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Osr Zonntcigzsrräklsr. Uitterhaltuugsveilage zum Schönburger Tageblatt. Nr. 45 Sonntag, den 5. November 1922 Dev Wächter. Humoristischer Roman von Archibald Eyre. Frei bearbeitet von Helmut tan Mor. (Fortsetzung) Während ich langsam den Weg hinunterschlenderte, der nach dein Dorfe führte, empfand ich so recht, wieviel der Ort, der mir bisher als das reizendste Erdenfleckchen er schienen war, durch Ritas Abwesenheit an Glanz und Schönheit einbüßte. Ich hätte doch vielleicht klüger daran getan, im Hause zn bleiben — hier brausten erinnerte mich jeder Strauch, jeder Baum, jeder Stein am Wege an die glücklichen Augenblicke, die ich mit dem geliebten Mädchen hier im Grünen verlebt hatte. Von jenem Busch hatte sie einen Zweig geschnitten, um ihn mir an den Hut zu stecken; aus jener Pank hatten wir miteinander gesessen und einen Kranz sür Iß reflochten; dort auf dem Rasen-Rondell halten wir Krocket gespielt — es gab kein Plätzchen, das meine sclbuguälerijch.n Gedanken nicht in irgend eine Beziehung zn ihr hätten bringen können. Und so wanderte ich langsam dahin, trostlos, elend und doch wieder seltsam glücklich in der Erinnerung rein glücklicher Augenblicke. Emen einzigen Trost hatte ich ja trotz dem, was ge- schcheu war: öast ich die Ausgabe, die man mir gestellt hatte, zu einer glücklichen Lösung gebracht hatte. Glücklichen Losung? — Za doch — nicht für mich vielleicht, wohl aber für den, in dessen Dienst ich stand. Wie ich ihn hasttc, diesen Dienst I Und wie es mich doch mit Genug- tnung erfüllte, daß ich die schlechte Meinung, die der Graf von meinen Fähigkeiten hatte, so glänzend widerlegen konnte. Wieviel Leid meine Brnst auch immer erfüllen mochte — in dem, was man mir anfgetragen, war ich doch erfolgreich gewesen, nnd ich konnte dem Wiedersehen mit dem Grafen ruhig entgegensehen. In meiner selbstvergessenen Stimmung hatte ich cs nicht bemerkt, daß sich mir ein Radfahrer näherte. Erst, als ich mich bei meinem Namen angeredet hörte, sah ich auf und erkannte den Briefträger, mit dem ich bei einem meiner seltenen Besuche im Dorf Dalavich zusammengetroffen war und ein paar Worte gewechselt hatte. „Ich habe einen Brief sür Sie, Herr Marschall," sagte er, »Ihr Freund hat heute morgen nicht wie sonst auf der Post nach den eingelaufenen Sachen gefragt — da dachte ich, es wäre Ihnen vielleicht angenehmer, wenn ich ihn brächte." „Was sür ein Freund?" fragte ich verständnislos. „Ja, wie heißt er doch — meine den großen, schlanken Herrn, der immer mit dem Fahrrad kommt —" Herr Wilhelm Damsdorf?" Den Grafentitel hatten wir hier weggelassen. „Jawohl, ganz recht." Er kramte in seiner Tasche. „Herr Damsdorf holte die Briese jeden Morgen?" „Jawohl — jeden Morgen. Sehen Sie, ich komme immer erst mittags zum.Schloß, und Herr Dcansdoof" — er machte mit seiner Aussprache ein köstliches Wort daraus — .meinte, Sie brauchen die Briefe immer schon ganz früh. Der Gcntteman kam immer schon um halb acht — na, ivo hab' ich ihn denn —ein seiner Herr, wirklich! Und jo freundlich — aha, da ist er." Er hatte dcu Bries endlich gefunden, nnd ich nahm ihn dankend in Empfang. Daß Wilhelm sich selbst so für nach dcwüht hatte, wußte ich nicht — nnd es machte mir auch Wahrhaftig keine Freude. Ich hatte, ww gesagt, die Briese immer von Annie erhalten, nnd zwar um tue Mittagszeit; non Wilhelms Gefälligkeit hatte ich nichts goahnt, und H schien, mir ziemlich unnötig. Auf einer Bank zur Seite