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Schönburger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger : 30.09.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-09-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Museum Naturalienkabinett Waldenburg
- Digitalisat
- Museum Naturalienkabinett Waldenburg
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878295829-192209302
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878295829-19220930
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878295829-19220930
- Sammlungen
- LDP: Archiv Museum Naturalienkabinett Waldenburg
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Schönburger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-09
- Tag 1922-09-30
-
Monat
1922-09
-
Jahr
1922
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Neuigkeiten aus der Heimat Sonnabend, den 30. S«p!«mb« 1922 Ein Wort für die Zeitung der Heimat. Der Evangelische Landespretzverband für Sachsen schreibt: Durch die gewaltige Steigerung ihrer Herstellungskosten haben sich die Zeitungen genötigt gesehen, ihre Bezugspreise neuerdings zu erhöhen. Das legt manchem Leser den Gedanken nahe, auch seine Ortszeitung abzubestellen. Es ist bekannt, mit welch ge- ringschätzigen Namen oft die kleinen Zeitungen belegt werden, aber nicht genügend bekannt ist, welch bedeutsamen Kulturfaktor sie bilden. Sie bringen durch ihre Nachrichten aus der nächsten Umgebung die Mitbürger, die Stadt- oder Torfgenossen, die Ge- meinden des Bezirks einander nahe; sie Pflegen Heimat- und Nächstenliebe. Es würde etwas vom Nötigsten und Tefflichsten aus unserem öffentlichen Volksleben verschwinden und die Ver wurzelung in der Heimat, ohne die der Mensch innerlich krank wird, würde in einem wichtigen Stück durchschnitten, wenn un sere kleine örtliche Presse aufhören müßte oder durch Allerwelts blätter aus Berlin ersetzt würde. Diese verhängnisvolle Entwick- lung wirst du nicht wollen herbeiführen helfen; darum spare lie ber an Tabak und Zigaretten, trinke ein paar Glas Bier weniger in der Woche und bleibe deiner Zeitung treu! Die Ausgabe der sächsischen Notgeldscheine. Das sächsische Finanzministerium macht jetzt die Ausgabe der vom Reichsfinanzmknisterium genehmigten Notgeldscheinc über je 500 Mark durch die Sächsische Staatsbank in Dresden offiziell bekannt. Es verweist darauf, daß die Laufzeit dieser Scheine zunächst auf zwei Monate vorgesehen ist und daß die Scheine vqm 1. Dezember ab zur Einlösung aufgerufen werden können. Die staatlichen Kaffen haben die Scheine bis auf wei teres an Zahlungsstatt anzunehmen. Ungültige Briefmarken. Die deutschen Reichspostmarken mit dem Bilde der gewapp neten Germania verlieren mit dem 30. September ihre Gültigkeit, worauf hiermit nochmals aufmerksam gemacht, sei. Abermalige Erhöhung der Milchpreise. Der Milchwirtschastliche Landesverband Sachsen e. V. teilt mit: Infolge der wiederum stark gestiegenen Verwertungsmöglich keit der Milch bei deren Verarbeitung zu Molkereiprodukten, hat die Proiskommission des MLV. sich gezwungen gesehen, zwecks Sicherstellung der Frischmilchversorgung den Dollmilcherzsuger- preis für die Zeit vom I. bis 15. Oktober 1922 wie folgt festzu setzen: Erzeugerpreis am Stall an Händler, Molkereien und Sam» melstellen a) im allgemeinen 25 Mark pro Liter, b) in den Amts hauptmannschaften Orlsnitz, Auerbach, Plauen, Annaberg, Flöha, Chemnitz, Marienberg, Schwarzenberg, Stollberg, Zwickau, Glau