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Zweites Blatt Sächsische BolkSzeituny vorn 28. September 1911 Nr. 221 Das katholische Deutschtum im Auslande. Rede de» Geistlichen Rate« Msgr. Dr. Werthmann. gehalten in der zweiten beratenden L iritaSvericmimlung. Als der Caritasverband vor wenigen Jahren in die Loge km», sowohl in Frankreich wie in Italien verschiedene deutsche Institute und deren Besitzungen unter seinen Schutz zu nehmen, war das für seinen Vorstand Veranlassung, mit der Frage des Deutschtums im Auslande im allgemeinen, wie mit der Lage der deutschen Katholiken da draußen im besonderen sich eingehender zu befassen. Obgleich er immer wohlwollend den auswärtigen Stammes- und Glaubensbrüdern gegenüber gestanden, waren ihm doch der Umfang dieses Problems und seine bisherigen Lösungsversuche, besonders die schreienden Be dürfnisse der katholischen Ausländsdeutschen größtenteils unbekannt. Das Eindringen in die Materie glich deshalb einer geistigen Entdeckungsreise! und die Gefühle, welche die ein zelnen Stadien dieser Entdeckung begleiteten, waren ab wechselnd staunende Verwunderung und tiefstes Mitleid. Die Resultate dieser Forschungen in kurzen Zügen Ihnen mitzuteilen, Ihre Teilnahme für die Bewohner dieses weiteren Deutschlands zu erwecken, ist meine Aufgabe. Auf die erste Frage, die Sie Wohl stellen: Wieviele Deutsch-Sprechende finden wir jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches, antworten die Statistiker: nicht weniger als 32 Millionen. Davon bildet allerdings die erste Gruppe von be reits 13 Millionen mit unS eine geschlossene einheitliche Knlturgenieinschaft; da diese nur durch politische Grenzen getrennt, im übrigen nicht nur dieselbe Sprache mit uns sprechen, sondern auch geschichtlich in innigem Zusammen hang standen und in der Gegenwart noch in regstem gei stigen Güteraustausch stehen. Es sind die Bewohner Dentsch-OesterreichS, der deutschen Schweiz, Luremburgs und die Deutschen der belgischen Grenzgebiete. li. Die zweite Gruppe — 5>/> Millionen bildet die deutsche Diaspora im übrige» Europa. Diese tragen natur gemäß kein einheitliches Gepräge. Die eine» sind Ange hörige des Deutsche» Reiches, die in der Fremde Stellung genommen haben, ohne die Absicht, dort dauernd sich nieder- zulasse». Es sind die Tausende von Dienstboten, Er- zieherinnen, Arbeitern, Gesellen, Kaufleuten, Beamte», die entweder Wanderlust oder mißliche häusliche Verhältnisse oder die Hoffnung auf größeren Gewinn oder Wissensdurst ins Ausland gelockt, die in Frankreich. England, Italien, in den Großstädten Rußlands, in geringer Anzahl auch in Spanien oder den Balkanstaaten Arbeit gesunden haben. Einige weiiige finden durch Gründung eines Hausstandes oder eines selbständigen Geschäftes dort ihr dauerndes Heim. Andere aber sind Untertanen der fremden Staaten ge worden; sie haben als Kolonisten von den Tilgen Karls des Großen bis auf die Josephs II. auf fremder Scholle sich an- gesiedelt und blühende deutsche Siedelunaen geschaffen. Be kannt sind die Siebenbürger Sachsen, die bereits vor 700 Jahren die Heimat verlassen und in den äußersten Grenz gebieten Ungarns sich ein neues Heim geschaffen haben. Es sind ihrer annähernd 300 000. Sie stammen allerdings, wenn wir den Forschern glauben, nicht aus Sachsen, son dern sind vom Mittelrhein gekommen. Bedeutend zahlreicher, nur viel weniger bekannt sind die ungarischen Schwaben im Banat und der Baschka; sie zählen mehr als 2 Millionen. In der Bukowina zählen wir 50 000 Teutscl>e. 2 Millionen ansässige Deutsche finden wir auch in Rußland. Sie bewohnen die beiden Ufer der Wolga und im Süden die Gegenden am Schwarzen Meer oder im Norden die baltischen Provinzen. Während die Germanisierung der Ostseeprovinzen Früchte der christlichen und deutschen Kolonisation im 12. und 13. Jahrhundert sind, zogen