängt, während der Blockepisode die Zentrums- Partei grundsätzlich auszuschalten? Hat er nicht Zeter- mordio geschrien, als die Meldung auftauchte, Herr Spahn „im Zylinder" sei in Sachen der Neichsfinanzreforin zum damaligen Reichskanzler berufen worden? Und hat er nicht gehöhnt und gescholten, als der jetzige leitende Staatsmann erklärte, sich in seiner Politik über die Parteien stellen zu wollen? Wir Konservativen haben stets der Zusammen fassung der bürgerlichen Parteien zur positiven parlamen tarischen Tätigkeit das Wort gesprochen und deshalb auch die Selbstausschaltung der Nationallibcralen bedauert. Aber einem Verkehr der höchsten Staatsbeamten mit Ver tretern der Revolutionspartei widersprechen wir nach wie vor auf das Entschiedenste. Dabei ist die Behauptung, daß die reichsländische Verfassung nur mit Hilfe der Sozial demokratie zu retten gewesen wäre, gar nicht einmal richtig. Bei der namentlichen Gesamtabstimmnng über den Entwurf waren von 51 „Genossen" 42 zugegen und haben mit Ja ge stimmt. Tie Gesamtsummen,zahl betrug 314, die absolute Mehrheit belief sich also auf 158 Stimme«. Zieht man von den 212 Stimmen, die für die Vorlage abgegeben wurden, die 42 sozialdemokratischen ab, so ergibt sich ein Stimmen verhältnis von 170 für und 136 gegen die Vorlage (7 Abge ordnete hatten sich der Stimme enthalten, eine Stimme war ungültig). Hieraus geht hervor, daß Staatssekretär Delbrück sich die Verhandlungen mit den beiden „Genossen" hätte er sparen können, es sei denn, daß er etwa einen besonders hohen Wert auf die „positive" Mitwirkung der Sozialdemo kratie gelegt haben sollte." Diese Rechnung und Kritik stimmt in ihrer Gesamtheit »sie in ihren Einzelheiten. Die Negierung wollte unkcr alle» Umständen etwas schaffen und übersah dabei, daß sie genügend Stimmen zur Verfügung bat durch Zentrum, Reichspartei und Liberalismus. Dieser Rechenfehler zei tigte einen großen politischen Fehler, der nun der Sozial demokratie in der Agitation zugute kommen wird. Wir bedauern lebhaft, daß die Regierung selbst den Sozialdemo kraten neue Waffen für den Wahlkampf geliefert hat; das »rar überflüssig und verfehlt. 4. Verbandsfest der kath. Vereine Thüringens. Zeitz, das betriebsame, turmreiche Zeitz, mit seinen vielen historischen Erinnerungen an die katholische Ver gangenheit, ehemals die Residenz der Bischöfe von Zeitz- Naumburg, deren letzter, Bischof Julius Pflug, in der monumentalen Krypta der TreifaltigkeitsUrche sein ehr würdiges Grabmal besitzt, war für das diesjährige Ver bandsfest der katholischen Vereine Thüringens am 11. Juni zum Tagungsorte erkoren. Aus den fernsten Teilen Thüringens waren unsere Glaubensgenossen sebr zahlreich und 14 geistliche Herren unter vielen Opfer» an Zeit und Geld zur Tagung erschienen. Verbunden mit dem Verbands tage war das F a h n e n w e i h e f e st dos katholischen Arbeitervereins Zeitz. Nach dem feierlichen Weihe akte im Gotteshause formierte sich der stattliche Festzug, der unter den Klängen der Weißeufelser Stadtkapelle zum Fest lokale (Preuß. Hoft marschierte. Es waren etwa 15 Fahnen, die dem neuen Banner das Ehrengeleite gaben, und 30 Ver eine Thüringens und der Nachbarschaft. Herr Pfarrer Schrepping als Ortspfarrer und Vor sitzender des festgebenden Vereins eröffnete die Tagung mit dem katholischen Gruße und einem freundlichen Willkomm an die zahlreichen Gäste besonders begrüßte er unter dem herzlichen Beifall der Festversammlung Herr» Neichstags- abgeordneten Erzberger als Festredner. Das Präsidium der Tagung bestand aus den Herren: Pfarrer Kruse-Allen- burg, Gehlcubach-Gera, Vorsteher Müller-Zeitz. In üblicher Weise wurde das Hoch auf Papst und Kaiser vom Vor sitzenden ausgebracht und im Anschluß von der Versamm lung