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»Er braucht das nicht zu fürchten,* fügte sie ruhig. »Liebe wird immer glücklich machen." Damit verließ sie das Zimmer. Zwei Tage später bestand die Prinzessin darauf, daß wir einmal das Frühstück auf jenem Hügel einnehmen sollten — gewissermaßen zur Probe. Gegen etwas, was Ihre Hoheit sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, nützte natürlich kein Widerspruch, und so schleppten wir denn mit Annies Hilfe den Frühstückstisch in den Garten hinaus. Rita folgte uns still und insichgekehrt mit dem Teekessel. Wilhelm war noch nicht wieder in die Erscheinung ge treten, und ihre Niedergeschlagenheit war wohl seiner Ab wesenheit zuzuschreiben. Sie hatte sich seit unserer letzten Unterredung bemüht, mir den Aufenthalt in Talavich so angenehm wie möglich zu machen, hatte mir hundert kleine Aufmerksamkeiten erwiesen und sich so freundlich als mög. lich gegen mich gezeigt. Ich glaube, sie begann mich zu bemitleiden. Im Anfang war mir dieser Gedanke beinahe unerträglich gewesen; ihre sanfte, unwiderstehliche Liebens würdigkeit aber hatte meinen rebellierenden Stolz sehr rasch entwaffnet, und ich hatte mich in die Rolle des armen Be mitleidenswerten gefügt. Das Wetter begünstigte uns nach Möglichkeit. Der Tag war wie alle seine Vorgänger von der herrlichsten Klarheit; die wenigen leichten, zarten Wolken schienen die milde Bläue deSHrmmcls nur tiefer und reiner machen zu wollen. Dieser Tom mußte einen erstaunlich guten Ge schmack haben, denn man hatte von der kleinen Erhöhung, auf der wir saßen, den lieblichsten Blick. Wie ein sammet- ner, sattgrüner Teppich breitete sich der Rasen zu unseren Füßen, die verschiedenartigen Bäume des Parks bildeten die abwechslungsreichsten, lebhaftesten Gruppen, durch die man an die einzelnen Stellen auf weite Wiesengründe sah. Es war Glanz nnd Farbe in dem Bilde, und es schien von allem eine Lebensfreudigkeit auszugehen, die jeder Melan cholie und Niedergeschlagenheit feind war. Wir hatten den Lunch eingenommen, als die Prin zessin mit ihrem geliebt« n Tom davonwanderte und mich mit Rita allein ließ. Ich probierte, ob man wohl in die Sonne sehen könnte, und sie zerpflückte einige unschuldige Blumen. ,Wir sind ein seltsames Paar," brach sie plötzlich daS Schweigen. »Sie, mit Ihrem ernsten Gesicht, sagen gar nichts. Und ich —" .Sie scheinen auch nicht sonderlich vergnügt," er widerte ich. »Aber das ist wohl nur, weil Wilhelm nicht da ist." .Sie sind im Irrtum/' erwiderte sie ernst. „Vor zwei Tagen war ich glücklich, weil ich einen Zweifel ab getan glaubte, der mich mehr gepeinigt hatte, als ich sagen kann. Ich begrub ihn tief, weil ich ihn für tot hielt. Und jetzt — und jetzt —" »Was ist jetzt?' fragte ich hastig und wandte mich ihr zu. „Er regt sich in dem Grabe, und ich fürchte, jeden Augenblick sein grinsendes Gesicht wieder zu sehen zn be kommen." .Sie sind nicht sicher —" Ich beugte mich weit vor in meiner Erregung. .Sie glauben, daß es vielleicht — ich meine —" Sie sah mich an. Um ihre Mundwinkel zuckte es. »Sie sind es — Sie, der den Zweifel nieder zum Leben erweckt hat. Jh e Vermutungen, Ihre Sorge»«, Ihre ernsten Augen, Ihre Befürchtungen für meine Zu kunft tragen daran die Schuld. Warum können Sie mich nicht mir selbst überlassen? — Was bin ich Ihnen denn? — Wir kennen uns seit wenigen Tagen, und in ein paar Wochen wird unsere Bekanntschaft ein Ende haben. In vierzehn Tagen trennen wir uns — wahr scheinlich, um uns nicht wieder zu sehen. Haben Sie ein Recht, Interesse an mir zu nehmen? — Nichts bin ich Ihnen — nichts." Ich hätte ihr sagen mögen, daß sie mir alles war — aber ich blieb stumm. Lauge mußte ich nach einer Antwort suchen. .Sie selbst waren es, die mich Ihren Bruder nannte,j flüsterte ich endlich. „Spiele ich diese Rolle zn gut?" Ihr Blick wurde weich. „Ich glaube, jedes Mädchen würde stolz darauf sein, Sie zu Ihrem