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Mus dem Sachsenrande. — Mit dem letzten März traten alle diejenigen Soldaten zum Landsturm über, welche im Jahre 1850 geboren wurden. Dieser Jahrgang ist der letzte der Krieger aus dem letzten deutsch-französischen Kriege. Sie gehörten schon einmal dem Landsturm an, mußten aber nach dem neuen Gesetz vom Februar letzten Jahres noch einmal zur Landwehr geschrieben werden und sind jetzt zum zweiten Male Männer des Land« sturms. — Zum Wettiner-Festzug liegen bis jetzt 177 An meldungen von Städten, Dörfern, Corporaiionen, In nungen u. s. w. vor. Ungefähr 2600 costümirte und 3000 nicht costümirte Personen werden an dem Zuge theilnehmen. 500 Fahnen und Banner werden im Zuge vertreten sein. Der Tag des Festzuges wird Mittwoch, der 19. Juni sein, während das Reiterfest bereits am vorhergehenden Montage stattfindet. — Wer an den „hundertjährigen Kalender" glaubt, darf sich in Bezug auf Eintritt und Verlauf zufrie denstellender Witterungsverhältnisse im jetzigen Jahre wenig Hoffnung machen. Im April des Jahres 1589 lag noch hoher Schnee und im Mai regnete es so heftig und anhaltend, daß die Auen überschwemmt wurden und die Heuernte gänzlich verloren ging. Vom 21. Mai bis 30. Juni fanden zehn Ueberfluthungen durch Hochwasser statt. Das Jahr 1689 begann mit einer schrecklichen anhaltenden Kälte und so heftigem Schneefall, daß Niemand wohl fortkommen konnte. — Die königl. Kreishauptmannschaft Dresden hat auf Grund Z 100s Ziffer 3 der Reichsgewerbeord nung bestimmt, daß für den den Gemeindebezirk der Stadt Dresden umfassenden Bezirk der Schuhmacher innung solche Schuhmacher, welche, obwohl sie zur Aufnahme in diese Innung fähig sein würden, gleich wohl derselben nicht angehören, vom 1. Juli d. I. an Lehrlinge nicht mehr annehmen dürfen. Zuwider handelnde verfallen in die gesetzlich geordneten Strafen. — Das Wettiner Jubiläumsfest wird in Sachsen am Sonntag den 16. Juni durch eine allgemeine Landesfeier begangen werden. In Dresden sollen die Festlichkeiten außerdem in folgender Reihenfolge stattfinden: 16. Juni Reiterfest, 17. Juni Empfang der Deputationen des Landes, 18. Juni Enthüllung des König Johann-Denkmals, sowie Feuerwerk. — Der Lokalverband Leipziger Kegelclubs hat den Beschluß gefaßt, ein Kegler-Gesellschaftshaus in Leipzig zu errichten, welches 250,000 Mk. kosten soll. — Aus Scham über einen Diebstahl, den ihr 15- jähriger Sohn verübt, stürzte sich in Gohlis eine Frau mit demselben in die Elster. Der Knabe arbei tete sich wieder aus dem Wasser heraus. Die unglück liche Mutter ertrank. — In Möckern fand am 6. d. der Trichinen schauer Sperluig in einem Schweine des Milchhänd lers D. Trichinen. Das Fleisch wurde sofort ver nichtet. — Am Vormittag des 4. d. M. fand beim Land gericht zu Planen Hauptverhandlung gegen den we gen fahrlässiger Körperverletzung angeklagten „Anatom" Gustav Woldemar Voigt von Plauen statt, welcher dort seit Mai v. I. in Naturheilkunde practicirte. Voigt wurde nach langer Verhandlung in diesem Falle kostenlos freigesprochen. Es liegen indeß noch andere Anklagen gegen ihn vor, welche demnächst zur Ver handlung kommen werden. — Wie in anderen Gegenden Sachsens, so haben auch, wie das „Meeraner Wchbl." schreibt, im 17. sächsischen Reichstagswaylkrcis und speciell in Meeraue die Socialdemokraten die Agitation für die im Herbste dieses oder im Frühjahr nächsten Jahres bevorstehende Reichstagswahl schon mit großer Rührigkeit begonnen. Bereits am vorletzten Sonntag hat der dortige „Wahl verein" einen Candidaten für jene Wahl in der Person des Herrn Ignaz Auer aus München aufgestellt und gleichzeitig beschlossen, den jetzigen Vertreter unseres Wahlkreises, Herrn Leuschner-Glauchau, aufzufordern, sich