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Iß steckte. Ja — wie gut sie alle ihre Rollen in der Komödie gespielt hatten, und ein wie dankbarer Zuschauer ich gewesen war! Unerträglich — unerträglich war meine Schande. Niemals durfte ich daran denken, dem Grafen vor die Augen zu kommen. Und was würde meine Groß mutter sagen? Vermutlich ungefähr so: „Du tun eben ein guter, etlicher, vertrauender Junge, Oswald ! Du darfst sowas nicht zu schwer nehmen." Und die Welt um mich her schien sich in einem einzigen großen Gelächter anflösen zu wollen. Der Wind lachte, daß es die Kronen der Bäume schüttelte; die Krähen lachten, die um mich her flatterten; der Fluß kicherte zu meinen Füßen, der Himmel lachte, die Sonne lachte — wie sollte ich armer Erdcnwurm mich diesem einzigen, großen, wahrhaft homerischen Gelächter-entwinden ? Alles um mich her schien ob meiner erstaunlichen Einfachheit. Ehrlichkeit, Ehrenhaftigkeit, Geradheit, Vortrefflichkeit ver wundert, und ich hörte irgendwo irgend eine Stimme sagen: „Ich wünschte Wohl, ich wäre deine Mutter." Lachte auch Nita? — Ich ahnte, daß sie es tat — und das war noch das Grausamste, war am schwersten zu ertragen. Ohne Zweifel hatte sie Wilhelm erzählt, wie ich Versucht habe, sie ihm abspenstig zu machen, und sie hatten gewiß im Duett darüber gelacht und sich über mich lustig gemacht. Ich hasse dich, Rita! Ich hasse dich wirklich und wahrhaftig — — das heißt, nein, ich hasse dich eigentlich nicht. Halt — einen Augenblick! War da nicht ein kleiner — allerdings sehr kleiner Lichtschimmer in der trostlosen Dunkelheit? — Ich hatte die Wahrheit entdeckt, ehe ich verhängnisvoll über die fünszigtausenü Mark verfügt hatte. Mein lieber, lieber Wilhelm — mit den fünfzigtausend Mark für dich ist's nun sozusagen Essig. Meinetwegen magst du denn mit deiner Prinzessin selig werden — von dem Gelde wirst du jetzt und später keinen Pfennig zu sehen bekommen. Du magst bei deinem Vater betteln gehen oder dir deinen Unterhalt selbst verdienen — meinet wegen als Hotelportier oder als Dienstmann — von mir, soviel ist gewiß, wirst du nicht einen Heller erhalten. Du hattest die Wahl zwischen der Prinzessin und fünfzig- tausend Mark — mag es dir bei deiner Entscheidung bt- hagen! Ich dankte dem Himmel, daß er mir wenigstens diesen kleinen, bescheidenen Trost gelaffen — daß es ihnen nicht vollständig gelungen war, den Betrug durchzuführen. Im letzten Augenblick war ihnen ein Strich durch die Rechnung gemacht worden. Daß er das Geld nicht leicht verschmerzen würde — dessen war ich gewiß! Oh, wie freute ich mich doch, daß ich meinem lieben Freunde wenigstens diese Ueberraschung bereiten konnte! Einigermaßen beruhigt ließ ich mich auf einen Stein am User nieder. Leise murmelnd und flüsternd, trug der Fluß allerlei Beute, die er sich geholt, an mir vorüber — hier einen blühenden Zweig, dort einen verdorrten 'Ast, hier eine in den Farben des Lebens glänzende Blume, dort welke, vor der Zeit gestorbene Blätter. Hatte sie ein Wind stoß vom Mutterbaume gerissen-- hatte eine frevle Hand sie gepflückt und achtlos beiseite geworfen? Wer trug die Schuld daran, daß sie zu frühe dem Leben genommen war? Ach — wie leicht zerstört eine spielende Hand blühendes Leben! Wie leicht — wie leicht ist rin Glück, rin Dasein vernichtet! Mein Blick ging langsam daS buschumsäumte Ufer ent. lang flußaufwärts. Da wurde ich der Gestalt eines baden den Jünglings gewahr, der mit hinter dem Kopf ver- schränkten Armen den Fluß herunterkam. Jetzt war er an eine kleine Insel gelangt, die das Flüßchen in zwei Arme teilte; da reckte er seine schlanke, schön gewachsene Gestalt, deren weiße Haut sich leuchtend gegen das dunkle Busch werk deS Hintergrundes abhob, hob die Arme gegen den Himmel und stieß einen jauchzenden, schallenden Jubel- ruf aus, der eine Fülle von Lebensfreude und Lebenslust enthielt. Ich beobachtete ihn ein paar Minuten lang, wie er im Wasser herumplätscherte, und erhob mich dann, um in daS Schlößchen zurückzukehren und Wilhelm zu