eine Huldigungshymne gesungen. — In hervor ragender Weise trugen zur Hebung der festliche» Stimmung die Festlieder bei, die unter Leitung des Komponisten, Hochw. Herrn Joh. Bähr, ein Sohn der Diaspora, vom Zeitzer Kircheuchor mit vollbesetztem Orchester schwungvoll und ton rein vorgetragen wurden. In dem jugendlichen Kompo nisten lernten wir einen feinfühlenden Sänger und Orchester beherrschende» Künstler kennen, dessen Fahuenlied (Marsch mit Gosaugstrio), Cantate (Würdig kündet Gottes Größe) und die Motette ('?» cm Uc-Irim) eine vielversprechende Premiere bedeuten. Ihm und seiner wackeren Sängcrschar sei auch hier für seine Leistungen die wärmste und herzlichste Anerkennung ausgesprochen. In der auderthalbstüudigen Festrede — die das Inter esse aller bis zum letzten Worte in Anspruch nahm, — knüpfte Herr Reichstagsabgeordneter Erzberger, von der Versammlung unter stürmischem Applaus begrüßt, an drei für die deutschen Katholiken wichtige Zeitjubiläen an. Ter Wiederaufrichtung und N e u g r ü n d u n g des deutschen Reiches, die mit der Kaiserprokla- mation vor 40 Jahren im Königsschlosse zu Versailles er folgte, an dessen innerem und äußerem Ausbau die deutschen Katholiken tätigen Anteil nahmen, besonders durch ihre parlamentarische Vertretung, das Zentrum, das zuerst im Jahre 1806 den Anstoß gab und daun alle Bedenken zur Fortpflanzung, Vererbung, Rassenhygiene. Um das große in der Internationalen Hygiene-Aus stellung angehäufte Material übersichtlicher zu gestalten, geben die einzelnen Sondergruppen Kataloge heraus, in denen die ausgestellten Gegenstände erläutert werden. So ist jetzt der Katalog der Gruppe „Nassenhygicne" mit dem Titel „Fortpflanzung,' Vererbung, Nassenhygiene" er- schienen, der von denn Direktor des hygienischen Institutes in München, Hofrat M. v. Gruber und dem Oberarzt der dortigen psychiatrischen Klinik Privatdozent Dr. E. Nü tz i n herausgegeben wurde. In dem Vorworte bemerken die Verfasser, daß diese Ausstellung der erste Versuch fei, das Gebiet der Nassenhygiene allgemein verständlich dein brei teren Publikum vorzuführen. Es ist daher begreiflich, daß vieles den Beschauer ohne die Erläuterung des Kataloges fremd und zum Teil unbegreiflich anmuten wird. Dadurch, daß das ganze Gebiet trotz seiner eminenten Wichtigkeit den meisten Neuland ist. wird der Katalog zum unentbehrlichen Führer durch die Ausstellung: aber sein Wert geht weit über Liesen Zweck hinaus, indem er eine übersichtliche und hand liche Orientierung über die für die Rassenhygiene in Be tracht kommenden Tatsacl)cn auch demjenigen gibt, der die Ausstellung nicht besucht. Denn in dem Kataloge sind alle wichtigen Tafeln, Tabellen, Stammbäume und Bilder In insgesamt 230 Reproduktionen wieder gegeben, so daß der Text, durch die graphischen Darstellungen belebt, zu einer anregenden und lehrreichen Einleitung in dieses so inter essante Gebiete wird. Einige Beispiele, die wir aus dem reichen Inhalte deS Büchleins herausgreifen wollen, werden das am besten dar- tun. Einen Ueberblick über den darin behandelten Stoff geben schon die Ueberschriften der einzelnen Kapitel: Fort pflanzung, Variabilität, Selektion und Mutation, Ver erbung erworbener Eigenschaften, Gesetzmäßigkeiten der Vererbung und „Mendeln", Vererbung beim Menschen, Degeneration, Nassenhygiene, Neomalthusianismus. Man kann aus diesem Inhaltsverzeichnis sehen, daß es unmöglich ist, den ganzen Stoff in einem kurzen Berichte zu erschöpfen. Da finden wir die Versuche von K a m mercr wieder- gegeben, die dieser Forscher an dem Feuersalamander und der Geburtshelferkröte angestellt hat, um die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften zu zeigen. Daß solche Verände rungen vererbt werden können, wurde