über seine Stellung zum Alters- und Invaliden- Versicherungsgesetz auszusprechen und in einer dem- nächstigen Versammlung mit „freier Discussion" einen Bericht über seine Thätigkeit im Reichstage abzulegen. Als eine Fortsetzung dieser agitatorischen Thätigkeit des Wahlvereins stellte sich auch die von demselben auf den letzten Sonnabend Abend im Saale der „Ton halle", daselbst, einberufene „öffentliche Versammlung" dar, in welcher Herr Franz Hofmann aus Chemnitz über „die Trusts und ihre Einwirkungen auf das wirth- schaftliche Leben" sprach. Der langen Rede kurzer Sinn ging dahin, bei den nächsten Reichstagswahlln für den socialdemokratischen Candidaten Ignaz Auer zu stimmen. Die Versammlung war von etwa 300 Personen besucht. — Ein Handarbeiter in Otlsnitz i. B., welcher mit Holzspalten beschäftigt war, hatte am Freitag in der Nähe seines Arbeitsplatzes eine mit Schrot geladene Pistole aufgehängt, um Sperlinge zu schießen. Als ihm seine zwei Knaben Frühstück brachten, entfernte sich der Vater auf kurze Zeile. Während dieser Zeit ergriff der größere Knabe die Pistole, welche sich ent lud. Der jüngere sechs Jahre alte Knabe wurde hier bei so unglücklich in den Kopf getroffen, daß ihm Schrote ins Gehirn drangen. An dem Aufkommen des Knaben wird gezweifelt. — Der abends zwischen Dresden und Reichenbach verkehrende Eilzug blieb infolge Maschinendefects zwi schen Frankenstein und Oederan auf der Strecke liegen und mußte von der Maschine eines nachfolgenden Güterzuges nach Oederan hineingeschoben werden, von wo ihn eine von Flöha requirirte Hilfsmaschine weiter brachte. Infolge dessen hatte auch der '/r10 Uhr von Glauchau nach Waldenburg verkehrende Personenzug eine halbstündige Verspätung. — In Mittweida wurde vom Schulausschuß be schlossen, bei dem Stadtrath zu beantragen, im neuen Anbau des Bürgerschulgebäudes eine Niederdruckdampf heizung nach dem System Martini in Chemnitz ein- zusühren. Die Kosten für diese Anlage sind auf 10,023 Mk. veranschlagt. — Aus Oberschlema bei Schneeberg wird unterm 5. d. M. geschrieben: Der Fleischer, welcher kürzlich hier eine dem Gutsbesitzer Schreiter gehörige Kuh, die, wie sich nachher herausstellte, an Milzbrand erkrankt war, geschlachtet hatte, hat sich eine schwere Blutver giftung zugezogen und mußte sich im Zwickauer Kran kenhaus bereits wiederholt operativen Eingriffen un terziehen. Im Stalle des Gutsbesitzers Heinz in Zschorlau ist letzter Tage der gefährliche Milzbrand bei einem zweiten Stück Rindvieh festgestellt worden. — In einem am Montag in Lichtenstein geschlach teten Schweine wurden von Hrn. Trichinenbeschauer Magnus Fritsche eine Unmasse Trichinen vorgefunden. Das Fleisch wurde unter entsprechender polizeilicher Aussicht unbrauchbar gemacht. — Die Nachricht von der Auffindung der Leiche des in Lötznitz vermißten vr. Käuffer wird wider rufen. Dieselbe beruhe auf Verwechslung. — Seitens einer Anzahl Industrieller zu Hainichen ist beschlossen worden, zu dem Dresdner Festzuge eine selbstständige, künstlerisch gestaltete Gruppe zu entsenden, und es sollen die zur Bestreitung der nicht unerheb lichen Kosten erforderlichen Mittel im Wege freiwilliger Beiträge aufgebracht werden. — Vom Waldarbeiter Gottlieb Baumann aus Wildenfels wurde jetzt im dortigen Walde eine Kreuz otter von nahezu 2 Ellen Länge gefangen. Dieselbe ist der Schule zu Grünau zugegangen. — Von einer braven That zweier Schulmädchen erhalten wir erst jetzt Kunde. Am vorvergangenen Sonn tag fiel das 9jährige Schulmädchen Zill in Röhrige« (bei Roßwein) in die hochangeschwollene Striegis und trieb ab. In dieser höchsten Gefahr wurde das Kind von zwei Schulmädchen bemerkt. Muthig und ent schlossen sprangen sie in's Wasser und retteten die Ver