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gegen die socialdemokratische Volksverführung Alles beim Alten stünde, daß die Gründe, welche die Entscheidung des Reichstages bestimmten, heute noch genau ebenso gelten wie im Mai, daß es also ein ganz aus sichtsloses Unternehmen.wäre, wollte man die Campagne in irgend einer Form von Neuem beginnen. Vielmehr weist die Lage in doppelter Hinsicht ein neues Moment auf. Einmal führen die krassen, maßlos rohen und provokatorischen Auslassungen des „Vorwärts" aus den letzten Wochen die Phantasien von der friedlichen Ent wickelung der Socialdemokratie zu einer gemäßigten Re formpartei gründlich uä nbLUiäum und werden ohne Zweifel die Neigung zu einer nachsichtigen Behandlung der Socialrevolutionäre und zumal ihrer Führer in weiten Kreisen nachdrücklich erschüttert haben, und zweitens wird man erkannt haben, welches Unrecht man sich selbst durch die Besorgniß gethan hat, Kunst und Wissenschaft könnten durch die von der Regierung geforderten erweiterten Strafbestimmungen auf denselben Ambos „freier Mei nungsäußerung" mit der Socialdemokratie unter den selben Hammer gerathen. Die Frequenz auf dem Nordostseekanal war in dem soeben abgeschlossenen zweiten Monat des Verkehrs stärker als im Juli; und wenn auch die Gebührenein nahmen (in der ersten Woche des August betrugen sie 17,000 Mk.) noch in keinem rechten Verhältniß zu den bedeutenden Unterhaltungskosten stehen, so darf das er zielte Resultat immerhin befriedigen. Das Kanalamt ist übrigens auch in jeder Weise bemüht, dem Verkehr alle möglichen Erleichterungen zu verschaffen. So ist es z. B. den Lootsen, deren Zahl in nächster Zeit von 30 auf 45 erhöht werden wird, neuerdings die Weisung ertheilt worden, die Schleusenpassirscheine für die von der Ostsee kommenden Schiffe schon während der Ein- fegelung auszufüllen, so daß auch die Schiffe, die keinen Makler brauchen, in der Schleuse weit weniger Zeitver lust haben. Die Verstärkung des Lootsenpersonals wird deshalb beschleunigt, weil mit der Fertigstellung der Baggerarbeiten auf der Strecke auch die obligatorische Nachtfahrt auf dem Kanal beginnt, welche bisher auch durch die noch nicht überall gleichmäßig sunctionirei.de elektrische Beleuchtung behindert wurde. Zwar befindet sich die Beleuchtungsanlage bis kurz hinter Rendsburg in bester Ordnung, darüber hinaus sind jedoch hier und da Störungen vorgekommen, die durch Beschaffung neuer Glühlampen beseitigt werden. Die früher häufig laut gewordenen Befürchtungen, die Kaianlagen in Holtenau würden den Verkehr nicht bewältigen können, haben sich bisher als unbegründet erwiesen; vielmehr ist der Um ladeverkehr, der in früheren Jahren zahlreichen kleineren Schiffen guten Verdienst brachte, in diesem Sommer sehr zusammengefchmolzen und wird, da der Kanal in allen Richtungen den directen Verkehr ermöglicht, über Jahr und Tag wohl ganz verdrängt werden. Dazu haben verschiedene Dampserlinien, besonders Hamburger Rhede- reien, aus Sparsamkeit ihre Holtenauer Vertretungen eingezogen und lassen die Klarirung durch ihre Kapitäne vollziehen. Gleichwohl ist durch die Verstärkung des Zoll- und Kanalbetriebs-Personals ein Wohnungsmangel Feuilleton. Die Fehde des Besiegten. Original-Roman von Reinhold Ortmann. (Fortsetzung.) „Es ist möglich, daß Sie das Rennen gewinnen; denn im Ernst können doch neben all diesen Kleppern da nur Ihre Stute und mein Fuchshengst in Betracht kommen; aber der Sieg ist Ihnen doch nichts weniger als gewiß. — Abgesehen davon, daß ich mein Pferd für das überlegenere halte, giebt es bei einem Jagd rennen tausend fatale Möglichkeiten, die sich jeder vor heriger Berechnung entziehen. Darum schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie uns halbpart machen! Ich gehe als Erster durch's Ziel und werde als Sieger proclamirt. Aber ich begnüge mich mit dem Ehrenpreise und lasse Ihnen den Geldgewinn mitsammt den verfallenen Reu geldern. Gefahr ist nicht dabei; denn Niemand kann Auffälliges darin finden, wenn mein „Falke" im ent scheidenden Augenblick die Führung übernimmt, und Sie sind ein so ausgezeichneter Reiter, daß es keiner bemer ken kann, wenn Sie Ihren Gaul im Nothfall ein wenig zurückhalten. Gegenseitige Discretion selbstverständlich auf Ehrenwort!" Hätte Herr von Schmichow während dieser hastig hervorgestoßenen Auseinandersetzung, statt seine Augen überall umherirren zu lassen, nur einen einzigen Blick auf das Gesicht desjenigen gerichtet, dem er seine eigen- thümlichen Vorschläge machte, so würde er sich wahr scheinlich die Fortsetzung seiner Rede erspart haben; denn Stedingen verfügte keineswegs über die schwierige Kunst der Diplomaten, hinter einer gleichgiltigen Miene seine Erregung und hinter einer höflichen seine Entrüstung zu verbergen. Als Jener den unter diesen Umständen aller dings befremdlichen Hinweis auf sein Ehrenwort aus sprach, da vermochte er nicht länger an sich zu halten, und unterbrach ihn kurz und entschieden: „Ich habe Sie zu Ende reden lassen, Herr von Schmichow, weil ich in der That eine geraumere Zeit eingetreten, so daß verschiedene Beamte ihre Wohnung in Kiel haben nehmen müssen. Die äußere Mündung der Holtenauer Schleuse ist als Grenze des Reichskriegs hafens für -die den Kanal passirenden Schiffe bestimmt. Die „Hamb. Nachrichten" begrüßen die Kundgebung des Kaisers gegen die Socialdemokraten mit warmen Worten. Sie werde in den nationalen Kreisen wie die Erlösung von einem Alpdruck empfunden werden. Allen Betheiligten dürfte es immer klarer werden, daß das Fallenlasfen des Socialistengesetzes und der Versuch, die Socialdemokratie zu versöhnen, ein großer Fehler gewesen sei. Die socialdemokratische Bewegung sei keine Rechts-, sondern eine Macht- und Kriegsfrage, die nur mit den staatlichen Machtmitteln zu lösen sei. Wenn das „Berl. Tgbl." den „Liberalismus" aufruft gegen das Socialistengesetz, so wissen wir, was das in dieser Stunde zu bedeuten hat. Ueber diesen Liberalismus geht unsere Zeit der praktischen Nothwendigkeit ohne Federlesen zur Tagesordnung über. Dieser Liberalismus ist eine hohle Nuß, eine Form ohne Inhalt, eine Redens art, womit man keinen verständigen Politiker mehr captivirt und von: rechten Wege abbringt. Das dürfte sich sehr bald zeigen. Oe errei -Ungarn. Erzherzog Ladislaus von Oesterreich hat sich durch den neulichen Schuß in den Schenkel eine complicirte Knochenzersplitterung zugezogen. Bei der Operation, der sich der Erzherzog ohne Narkose und ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken, unterzog, wurden 14 Knochen splitter aus der Wunde herausgezogen. Dem deutschen Sedanfeste widmet die österrei chische Presse überaus warme und herzliche Artikel, in denen ausgesprochen wird, daß der Tag von Sedan für ganz Europa ein Tag der Befreiung und Erlösung ge worden ist, da er vorläufig das Ende jener französischen Eroberungspolitik bedeute, die seit mehr als drei Jahr hunderten alles Kriegselend über den Welttheil gebracht hat. Sedan dulde keine Revanche, denn es war selbst eine nothgedrungene durch Jahrhunderte ausgesammelte Revanche für Beunruhigung und Kriegsdrangsal, die ganz Europa erlitten hat. Frankreich. Gleich nach dem Zusammentritt der Kammern am 22. October wird eine große Kundgebung wegen Mada gaskars erfolgen; die Regierung dagegen wird mit neuen Creditforderungen kommen. Endlich finden die Pariser Blätter Worte über die deutsche, speciell die