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noch ein hübsches Pensum zu erledigen übrig: in zwei ter Lesung die Etats der Marine- und Militärver waltung, sowie einige kleinere Etats, in dritter Lesung alsdann der gesammte Reichshaupthalt; in zweiter und dritter- Lesung das Socialistengesetz und der Nachtrags etat für die Wißmann'sche Expedition, ferner die ost afrikanische Dampfervorlage. Der Reichstag wird mög licherweise bis hart an den Ablauf seines Mandates (21. Februar) zu tagen haben und damit auch ein mehrwöchentliches Zusammenarbeiten mit dem am 15. Januar zusammentretenden preußischen Landtage noth wendig werden. Die Freude darüber ist nun freilich nicht sonderlich groß. Die Gefahr eines neuen großen Bergmanns- streiks, die namentlich in dem fiskalischen Saar-Revier -recht drohend war, ist beseitigt. Wie die Privat zechen in Westfalen, so Haden die staatlichen Behörden im Saar-Revier den Bergleuten weitgehende Conces- sionen gemacht bezüglich der Wiederanstellung von ent lassenen Bergleuten und ist daraufhin von den Knapp schaften auf Lie Einstellunz der Arbeit verzichtet. Augen- blicklich ist also wieder voller Friede; mag er nur lauge dauern! Reichscommissar Major Wißmann hat den deut schen Reichsangehörigen Schröder aus Deutsch-Ostafrika dauernd ausgewiesen. Der „Kreuzztg." wird zur Er klärung dieses Vorgehens geschrieben: „Schröder ist em kleiner Wütherich, der in Zanzibar selbst ein Mäd chen mit einer Bierflasche über den Kopf schlug und einen Krawall veranlaßte. Vor dem Aufstand war er auf einer Plantage, wo er schlimm gehaust hat, besonders, wenn er betrunken war. Herren, die im September von der Expedition Tanga-Pangani zurück- kehrten, erzählten in Zanzibar, überall habe man ge fragt, ob Herr Schröder wieder käme, und sich gefreut, als man hörte, die Rückkehr sei ausgeschlossen." Stanley berichtete nach Brüssel, er werde unmittel bar nach seiner Ankunft dort nach Berlin reisen, um dem Kaiser Wilhelm sich zu präsentiren. Im Befinden Emin Pasch a's wird jetzt deutlich eine Lauernde, langsame Besserung bemerkbar; die un günstigen Symptome verschwinden nach und nach. Der Husten ist noch immer sehr heftig, doch kann sich der Kranke mit mehr Leichtigkeit und weniger Schmerzen bewegen. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" stellt die bisher über das Schicksal Or. Peters eingegangenen Nachrichten zusammen und kommt zu dem Schluß, daß man weitere Nachrichten abwarten müsse, bevor der Untergang der Expedition als zweifellos gelten könne. In Erinnerung an die neuliche Colonialdebatteim Reichstage dürfte es vsn Interesse sein, einmal zu er fahren, was so ein Woermann-Dampfer aus Westafrika nach Deutschland bringt. Die Ladung der kürzlich in Hamburg angelangten „Anna Woermann" umfaßte 3 Fässer Kaffee, 25 Säcke Gummi-Copal, 22 Fässer Gummi-Elasticum, 16 Säcke und 5639 Kokosnüsse, 1 Collo Elephantenzähne, 5 Colli Affenfelle, 1 Kiste Goldstaub, 28 Stück Häute, 30 Colli Kaufmannsgüter, 112 Säcke und 35 Tonnen Mais, 1 Kiste Tabak, 179 Fässer Palmöl, 4352 Säcke und 568 Tonnen Palmkerne, 2 Kisten Curiositäten. Qestenrsity-Ungartr. Ministerpräsident Graf Ta affe hat sich im öster reichischen Abgeordnetenhaus« von den deutsch-böhmischen Abgeordneten wegen seiner undeutschen czechenfreund- lichen Politik die bitterster? Wahrheiten sagen lassen müssen, auf die er nur sehr schwach erwidern konnte. Freilich denkt der Minister nicht an einen Platzwechsel, und er wird auch nicht früher gehen, als bis sein