unglückte mit eigener Lebensgefahr. Die Namen der beiden jugenolichen Retterinnen sind Bertha Köhler und Marie Silbermann. — Der zu Breslau verstorbene Partikulier Adolf Krakau hat, so >chreibt man der „Tägl. Rundschau", der Brüdergemeinde zu Herruhut sein Vermögen im Betrage von 983,100 Mark vermacht. Die behörd liche Genehmigung zur Annahme der Erbschaft ist er- theilt worden. — Die sächsische Arbeitercolonie SchuecktUgrü« bei Mehltheuer i. V. hat seit ihrer Eröffnung über haupt 1269 Colonisten ausgenommen. Der jetzige Be stand der Colonisten beträgt 95. Dieselben vertheilen sich nach ihrem Geburtsort auf Königreich Sachsen 74, Provinz Ostpreußen 1, Posen 1, Schlesien 4, Groß- herzogthum Mecklenburg-Schwerin 1, Provmz Sachsen 1, Westfalen 1, Rheinprovinz 1, Königreich Bayern 4, Würtemb.rg 1, Thüringen 3, Baden 1, Hessen 2; nach dem Gewerbe sind Arbeiter 20, Bäcker 1, Berg mann 1, Büchsenmacher 1, Dachdecker 2, Eisendreher 1, Eisengießer 1, Fleischer 1, Former 2, Förster 1, Cartonnagenarbeiter 1, Kellner 3, Kesselschmied 1, Commis 7, Lehrer 1, Maler 2, Maurer 5, Sattler 2, Schlosser 6, Schneider 3, Schreiber 2, Schuhmacher 9, Spinner 2, Sleindrucker 1, Steinhauer 1, Strumpf wirker 3, Tuchmacher 1, Uhrmacher 1, Weber 10, Cigarrenarbeiter 1 und Zimmerleute 2. Die Colonie hatte in diesem Monate 3332 Verpflegtage, welche sich auf 2697 ArbeitS-, 602 Feier- und 33 Krankentage vertheilen, zu verzeichnen. Von den 51 abgegangencn Colonisten gingen 41 auf eigenen Wunsch, 2 erhielten Stellung durch die Colonieverwaltung, 1 mußte wegen Krankheit entlassen werden, 2 entliefen und 5 wurden wegen ungebührlichen Betragens verwiesen. Außer den nöthigen Haus-, Hof- und Stallarbeiten, sowie der Besetzung der Werkstätten waren die Colonisten haupt sächlich mit Rajolen, Stcinbrechen, Holzhacken, Schnce- beseitigen, Spinnen und Weben beschäftigt. — Vor kurzer Zeit durchreiste ein Hausirerpaar den Ostkreis von Altenburg mit einer ganzen Wagen ladung Seife. Billig war die Waare, denn der Riegel wurde immer zu 80 bis 100 Pfg. losgeschlagen, und darum ging das Geschäft auch ganz gut. Aber der hinkende Bote kam sehr bald nach. Als die Seife nur wenige Tage gelegen hatte, siel sie ,0 in sich selbst zusammen, daß sie ein ganz unscheinbares Aussehen gewann, und wie sie in Gebrauch genommen wurde, da fehlte ihr, was das wichtigste bei jeder Seife ist — der Schaum. Als man das Gesicht und Hände damit wusch, verursachte die Berührung der Seife mit der Haut brennende Schmerzen. Ja, bei mehreren Perso nen war die Wirkung dieses Zeuges derartig, daß Ge sicht, Arm oder Hand anschwollen und Vergiftung be fürchtet werden mußte. — In einer Gothaer Vorstadt-Restauration aß kürzlich abends ein junger Schlossergeselle aus Anlaß einer unsinnigen Wette 18 Sooleier mit 4 Dreier brötchen und trank verschiedene Gläser Bier dazu. Der junge Mensch konnte sich infolge überladenen Magens nicht von seinem Lager erheben und wird jedenfalls unter schrecklichen Schmerzen noch im Bette liegen. Deutscher Reichstag. 55. Sitzung vom 8. April. 12 Uhr. Am Bundesrathstische: von Bötticher Die 2. Berathung der Alters- und Invaliden versicherung wird bei 8 23b fortgesetzt. Derselbe behandelt die Ansprüche der Hinterbliebenen solcher Ver sicherten, die, ehe sie in den Genuß einer Rente treten, versterben. Von dem Abg. v. Stumm (freicons.) wird zu dem Para graphen ein Zusatz beantragt, wonach der 8 23d keine An wendung finden soll, wenn den Hinterbliebenen aus Anlaß des Toves des Versicherten eine Rente auf Grund des Un- sallversicherungsgesetzes gewährt wird. Abg. Bebel (Soc) hat seinen Antrag, wonach die Be stimmungen des § 23b zu Gunsten der Versicherten und ihrer Hinterbliebenen geändert werden sollen, zurückgezogen. Abg. Schmidt-Elberfeld (freis) erklärt, daß seine Partei für die zweit« Lesung von der Stellung von VerbefferungS- anträgen Abstand nehme. Abg. Schrader (freis.) bekämpft den Antrag Stumm, ebenso der Abg. Schmidt-Elberfeld (freis.), wogegen der Abg. Hammacher (natlib.) den Antrag befürwortet. Der Antrag findet darauf Annahme. 