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Beilage zum Schönburger Tageblatt. 246 Sonntag, den 2V. October Eine Parthie über s Wasser. Lon James Foulton. Nachdruck verboten. Es war am Sonnabend Abend 7 Uhr. In der großen Eisengießerei war seit einer Stunde Feierabend, doch saßen die Arbeiter und Werkleute noch beim Glase Bier in den nahen Lokalen und schwatzten über Dies und Jenes. Das Hauptgespräch bildeten natürlich Er eignisse aus der Fabrik, und von diesen wurde wieder am meisten besprochen das Ausscheiden des Gießers Andreas Sachs aus dem Arbeiterverband. Andreas Sachs war seit seiner Entlassung aus dem Militär dienst in der Gießerei thätig, und in den seit diesem Termin verflossenen sieben Jahren hatte er sich nicht nur zum geschicktesten aller Werkleute ausgebildet, son dern er hatte auch unter seinen Kameraden eine Art von Respeclstellung sich errungen. Die Fabrikleitung und die Beamten schätzten den eifrigen und gewandten Arbeiter hoch und zahlten ihm auch seine Leistun gen in durchaus entsprechender Weise. Sachs konnte mit seinem Loose völlig zufrieden sein und er gab auch selbst zu, daß er keinen Anlaß zur Unzufrieden heit habe. Trotzdem schied er nun aus der Gießerei; kein Wunder also, daß man sich mit diesem Thema eifrig beschäftigte. Die Sache hatte nun freilich ihren besonderen Ha ken. Andreas Sachs hatte eines Abends vergnügt beim Glase Bier gesessen, als er mit einem fremden Herrn ins Gespräch kam. Es stellte sich bald heraus, daß jener ebenfalls in der Eisenbranche thätig war, und als Sachs nun ausführlicher über seine Stellung sich ausgelassen hatte, war der Fremde aufgesprungen und halte gerufen: „Ihr seid mein Mann! Mein Name ist Sam Thompson, habe ein hübsches Etablissement da bei Nem Aork und geschickte Leute kann ich immer gebrauchen. Kommt mit, zahle dreißig Dollars die Woche, sind einhundertzwanzig Mark. Besinnt Euch nicht lange, Mann, topp, schlagt ein! Nächste Woche reisen wir!" Andreas Sachs war auch emporgesprungen. Ein- hunderlundzwanzig Mark die Woche! In der Gießerei stand er sich viel, viel weniger. Dazu sprach der Fremde noch davon, daß er der erste aller Ar- beiier werden solle. Dem schlichten Manne, der sei nen gesunden Ehrgeiz aber hatte, wirbelte der Kopf. „Trinkt einmal, dann überlegt's sich rascher!" munterte Mr. Thompson auf, ihm das volle Glas reichend. Jener stürzte es hinunter, blickte sich aber immer noch zweifelnd um. Allerdings hatte er Niemanden, welcher ihm die Reise verwehren konnte, zarte Bande fesselten ihn auch nicht, aber der Abschied, die harte Trennung von der Heimat wurden ihm doch nicht so leicht, es kostete ihm gewaltige Mühe, die Zusage über die Lippen zu bringen. Aber dann einhunderizwanzig Mark die Woche! „Ja!" stieß er hervor. „Wort ist Wort?" fragte Mr. Thompson. „Wort ist Wort!" wiederholte Andreas, „abgemacht!" — „Seid ein ge- scheidter Mensch," lobte der Andere, „könnt es drüben zu etwas ganz Anderem bringen, als hier in Deutsch land. Werdet die Augen aufmachen, Mann. Aber trinken wir noch einmal und besprechen wir das Nähere." Nächsten Tages halte Andreas seinen Vorgesetzten in der Fabrik das Gesuch um sofortige Entlassung unterbreitet, zugleich sein Abkommen mit dem Ameri kaner erzählend. Der Gießereileiter ließ ihn selbst zu sich rufen: „Ich will Ihrem Glück ja nicht im Wege stehen," sagte er freundlich, aber an Ihrer Stelle würde ich mir Alles ruhig überlegen. 