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Mit Karl. r-lgt »Wir können ja warten, bis Iß kommt, da wir eben erst zu Mittag gegessen haben. Es war oben so verdächtig still — ich glaube, die beiden Mädchen haben sich schon wieder zum Schlafen gelegt. — Bilden wir laicht einen reizenden kleinen Kreis? — Mir wird es gewiß niemand ansehen, daß ich eine Braut bin, der man den Gatten nicht geben will, und Sie —' ,Ma» bin ich?' »Ein teilnehmender Bruder/ erwiderte sie und lächelt« mir über den Tisch zu. »Es ist der letzte Abend, Oswald, den wir miteinander verleben. Wollen Sie nicht den griesgrämigen Ausdruck einmal für ein paar Stunden von Ihrem Gesicht verbannen?* .Oh — ich habe mich niemals Wohler und zufriedener gefühlt,* versicherte ich und lachte ebenso unmotiviert wie gezwungen und geistlos. Sie sah auf die Uhr. .Wo mag nur Iß bleiben? — Ich fange an, besorgt zv werden.* .Oh — daS ist nicht nötig." .Sie wissen, wo sie ist?" fragte sie rasch. Ich wurde rot- Meine Unfähigkeit in der Kunst der Verstellung ließ mich ihr Opfer werden. -Nein,» ich weiß es nicht,* erwiderte ich nach einer Viel za langen Pause, die meine Worte von selber Lügen strafte. Sie legte ihre Arbeit, beiseite. .Oswald — was meinen und beabsichtigen Sie mit alledem?* .Ich meine und beabsichtige gar nichts/ .Sie sehen schuldbewußt aus-* »Schuldbewußt l — Verzeihen Sie — aber davon kann gar keine Rede sein. Wirklich nicht. Sie befinden sich in einem Irrtum.* Ich sprudelte die Worte hervor und hielt den Blick zu Boden gesenkt. Sie stand langsam auf und kam um den Tisch, und ich fühlte, wie ihr Blick auf meinem Gesicht ruhte. .Wo ist Iß?' .Ich weiß nicht, wo er ist,* erwiderte ich verzweifelt. .Er I* Sie sank auf einen Stuhl zurück, und ich stand vor ihr wie ein Schuljunge, den wan auf einem Un« recht ertappt hat. War das erhört? — Sie mußte so fühlen — nicht ich! Aber ich konnte nun einmal nichts gegen meine Gefühle machen. .Was wissen Sir?* fragte sie endlich leise, und als ich aufsah, nahm ich wahr, wie blaß sie geworden war. .Ich weiß alles," gestand ich beschämt. .Alles! — Wie entdeckten Sie es?" Ich schilderte meine Begegnung mit Karl. Ein peinvolles Schweigen trat zwischen «NS. Sie sah ein« kleine Weile starr vor sich nieder, und ich beob- achtete die Lichtreflexe auf ihrem reichen Haar. Dann stand sie auf, ging wieder um den Tisch und setzte sich, ohne ein Wort zu sprechen, wieder an ihre Arbeit. Ich nahm mir eine Zigarette und setzte mich ihr gegen über. Vielleicht eine Viertelstunde lang hielten wir so eine angeregte, lebhafte Zwiesprache, die nur leider den Fehler hatte, vollkommen stumm zu sein. Das heißt, wir sprachen nicht ein Wort. Ich beobachtete das langsame Einschlafen erst meines rechten und dann meines linken Beines — na türlich, sie mußten sich bei dieser Art von Unterhaltung langweilen. Endlich, endlich sagte die Prinzessin: .Was haben Sie mit ihm gemacht?* .Mit—?' .Ich habe ihn nach Deutschland zurückgeschickt.' Sie nickte. .Ich bin froh, daß Sie es getan haben.* Damit hatte das Gespräch für weitere zehn Minuten ein Ende. Jetzt waren meine beiden Beine glücklich ein- geschlafen. Schließlich legte sie ihre Arbeit beiseite. . .»Ich gehe jetzt, um Ihnen etwas zum Abendessen zu bereiten," sagte sie und erhob sich. »Ich werde mitkommen und Ihnen helfen.*, »Nein — davon will ich nichts hören.