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warf einen raschen Blick über den Garten, oder richtiger da» Gärtchen. Das einzige, was darin zu wachsen schien, war ein« erkleckliche Anzahl riesenhafter Sonnenblumen; sonst war nicht? von Vegetation wahrzunehmen. Wilhelm klopfte mit seinem Stock gegen die Tür, denn ein« Klingel war offenbar nicht vorhanden. Drinnen blieb eS still, und «r klopfte ein zweites Mal. Da endlich wurden Schritte laut — und im nächsten Augenblick stand ich dem Original der Photographie von Angesicht zu Angesicht gegenüber. „Nita!" sagt« Wilhelm unt einem Alana warmer Leidenschaft in der Stimm«. Eine Purpurwelle stieg in ihre Wangen. „Sind Sie gekommen!" murmelte st«. Er streckt« ihr beide Hände entgegen, und «ach einem sekundenlangen Zögern legte sie die ihren hinein. Er zog sie rasch an sich und küßte sie auf den Mund. „Nein, nicht doch!" sagte sie leise und entzog sich ihm rasch. Ihr Blick richtete sich aus mich, und ich sah ver legen zur Seite. „Herr Oswald Marschall," stellte Wilhelm mich vor, der sich rasch gefaßt hatte. „Der Abgesandt« meines Vaters." Ich verneigte mich tief. Sie hieß mich liebenswürdig Willkommen und trat dann ein wenig zur Seite. „Bitte, kommen Sie herein I" sagte sie freundlich. Ich sah mich nach Wilhelm um: er schien die Aufforderung ganz überhört zu haben und betrachtete scheinbar angelegent lich die mannshohen Blumen. Dann nahm er sein Taschen messer — und mit raschem Schnitt trennte er eine der zartes Blüten von ihrem zolldicken Stengel. „Ist die Prinzessin drinnen?" fragte er sorglos. „Ja, im Wohnzimmer," lautete die Antwort. ' „Ah." Er zwängte die Sonnenblume mit einiger Müh« in sein Knopfloch. „Dann muß ich mich für Ihr« Hoheit dekorieren." Sie lachte — ein weiches, Helles, leises Lachen. „Wie drollig du bist, Wilhelm," sagte sie, das steife »Sie* der Begrüßung fallen lastend. Ich hätte mir alle Sonnenblume» des Gartens ins Knopfloch stecken mögen, hätte ich st« da mit so zum Lachen gebracht. „Ein entzückender Platz hier," sagte er. „Die Lust ist wunderbar." Er reckte seine Gestalt. „Ah — man er starkt förmlich." „Ja, ich bin sehr stolz auf meine kleine Hütte," er widerte sie lächelnd. Er wurde plötzlich ernst. » „Und doch ist «S nicht der recht« Platz für dich und die Prinzessin.", Sie begegnete seinem auf sie gerichteten Blick. „ES mag für die Prinzessin nicht der rechte Platz sein — für mich gewiß! Vergißt du, daß ich die meist« Zeit »eines Lebens hier zugcbracht habe?" „Und doch ist es kein Ort, an den du paßtest." Sie machte eine kleine Bewegung -mit den Schultern. „Komm jetzt hinein, ich bitte dich! Die Prinzessin Wird auf uns warten." „Arme kleine Ißl — Ist sie noch immer so wild und ungebärdig?" Er wandte sich an mich. „Iß klingt ein bißchen merkwürdig — nicht wahr? Aber sie hat sich selbst so getauft, als sie zwei oder drei Jahre alt war." „Brite, komm, Wilhelm!" Wir folgten ihr durch einen engen, dunklen, winkligen Gang in ein Zimmer, dessen Tür sie vor uns öffnete. Es war ein kleiner, sehr behaglich eingerichteter Raum, aber so niedrig, daß man unwillkürlich den Kopf beugte, wenn man über die Schwelle trat. Ein junges Mädchen saß, uns den Rücken zukehrend, am Fenster. Ich konnte sür einen Augen blick ihr Profil scheu; sie war weder schön noch häßlich — man konnte sie Wohl ganz hübsch nennen. Auffallend war nur die Maste ihres zu einem Knoten aufgesteckten blonden Haares. Ich bemerkte, daß Wilhelm sich noch -urückhielt, und stand ihr neben Rita allein gegenüber. Sie stand auf die Anrede Fräulein DobsonS auf und wandte sich uns zu. „DaS ist Herr Marschall," stellte mich das junge Mädchen vor. „Du weißt — der Herr, den der