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Oer Zonntcigzeriütiler. Unterhaltungsbeilage zum Schönburger Tageblatt. Nr. 42 Son«tag, den 15. Oktober 1922 Der Wächter. Humoristischer Roman von Archibald Eyre. Frei bearbeitet von Helmut tan Mor. (Fortsetzung) „Aber gewiß, ich kann sie Ihnen holen." „Wenn Sie so liebenswürdig sein wollten!" Der gute Diann verließ uns, offenbar nicht wenig er» staunt, und ließ mich mit Rita allein. „Ich — ich hoffe, Sie — Sie handeln mit voller lleberlcgung," stieß ich bebend hervor. handle ich denn nicht nach Ihren Absichten?" „jawohl, aber — aber —" „lieber Herr Marschall, Sie wollen mich gewiß nicht glauben machen, daß ein klugeb junger Mann — ein ehr« licher junger Mann, wie Sie, seine eigenen Absichten nicht kennt oder wie seine Handschuhe wechselt." „Weshalb," sagte ich zornig, „sprechen Sie immerzu voll meiner Jugend und meiner Ehrlichkeit?" „Weit La; Ihre in die Augen springendsten Eigen« scha'tlN sind." Jeh sand, daß ich ihre Eigenschaften doch weit über- schäßt hatte. Meinetwegen mochte sie heiraten, wen sie wollte — ich war ganz sicher, daß es mich sehr gleich« güllig ließ. „Ich hoffe, daß Sie glücklich werden," sagte ich kalt. „Ich bin gewiß, es würde Ihnen ein trauriges Be» wußtsein werden, mich in eine unglückliche Ehe gedrängt zu haben." „Ich wasche meine Hände in Unschuld," sagte ich. „Sie dürfen mich nicht anklagen, Sie zu der Heirat ge« drängt zu haben/' „Wie? — Haben Sie nicht —" „Es war ein Plan, nichts als ein Plan," sagte ich erregt. „Wie kann man sagen, ich hätte Sie zu dieser Heirat gezwungen! Wer würde eine Ehe eingehen, weil ein vollkommen Fremder irgend etwas bemerkt?" „Da ist der gnle alte Mann mit einem Stoß von Papieren. Ich hoffe, Sie werden mir helfen, sie auszu» füllen. Ich bin so unerfahren in solchen Sachen." Als uns der Vikar wieder erreicht hatte, dankte sie ihm sehr herzlich und lauschte aufmerksam seinen Er klärungen. „Ich hake recht gehört," sagte sie, „wenn ich glaube, daß drei Wochen bis zur Hochzeit vergehen müssen? — Gibt es keinen kürzeren Weg?" „ES gäbe wohl auch noch kürzere Wege," meinte er. „Haben Sie so große Eile?" „Ich persönlich habe keine Eile," erwiderte sie. „Ja — die Wahrheit zu sagen, ich wünsche nicht einmal, ver heiratet zu werden. Mein Bruder jedoch besteht darauf." Der Vikar sah mich höchst unwillig an. „In einer derartigen Angelegenheit muß sicherlich allein der Wille Ihres Fräulein Schwester maßgebend sein," sagte er streng. „Die Ehe ist eine ernste Sache, die man sich vorher nicht lange genug überlegen kann." »Die junge Dame ist vollständig frei, zu tun, was sie für richtig hält," erwiderte ich kalt. .Sie scheint die Situation etwas zu verkennen.* Rita schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, ich habe meinen lieben Bruder gekränkt," sagte sie. „Vielleicht hätte ich nicht einmal gegen einen Geistlichen von diewn familiären Angelegenheiten sprechen dürfen." Sie lächelte. „Jedenfalls — seine Wagt ist durchaus richtig und klug. Und ich — bin ganz damit einverstanden. Mein zukünftiger Gatte heißt Wilhelm.* „Wilhelm?" wiederholte der Vikar. „Ich hoffe, eS ist kein Fremder?* „Jawohl, ein Fremder," antwortete sie. .Und mir wurde gesagt, seine Vergangenheit — aber still! Ich will meinen Brüder nicht noch einmal erzürnen." Meine Stimmung näherte sich dem Siedepunkt, und ich vermochte nicht länger zu bleiten. So ging ich dem Ausgang der Kirche zu, und sie folgte mir mit dem Geist lichen, der sich mit einer kühlen Verbeugung von mir ver abschiedete, »ihr aber herzlich beide Hände schüttelte. Während wir dem Wirtshause zugingen, verharrte ich in kaltem Schweigen. Beim Essen plauderte dii Prinzessin lebhaft mit Rita — ich aber blieb still. „Unser Polizei-Mann," sagte die Prinzessin, „hat einen Stock verschluckt." „Nein, du darfst nicht so von Herrn Marschall sprechen," sagte Rita. .Er befindet sich in einer sehr schwierigen Lage, und er tut nur seine Pflicht. Ich sühle eine große Sym pathie für ihn." Die Prinzessin lachte, daß ihr die Tränen in die Augen traten. Ich erhob mich. „Es ist Zeit, aufzubrechen." „Oh, ich will den Wagen holen," sagte sie und huschte aus dem Zimmer. Rita stand auf und sah mich lächelnd an. „Ich hoffe. Sie sind nicht wirklich erzürnt?" „Ich bewundere Ihre humoristische Ader," erwiderte ich und verbeugte mich tief. Schloß Dalavich war eine ganz niedliche Villa. Ein einstöckiges Gebäude, lag es inmitten der reizenden An lagen, die nur ein wenig besser hätten gepflegt sein dürfen. Eia kleines Häuschen, das die Stallungen und die Wohnung für die Dienerschaft enthielt, stand ein wenig abseits; es war an und sür sich sehr hübsch, nur hatte dec Erbauer den Fehler begangen, es in einem anderen Stil als dem der Hauptgebäude zu errichten, und dadurch de» Gesamteindruck gestört. Die Beschließerin war eine Frau in den sogenannten besten Jahren; es ivürde mir Schw ernstesten be reiten, sollte ich ihr Alter genau angcben. Will man nach unten abruuden, mag man vierzig oder fiinfnnd- vierzig annehmen. Sie war die Witwe eines Forst- Hüters, den ein kurzsichstger Parlamentarier auf der Jagd schwer angeschossen hotte, weil er ihn sür einen Hirsch hielt. Zum Glück für diesen Edlen vertauschte Annies Gatte — Annie hieß die Beschließerin — wenige Monate nach dem Unglück das irdische Jammertal mit einem besseren Auf enthalt, und der Totenschein gab Herzschlag durch Alkohol vergiftung als Ursache seines Sterbens an. Annie aber wußte es besser. Es.wäre in recht, zu sagen, daß sie den Irrtum guthieß, der sie teil Gemahl gekostet hatte; die Wahrheit aber ist, daß sie das Unheil ruht beklagte. Ja, sie hatte fast ein Gefühl der Dankbarkeit sür den kurz sichtigen Parlamentarier, weil er sie ohne Absicht von einem bösen Geschick befreit. Ihre freie Zeit brachte sie send in lediglich damit zn, in den Zeitungen nach Reden oder Taten des Mannes zn forschen, dessen Büchse sich so eigenartige Zielobsikie suchte. .^cine b hrrn Herr James Mac Cuddie,* sagte sie dann wobl mit ilrcr dünnen Stimme, „hat eine schöne Reoe nb.r Len asrstänischen Krieg gehalten."