Berliner Sedanseier. Die Blätter versuchen die Feier als eine künstlich gemachte darzustellen und behaupten einen die deutsche Einheit be drohenden Gegensatz zwischen den nichtpreußischen Staa ten unddemalle nationaleEigevheitvernichtendcnPreußenü Rußland. Die russischen Blätter widmen fast sämmtlich der vom deutschen Kaiser am 2. Septbr. auf dem Paradediner gehaltenen Rede eingehende Besprechungen. Als Hauptpunkte der Rede heben die Blätter die Anerkennung des Heldenmuths der französischen Armee und die Aeuße- rung des Kaiserlichen Unwillens über das Gebühren der gebrauchte, um es fassen zu können, daß ein Edelmann dem anderen ins Gesicht hinein einen solchen Vorschlag zu machen wagt! Ich würde mir für diese Beschimpfung in der geeigneten Form Genugthuung zu verschaffen wissen, wenn ich nicht nach dem eben Gehörten Ihre Satisfactionsfähigkeit sehr ernsthaft in Zweifel ziehen müßte. Nur der Rücksicht auf die Anwesenheit unseres allergnädigsten Herrn haben Sie es zuzuschreiben, wenn ich nicht auf der Stelle gegen Ihre Theilnahme an dem Rennen und gegen Ihr weiteres Verweilen in unserer Mitte protestire. Ich überlasse es Ihnen, die weiteren geeigneten Schritte aus eigenem Antrieb zu thun, und den rechten Zeitpunkt für Ihren Austritt aus dem Club nicht zu versäumen!" Er wandte ihm den Rücken und ging zu seinem Pferde zurück. Schmichow starrte ihm mit einem bösen Blick nach und schlug mit der Reitpeitsche ein paar Mal so heftig durch die Luft, als gälte es, einen unsichtbaren Gegner zu Boden zu schmettern. „Das war eine verteufelte Dummheit, Schmichow", murmelte er vor sich hin. „Ich hielt den Burschen für leichtsinnig und glaubte, ohne Weiteres mit der Sprache Herausrücken zu können! — Aber warten Sie nur, mein Herr Lieutenant, Sie werden mir Ihren Hochmuth be zahlen; dieses Rennen wenigstens sollen Sie nicht ge winnen!" Das Glockenzeichen, auf welches sich die Reiter am Start zu versammeln hatten, war gegeben, und Hunderte von Operngläsern, sowie tausende von unbewaffneten Augen richteten sich auf die kleine bunte Cavalcade, welche da Aufstellung nahm. „Blau und Weiß ist Stedingen auf der „Sylphide" und Grün und Gelb Schmichow auf dem „Falken" — ging es von Mund zu Mund. „Sie sind dicht bei einander die besten auf dem rechten Flügel — es wird ein harter Kampf zwischen ihnen werden." Der Starter senkte seine Fahne und die ungeduldigen Rosse sausten davon. Schon nach zwanzig Längen war die gerade Linie der Reiter aufgelöst und die Schwächeren Socialdemokratie hervor. Das amtliche Journal de St. Petersburg meint, die Rede wird unter diesem doppelten Gesichtspunkte, und nicht allein in Deutschland, großen Wiederhall finden. Andere Blätter bemerken zu der auf Frankreich bezüglichen Stelle der Rede, Kaiser Wilhelm blieb dem schon im vorigen Jahre angenommenen Sy steme treu, sich alles dessen zu enthalten, was die na tionale Eigenliebe der Franzosen kränken könnte. Mit Bezug auf die Socialdemokraten wird die Ansicht ausge sprochen, die Intervention der Armee werde wohl nicht so bald nothwendig sein, daran wird der aufrichtige Wunsch angefügt, der Kaiser möge ohne eine solche In tervention auskommen können. Ehrlicher Zorn habe aus der Rede des Kaisers herausgesprochen und dieselbe ein gegeben, und es wäre unvorsichtig von den Betroffenen, dieselbe auf die leichte Achsel zu nehmen. Endlich meint man aus der Rede des Kaisers schließen zu sollen, es sei zweifellos, daß Deutschland alles durch den Krieg von 1870/71 Erworbene unentwegt festhalten werde. An der armenischen Grenze finden große russische Truppenansammlungen statt. Gugiaud. Auch die englischen Berichte über die armenische Frage lauten wieder beunruhigender. Die türkischen