zur Wolga die Deutschen erst auf Einladung der Kaiserin Katharina II. vom Jahre 1703 an, und in Süd- rußlnnd wurden die Kolonien erst vor einem Jahrhundert angelegt. Da die meisten Ansiedler aus Süddentschland und dem Elsaß stammten, gaben sie ihren nengegründeten Bauerndörfer» die Namen ihrer Heimatstädte: Speyer, Karlsruhe, Straßburg, Heidelberg, Mannheim, München, Rastadt, Baden, Sulz, Salz »sw. Sie feierten in den letzten Jahren das erste Jahrhundert Mrer Gründungen. Von dort ans sandten diese dann weitere Ableger nach Trans- kankasien, nach Turkestan, Sibirien, ja gar nach Argentinien und Kanada. 0. Tie dritte große Gruppe bilden die Deutschen jen seits des Atlantischen Ozeans in Nord- und Südamerika. Die ersten deutschen Ansiedler — 13 Familien aus der Gegend von Krefeld — kamen am 0. Oktober 1333 in Philadelphia unter Führung von Pastorius an. Das Jahr 1700 mit seinem kalten Winter, der darauffolgenden Hungersnot und den Verwüstungen der Franzosen, sowie übertriebene Schilderungen der Herrlichkeiten der Neuen Welt bewirkten eine Völkerwanderung oder vielmehr eine panikartige Flucht von 300 000 ausgehungerten Bewohnern der Pfalz nach England: von ihnen landeten im Jahre 1710 mehrere Tausend auf 10 Schiffen in Amerika und wurden in den jetzigen Staate» Pennsylvanien und Nenyork an« gesiedelt. Von da an brachte fast jedes Jahr neue deutsche Wan derer bald in größerer, bald in geringerer Anzahl, je nach dem patriotische oder wirtschaftliche Verhältnisse den Wandertrieb anreizten oder dämpften, bis endlich mit der Industrialisierung Deutschlands die verbesserten Erwerbs verhältnisse den deutschen Auswandererstrom fast zum Ver siegen brachten. Viele Tausende, ja Millionen dieser deutschen Wanderer haben in der englischen Umgebung ihre Spracl-e und Nationalität verloren. Sagte doch noch der Philanthrop Carnegie in einem Briefe an den deutsclsen Kaiser, daß bei 30 Millionen Nordamerikanern deutsches Blut in den Adern rollt. Von diesen sind aber nur elf Millionen ihrer Heimatsprache treu geblieben. In das zweite Viertel des letzten Jahrhunderts fällt der Beginn der deutschen Auswanderung nach Brasilien, insbesondere nach den drei Südstaaten Rio Grande do Sul, St. Catharina und Paranst. Später setzte die Auswande- rnng nach Chile ein. Im ganzen haben im südlichen Atnerika etwa eine halbe Million Deutsche ihr Heim ge sunden, während die deutschen Ansiedlungeu im Norden, in Kanada, ganz der neuen Zeit angehören, sie setze» sich zu sammen aus reichsdeutscl>en Auswanderern aus Deutscl>- Russen und deutschspreck-enden nordanierikanischen Far mern; es sind ihrer 300 000. Die zweite uns naheliegende Frage lautet: Wieviele sind von diesen 32 Millionen Ausländsdeutschen katholisch und wie siebt es um ihre religiösen Verhältnisse? Die erste Gruppe, die Deutschen in Oesterreich, Luxem burg nsw., gehört zum größten Teile dem 'atholiscl-en Be kenntnis. Ihre kirchlichen Angelegenheiten sind im großen und ganzen ebenso geordnet wie bei uns in Deutschland. — Von den 5U/5 Millionen Deutschen der europäischen Dia spora ist — ähnlich wie in Deutschland selbst — wenigstens ein Drittel katholisch. Für die in den Großstädten Europas sich nnfhaltenden deutschen Katholiken wurden im letzten Jahrhundert Missionen errichtet, die vom Aachener Josephs-Missionsverein unterstützt werden. So finden wir seit 100 Jahren in London die Bonifatius-Mission, seit den ,50er und Oller Jahren in Paris die drei Missionskirchen St. Joseph, Liebfranen und St. Elisabeth. In Italien haben wir die alten deutschen Nationalstiftnngen der Anima in Nom und Neapel; im letzten Vierteljahrhundert suchten die Grauen Schwestern von Breslau in fast allen großen italienischen Städten Schutz- und Stützpunkte für das ka- tholisct>e Deutschtum zu schaffen. Aehnlich ist in Belgien für die deutschen