chau, Rochlitz. Werdau je nach Festsetzung durch die dortigen Er- zeugerorganisationen bis zu 15 Prozent höher. Die Zuschläge für Anfuhr bleiben die gleichen wie in der zweiten Septemberhälfte, für molkersimäßige Behandlung der Milch beträgt der Zuschlag 5 Mark pro Liter. Ler Westsächsische Verband Gabelsberger Stenographenvereine, der die Stenographenvereine der Bezirke Zwickau, Glauchau, Werdau, Crimmitschau, Meerane, Lichtenstein-C„ Walden- bürg umfaßt, hält am 15. Oktober seine Herbstversammlung in Langenheffen ab. Vormittags ^19 Uhr findet Geschäftssteno- graphenprüfung, 10 Uhr Dertretersitzung, nachmittags 1 Uhr Preis-Schnellschreiben, 4 Uhr Festversammlung, hierauf Konzert und Ball statt. Den Festvortrag hält Realgymnastal-Oberlehrer Gey er-Glauchau über- „Einiges Interessante aus der Ge schichte der Schwester der Kurzschrift, der Schrift/ Die achte Erntewoche * hat leider das Ende der Ernte noch nicht gebracht. Nur wenigen Landwirten ist es gelungen, in den letzten acht Tagen ihren Erntc- segen vollständig unter Dach zu bringen. Ein mächtiger Sturm der die ersten Tage einsetzte und sich am Mittwoch fast bis zum Orkan steigerte, und Unmengen von Obst von den Bäumen riß tat das seine, um das in Puppen stehende oder auf den Stoppel» liegende Getreide zu trocknen. So war es denn auch möglich, Wei- zcn oder Zafer einzufahren, und glücklich pries sich jeder, dem cs gelang, die letzte Garr: urm Felds holen zu können; denn die zweite Hälfte der Woche war wieder so ungünstig, daß jegliches Anfahren unterbleiben mußte. Es gestattete das Wetter aber doch Las Mähen des noch anstehenden Getreides. Meistens han delte cs sich um Sommerweizen, der spät gesät worden ist. Wem es gelungen war, seinen Sommerweizen schon im März ins.Land zu bringen, der hat ihn auch bereits vor 14 Tagen schneiden und einfahren können. Der spät im April gesäte Sommerweizen will dagegen gar nicht reif werden, oder ist zweischärig geworden und fällt teilweise aus. Wenn nicht günstigeres Wetter eintritt, so wird es noch lange dauern, ehe der letzte Sommerweizen so weit trocken ist, daß er eingefahren werden kann. Leider sind auch ruck einzelne Haferfelder nicht geräumt worden, und es ist in diesem Falle so gut wie sicher, daß die Hälfte der Körner nuswächst und dm Einfahren auf dem Felde bleiben wird. Ob die neunte Erntewoche bas Ende der Ernte bringen wird, ist noch sehr fraglich. Kartoffcltrcbs. Die fetzt im Gang befindliche Kartoffelernte gibt Anlaß, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß nach der Verordnung zur Verhütung der Ausbreitung des Kartoffelkrebses vom 4. April 1918 krebsverdächtige Erscheinunaen an auSgePflanzten, geernte ten oder aufgespeicherten Kartoffeln sofort der Ortsbebörde an- zuzeigen sind. Diese hat die Anzeigen unverzüglich an die Zauptstelle für Pflanzenschutz an der Landwitschaftlichen Ver suchsanstalt weiterzuaeben. Auf den Feldern, auf denen krebs- "ranke Kartoffeln festgestellt sind, dürfen nur die von der Haupt stelle für Pflanzenschutz genebmigten, krebsimmunen Sorten atz- oebaut werden. Die Hauvtstelle ist bereit, nach Maßgabe der verfügbaren Mengen krebSimmnnes Saatgut für 197I zu ver mitteln und nimmt bis zum 31. Oktober d. I. Bestellungen der Ortsbehörden entgegen. ElteruratSwaMe«. Der Evanael. Landesvreßverband teilt von neuerlich abo»- ^offenen Eltern rat? wollen folocnde Eraebniste mit ldie ertte Ziffer bedeutet die Liste der christlichen, die zweite dieienfgen der weltlichen Schales: -^obenstein-E.