Suche löschen...
Schönburger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger : 14.12.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-12-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Museum Naturalienkabinett Waldenburg
- Digitalisat
- Museum Naturalienkabinett Waldenburg
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878295829-192212145
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878295829-19221214
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878295829-19221214
- Sammlungen
- LDP: Archiv Museum Naturalienkabinett Waldenburg
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Schönburger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-12
- Tag 1922-12-14
-
Monat
1922-12
-
Jahr
1922
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Sachsen und Reich. Steuerfragen und Sächsischer GemeindcLag. Die Vorstandssi^ung des Sächsischen Gemeindetages be schäftigte sich u. a. mit dem Gesetzentwurf zur Abänderung deS Landesgewerbesteuergesetzes, der demnächst dem Land tage vorgelegt werden soll. Der Vorschlag zu einer soleben Novelle ist schon während der vergangenen Landtagsperiode bom Sächsischen Gemetndetag ausaeaangen. Die in Anwe senheit der Vertreter des Finanzministeriums, Ministerial direktor Lorey und Regierungsrat Dr. Schwedem, ersolgte Besprechung ergab in den wesentlichen Punkten eine Ueber- emstimmung. — Hinsichtlich der Steuersätze wurde noch keine Entschließung gefaßt. Sehr strittig war die Frage, ob auch m Zukunft der A u s g l e i ch s st o ck für die Gemeinden durch Zuschüsse aus der Gewerbesteuer gespeist werden soll. Die Mehrheit des Vorstandes sprach sich dagegen aus und betonte, daß die für den Ausgleichsstock notwendigen Mittel in anderer Weise, vor allein durch Zuweisungen aus den Er trägen der Einkommensteuer beschafft werden müßten. End gültig wird diese Frage voraussichtlich erst gelöst werden können, wenn der Abänderungsentwurf zum sächsischen Voll zugsgesetz, über den annehmbar etwa im Januar nächsten Jahres verhandelt werden wird, vorliegt. Endlich wurde noch der bereits früher dem Finanzministerium zum Aus druck gegebene Antrag erneuert, den Bezirksverbänden die Er hebung der Gewerbe st euer insoweit zu gestatten, als das den Gemeinden zustehende Zuschlagsrecht von einzelnen Gemeinden nicht voll ausgenutzt wird. Weiter wurde eine umgebende, den veränderten ZeitverlMnissen entsprechende Abänderung des sächsischen Grundsteuergesetzes für notwendig erachtet Das Ministerium des Innern hat dem Sächsischen Gemeindetag einen Gesetzentwurf vor e- legt, wonach in allen Gemeinden über 2^00 Einwohnern eine Beherbergungssteuer zu erheben ist. Das Gesetz soll auch gelten für Kur- und Badeorte, die weniger als 2000 Einwohner haben. Für sonstige Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern soll die Erhebung der Steuer zügelnden sein. Der Vorstand spricht sich dabin aus, daß kein Anlaß bestehe, erneut auf diesem Gebiete in das Selbstverwaltunas- recht der Gemeinden einzugreifen. Auch gegen den vorlie genden Gesetzentwurf über die Vollzugsbeamten der staat lichen Ordnungspolizei wird Widerspruch erhoben. Weiter soll die sächsische Regierung ersucht werden, für eine um gehende Erhöhung der Sätze der Erwerbslosen. Unterstützung beim Reiche einzutreten, in wesentlich erweitertem Umfange Notstandsarbeiten des sächsischen Stag- tes vorzunehmen und dahin zu wirken, daß die Vorschriften für die produktive Erwerbslolenfürsorge geändert werden. Vor allem