erwarten. Jetzt erst wurde er meiner gewahr, und blitzschnell tauchte er bis zum Kopf ins Wasser, mich aus großen, erschrockenen Augen anstarrend. Ich lächelte über seine Schamhaftigkeit, während ich dem Schlosse zustrebte. Ich hatte jedoch noch keine hundert Schritte den Fluß entlang gemacht, als ich über eine Anzahl von Kleidungs stücken stolperte. Aha — lücr hat der junge Menst, sich ausgezogcn, dachte ich, fühlte jedoch ein nicht geringes Er- stanncn, als ich erkannte, daß ich cs unzweifelhaft mit weib lichen Toilettestücken zu tuu hatte. Ein bißchen trfchrvckeu sah ich mich um, denn ohne Frage konnten diese Kl wer nicht dem Badenden gehören, den ich gesehen hatte; und doch war niemand zu erblicken. Ich sah zurück. Da schwamm der runde Kopf des jungen Menschen noch immer wie ein Gnmmibnll auf -er Oberfläche des Wassers, und noch immer starrten die hübschen, Hellen Augen zu mir herüber. Wieder sah ich auf die Kleider zu meinen Füßen. Die Farbe des Rockes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Wo hatte ich doch diese Farbe schon gesehen? Irgendwo und irgendwann hatte sie jemand getragen, den ich kannte. Ich betra t tete ihn genauer — Herr im Himmel, das war ja das Kleid, das die Prinzessin heute morgen getragen hatte! Damit auch kein Irrtum möglich war, hob ich es auf, und eine Perücke des schönsten Blondhaares rollt- in das weiche Moos. Die Kleider der Prinzessin, die Haare der Prinzessin, Und aller Wahrscheinlichkeit nach auch das Unterzeug der Prinzessin — aber von Ihrer Hoheit keine Spur! Wo, um alles in der Welt, war Iß? Und warum trug sie eine Perücke? Ich rannte wieder ein Stück zurück und rief den jungen Burschen an. Daraufhin bewegte der Gummiball sich langsam rückwärts und drohte, hinter der Ecke der Insel zu verschwinden. Ich schrie heftiger, und er schwamm schneller. Jetzt sah ich den Kopf nicht mehr — und jetzt konnte ich ihn durch die Büsche der Insel auf der anderen Seite derselben wieder erblicken. Ich befahl ihm, sofort herüberzukommen, und er ignorierte den Befehl natürlich. Ich schrie, und er schwieg — gewissermaßen also ein Duett. BiS mir die Geschichte doch zu dumm wurde. Eine Erklärung für die Mysterie mußte ich unter allen Imständen haben, ehe ich ins Schloß zurückkehrte — das tand bei mir fest. Nur wußte ich nüch nicht recht, wie ich ie erzwingen sollte. Schließlich aber entschied ich mich für den einfachsten Weg — ich setzte mich nämlich bei den Kleidern der Prinzessin nieder. Der Junge, der mich natürlich genau beobachtete, schien zu^glaubett, daß es sich um eine Art Geduldspiel handeln sollte. Ich sah ihn aus dem Wasser klettern und sich auf dem Boden der Insel der Länge nach ausstecken, um sich von der Sonne trocknen zu lassen. Offenbar war es ihm für ein Stillstehen im Fluffe zu kalt gewesen. Ich bat ihn noch einmal herüberzukommen, und versicherte ihm, daß ich gar nicht die Absicht habe, ihm irgend etwas zu tun. Da gab er mir eine Antwort, die allerlei eigentüm liche Erinnerungen in mir wuchriefen — .er streckte mir nämlich blitzschnell die Zunge heraus. Das war mir aber doch ein bißchen zuviel. Meine Geduld war erschöpft, und wenn er nicht im guten hören wollte, mußte er mit Gewalt herüber. Noch einmal spähte ich ausmerksam nach allen Seiten — aber es war gewiß'keine junge Dame da. So begann ich mich rasch zu entkleiden. Diese neue Phase schien den jungen Herrn doch niit einigem Unbehagen zu erfülle», denn er richtete sich empor und sah unverwandt herüber. Als ich ins Wasser sprang, machte er ein paar unsichere Schritte, wie wenn er nicht wüßte, ob er fliehen oder bleiben sollte. Jedenfalls machte sein Zögern eine Flucht zur Unmöglichkeit; und so stand er noch immer da, als ich die Insel erreicht hatte. „Es ist gut, Oswald," sagte er im Tone freundlicher Ergebung. »Ich komme schon hinüber. Sie haben mich ein bißchen erschreckt." „Wer, in des Teufels Namen, sind Sie denn eigent lich?" fuhr ich ihn ingrimmig an. „Ich — ich bin — Karl." „Und die Prinzessin? — Wo — wer ist die Prin- pssin?"