8 26 behan delt das Verhältniß der Alters- und Invalidenver sicherung zur Armenpflege. Abg. Rickert (freis.) legt dar, daß di« Armenpflege in zahlreichen Städten bedeutend mehr gewähre, als die Vor lage, die man mit faulen Eiern bewerfen werde, wenn sie ihrer wahren Bedeutung nach erst näher bekannt sein werde. (Heiterkeit.) Von einer moralischen Hebung des Arbeiters könne dabei gar keine Rede sein, denn oft genug werde der Versicherte seine Rente der Armenverwaltung abtreten müßen, um nur Armen-Unterstützung zu bekommen, wenn er in Noth gerathen ist. Staatssekretär v. Bötticher-, Die Vorlage hat den Zweck, eine gesetzlich« unbestreitbare Rente zu gewähren, und in dieser Höhe die Nachtheile der Armenpflege zu beseitigen. Ein Vergleich der Rente mit der Armenunterstützung ist absolut unzulässig. Wer es heute noch nicht verstanden habe, daß dem Arbeiter durch das Gesetz ein sicherer An spruch auf Fürsorge in seinem Alter gewährt werden solle, den er sich selbst erworben habe, daß ihm das beschämende und vielfach entehrende Gefühl genommen werden solle, sich an die Armenpflege zu wenden, mit dem sei nicht zu diS» cutiren. Ein Vergleich zwischen der Rente auf Grund diese- Gesetzes und den auf Grund der Armenpflege geleisteten Beträgen ist überhaupt gar nicht ru ziehen. Freilich besei tige das Gesetz nicht die Armenpflege; das sei doch aber kein Grund, dasselbe abzulehnen, da es in tausend Fällen die Betreffenden davon entbindet, die Armenpflege in An spruch zu nehmen. Die Abgg. v. Helldorf (cons.), Websky (natlib.) befür worten den 8 28 ebenfalls. Eine längere Hinausschiebung des Zustandekommens der Vorlage empfehle sich nicht. Denn auch nach Jahren würden die Ansichten gerade ebenso ge- theilt sein, wie heute. Abg. Rickert (freis.) bittet nochmals, mindestens ein Jahr noch mit dem Gesetze warten zu wollen. Wolle man seine Gründe nicht anerkennen, so möge man doch auf die neu lichen Ausführungen des conservativen Grafen Mirbach hören. Staatssekretär v. Bötticher antwortet, daß nach ein-m oder zwei Jahren genau dieselben Gründe gegen das Gesetz laut werden würden. Ein Aufschub würde also gar nichts nützen. Abg. Windthorst (Centrum) schließt sich der Bitte des Abg. R ckert an. Das Gesetz )ei durchaus noch nicht in jeder Beziehung in der Nation erörtert. Es würde ver- hängnißvoll werden, sollte jetzt schon ein entscheidender Be schluß gefaßt werden. Der 8 26 wird darauf unverändert angenommen. Z 27 giebt Len Fabriks-, Knappschafts- und ähnlichen Kassen zur Befugniß, mit obrigkeitlicher Bewilligung ihre Rentensätze dis zur Höhe der gesetzlichen Alters- und Invalidenrente herabzusetzen. Abg. Stütz«! (Lentrum) beantragt besondere normative Bestimmungen für Knappschastskassen. Abg. Frhr. v. Stumm (freicons.) beantragt einen 8 27a, wonach während des Rentendezuges aus anderen Kassen das Erlöschen dec Versicherungs-Verhälinrffes nicht einiritt. Nach längerer Debatte, an welcher sich die. Abgg. Hammacher (natlib.), Schrader (freis.), Klemm-Sachsen (cons.), Geh. Rath Bosse bctheiligen und der Abg. Stötzel (Centrum) semen Abänderungsantrag zurück zieht, wird der 8 27 unverändert angenommen, ebenso der vom Abg. v. Stumm beantragte s 27». 88 28, 29 werden debattelos genehmigt. Em Antrag des Abg. Rickert (freis.), eine Abendsitzung zu halten, um Wahlprüfungen zu erledigen, wird nach längerer De batte vom Antragsteller zurückgezogen. Hieraus wird