-Altstadt: 6:2; -N?"stadt 4:4: Waldenburg: 9:0, Geringswalde: 5:4: Plauen: 111:51. Gelbe Briefkästen. Die NeichSPostverwaltuna beabsichtiat die blauen Briefkästen lurch andersfarbige zu ersehen. Sie bat zunächst einen Vrobe- lrieskasten — nach einem Entwurf des Prof. Beter Bellens — ^erstellen lasten, der iet-t in Berlin am Leipziaer Blatz an der Ecke der Leipziger Straße aeoennber Wertbeim zu sehen ist. lieber lie Schönbeit des neuen Briefkastens kann man verschiedener Meinung sein. Jedenfalls ist der gelbe größer als der alte blaue. Er leuchtet auch fraglos viel stärker und zieht — beut» noch — alle Blicke hypnotisierend auf sich. Er siebt oanz onüainsll aus mit seinen Seitenflächen, die sich nach unten über den eigent lichen Kasten hinaus verlänaern. So bietet er auch mehr Raum für Reklame — sicher ein materieller Borzug. Schon von eini gen Probekasten grüßt eine Sarotti-Reklame, die zu den Farben geschmackvoll vaßt. Die alte Buchstaben-Hbr ist durch eine Leiste »rsekt, in der auf leicht auswechselbaren Ewailleplöttchen die stellen der Leerung angegeben sind. Eine zweite Leiste darüber gibt das zuständige Postamt an. Anzeigen über Siergualerei p»d bei dem Tierschupperein anzubrinaen. In dem Tierschutz verein besteht eine Stelle, bei der Beschwerden bezw. Audoen angebracht werden können, die von dort aus an die Behörden weitergeben. Der Name des Anzeigeerstatters wird auf Munsch aebeim gehalsten. Aber nicht nur Anzeigen über Tierguäleceier nehmen die Vereine entgegen, sondern auch Anregungen, die an maßgebender Stelle mit dem nötigen Nachdurck vertreien wer den. Dor allem bitten die Vereine auch, auf die Heranwachsende Fugend in dieser Beziehung ein wachsames Auge zu haben. Bejahrte Eltern und Großeltern, die nicht mehr imstande sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu ver dienen, haben einen klagbaren Anspruch an ihre Kinder bezw. Enkel auf Zahlung des Unterhaltes, falls die letzteren so ge stellt sind, daß sie eine solche Unterstützung zahlen können. Es gilt das für Söhne und Töchter, während die Schwiegersöhne und Schwiegertöchter nicht dazu verpflichtet sind. Da die Be hörden in der Reael Erkundigungen nach zur Unterstützung vcr- vflüchteten mnvern anstelle», wenn die Eltern Armenoelv er bitten, so kommen diese Angelegenheiten, wo alles so teuer ist, nicht selten zur Verhandlung. Die Rechtslage ist also klar, und ein Nbstreiten des Anspruches der Eltern nutzlos. Freilich denkt man hier oft an den alten Spruch, daß ein Elternpaar leichter zehn Kinder ernähren kann, als zehn Kinder den Vater und die Mutter. * Drotverforgung der Kleinkinder und Kranken. Die Reichs- getreidestelle kann mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der Beschaf fung von Auslandsgetreide und auf das von der Entente ergan gene Verbot der Leistung von Verbilligungszuschüssen kein weißes Mehl mehr liefern. Es können deshalb Kinder bis zu zwei Jah ren an Stelle des ihnen bisher zugeteilten weißen Mehles und Weißbrotes nur noch stärker ausgemahlcnes Weizenmehl oder Schwarzbrot erhalten. Kranke muffen sich im Bedarfsfälle mar- 'enfreies Weißbrot beschaffen. Der Preis für das stärker ausge mahlene Weizenmehl betrögt 10 Mark für 1 Pfund oder 7HÜ Mk. für 375 Gramm. Die Lebensmittelkarten für Kinder bis zu zwei Jahren verlieren mit