lange Zeit hindurch auf das Energischste bestritten. Kämmerer hat den schwarz und gelb gefleckten Feuersalamander auf schwarzer bezw. gelber Erde gezüchtet, wobei sich ergab, daß je nach der Bodenfarbe die Schwarz- oder Gelbfärbung sich mehr aus- breitetc: diese Farbenveränderung tritt in gleicher Weise auch bei den Nachkomme« aus; da man sich nun eine Ein wirkung der Bodenfarbe auf die in den elterlichen Orga nismen befindlichen Keime nicht Porstelle» kann, muß man eine Vererbung der von den Vorfahren erworbenen Eigen schaften annehmen. Dasselbe gilt auch für die Versuche an der Geburtsbelferkröle: diese Tiere begatten sich normaler weise im Trockenen und das Männchen trägt die Eierschuur so lange mit sich herum, bis die Eier reif zum Ausschlüpfen sind: hält man die Tiere aber bei höheren Temperaturen, so gehen sie zur Kühlung ins Wasser, begatten sich dort und geben die Brutpflege auf: mau kann die Tiere an das Wasserleben gewöhnen, so daß sie dann auch bei gewöhnlicher Temperatur sich im Wasser fortpflanzen: die Jungen dieser Tiere gehen daun freiwillig ins Wasser, die Männchen er werben Taumeuschwielen zum Festhalten der Weibchen und zeigen niemals eine Neigung zur Brutpflege. Blättern wir weiter, so finden wir in einer Reihe übersichtlicher Tafeln die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung dargestellt: ins besondere die nach dem Brünner Dominikaner Mendel be- nannte Mendelsche Regel. Die diesen Anschauungen zu grunde liegenden Tatsachen sind für die Auffassung vieler Vercrbungseigentümlichkeiten von einschneidender Be - deutung. Leider läßt sich dieses Thema in Kürze nicht be handeln. Die ersten fünf Abschnitte, die sich mit den allgemeinen Vererbungslehren befassen, nehmen 50 Seiten ein: die übrigen Seiten sind dem Menschen gewidmet. Wie sich in den Familien Eigentümlichkeiten vererbe» können, zeigen da zunächst einige Stammbäume, darunter der der Habs burger, aus dem mau ersehen kann, wie sich die „Habs burgerlippe" vererbt hat. Von praktischem Interesse sind dann die Tafeln, die über den Zusammenhang zwiscl-en Kinderzahl und Sterbealter der Eltern, über Vererbung der Intelligenz, genialer Begabung Aufschluß geben Als Bei spiel sei der Stammbaum der Familie Bach genannt, deren Begabung in Johann Sebastian ihren Höhepunkt erreichte. Wie aber die guten Eigenschaften, so vererben sich auch ab norme: Mißbildungen, die Bluterkrankheit, Taubstummheit und verschiedene andere Erkrankungen. Eine große Rolle spielen natürlich die Geisteskrankheiten, deren Verhalten in 14 Abbildungen illustriert wird. Besondere Aufmerk samkeit verdient eine Zusammenstellung, die die Kastration aus sozialen Gründen, die Verhinderung der Fortpflanzung solcher Individuen, die eine gesellschaftsschädliche Nach kommenschaft oder eine geisteskranke erzeugen, behandelt. Es liegt dies nahe, wenn man bedenkt, daß die minder wertigen Nachkommen einer solchen Ehe im Laufe der Jahre dem Staate viele Millionen kosten: eine» solchen Stamm baum hat Jörger zusammeustelleu können: er ist i» dem Kataloge nur teilweise abgebildet, weil er einen ungeheueren Umfang hat, beginnt er doch mit dem Jahre 1630. Nun sind auch in einigen Staaten praktische Versuche gemacht worden, die Fortpflanzung derartiger Individuen durch .Kastration zu verhindern: auf europäischem Boden in der Schweiz, in Amerika, in einigen Staaten der Union (Indiana, Con necticut u. a.). Einige Fälle dieser Art aus 2 schweizer An stalten und die dabei erhaltenen Resultate sind auf der Tafel 146 zusammengcstellt: es ist aus derselben zu ent nehmen, daß die Operation ohne Sckmdigung der Gesund heit durchführbar ist und vielfach sozial zuvor schädliche Individuen nachher sich sehr gut gehalten haben. lvchlu» folgt.)