soll die Bestimmung beseitigt werden, daß 5 pro Tausend der Bevölkerung arbeitslos sein müssen, «he die Hilfe des Reiches überhaupt gewährt wird, und daß ferner z. B. Wohnungsbauten und Arbeiten an Sport- und Spiel plätzen nicht bezuschußt werden. Auch sollen in möglichst weitem Umfange an solche Betriebe, die vor der Einstel lung stehen, Staatsausträge erteilt werden. Endlich wur^e beschlossen, von der Negierung eine zeitgemäße Regelung hinsichtlich der von den Gemeinden verwalteten zahlreichen kleinen Stiftungen in der Weise zu beantragen, daß die be treffende Gemeinde unter möglichster Anlehnung an de" Stiftungszweck beschließen kann, die kleineren Stiftungen zn Sammelstistungen zu vereinigen und die Erträgnisse in gro ßen Summen zu verteilen. * 214 Milliarden D^tzit in Sachsen. Der neu« Sauöhaltplan für Sachsen wird voraussichtlich mit eiuem ungedeckten Fehlbetrag von 2^ Milliarden Mak abschlietzen. * ' Aue. Dis vom Albertzweigverein veranstaltete Law—lung zur Linderung der wachsenden Not der Kleinrentner ergab b'-her 750 000 Mark. Außerdem wurden von Geschäftsinhabern Nah rungsmittel, Kleidungsstücke usw. im Werte von 500 000 Mark für die Weihnachtsverteilung zur Verfügung gestellt. * Kirchberg. Don einem Spender, der nicht genannt sein will sind dem hiesigen Bürgermeister 800 000 Mark zu Christksscherun- gen zur Verfügung gestellt worden. * Johanngeorgenstadt. Für das Liebes merk zur Lin derung der Not der Klein- und Sozialrentner und armer allein stehender Personen sind bei dem Liebesgabenausschuß bereits gegen 1^l Millionen Mark gezeichnet worden. Die Arbeiterschaft Hot a bereit erklärt, den Lohn von zwei lieberstunden zu spenden und die Arbeitgeber werden einen Betrog in gleicher Höhe geben. " Vrand-Erbisvorf. Die Das-, Wasser» und Elek trizitätswerke haben den Stadtgemeinderat benachrichtigt, daß der Preis pro Kubikmeter Da« vom 1. Dezember ab auf 150 bis ISO M. erhöht werden muß. » Frankcnbcrg. Billige Christ bäume. Die Staats- revierverwaltung gab am Sonntag einzeln Christbäume zum Preise von 30 bis 50 M. für das Stück ab. Etwa 2000 Bäume wurden von der Einwohnerschaft abgeholt. * Olbernhau. 1 Million Mark Baukostenzuschuß hat die Stadt für 1921 zugewlefen bekommen, die aber nicht voll gebraucht worden ist, da zwei geplante Bauten nicht ausgeführt worden sind. Der Restbetrag von 200 000 M. blieb der Stadt zur Verfügung. Für 1922 hatte man auf wenigstens 2 Mill. M. Zuschuß gerechnet, aber nur 350 OVO M. erhalten, die zu UmSndc- rungsbauten Verwendung finden sollen. Für den Umbau der „Stadt Dresden" sind 225 000 M. erforderlich gewesen. Der Nest von 115 000 M. soll (mit dem Rest von 200 000 M. auS dem Jahre 1921) nunmehr zum Umbau des Brauereigntes ver- wendet werden, der allerdings I^L Mill. M. kostet. Der Rest von reichlich einer Million wird auS städtischen Mitteln vorgeschossen und von der Stadtbrauerei getragen. * Döb«ln. Feuer suchte das nahe Möckwitz heim. In der Nacht zum Sonntag um 3 Uhr brannte die Scheune vom älteren Beigut des Gutsbesitzers Walter Ullrich nieder. Verbrannt sind landwirtschaftliche Maschinen, 200 Zentner Stroh, 200 Zentner Kleeheu, 8V Zentner Düngemittel. Der Tätigkeit der Freiwilli gen Feuerwehr Technitz und einem günstigen Winde war eS zu danken, daß die übrigen Gebäude verschont blieben. Zweifellos ist das Feuer auf Brandstiftung zurückzuführen. * Döbeln. Die Preisprüfungsstelle gibt bekannt, daß dis von außerhalb Sachsens bezogene und hier feilgebotsne Butter der