Katholiken gesorgt. Für die katholischen Deutschen an der Wolga und in Südrnßlaud — etwa eine halbe Million — besteht ein eigenes deutsches Bistum mit dem Bischofssitz in Sarütow mit deutschem Priesterseminar und einer genügenden Anzahl deutscher Geistlicher, während die katholischen Deutschen in Ungarn und der Bukowina vielfach einer ähnlich geordneten Pflege ihres religiösen Lebens entbehren müssen. Von der dritten Gruppe zeichneten sich die deutschen Katholiken in Nordamerika, welche 3 Millionen zählen, in der Gründung von Pfarreien und Pfarrschulcn derart ans, daß sie das Lob des päpstlichen Delegaten in reichem Maße verdienten. I» dem Josephinum von Kolumbus (Ohio) haben sie mit einem Aufwande von 3 Millionen Dollar eine Pslanzschnle für dentschsprechende und deutsch gesinnte Priester geschaffen, Währeno für die 250 000 deutschen Katholiken in Brasilien und Chile in glanbens- und sittenloser Umgebung teilweise noch traurige Verhält nisse bestehe». Ihnen sind seit einem halbe>> Jahrhundert die deutschen Ordensleute, insbesondere die Jesuiten und Franziskaner, wahre Schutzengel in religiöser und natio naler Hinsicht geworden. Ans dieser dürftigen Skizze sehen Sie schon, daß wir unsere dritte Frage: „Welches Interesse haben wir Katho liken des Deutschen Reiches an diesen kotholiscl>en Aus ländsdeutschen?" nicht mit Kain beantworten dürfen: „Was kümmert mich mein Bruder Abel?" Im Gegenteil, diese deutschen Auslandskatholiken nehmen unser reli- giös-caritatives und alle unsere Stammesbrüder da draußen unser nationales und wissenschaftliches Interesse in höchstem Maße in Anspruch. Ich habe in den letzten Jahren viele deutsche Kolonien in England, Italien, Frank- reich besucht. Ueberall habe ich Vertreter und Vertrete rinnen jeglichen deutschen Landstriches und jeglichen Dia- — 24 — „Dis erwarte ich bestimmt. Ein anderes Mädchen hätte sich einfach entfernt — und die Blamage wäre fertig gewesen. Aber Ada — na, Weiber sind Weiber —" „Ich verstehe dich nicht —" „Nicht? — Bist du wirklich so naiv, daß du noch nickn bemerkt lwst, daß Ada in dich verschossen ist! Mensch! — GlücksjungeI" Erich prallte förmlich zurück, „Ada — in mich?" rief er in grenzenlosem Erstaunen. „Das ist ja unmöglich!" „Es ist eine Tatsacl-e, mein Junge. Du brauchtest nur die Hand aus zustrecken — und sie fliegt dir an den Hals." „Ja, aber —" „Was aber? — Du sollst sie heiraten! Sie ist von altem Adel, und wenn auch keine Schönheit, so doch immerhin gut konserviert. Und dann ist sie eine glänzende Partie —" „Papa," rief Erich vorwurfsvoll, „du wirst doch nicht glauben, daß ich des Geldes wegen —" „Ach was! Wir Sonnenbergs sind keine Millionäre und »lüssen sehen, daß wir vorwärts kommen. Geld ist für einen Offizier die Hauptsacise. Wen» er das .acht hat, so bleibt er sein Leben lang ein armer Teufel und muß am Hungeriuche nagen." „Darauf kommt es doch nicht an — sondern daß man sich in der Ehe lieb har. Was nützt alles Geld, wenn die Gatten nicht znsammenstimmen , und ewiger Hader und Zank in der Ehe herrscht! — UebcrdieS ist Ada von Sternfeld nrindestens fünf Jahre älter als ich - und daß sie mir besonders sympathisch wäre, könnte ich nicht behaupten. Im Gegenteil -- ihre SchU>aK- Hastigkeit, ihre Emanzipationsgelüste und Schöngeisterei stoßen mich ab." „Pah — das macht sich. Wenn du erst ihr Gatte bist, setzt du ihr de» Kopf zurecht und erziehst sie dir, wie du sie zu haben wünschest. Die verrück ten Ideen bei ihr schwinden von selbst, wenn sie einmal Gattin und Mutter ist. Und das Alter — die paar Jahre — das kommt doch gar nicht in Betracht... ." „Aber Sternfelds sind doch gar nicht reich, so viel mir bekannt ist." „Na — es geht an. Ada ist das einzige Kind. Und dann ist da eine alte Muhme, so gegen achtzig, in der Residenz, ein richtiger Geizkragen. Halt du nie von der „alten