Erpressungen und Ausschreitungen in Armenien nehmen fortgesetzt zu. Die Lage der Hauptstadt ist ernster als je. Die armenische Bevölkerung in Konstantinopel zählt 150,000 Köpfe, wovon ein Theil bewaffnet und organi- sirt ist. Die Bevölkerung wurde bisher ruhig gehalten, da man erwartete, Europa, insbesondere England würde sofortige Reformen erzwingen. Die Türken verschärfen jedoch die Erbitterung durch beständige Verhaftungen. Türkei. Die gegenwärtige Lage auf dem Balkan soll ernster sein, als man gemeinhin annimmt. Die arme nische und macedonische Frage sowohl als die bulgarische können nach den neusten Berichten jeden Tag einen Sturm herausbeschwören, dessen Folgen unberechenbar sein können. In Bulgarien werden aller Orten Riesenmen gen Dynamits ausgespeichert und die Einwohner sind Ge fangene der Dynamitarden. Wenn es in Konstantinopel zur Explosion in der armenischen Frage kommt, dürste in Sofia die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens erfol gen. Daß das Pulverfaß auf dem Balkan gehörig ge laden ist, weiß Jedermann, ein zündender Funke könnte in. der That unbegrenzte Folgen haben. Aus dem ^Waldenburg, 5. September. Die für den früher in Waldenburg aufhältlich gewesenen Sattler Heinrich Emil von Wolffersdorf eingeleitete Abwesenhcitsvormund- schaft hat sich erledigt und ist daher seitens des kgl. Amtsgerichts hiersclbst aufgehoben worden. *— Nach Falb soll für den September im Ganzen ziemlich trockenes Wetter in Aussicht stehen. Um den 4. (kritischer Tag zweiter Ordnung mit Mondfinsterniß) dürste sich wegen des voraussichtlich herrschenden Hoch druckes nur eine schwache Tendenz zu Niederschlägen und meist trockenen Gewittern ergeben. Es sollen verhältniß- begannen zurückzubleiben. Schmichow's „Falke" hatte sich an die Spitze gesetzt; dann folgte ein anderes Pferd und erst als dritter kam Lieutenant von Stedingen auf der „Sylphide". Bei der ersten Krümmung der Bahn aber wurde Stedingen bereits zweiter, und der ausge zeichnete, gleichmäßige Gang seines Pferdes steigerte die Zuversicht derer, welche auf ihn gewettet hatten. Das erste Hinderniß wurde von beiden Reitern mit glänzender Sicherheit genommen, und auf der Strecke bis zur näch sten Hürde wurde die Entfernung zwischen ihnen sichtlich kleiner, so wüthend auch Schmichow feinen Hengst zu äußerster Anspannung seiner Kräfte zu treiben suchte. Plötzlich, als der Kopf des „Sylphideschen" an seinem Sattel war, ließ er mit seinen Bemühungen nach. Es schien, als wäre der Reiter noch früher ermüdet als das Pferd. Sie mußten noch eine Krümmung passiren, ehe sie die Hürde erreichten, und hier waren sie für einige Secunden durch Bäume und Buschwerk den Blicken der Zuschauer entzogen. „Es ist sonderbar, daß Sie sich so hartnäckig an der äußersten Rechten der Bahn halten, während Sie doch zur Linken das ganze Feld frei haben", sagte einer der mit einem Krimstecher bewaffneten Herren auf der Tri büne zu feinem Nachbar. „Wenn Schmichow nicht ein so unübertrefflicher Reiter wäre, könnte man wahrhaftig glauben, er habe die Herrschaft über sein Pferd verloren!" Gerade als diese Aeußerung gefallen war, wurde vor dem Buschwerk, hinter welchem inzwischen fämmtliche Renner verschwunden waren, der Kopf eines Pferdes sichtbar. Alle Gläser richteten sich auf diesen Punkt, denn wer hinter dieser großen Hürde der Erste geblieben war, mußte aller Wahrscheinlichkeit nach auch als der Erste durch das Ziel gehen. Aber wie ein Ruf allgemeinster Ueberraschung ging es durch die Tribünenreihen. „Es ist Roth und Weiß! Graf Schwendy auf dem „Paladin". — Grün und Gelb ist Vierter! — Blau und Weiß fehlt ganz! — Es muß ein Unglück bei der Hürde geschehen sein!" (Fortsetzung folgt.)