Kontrolle wegen mit dem Stempel des Stadtrates ver sehen ist. Alle nicht nbgestempelte Butter darf nur zum festgesetz ten Zö-tzstoreise verkauft werden. * Kleinwelka. Ein Brand brach am Sonnabend in der hiesigen Zweigfabrik der E. Otto Engert-Textilwerks G. m. b. H. aus, der durch das Eingreifen der Angestellten und Arbeiter sehr bald unterdrückt werden konnte. Eine Arbeiterin zog sich dabei so schwere Brandwunden zu, daß sie bald darauf im Bautzener Stadtkrankenhaus verstarb. * Leipzig. Der Fürsorgeverband der Kreishauvt- mannschast Leivzig hielt am Montag eine Sitzung ab, in der u. a. festaestsllt wurde, daß Lie Ausgaben für die Anstalt Klemmms- dorf vom 1. Januar bis 30. September d. I. über 1914 Millionen Mark erforderten, während sie im Jahre 1920 nur 651000 M. nusmachton. Nach den ietzigen Vreisverbältnissen würde für 1923 die Summe von 54 Millionen Mark kaum ausreichen. Der Ver band nahm schließlich folgenden einstimmigen Beschluß an: Die Verbandsversaw.mlung ist der Ansicht, daß am 1. April 1923 die Fürsorgeverbänds aufhören zu bestehen und daß zum Lastenans- qle'ch ein Selbstverwaltunaskörper zwischen Staat und Pflegsver- bandcn nicht mehr notig ist. * Dresden. Vor dem Schwurgericht hatte sich am Montag der 1901 zu Semmelsberg geborene Schneidergeselle Wil helm Alfred Zscherper wegen Ermordung einer Hausbölterin zu ver- antworten, g. war von der Witwe bei einem Diebstahl ertappt worden und hatte, um nicht entdeckt zu werden, die Frau getötet. Z. wurde wegen Totschlags und schweren Diebstahls unter Dersa- amg mildernder Umstände zu 10 Jahren Zuchthaus und 5 Jahre' Ehrenrechtsverlust verurteilt. * Dresden. Ein neuerliches starkes Ueberhand- nehmen der Valutagenießer wird aus Dresden gemeldet. Ls heißt: Dor einiger Zeit griff die sächsisch» Polizei scharf zu, um der Ucbrrschwemmung Sachsens durch Ausländer, vor allem durch Tschechen, ein Ende zu machen. Die Dahnßöfe und die Grenzen wurden scbarf bewacht. Millionen und aber Millionen aufgekaufte deutsche Waren wurden beschlagnahmt, Hohs Geldstrafen bis zu 2 Millionen Mark und selbst Freiheitsstrafen verdangt. Inzwischen sind mehrere Monate vergangen. Die Wechselstuben sind wieder überfüllt wie vor einigen Monaten und in Dresden wimmelt es oon ausländischen Auftäufern. -Lie Regierung hat die Pflicht, hier mdlich einmal energisch durchzugreifen, nm diesen empörenden Zu ständen ein Ende zu machen. ' Meißen. Großen Erfolg hat die hiesige Hilfsaktion. Der Vorsitzende des Arbeitsausschusses für das hiesige Hilfswerk Nwtshanptmann Dr. Sievert konnte in der letzten Sitzung mit- te"»n, daß die Zahlungen der an dem HilfSwerk beteil'zien Be- rufSkreise zn fließen beginnen, in den lebten Tagen bereits über ine halbe Million Mark vereinnahmt worden sei und nach den vorliegenden Zusagen bis Mitte des Monats auf 5 Mill. M. Ein gang gerechnet werden könne, so daß noch vor Weihnachten an die gedürftigen Rentner und Armen die erste Verteilung ans dem Hilsswerk erfolgen werde. Die gesammelten Beiträge werden nur 'n tue in Meißen-Stadt und -Land wohnenden Klein- und Sozial rentner wie auch andere Hilfsbedürftige verteilt. * Pirna. Ein Verbot anstößiger Tänze haben die Amtshanptmannschaft Pirna und die Stadträte Pirna, Königstein, Neustadt, Bad Schandau und Sebnitz erlassen. Nach der am 1. Dezember w Kraft getretenen Verordnung find vte logen. Schiebe-, Wacksl-, Bären-, Apachen- und ähnliche Tänze, desgleichen dos Verdunkeln des Saales während des Tanzes für alle öffentlichen