Sternsack" gehört? Die ist's. Hat gegen zwei Millia- nen, und Ada ist ihre Universalerbin. Nun, was sagst du dazu? — Nächst' Woche verlobt ihr euch, gleich nach Weihnachten wird Hochzeit gemacht — und in ein paar Jahren kannst du lustig mit Vieren fahren und in Ruhe abworten, bis sie dich zum General machen. Na also?" „Papa ich kann nicht. Ich —" „Was?" rief der Hauptmann mit zornrotem Gesicht, „dn kannst nicht? — Ich sage dir: du mußt! DaS bist du deiner Familie schuldig. Ich erwarte von dir, daß du gegen Ada liebenswürdig bist und ihr in jeder Weise ent gegenkommst — das »veitere wird sich finden. Am Tage vor deiner Abreise seiern nur Verlobung — verstanden?" „Papa - hör mich an!" rief Erich in seiner Herzensangst. „Laß mich," rief dieser und hielt sich die Ohren zu. „Unsere Gäst- lvarten.' — Er nahm daS näclfste Kistchen Zigarren und verließ das Zimmer. — 21 — „Na, Papa," sagte Wolf gelassen, „das gibt sich mal so, wenn man mit Pairs zu soupieren gewohnt ist." Sonnenberg hielt sich ärgerlich die Ohren zu. „Pairs kann ich dir aller dings »ic.'K an die Seite setzen. Uebrigens mit Respekt zu sagen — Pfeife ich auf diese ganze steifleinene englische Herrlichkeit, Wir sind jetzt in Deutsch, land. Wenn das Buch, das du über England und die englische Gesellschaft schreiben willst, so trocken und zäh ist, wie die englische Lordschaft, dann wird eS kein Mensch kaufen." „Aber Papa, ich bitte dich' Darin liegt ja eben die Noblesse, der feine, vornehme Ton. Ich habe drei Jabre Studien in England gemacht, tiefe Studien. Du sollst mal sehen, wenn erst mein Stoff gesichtet ist — das Buch wird Furore machen," Herr von Sonnenberg gähnte. „Na — ich wünsche es auch. Al>sr — nun, ich habe so meine Bedenken, wenn ich an die englisiben Romane denke. Langweilig, öde recht zum Einschläfern nach dem Mittagsmahle. Also mach's gut, Wolf! Es soll mich freuen, wenn du berühmt wirst. Dann bist du ein gemachter Mann." „Ja — und kaufe mir ein Landgut in Aorkshire." „Hin — warum nicht lieber im Monde? Das wäre billiger. Warten wir's ab. Also prost: Es lebe der neue Star'" Herr von Sonnenberg leerte sein Glas und klopfte dann Erich, der ctwas verträumt dasaß, auf die Schulter. „Nun, Herr Leutnant, wie stehen die Aktien? Immer noch so himmelblauen Idealismus im Kopfe? Dein Bruder ist mehr für das Reale: der träumt von einem Landgute — du von Menschenleglückung, idealer Arbeitsleistung und so ähnlichem Grünzeugs. Suum cuigue! Ich bin zufrieden, wenn Küche und Keller wohl bestellt sind und ich meine Zinsen bezahlen kann. Zum Millionär bring ichs ja doch nicht. Und auch nicht zum Feldmarsclsall. Beides ist euch vorbel>alten. klebrigen» — gestern war es riesig fidel, nicht?" „Wenn man die Fidelität nach der Anzahl der leeren Flaschn beurteilt — dann allerdings!" sagte Wolf, der im Trinken sehr mäßig war. „Die Herrschaften sind nämlich von der Station aus noch ins Städtchen gefah- ren," setzte er erklärend gegen Erich hinzu, „und haben sich im Kasiiro gründ lich festgelegt. Daher die späte Heimkehr." „Dafür haben wir auch eine Ueberraschung für dich, Erich," sagte Herr Von Sonnenberg. „Wirklich?" „Ja. Wir bekommen Besuch, sehr lieben Besuch. Und ich darf wohl von dir erwarten, daß du besonders liebenswürdig gegen denselben bist, ja?" Das klang fast wie ein Befehl. „Ich bin immer höflich, Papa. Wer ist es denn?" „Abwarten, mein Sohnl Darin liegt ja eben die Ueberraschung." Die Unterhaltung wurde allgemein. Wolf erzählte von seinen Freun den in England, Susi unterhielt sich mit der Tante. Erich wartete mit Un- geduld darauf, daß die Tafel aufgehoben iverde; dann wollte er seinem Vater seine Verlobung mitteilen. Aber der Hauptniann machte keine Miene zum Aufstehen. Er fühlte sich sehr behaglich, bestellte eine neue Flasche und steckte eine friscl-e Havanna an. ,-Haus Sonnenberg. 6