ganzes System in sich selbst znsnmmenbricht. Der Kardinal-Erzbischof von Wien, Or. Gawgl« bauer, ist am Sonnabend MitNrg um 1 Uhr -ze- storben. Ganglbauer gehört: dem Mnediktiner-OrdM an, wurde 1876 Abt von Kremsmünster, 1881 ErZe bischof von Wien und 1884 Kardinall Der sehr bV- ! liebte Kirchenfürst ist nur 72 Jahre Ät geworden. In Wien hat unter den dortigen- Antisemiten, die sich in zwei Parteien getheilt haben,, eine erbitterte Schlägerei stattgefunden; es wurde tatsächlich mit Messern gestochen, wenn auch die Wunden nicht ge fährlich sind.. Einer der Excedenlen, der einen Polizei beamten in die Hüften gestochen, ist selbst Beamter. Er wurde verhaftet, erklärte aber nur in der Noth wehr von dem Messer Gebrauch gemacht pr haben. Frankreich. Das Ministerium Tirard-Constans hat in der Deputirtenkauuuer einen bedeutsamen Erfolg er rungen. Die Bewilligung der geheimen Fonds im Ministerium des Innern war von Boulangisten und Monarchisten zur Stellung eines Mißtra^nsvotums benutzt wordem Die Regierung erhielt aber einVer- trauensvotum, die Forderung wurde mit 290 gegen i 192 Stimmen bewilligt. Der Minister Constans er- ! klärte dabei, die Regierung müsse Informationen er halten, um etwaige feindliche Versuche zu unterdrücken. ! Die verlangte Summe von 1,600,000 Mark solle also lediglich sür die allgemeine Sicherheit verwendet , werden und nicht, wie von den Gegnern behauptet worden sei, für Preßzwecke. Verweigere dir Kammer die Zustimmung, so werde das Ministerium zurück- ! treten. Die Boulangisten griffen die Regierung wüthend an, da sie nicht mit Unrecht vermutheten, das Geld i solle zur Bekämpfung ihrer Partei dienen. Aber alles Toben half nichts, die geforderte Summe wurde ohne Abstrich bewilligt. Portugal. ! Die Portugiesen gehen kräftig an die Arbeit, um i ihren Kolonialbesitz in Ostafrika, auf den neuer dings auch von englischer Seite Ansprüche erhoben - wurden, zu befestigen. Der portugiesische Major Sarpa Pinto hat nach voraufgegangener Kriegser- klärung den mächtigen Stamm der Makololos ange griffen und denselben durch seine Gatlinggeschütze große, nach Hunderten zählende Verluste beigebracht. Derselbe ! hat bei dieser Gelegenheit auch zwei englische Fahnen erbeutet, welche angeblich den Makololos jüngst von einem englischen Consul geschenkt worden sind. Sarpa l Pinto hat die Absicht ausgesprochen, das ganze Land bis zum Nyassa für Portugal zu erobern. England. Die Kraft des Gasarbeiterstreiks in Londorr ! erscheint bereits gebrochen. Eine Einigung mit der t Verwaltung wird in den nächsten Tagen erwartet. Das Vorrücken der Portugiesen in Ostafrika ! irr ein von England beanspruchtes Gebiet hat in Lon- j don gewaltig verdrossen. Verschiedene Blätter fordern i eine kräftige Rückweisung der portugiesischen Ansprüche. - Der Ministerrath wird sich heute Montag mit der ! Sache beschäftigen und wahrscheinlich eine» Protest nach i Lissabon richten. Bulgarien. i Der bulgarischen Regierung fit nun endlich- der schon - lange geplante Repetirgewehw-Ankauf gelungen, - Sie hat und der österreichischen Waffenfabrik in-Steyr - einen Vertrag abgeschlossen, nach welchem dieselbe bin- : nen 15 Monaten 60,000 kleinkalibrige Gewehre- nach« Sofia liefern- mußt n Serbien. , Belgrader Blätter berichten über die Zustände iw ° Altserbien: In Rowanovrosch haben Türken unter Führung eines Beta Effendi aus Kollaschin eine groß« Bande gebildet, mit deren Hilfe sie das ganze Alt- srrbien völlig beherrschen. Sie durchziehen das Land' rmd fordern