Bruder zu haben," sagte sie leise. „Wie gut und milde würden Sie gegen eine Schwester sein, wie besorgt um ihr Glück I — Und Sie haben keine I" „Nein — dem Himmel sei Dank!" „Weshalb sagen Sie das?" Ich gab ihr keine Antwort. Sollte ich erwidern, daß ich nicht wünschte, eine Schwester möchte mit mir an meiner Abkunft zu tragen haben? „Und doch," fuhr sie in ihrer träumerischen Art fort, „wenn ich zu wählen hätte, in welche Art von Verwandt schaft ich zu Ihne« treten wollte — ich würde nicht Ihre Schwester werden." „Was denn?" fragte ich, und eine seltsame Hoffnung machte mein Herz heftig schlagen. „Ich glaube, ich würde lieber Ihre Mutter sein." „Wirklich I" erwiderte ich, und mit meiner Rührung hatte es ein Ende. „Jede Frau würde glücklich sein, einen Sohn wie Sie zu haben," sprach sie Welter. „So gut und freundlich, so einfach und so aufrichtig und ehrlich. Ja — wenn ich je «inen Sohn haben sollte, würde ich mir nichts anderes wünschen, als daß er Ihnen ähnlich würde." „Ich bin nicht so einfach und so ehrlich, wie Sie glauben mögen," sagte ich unwillig. „Erzählen Sie mir, wie Ihre Mutter war, Oswald! Ich möchte es so gern wissen. Soll ich einmal versuchen, sie zu beschreiben — so, wie ich sie mir vorstelle? — Eine schlanke, große Frau, mit einem schönen, klugen Gesicht, milde und gütig. Sie muß die meiste Zeit ihres Lebens zum Wohltun verwendet haben, muß die rechte Hand des Geistlichen ihres Ortes gewesen sein. Gewiß ist sie in die Hütten der Armut gegangen, hat Segen gespendet und Dank empfangen. Gekleidet denke ich sie mir auf das ein fachste, bei festlichen Gelegenheiten in matte Seide — — Habe ich recht?" „Ich bin ein illegitimes Kind," sagte ich schroff. Ein knabenhaft trotziger Stolz war es, der mich das sagen hieß, das eine, was ich wie nichts anderes als mein Ge heimnis gehütet hatte, was ich ihr noch in dem Augenblick, da ich es aussprach, nicht hatte sagen wollen und doch sagen mußte. Eine feine Blutwelle stieg in ihre Wangen, und sie sah mich an, daß in mir die Tränen emporstiegen. „Ich bitte um Vergebung," sagte sie leise. „Ich wollte Ihnen gewiß nicht wehe tun. Es tut mir sehr, sehr leid." „Sie haben mir nicht wehe getan," erwiderte ich. „Es ist kein Grund vorhanden, weswegen Sie es nicht wissen sollten. Ich schäme mich dessen nicht." Und doch schämte ich mich in diesem Augenblick nur zu sehr. „Es ist ja auch keine Schande — nichts weniger als das," sagte sie, und ich las das große Mitleid doch in ihren Augen. „Nein>— nur daß es eine neue Schranke zwischen uns bedeutet," erwiderte ich rauh. Sie dachte ein paar Augenblicke lang über diese Be merkung nach. Warum sollte es eine Schranke sein?" erwiderte sie so dann. „Ich bin nur eine arnie Gouvernante — und iu der Menschenklasse, der ich entstamme, fragt man nichts nach Geburt und Herkunft. Es bedeutet ja auch so wenig." Ich wies aus einen Radfahrer, der rasch den Weg herauskam. „Ist das nicht Wilhelm?" Sie sah auf. „Ja, Sie haben recht," erwiderte sie. „Wir wollen aber nicht ins Haus gehen. Es ist so schön, hier zu sitzen." 14. Rasch, viel zu rasch flossen die Tage dahin. Wir ver lebten eine schöne Zeit, deren Freuden nur durch die allzu häufigen Besuche Wilhelms eine Beeinträchtigung erfuhren. Als habe es der Wettergott darauf abgesehen, sich in unsere Gunst zu setzen, verbannte er Regen und Smrm ein für allemal von seinem Programm und zeigte sich so sanft und freundlich, daß man beinahe Sehnsucht nach einem ordent lichen Gemüter bekam. Wir hatten einen kleinen See im Park entdeckt, an dessen schilfninkränztem Ufer ein morscher Kahn seine Tage verträumte, um nun von uns unsanft aus dem Schlummer geweckt zn werden. Seine Bekannt schaft machten wir dadurch, daß die kleine Hoheit von ihm aus ins Wasser fiel, das glücklicherweise an seiner gefähr lichsten Stelle nur etwa dreiviertel Bieter tiei sein mochte. Redaktion, Druck und Verlag von E Kästner in Waldenburg.