Tanzstätten de» Bezirkes untersagt. Zuwiderhandlungen werden, falls nicht Bestimmungen allgemeiner Strafgesetze Platz greifen, mit Geldstrafe bis zu 1500 M. oder mit Hast bis zu 14 Tagen geahndet. Gleiche Strafe trifft die Veranstalter der TanzvergnÜ- gen und die Tanzwirte, wenn sie die verbotenen Tänze dulden. Banyen Die Kircheneinbrüche mehren sich in der Umgebung in erschre'endcr Weise. In der borgest- rigen Nacht wurde der Kapelle in Hainitz ein räuberischer Besuch abgestattet. Die Einbrecher wuchteien je en Fenster ^eS Kirchenraumes und der Sakristei mitsamt dem eisernen Rahmen heraus und stablen ans der Sakristei einen Kelch "ilt Teller, zwei Kännchen, ein altes Hol kreuz mit Holzkor- vuS «etwa 150 Jahre alt), vom Altar ein Kreuz und auS sein Tiborium einen Kelch. Als Täter kommen drei Unbe- kannte in Frage. * Gera. Die Harkortschen Bergwerke in Hein- richshall bei Köstritz haben der Gemeind« Köstritz di« Summen aon 500 000 M., 70 000 M. und 60 000 Mark gestiftet. Don den 70 000 M. sollen die dortigen Kleinrentner zu Weihnachten Ge- ßhenke erhalten, während die 60 000 M. zu anderen wohltätigen Zwecken verwandt werden sollen. So soll unter anderen den dor- 'igen Erwerbslosen, die vor Weihnachten vier Wochen ohne Ver dienst waren, Beihilfen von 500 M. und 1000 M. gewährt werden. * Hamburg. Für die Erweiterungsbauten im Hamburger Hafen wird in der nächsten Bürgerschaftssitzung der Senat dis Bewilligung von rund 620 000 000 Mark verlangen. Dennoch müssen die Bauarbeiten im Hamburger und Cuxhavener Hafengebiet eingeschränkt werden. Die Teuerung ist auf allen Ge bieten so erheblich weiter fortgeschritten, daß zur Fertigstellung der in Aussicht genommenen Arbeiten Millkardenbetröge erforderlich wären, deren Beschaffung im Augenblick unmöglich ist. Deutscher Reichstag. 281. Sitzung am 13. Dezember. Am Regierungstisch: Reichsarbeitsminister Dr. Braun. — Präsident Lebe eröffnet die Sitzung 3.20 Uhr. Der Reichstag stimmt zunächst der Aufhebung der Landesversiche- rungsan st alten Westpreußen und Posen zu. — Angenommen wird die Vorlage zur Vereinfachung des Verfahrens im Der» sorgungsgesetz, sowie ein Gesetzentwurf, Ler einen Hand- werker- und Gewerbekammsrtaq schafft und die bisherige Vertre- tung in Hannover damit anfhebt. — Angenommen wird weiter ein Gesetzentwurf, wonach die Reichsrsgicrung mit Zustimmung des Reichsrates Zuschläge zu den Steuersätzen des Ara ft fahr- zeugsteuergesetzes festseben kann. — Zur Annahme gelangt ferner eine Aenderung der Neichsabgabenordnung, wonach u. a. beim Reichsfinanzhof Hilfsrichtrr zugezogen werden kön nen. Die zweite Lesung des 7. Nacbtrages zum Reichshaus, haltplan wird darauf beim Reichsarbeitsministerium fort- gesetzt. Abg. Maltzahn (Komm.) protestiert gegen Nicktberücksichtigung des Beamtcnrates im Arbeitsministerium. Der Redner bedauert die Passivität der Gewerkschaften, die schon zur Einberufung Le» sogenannten wilden Bstriebsrätekongresses und zur Bildung von Kontrollausschüssen geführt habe. — NeiGsarbeitsminister Dran» erklärt, die Reichsregierung sei über die trübe Sage der Rentner sehr bekümmert. Für dis Sozialrentner sei tue Einkommensgrenz« von jährlich 18 000 Mark auf 43 200 M. erhöht worden. Dem Kabinett liege ferner ein Gesetzentwurf vor, der es ermöglicht, für die Kleinrentner einzutroten. Die Erwerbslosenunterstützung sei bereits wieder erhöht worden. Ein Erwerbsloser über 21 Jahre bekomme jetzt pro Tag 250 Mark. Abg. Wegman« (keine Partei) fordert dis Erweiterung