von jedem christlichen Dorf« unter Drohun- gs» Abgaben ein. Die Bewohner sind- völlig schutzlos:. Rußland. In Petersburg wurden ein Artillerieoffizier und- em-Marineoffizier verhaftet, weil sie verdächtig sind,, am einer Verschwörung gegen das Leben des Czareni betheiligt zu sein. Aus dem Muldenthule. ^Waldenburg, 16. December. Se. Durchlaucht der Fürst von Schönburg-Waldenburg ist am Sonn abend Abend, von Lrü-wigslust kommend,, auf Schloß Waldenburg wieder eingetroffen. — Die in diesen Tagen erschienene 52. Ziehungs liste der Kgl. Landeskulturrentenbank kann in unserer Expedition eingesehen werden. — In Penig ertrank am 14. d. nachmittags gegen 5 Uhr der 9 Jahre alte Knabe Oswald Gröger,. Sohn des Maurers Gröger daselbst, in der Muloe. — Die seitens der kaiserl. Postanstalt in Angriffs genommene telephonische Verbindung Leipzig-Chemnitz, wie Borna-Penig ist- soweit vorgeschritten, daß die. Legung bis Penig fertig gestellt, und sah man des halb- am Freitag auf der ersten fertig, gestellten Leit stange eine Fahne prangen. — Die Wvrzener Schuhmacher-Innung macht im dortigen Tageblatt öffentlich belannt, daß sie für Schuhwaaren und Arbeiten rc. von jetzt an eine 10- procentige Preiserhöhung eintreten lassen müsse. Be gründet wird diese Steigerung durch die Erhöhung Ler Miethe, Arbeitslöhne und die Theuerungsverhält- j Kiffe in Material und Lebensbedürfnissen. — Die Erneuerung des Innern der Marienkirche Feuilleton. Postmeisters Käthchen. Original-Novelle von Th. Schmidt. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Womit hatte er das verdient? Zwar hatte er An fangs den kleinen Paul, dessen Geburt der Mutter das Leben kostete, in seinem unermeßlichen Schmerz wenig beachtet; als er aber zu einem prächtigen Knaben heran wuchs, da hatte er ihm seine ganze Liebe zugewandt und tausendmal die Vernachlässigung wett gemacht. Ja, er war nun einmal ein vom Unglück verfolgter Mann, das hatte er oft genug erfahren. Wie häufig waren ihm Andere, die nach oben schmeicheln, und nach unten tyrannisiren, in der Beförderung vorgezogen! Alle seine früheren Collegen bekleideten längst höhere und einträglichere Stellungen; nur er, dem Alle das Zeugniß eines tüchtigen und gewissenhaften Beamten gaben, war nach einem kleinen, unbedeutenden Ort ver bannt — verbannt dafür, daß er einem Verleumder die heuchlerische Maske vor dem Gesicht weggerissen hatte. Doch das alles hatte er zuletzt mit Gleichmuth ertragen, denn für das Glück, das er in seinem Be rufe nicht gefunden, fand er ein anderes: er nannte ein edles, liebendes Weib und drei liebreizende Kinder sein eigen, und dieser Besitz war ihm fortan der In begriff alles Glückes auf Erden. Aber auch dieses Besitzes sollte er nur einer kurzen Spanne Zeit sich erfreuen! Die beiden jüngsten Kin der, ein Knabe von acht und ein Mädchen von sechs Jahren, starben in einer Nacht an der Diphtheritis, dieser mörderischen Krankheit, die allem Anschein nach ein weiteres Opfer von ihm fordern wollte. Kummer und Gram über den Verlust der heißgeliebten Kinder hatten bald darauf auch sein blühenves Weib auf das Krankenlager geworfen, auf dem es vorzeitig einem Knaben das Leben schenkte, um danach die Augen für immer zu schließen. Wie er das schwere Leid ertra gen, das wußte er nicht; aber der Spiegel, in den er nach Wochen zum ersten Male wieder schaute, sagte ihm deutlich, was er gelitten. Er war um 20 Jahre gealtert und völlig ergraut, obschon sein starker Nacken sich nicht gebeugt hatte. Dergestalt waren