des Weges ließ ich mich nieder nnd öffnete den Brief, nachdem mir ein flüchtiger Blick aus Marke nnd Poststempel gezeigt hatte, daß er aus Deutschland und zwar «ns Erlheim kam. „Lieber Oswald!" begann das Schreiben. „Ich bin außerordentlich erfreut über die geschickte, umsichtige Art, mit der Sie alle Schwierigkeiten und Hindernisse aus dem Weg räumen, die Ihnen entgegengestellt werden sollen. Es ist ja allerdings wahr, daß Wilhelms Unglücksfall Ihnen einen großen, ganz unvorhergesehenen Beistand leistet" — welcher Unglücksfall?! — „aber die Vorsehung pflegt zumeist nur dem beizuspringen, der sich auch ohne sie zu helfen wüßte. Sie haben mich durch Ihr Tun mehr als einmal in Erstaunen gesetzt. Harren Sie mutig aus, bleiben Sie bei dem, was Sie sich vorgenommen haben, und bleiben Sie noch so lange fest, bis ich selbst zu Ihnen kommen kann. Es war außerordentlich klug gehandelt, das Geschehene vor der Prinzessin geheim zu halten; aber meinen Sie nicht, daß Wilhelm Mittel und Wege finden wird, sie davon in Kenntnis zu setzen? Ein Bote ist ja qm Ende leicht zu haben; nnd er ist klug genug, um sich sagen zu müssen, einen wie ungünstigen Ei.idruck scin dauerndes Ferul leiben, seine Untätigkeit auf die Prinzessin machen muß." Das waren böhmische Dörfer für mich. Nicht eine Silbe davon könnte ich verstehen. Ich wandte das Blatt, um nach der Unterschrift zu sehen, und fand, daß sie die des Grafen Darnsdorf war. Die Handschrift aber — die Handschrift! Die war vollkommen verschieden von der aller seiner vorherigen Briefe, nnd auch die Ausdrucksiveise wich von ihnen ganz wesentlich ab. „Sie werden jene Furcht verzeihen, der ich in meinen letzten Briefen schon vielleicht zu offtnherzigen Ausdruck ge geben habe: daß der ganze Unglücksfall nur ein Schein manöver ist, Sie ans Ihrer Wachsamkeit und Vorsicht herauszulocken. Aber Ihre Anlwort. daß Sie selbst zu gegen waren, als der Wagen in Stücke ging, und daß Ihnen der Arzt persönlich gut bekannt ist, muß mich wohl über diesen Punkt beruhigen. Ich beeile deshalb meine Abreise nach Schottland nicht so sehr, wie ich es ur sprünglich im Sinne hatte und Ihnen ja auch brieflich ausdruckte, ehe die Nachricht von dem Unglück kam. Nicht wahr — Sie tragen Sorge dafür, daß man Wik helm die sorgfältigste Behandlung und Pflege zuteil werden läßt? Sie brauchen dafür keine Mittel zu sparen. Denn ich will natürlich nicht, daß mein Sohn für die Zeit seines Lebens zum Krüppel werde. Vielleicht wundern Sie sich bei der Art, wir ich zu ihm stehe, über meine große Sorge — aber wie könnte man sie einem Vater verdenken?" Was sollte das alles nur heißen? Wurde ich das Opfer eines Witzes? Ich begann mich zu fragen, ob ich auch wirklich wachte und bei gesunden Sinnen war. „Der Fürst befindet sich noch immer in einem bedenk lichen Zustand, aber man kann doch wieder Hoffnung fassen, und ich hätte es gewagt, zu reisen, wenn es nicht durch Ihre letzten Nachrichten überflüssig gemacht würde. Da die augenblickliche Gefahr nicht so groß ist, kann ich Sie ja wohl noch für eine Woche oder etwas darüber sich selbst überlassen. Und dann noch eins, «ie schrieben mir stets, daß eine Heimkehr Karls nicht zu erreichen wäre, da er sich durchaus nicht von seiner Schwester trennen wolle und Sie nieder die Macht noch die Befugnis hätten, Ge walt anzuwenden. Der Vater verlangt jedoch unausgesetzt nach seinem Sohn, und da bei der Arc siines Leidens natür lich vor allen Dingen jede Aufl egung, ja der leiseste Aerger