dem 2. Oktober d. I. ihre Güligkeitt. * Der Abzug der Vögel hat in den letzten unfreundlichen Tagen rasche Fortschritte gemacht. Für die fortziehenden Vogel» arten schickt uns der Norden in den nächsten Wochen die dort ge- borcnen Finkmeisen, Goldhähnchen, Zwergfalken, Ncbelkrähcn usf. Die meisten Vögel wandern bei Nacht oder ziehen in solcher Höhe, daß sie dem Auge kaum oder überhaupt nicht mehr wahrnehmbar sind. In dieser Höhe entwickeln sie eine Fluggeschwindigkeit, von der man sich schwer einen Begriff machen kann. Nicht nur die schnelle Turm- oder Rauchschwalbe vermag es, am Morgen hier Abschied zu nehmen und am Abend desselben Tages bereits in Aegnpten umherzuschwärmen, sondern auch die weniges flügge- wandten Vögel, die in hohen Luftregionen dahinziehen, haben nur eine kurze Zeit zur Durcheilung der gewaltigen Strecke nötig. Blauem Himmel, dem Sonnenickein und knosvenden Blättern --eben sie zu, während wir Zurückbleibenden der Zeit der schwülen Festsäle zusteucrn. Von den öfter zu beobachtenden Vögeln wird rußer den unverwüstlichen Svatzen und vereinzelten Staren nur die weiterleite Amsel zurückbleiben. Waldenburg * Schulschlutz. Das Seminar und die hiesige Bürgerschule siabcn für die Herbstferien ibre Pforten geschloffen. Der Halb- ahrsabschnitt brachte den Schülern und Kindern die Zensuren, und freudig oder mit gemischten Gefühlen zogen sie heim, um den Ater» die Bewertung der Schularbeit im letzten halben Jahre vorzulegen. Goldene Ferientage winken. Mit Arbeitslust wer den die Kinder in diesen kurzen Tagen mit hinaus zur Kartoffel ernte ziehen. Wie schön ist es, wenn lustig das brennende Kar toffelkraut flackert. Wie herrlich schmecken die darin geschmorten Kartoffeln. Es ist ein Stück Poesie der Kinderzeit. Doch sei auch eewarnt, daß diese Feuer nicht in der Nähe der Stadt angezündst werden, denn dort sind sie wegen der Rauchbelästigung der Be wohner verboten. Am 9. Oktober beginnt der Schulunterricht wieder, der zu ernster Arbeit ruft. Nur einmal wird er durch sic Weihnachtsferien unterbrochen. Auf dem Lande dauern die Zerbstferien meist 14 Tage und werden in dir Zeit der Haupt- artosfclernte verlegt. "Herbstroßmarkt. Zum Herbstroßmarkt, der am Sonntag und md Montag abgehalten wird, sind eine ganze Reihe Pferdehänd ler cingctroffsu. Den kauflustigen Pferdebesitzcrn Lmpfehlsn wir die Beachtung des gestrigen und heutigen Anzeigemeiles, in dem eine ganze Reihe derartiger Ankündigungen erfolgen. Auch die anderen Geichäftsanzeigen verdien-» besondere Beachtung. » Der KausSefftzervercLn zu Waldrnbnrg und Ultwaldenvurg setzte in seiner Sitzung am 28. September die Hundertsätze der Zuschläge zur gesetzlichen Miete fest, die demnächst mit Zustim mung des Stadtrats bekanntgcgeben werden sollen. Ferner gab Zerr Kirchhoff Aufschlüsse über die Beweggründe der Er- s'öbnng der Preise für elektrisches Lickt nnd Kraft, sowie die (Nachdruck »erhören.; Die Siegerin. Roman von Hans Schulze- Sora«. 