der Rechte der Betriebsräte. Bereits in 25 Städten seien die Stra ßenbahnen stillgelegt. (Abg. Lawerenz, Dnatl., ruft: Ihre Früchte!) — Abg. Dr. Külz (Dem.) fordert die Kommunisten auf, die vielen Millionen, die die mitteldeutschen Aufstände und die zahllosen Streiks gekostet haben, für die Arbeitslosen zu verwenden. Dann wäre geholfen. (Beifall rechts und in der Mitte. Lärm bei den Kommunisten.) Ein kommunistischer Antrag, sofort 10 Millionen für die Kleinrentner auszmoerfen, wird gegen die Linke abgelehnt. Angenommen wird ein Antrag, der die Regierung auffordert, für bessere Unter stützung der deutschen Kriegsopfer in der Schweiz zu sorgen. Darauf werden die Hausbaltvläne angenommen. — Da« Hau» vertagt sich auf Donnerstag 2 Uhr. kSkachdrit verSote») Die Siegerin. Roman von Hans Schulze- Sorau. 68. Fortsetzung. Lotts hatte das Theater als »ine der letzten verlassen. In rastloser Unentschlossenheit stand sie ein paar Augsa-T'-Te an der Böschung des Trottoirs und überschritt dann mechanisch die Straßsnbahngcleisr Les halbdunklcn Nolleudorfplatzss. Das Wetter war in drn letzten Abendstunden unvermutet um geschlagen; als Lotte sich jetzt der Maatzenstroße zuwandte, glit- zertsn die Sterne über ihr und der Nachtwind strich kühlend ihre erhitzten Wangen. Ein vornehm gekleideter Herr, der sie schon vor dem Thea'er beobachtet hatte, ging an ihr vorbei, sah ihr von der Seite unver schämt ins Gesicht und schwank' ' anscheinend, ob er sie ansprechen sollte. Erst als Lotte an Ler Ecke des Lühowplatzss Miene machte, einen Schutzmann heran? urufcn, blieb er allmählich wieder Hinte: ihr zurück und bog am Liitzowplatz endlich ganz aus der R-chkung ihres Wege« ab. In fluchtartiger Hast eilte Lotte über die Hsrkulesbrücke. Sie wuhte nicht, wohin sie ging, was sie überhaupt tat und wollte; sie halt» nur die ein« Empfindung, daß sie immer »<it»r laufen mußte, bis sie irgendwo bewußtlos zusammsnbrach. Wie im Traum irrte sie an den stillen Gartenvillen der Ftted- rich-Dilhrlm-Straße entlang. Kein Mensch begegnete ihr, nur eine einfache Droschke klap perte bedächtig vorbei. Und dann auf einmal lag das massige Dunkel des Tiergartens nor ihr, wie ein einziges Gebilde drohender Schatten, v»n den feurigen Laternsnzügen der Stlllcr- und Tiergartenstraße in einem endlos schimmernden Silberbande gesäumt. Langsam kam Lotte über den Fahrdamm und ging am Rande des morastigen Reitweges mehrmals unsicher auf und ab. Ein paar Asrhaltarbrtter, die am Eingang der Hofjägerallee bei ihrem brodelnden Kohlenbecken hantierten, sahen ihr kovfschüt- telnd nach, als sie eudftch mit plötzlichem Entschluß auf die schemen- -aste Oeftnuna ei«» schmalen Loubaang.es zuschritt und im nach- sten Moment in der nächtlichen Einsamkeit des düsteren Waldes verschwunden war. Der Wind rauschte über ihr in den entblätterten Kronen der hohen, schwarzen Stämme; es war so dunkel, daß sie schon noch den ersten Minuten jede Orientierung verloren hatte. Zuweilen rannte sie in der Finsternis geaen einen Baum, scharfkantige Aeste schlugen ihr stechend ins Gesicht. Doch sie achtete all dessen nicht. Ohne Weg und Steg hetzte sie vorwärts, die Zäbne fest auf einander gebissen, wie um den grenzenlosen Schmerz ihres Innern nicht in die laienhafte Stille der Nacht hinauszuschreien. Ein fernes Bild stand in grausamer Unverrückbarkeit vor ihrer Seele, das Bild des Mädchens, deren Leiden und Sterben sie heute in tiefster Ergriffenheit miterlebt hatte. Auf einmal war in ihr das volle