die Gedanken, die Arndt bei seiner ruhelosen Wanderung durch die Zimmer begleiteten. II. Der Arzt hatte noch spät am Abend den Kleinen untersucht und gefunden, daß die Krankheit bereits in das Stadium der Krisis eingetreten war. Daß we nig Hoffnung auf Genesung vorhanden, sagte er zwar nicht, aber das war auch nicht nöthig; seine ernsten, besorgten Mienen verriethen genug. Käthchen war allein mit ihrem kleinen Kranken, da ihr aufs äußerste erschöpfter Vater sich für ein paar Stunden in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte. Die kleine Hand des im Halbschlaf liegenden Brüder chens umfassend, schaute Käthchen hinaus in die dunkle i Nacht, deren Stille nur durch das Ticken der Uhr ! im Nebenzimmer und das Stöhnen des nach Athem ' ringenden Knaben unterbrochen wurde. Auf ihrem Antlitze lagerte die Sorge, ihre Ruhe war nur eine scheinbare. Wer zwei liebende Geschwister an solcher tückischen Krankheit verloren hat, wird später leicht das Schlimmste für das Wahrscheinlichere halten. Es schnitt ihr ins Herz, ihren Liebling, bei dem sie — selbst noch ein halbes Kind — die Mutterstelle hatte einnehmen müssen, mit der entsetzlichsten aller Kinder krankheiten ringen zu sehen. Die klugen dunkeln Augen, die gestern noch glänzten, lagen heute matt in ihren Höhlen, und das sonst so frische reizende Gesicht be deckte eine bleigraue Farbe. Der kleine Mund, der sonst so kindlich-süß plaudern konnte, war geschlossen; nur schwache, wimmernde Laute entstiegen von Zeit zu Zeit der röchelnden Brust. Gab es denn gar kein Mittel gegen diese furchtbare Krankheit? fragte sich das geängstigte junge Mädchen. Q wäre sie reich; iHv ganzes Vermögen wollte sie als Prämie aussetzen für Denjenigen, der ein sicheres Mittel gegen diese Plage der Menschen erfinden würde. Erst jetzt, wo der fin stere Todesengel sein Schmerzenslager umkreiste, fühlte Käthchen, wie innig sie Len Kleinen liebte. Die ganze Zeit, in der sie ihn gewartet und gepflegt, stieg vor ihrem geistigen Auge aus der Vergangenheit herauf. Hier, wo jetzt das kleine Gitterbettchen stand, schaukelte seine Wiege. Der Säugling hatte viele Pflege nöthig. Oft mußte sie ihn während der Nacht aus seinen Kissen ausnehmen, das Bettchen ordnen oder ihn in den Schlaf singen, da die Amme, ein rohes, unzuver lässiges Geschöpf, einen Todtenschlaf hatte. O sie that das gern und hielt sich reich belohnt, wenn der Kleine vergnügt kreischend ihr die Aermchen entgegenstreckte. Er gedieh sichtlich; noch war kein Jahr zu Ende, da konnte er laufen und mehrere Namen sprechen. Dort am Fenster hatte sie mit ihm, den Kopf an ihre Wange geschmiegt, oft gestanden und ihm den Flug der Vö gel und den Zug der Wolken gezeigt, oder ihm er zählt, daß der liebe Gott all die tausend und aber tausend Sterne jeden Abend anzünde. An Putz und Vergnügungen, welche andere Mäd chen in ihrem Alter ausschließlich beschäftigten, konnte sie nicht denken; ihre Zeit wurde ganz von der Pflege und Erziehung des Kleinen und der Sorge um des Vaters Wohlergehen ausgefüllt. Letzterer hatte Eigen heiten, die Niemand besser kannte als sie, und in den ersten Jahren nach dem Tode der theueren Mutter wollte der schwer niedergebeugte Mann keine fremde Person in den Räumen, wo jene gelebt, dulden — nur sie, ihr Ebenbild, litt er um sich. Und so war es gekommen, daß das junge Mädchen in einem Alter, in welchem sich andern die Welt voll lauter Maien sonnenschein ausbreitet, ernste häusliche Pflichten zu erfüllen hatte. (Fortsetzung folgt.)