* 1 nicht in Villa Mtzra sehr gut gegangen?' „Sie können hier den Tisch - . — wenn Sie durch ¬ aus wollen. Aber kommen Sie nicht in die Küche — Sie werden da nur Konfusion anrichten.' Die Wahrheit zu sagen — mit meinen sanft ent schlummerten Beinen wäre ich auch einfach umgef-ren, hätte ich jetzt ausstehen wollen. Während ich meine unteren Ex« tremitäten wieder zum Leben zu erwecken strebte, lauschte ich angestrengt hinaus. Ich hörte sie die Treppe hiuaufgehen — abe^ »n die Küche ging sie nicht. Gerade über dem Früh» stückSzimmer lag ihr Schlafgemach, und dort hörte ich sie zwei Minuten lang hantieren. Dann kam sie wieder hGunter, ging rasch an der Tür des Frühstückszimmers vorüber und vernichte offenbar, die Haustur zu öffnen. Und dann wurde die Zimmertür heftig autgerisseu — in Hut und Mantel stand sie auf der Schwelle. .Die Tür ist verschlossen," sagte sie in bebender Er regung. .Und die Schlüssel sind abgezogen.' »Wie fanden Sie das heraus?" erkundigte ich mich. »Ich wollte in den Garten geheim um Blumen za pflücken.* .Ah so! Vermutlich haben Sie sich deswegen dm Mantel angezogen und den Hut aufgesetzt?* .Es ist kühl geworden," erwiderte sie. .Sehr kühl!" bestätigte ich höflich. Ihre Augen flammten, und ihre fein geschnittene« Nasenflügel bebten. Hastig nahm sie den Hut ab und warf den Mantel über einen Stuhl. .Soll ich vielleicht für daS Abendessen sorgen?" fragte ich. Sie warf den Kopf zurück und sah mir fest in die Augen. .Nein! Aber ich denk«, wir werden uns nach dem Essen einiges zu sagen haben.* 20. Wir waren sehr höflich gegeneinander während de» Essens. Ich sagte: .Vielen Dank", wenn sie mir die Butter reichte, und wenn sie den Aufschnitt wünschte, sa sagte sie: »Wenn Sie so freundlich sein wollen". Ihr Appetit schien ausgezeichnet, wie der meine unter dem Gefrierpunkt stand. Ich aß irgend etwas, ohne zu wissen, was, ich trank irgend etwas, ohne zu wissen, was, ich sagte irgend etwas, ohne zu wissen, was — kurz, ich befand mich in einem Zustand, der nicht zu beschreiben ist, und biß mich in meiner Verzweiflung nur immer tiefer in mein« »Idee* hinein. Sie mögen gerne rauche«,* gestattete sie großmütig, als wir das Mahl beendet hatten, und in mechanischem Gehorsam nahm ich mir eine Zigarette. Sie studierte das Muster der Tischdeck« mit einer unnötigen Andacht. »Warum haben Sie die Türm verschlossen?* fragt« sie plötzlich, ohne aufzusehen. »Um Wilhelm auszusperren." »ASer er hat ja gar nicht die Absicht zu kommen.* »Man muß sich gegen alle Eventualitälen versichern.* »Aber warum sollte er denn hereinkommen wollen? Er schläft doch in Dala ich meine, in Oban." „Jawohl, er schläft in Dalavich. Aber ich dachte an morgen früh.* .Auch morgen wird er eS nicht nötig haben, hereinzu kommen — ich werde zu ihm hinausgehen.' Ich ließ kunstvolle blaue Rauchringe zur Decke empor steigen und gab ihr keine Antwort. Mein Herz klopft« mir bis zum Halse. „Werde ich nicht?' fragte sie ungeduldig. .Warum sprechen Sie nicht? Es ist »»liebenswürdig, auf höfliche Fragen nicht zu antworten.* »Es mag Wohl unliebenswürdiger sein, sie zu be antworten.' „Sie meinen, daß ich nicht zu Wilhelm hinausgehe« soll? Meinen Sie wirklich so?* Da gab ich meine bisherige Art ausi -- «Ja,* erwiderte ich kurz und fest. Redaktion, Druck und Verlag von E. Kästner in Waldenburg.