Herr Graf gesandt hat." „Wlrklich?" sagte sie mit einer Stimme, in der mir Irgend etwas auffiel — ich weiß nicht, was, genug, daß auch irgend etwas fremd anmutete. „O — Sie sind aber noch recht jung." „Ja, sehr alt bin ich nicht," gab ich zu. „Aber wie hübsch Sie sind!" „Aber Jß l" sagte Rita vorwurfsvoll. „So darfst d« nicht zu Herrn Marschall sprechen." „Ich werde so sprechen, wie ich mag," meinte die Prinzessin schmollend. Sie kam auf mich zu, mit eigent lich recht ungraziösen Schritten, und hielt mir ihre Rechte hm, die schmal und sein geformt war. „Sie gefallen mir sehr," sagte sie. „Ich bin gespannt, ob Sie wirklich etwas Häßliches tun werden." ,Zch tue gewiß nichts Häßliches." „Nicht?" erwiderte sie. „Wollen Sie nicht, daß ich «inen häßlichen alten Mann heirate?" „Iß, Jßl" mahnte Rita. „Bring' uns ein bißchen Tee!" bat die Prinzessin. „Sie nehmen mit uns den Lunch ein? — Natürlich tun Sie eS. Haben Sie den Grasen nicht mitgrbracht?" „Nein, der Herr Graf mußte tu Deutschland bleibe«, weil —" „In diesem Augenblick hatte sie Wilhelm gesehen. Mit einem Schrei flog sie auf ihn zu, hängte sich an seinen Hals und stammelte lachend: „Wilhelm! Wilhelm!" „Liebe kleine Iß!" sagte er. Sie lachte «nd lachte, und drückte ihr Gesicht fest au feine Schulter. „Wilhelm, wie ich mich freue, daß ich dich wiederfeh« l — Wie findest du, daß ich auSsehe?" „Du bist so hübsch wie immer." Er nahm ihre« Kopf in beide Hände und küßte sie auf die Stirn — eine kalte Begrüßung, wie mich'- bedünken wollte. Rita sah zur Seite — ich glaubte, ihr« Gefühle wohl zu verstehen. Die Prinzessin ließ Wilhelm los, noch immer lachend, wie mir's schien, geradezu hysterisch. Ich war froh, daß Fräulein Rita die Aufmerksamkeit dadurch auf einen anderen Gegenstand lenkte, daß sie uns aufforderte, ihr beim Be reiten des Lunch behilflich zu fein. Die Stunde, die wir nun verlebtm, war eigentlich reizend. Wilhelm stürmte sofort in die Küche, die ebensogut in ein« Puppenstube gepaßt hätte, und band trotz Ritas lachendem Protest sich und mir groß« Schürzen um. Mir wurde die Aufgabe zuteil, den „Toast" zu bereiten — das heißt, kleine Weißbrotschnitten über der offenen Herdslamme zu rösten. Wilhelm deckte den Tisch, wobei nur drei Teller und eine Untertaste in Stücke gingen, Rita bereitete den Tee, «nd die Prinzessin begnügte sich damit, Brotkügelchen nach uns zu werfen. Wilhelm überreichte ihr schließlich seine Sonnenblume, die er ihr auS Berlin mitgebracht habe und die ein überaus seltenes Exemplar sei, und sie bemühte sich, die Blume auf der Nasenspitze zu balancieren. Ja, es war alles sehr nett und behaglich, aber — Ich wurde recht nachdenklich. Nie zuvor war ich mit einer Prinzessin in Berührung gekommen, aber man macht sich doch so allgemeine Vorstellungen, wie solch eine hoch- geborene Dame sich benimmt. Und dicker Backfisch, den ich für ein Mädchen aus bürgerlichem Hanse reichlich — sagen wir: ausgelassen gefunden hätte — sollte eine Prinzessin fein? Wie gesagt, ich wnrde recht nachdenklich. Wir hatten uns alle vier von vornherein der englischen Sprache bedient, um später Fremden gegenüber nicht aus der Nolle zu fallen. Und es fiel mir auf, wie vollkommen die Prinzessin diese Sprache beherrschte, ohne jeden fremden Akzent. Vielleicht war sie — ? Ich beschloß, st« auf die Probe zu stellen. Und mitten in die Unterhaltung hinein wandte ich mich mit einer Frage in deutscher Sprache an sie. Sie sah ein bißchen überrascht aus, gab mir jedoch ebenfalls im reinsten Deutsch Antwort. Wieder fiel mir in ihrer Stimme — ich weiß nicht was, auf; daß da» Deutsche jedoch ihre Muttersprache war, darüber könnt« gar kein Zweifel bestehen. (Sortsetzmig folgt.