30 Dollars pro Woche ist viel Geld, aber die amerikanischen Ver hältnisse sind andere, als die unserigen. Zudem wissen Sie nicht, ob die Thätigkeit eine dauernde sein wird. Eine bedeutende Firma unter dem Namen Sam Thompson ist mir nicht bekannt, und wer weiß, ob man Sie nicht hinübenlootsen will, um Sie später zu zwingen, für jeden Preis zu arbeiten. Die Geschäfts lage ist in Nordamerika nicht besser, als bei uns, und man weiß dort ganz genau, daß die Arbeitslöhne sich nach den Preisen richten müssen. In jedem Falle werden wir Sie wieder aufnehmen, wenn es Ihnen drüben nicht mehr gefallen sollte. Höchstens, paß gerade Ihre jetzige Stelle besetzt ist, nnd Sie von vorn wieder anfangen müssen." Andreas Sachs hatte sich Manches von diesem schon selbst gesagt. Aber was wagte er denn? Der Fremde hatte einen so guten, treuherzigen Eindruck auf ihn gemacht, er hatte ihm seine Anstellung schriftlich ge geben, was war also zu riskiren. Daneben regte sich in ihm ein erklärliches Gefühl des Stolzes, daß der jetzige Brodgeber ihn nur ungern ziehen lassen wolle, und Alles zusammen genommen, bewog ihn, bei der Abmachung stehen zu bleiben. Er dankte für die Rathschläge des Fabrikdirectors, sagte aber, er sei nun einmal durch sein Wort gebunden und könne nicht mehr zurück. „Nun, dann viel Glück auf den Weg!", der Director drückte ihm herzlich die Hand, und ebenso herzlich war der Abschied von Vorgesetzten und Kame raden. Jeder sah ihn ungern scheiden. Andreas selbst war guten Muthes und versprach, eingehend über seine Aufnahme und Stellung drüben zu berichten. Ein paar guten Freunden wolle er schon noch Platz machen zu ähnlichen Bedingungen, erklärte er etwas prahlerisch. Damit schied er. Als nach drei Mona ten in der Gießerei noch kein Brief aus New-Jork außer der ersten kurzen Ankunftsmeldung eingegangen war, sprach man sich dahin aus, daß es dem Andreas doch gewaltig gut gehen müsse. Er habe sogar die alten Bekannten vergessen. Und dann dachte man weniger und weniger an ihn, vergaß ihn auch fast ganz, bis eines Tages die Erinnerung aufgefrischt wurde. Der Auswanderer hatte sich schnell und energisch durch alle die Klippen hindurchzuschlagen gewußt, die den Fremden in New-Jork bedrohen. Schnurstracks war er nach der bezeichneten Adresse gesteuert. Was er da vor sich sah, war ein rauchiges, düsteres Haus in einer rauchigen, düsteren Straße, in welcher aber alle Häuser mit bunten, grellbemalten Firmenschildern bedeckt waren. Er hatte Mühe, das richtige Haus zu finden. Man wies ihn auf den Hof, eine wacklige Treppe war hinanzukleltern, und richtig, da stand er vor einer Thür mit der Inschrift: Sam Thompson und Comp. Er klopfte. Niemand antwortete. Da drinnen war ein Höllenspektakel. Er klopfte nochmals. Abermals keine Antwort. Jetzt donnerte er gegen die Thür mit der ganzen Wucht seiner kräftiger Fäuste. Da ward sie aufgerissen, ein junger Herr stand in der Thü'.süllung und schrie zur Begrüßung: „Wollen Sie wohl die Thür etwas manierlicher behandeln, Sie — Sie . . .!" Den Schluß verschluckte er, als er die athletische Gestalt vor sich sah. Andreas Sachs trat ein. Nun sah er auch die Ursache des Spekta kels. Zwei junge Gentlemen führten eine Boxübung auf, bei der die umherstehenden Möbel manchen Stoß bekamen. Ein vierter Gentleman verfolgte mit kri tischen Blicken die Püffe, welche die Kämpfer sich ge genseitig versetzten. Das war die Morgenunterhaltung der Herren im Comtoir von Sam Thompson und Co. Das Aussehen des Zimmers entsprach im Ueb- rigen der Straße und dem Hause. Alle vier Herren sammelten sich jetzt um den er staunt umherblickenden Ankömmling. Sein Gruß wurde überhaupt nicht beantwortet. „Was wollen Sie?" begann der Thürösfner. — „Ich bin von Herrn Thompson in Berlin für seine Fabrik engagirt wor den," antwortete Sachs, „hier sind meine Papiere." Die Vier sahen sich blinzelnd an, man ergriff die Pa piere und zog sich in eine Ecke hinter einen Verschlag zurück. Andreas konnte sie dort nicht sehen, er Hörle nur ein Gekicher und Geflüster. Einmal vernahm er die Worte: „Da hat der Alle einen guten Fang ge macht, der Kerl hat Knochen wie ein Goliath." Er achtete nicht weiter darauf, uud