9. Fortsetzung. Sie waren unterdessen langsam die Louisenstraße hinaufge gangen und standen jetzt vor Schmettaus Haustür neben dem herbstlichkalten Vorgarten der Tierärztlichen Hochschule. „Gute Nacht, Kurt!" sagte der Leutnant, sich gewaltsam zu einem unbefangenen" Tone zwingend. „Es ist schon recht spät ge worden und ich muß in ein paar Stunden schon wieder zum Dienst! Vielleicht findest du morgen im Laufe des Tages einmal Zeit, um mir näheres über den Fall Hausmann zu berichten!" Kurt sah auf die Uhr. Halb drei! Einen Moment lang schwankte er, ob er noch einmal ein Nachtkaffes aufsuchsn sollte, dann aber siegte das übermächtige Gefühl der Ermüdung und Nervenabspannung. Als er jedoch fünf Minuten später sein kleines Mansarden stübchen am Alexanderufer betrat, tat es ihm wieder leid, daß er schon nach Hause gekommen war. Die Enge des winzigen Raumes wirkte auf ihn plötzlich wie erdrückend, daß er hastig die verquollenen Fenster aufriß und sich weit über die Brüstung hinauslehnte. Ticf unter ihm wie in einem bodenlosen Tal die düstere Fläche des Humboldthafens mit der gespenstischen Silhouette des Lehrter Bahnhofes. Zuweilen klang undeutliches Geräusch rangierender Züge her über. untermischt mit fernem Wagenrotzen. Auf dem Hafsnübergang der Stadtbahn wurde unablässig ge klopft und gehämmert; wie ein Glühwürmchenschwarm schimmer ten die Laternenlichter Ler Arbeiter durch die Lisenrippen der langgestreckten Gitterröhren. Im ganzen Hause regte sich kein Laut; nur aus der anstoßen- den Kammer, in der Kurts Wirtin schlief, kam ab und zu ein unterdrückter Husten, und ein menschlicher Körper warf sich schwerfällig in der knarrenden Bettstatt herum. Seit Jahren hatte es Lie Frau, wie sie ihm so ost geklagt, auf der Lunge, und doch swnd sie jeden Morgen schon um fünf Uhr schon am Waschfaß, sich mühsam ihr kärgliches Brot erarbeitend, gehetzt von der Peitsche des nagenden Hungers. Das Bild des glänzenden Festes trat auf einmal wieder vor seine Seele, jenes Fest, in das ein so sinnloses Schicksal mit rauher Hand eingegriffen hatte, um den ganzen bunten Mummenschanz in dem eisigen Anhauch des Todes hinwegzufegen. Und hinter der schimmernden Pracht dieser trügerischen Fata Morgana erhob sich der dustere Schemen eines anderen Bildes, die trostlose Oede einer grauen, eintönigen Welt, ein Gewirr grauer Mauern, grauer Dücker, Häuter und immer wieder Häuser, seelenlose, charakterlose Heimstätten für dunkle, unbekannte Mass Die Heimstätten der Armut. Eine große Mutlosigkeit sank plötzlich auf den Sinnerchen herab. Auf einmal dünkte ihn di« Armut wie ein widriges, ekles Ge würm, das langsam zu ihm herankroch, um ihn in unentrinnbarer Umklammerung zu erdrücken, zu vernichten. Er hatte sich wieder an seinen Schreibtisch niedergelassen und las hier mechanisch in den zerstreut herumlieaenden Manustripten, in dem instinktiven Verlangen, sich an sich selber, an der eigenen Arbeit aufzurichten, aus dem Bewußtsein seiner jungen, frischen Kraft neuen Mut und neue Zukunstszuversicht zu schöpfen. Zufällig war ihm sein Drama in die Hände gefallen, doch als er die ersten Szenen, deren kraftvolle Linienführung bisher sein ganzer Stolz gewesen, fetzt noch einmal flüchtig überflog, erschien ihm in der verdüsterten Stimmung des Augenblicks alles, was er geschrieben, so unbedeutend und langweilig, so unfertig und tech nisch unreif, daß er in einer Anwandlung von Verzweiflung das dünne Heft zusammenballte und in eine Ecke des zersessenen Sofas schleuderte. Dann riß er hastig die Kleider ab und warf sich auf sein Bett. Nur schlafen »schlafen! Am liebsten überhaupt nicht wieder erwachen! Unterdes hielt Lotte am Lager des Vaters die Krankenwacht. Sie hatte sich einen bequemen Lehnstuhl an sein Bett heran gezogen und lauschte in verlorenem Sinnen auf die schweren Atemzüge des Kranken, die in unregelmäßigen, röchelnden Stö-, ßen die