Verständnis dessen ausgebro chen, warum st« einst die Liebe Kurts verloren und er sein Her? der schönen Rivalin zugewandt hatte, deren große Künstlerschaft Lie natürliche Ergänzung seiner eigenen heißblütigen Künstler- vatur bildete. Zwei wahlverwandte Naturen hatte hier das Schicksal zu- iammsngcführt und in ihnen ein°n unwiderstehlich'n Liebesbrand »ntzündet, vor dessen lodernder Flamme jede andere still ins Dun- 'el weichen mußte. — Da riß der Wald auf einmal den Vorhang auseinander. Di« breite Lichtung des Floraplatzes weitste sich vor dem einsamen Mädchen. Wie ein Glühwürmchenschwarm blitzte eine doppelte Laternen- reihe zwischen den lauernden Banmschatten hindurch. In der nächsten Minute trat Lotte auf die Charlottenburger Chaussee. Zur Rechten stand die mächtige Silhouette des Brandenburger Tors wie ein riesioes, vorweltliches Ungeheuer gegen den durch sichtigen Ring des helleren Nachthimmels. Als sie jetzt den dunklen Dromenodenweg der Ehaussee in -er Richtung der Linden hinabging, lag plötzlich der schwarze Tpiegel des Goldsischteiches vor ihr. und die weiß-n Marmor -estalten der Siegesallee leuchteten geisterhaft in der blauen Glanz flut der elektrischen Bogenlampen. — — — Mit zitternden Gliedern lehnte sich Lotte gegen einen Daum. Wie oft war sie mit Kurt an diesem Wasser zusammengetrof- fen, an köstlichen Frühlings- und Sommertagen voller Sonnen- schein und Vogelsang, bis endlich in jener Nacht der Qual Lie stärkste Stütze in ihr zerbrochen war. Die stärkste Stütze ihres Leb»ns! Eine sinnlose Wollust regte Och auf einmal in ihr, sich vorzu- reden, sie sei wahnsinnig geworden und alles sei nur eine Lüge; aber dann wußte sie wieder, daß cs keine Lüge war. Mit einem stöbnenden Laut iuhr sie emvor, die Kälte durr^ schauerte sie, mit eisigen Fingern zerrte der Wind an ihren feuchten Kleidern, daß sie endlich wieder weitkr schlich. Und dann plötzlich kam es wie eine Erleuchtung über sie, eine Offenbarung, daß si» den Weg, den sie zu gehen hatte, bis zu sei- nem letzten Ziele klar vor sich zu sehen meinte. Es war der Weg. den auch das verzweifelte Mädchen auf der Bühne gewählt, der Meg in den Tod. — Der Weg in den Tod! Ein unendliches Sehnen schwoll heiß in der Einsamen, da» düstere Dunkel ringsum zu zerreißen, wie man einen Schleier z«r- >eißt, der ein unbekanntes, wunderbare« Bild verbirgt. »Heraus aus dieser Niedrigkeit, dieser Häßlichkeit! Lieber 'n den Tod, als dies entwurzelte Leben der Lüge weiterschleppenl" Sie dachte auf einmal wieder ganz ruhig und besonnen, mit der vollen, logischen Schärfe ihres unbestechlichen klaren Verstandes. Das starre Entsetzen, der versteinerte Schmerz, waren von ihr gewichen und ein iast schmeichelndes Wohlgcfühl an ihre Stell« ge- 'reten, wie dir Ebbe einer schweren Flut, wenn die Woge verrauscht, der Sturm zerrinnt. Obne Sentimentalität und Verbitterung, mit einer beinahe "aufmännischen Nücht-rnheit zog sie im Geiste di« Bilanz ihr«« heutigen Lebens. Was sie sich einst auf der nächtlichen Fahrt nach der Expl» ionskatastrophe vorarsetzt, das war mit dem Angebot der Nobel- 'omvagnir zur Wirklichkeit geworden: für Mutter und Geschwister '«rbl'eb ein Kapital, das auf immer deren Zukunft sicherte- Damit war ihre Aufgabe restlos zu Ende geführt. Nun stand sie wieder ganz auf sich, nur sich selber verantwort lich, frei von jeder Fessel zur Pflicht! Nun konnte sie zur Ruhe gehen, zur letzten Ruhe. — (Fortsetzuna folat.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)