schattenvolle Weite des Schlafzimmers durchzogen. Zuweilen rückte sie mit behutsamer Bewegung ein Kissen zu recht oder wechselte vorsicktig die Eisblase, deren ständige Er neuerung ihr der Arzt besonders ans Herz gelegt hatte. Dann erschrak sie immer wieder von neuem über die furcht bare Veränderung des geliebten Antlitzes. Das verzogene linke Augenlid, der schiefe Mundwinkel gaben dem Gesicht des Kranken etwas unnatürlich Verzerrtes, fast Blö des; die Wangen hingen in schlaffen Falten herab, der ganze Kör per lag reglos, in sich zusammengesunken, die schweren Glieder wie hölzern, taub. Als Lotte in der 9. Morgenstunde in den Speisesaal hinüber- ging, meldete ihr das Stubenmädchen, daß der erste Prokurist Herr Salbach, das gnädige Fraulein in einer dringenden Ange legenheit zu sprechen wünsche und sie im Arbeitskabinett des Haus herrn erwarte. Hier kam ihr Herr Salbach schon an der Tür mit ausgebrei- icten Armen entgegen; die Augen des alten Herrn, der fast ein Bierteljahrhundcrt lang mit der Familie Hausmann eng ver bunden war, standen voller Tränen. „Mein liebes, kleines Fräulein Lotte!" wiederholte er zwei, drei Mal mit bewegter Stimme. „Mein liebes, armes Kind —!" Mit ernstem Gesicht sah Lotte zu ihv'm väterlichen Freunde -mvor, der sie schon als kleines Mädchen auf seinen Armen getragen hatte. „Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Herr Salbach!" sagte sie leise. „Endlich dock ein Mensch, mit dem man sprechen, bei dem man sick Trost und Hilfe holen kann! Ich war ja schon so unglücklich, so verzweifelt —!" Mit einem stöhnenden Laut brach sie ab, die Tränen erstickten ihr die Stimme. lind plötzlich war auch ihr letzter Halt dahin, und sie schluchzte bitterlich wie ein Kind. Mit liebevoller Sorglichkeit legte der alte Herr seinen Arm um die Schulter der Weinenden und führte sie zu einem Sessel. „Mut, Fräulein Lotte, Mui!" sagte er ermunternd. „Was soll dmn werden, wenn auch Sie fetzt d-n Kopf verlieren! Noch lebt Herr Kommerzienrat fa. und mit Gottes Hilfe wird er bei seiner kröst-n-n Konstitution in einigen Monaten sicherlich wieder n alter Frische und Gesundheit unter uns westen!" Mit einer müden Bewegung schüttelte Lotte den Kopf. „Nein, Herr Salbach, das ist eine trügerische Hoffnung! Wenn Sie Vater in seinem jetzigen Zustande sehen könnten, wür den Sie auch an keine Rettung glauben!" „Doch, Sie haben recht!" schloß sie, sich gewaltsam einen Ruck gebend. „Wir baben im Augenblick ernstere Aufgaben, als über unabänderliche Dinge zu klagen. Darf ich fragen, was Sie schon zu so früher Stunde zu uns führt?" „In erster Linie selbstverständlich die Sorge um den Kran- ken!" versetzte der Prokurist. „Dann aber sind es auch unauf- schiebbare geschäftliche Angelegenheiten, die mich von der Bank bierher getrieben haben. Wäre es vielleicht möglich, daß ich den Zerrn Kommerzienrat wenigstens einige Minuten persönlich spre- chen und mich mit ihm über die wichtigsten Punkte verständigen 'önnte?" , „Das ist leider absolut ausgeschlossen!" war die Antwort. „Vater ist schon seit einer Stunde wieder ohne Bewußtsein. Auch 'mt der Arzt die strengste Anweisung gegeben, niemand den Zu tritt zum Krankenlager z« gestatten!" „Das ist ja aber entsetzlich!" Der Prokurist war saufgesprungen und lief mit großen Schritten erregt im Zimmer auf und ab. (Fortsetzung folgt.) ».icnecr sasekrskwanrs voiiLSTs
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