da ihm Niemand einen Sitz anbot, setzte er sich solange aus einen wackligen Stuhl, bis die vier Herren es für gut befanden, aus ihrer gehcimnißvollen Ecke zu erscheinen, was nach etwa zehn Minuten der Fall war. „Es stimmt," begann der Wortführer von Neuem, „aber Sie bleiben nicht hier, sondern kommen in un ser Hüttenwerk in Thompson Hill." — „Davon weiß ich nichts," erwiderte Sachs erstaunt, „Herr Thomp son sagte mir ausdrücklich, bei New-Jork." Die vier Herren lachten. „Stimmt auch, mein Bester," hieß es dann. „Was sind denn lumpige 300 englische Mei len? Mr. Thompson hat natürlich angenommen, daß Sie um solche Lapalie nicht viele Worte machen werden. Wollen Sie aber nicht, gut, dann reisen Sie wieder nach ihrem vertrackten Deutschland zurück. Nun, wie stets?" — „Ich muß dann wohl," antwor tete der Gefragte finster, „aber ich werde mich bei Herrn Thompson beschweren." — „Thun Sie das nur, mein Bester, wenn Sie in Thompson Hill Geld zum Briefporto übrig haben. Nun noch einen Augen blick, ich werde Jemand rufen, der Sie zur nächsten Eisenbahnstation bringt." Verstimmt hatte der Deutsche New-Jork verlassen, und müde und malt kam er schließlich in Thompson Hill an. Seine Müdigkeit verging aber beim Er blicken des einsamen und traurigen Ortes, die Häuser fast alle nur Bretterbuden, Alles schwarz und rußig, und auf den Straßen Neger und langzöpfige Chinesen, die den Ankommenden wie ein Wunderlhier anschauten. Andreas Sachs trat in ein Schanklokal: „Ist das hier wirklich Thompson Hill?", fragte er, nachdem er für theures Geld ein Glas Brandy erstanden. „Na, was solls sonst sein", war die Antwort. „Mr. Sam hat das Ding vor einem Jahre erst gegründet, des halb siehts noch etwas ungemüthlich aus. Vielleicht wirds besser, vielleicht nicht. Was gehts mich au, wenn ich nur mein Geld verdiene." — „Das hätte ich doch nicht gedacht," platzte Sachs heraus. — „Für einen Gentleman freilich kein angenehmer Aufenthalt, darum haben wir auch fast nur Nigger und Chinesen hier, bis Sam Thompson uns wieder einmal einen „Grünen" schickt," schloß der Wirty lachend. Andreas Sachs horchte hoch auf: „Bis er einen „Grünen" schickt", hatte der Wirth gesagt? Ein Licht ging ihm auf, aber er war noch nicht muthlos und beschloß, sein Recht zu vertreten. Mit starken Schritten ging er auf das Hüttenwerk zu. Im Comtoir erwartete ihn ein derbknochiger Mann mit harten Zügen. Er las das dargereichte Papier. „Schön, daß Sie hier sind. Wir können Sie gerade brauchen. Sie bekommen 10 Dollars die Woche." — „Was", schrie Andreas, bei dem jetzt die Wuth überhand nahm, „Mr. Thompson hat mir 30 Dollars pro Woche zugesagt." — „Regt Euch nicht auf, Mann", sagte Jener kalt. „Wo ist der Vertrag?" — „Den behielt man in New-Jork." — „Macht nichts, ich habe einen Brief von Mr. Thompson, in welchem steht, Ihr solltet 30 Dollars erhalten, wenn, versteht mich wohl, wenn die Preise der fertigen Fabri kate darnach ständen. Das thuen sie aber nicht, also giebt es weniger. Verstanden? Ich will aber ein Uebriges thun, 15 Dollars die Woche, ja oder nein?" — „Denken Sie, Sie haben es mit einem „Grünen" zu thun?", tobte Sachs. „Ich werde Sie verklagen!" — „Meinetwegen, verklagen Sie uns, wenn Sie Geld haben, einen Advokaten zu bezahlen, und den Ausgang des Prozesses abwarten wollen", erwiderte der Ameri kaner unerschütterlich, „reisen Sie zurück nach New- Jork, sofort, wenn Sie wollen!" Bei diesem kalten Hohn kam Andreas Sachs erst zur Besinnung. Seine Baarmittel waren ja erschöpft, woher Geld nehmen zur Rückreise und gar zum Pro zesse? Daran war nicht zu denken. Und nach Deutsch land schreiben, den bisherigen Prinzipal um Hilfe bitten? Nein, um keinen Preis. „Gul denn, ich nehme vorläufig die 15 Dollars pro Woche an, aber spä ter —" — „Ich sehe, Ihr seid ein vernünftiger Mensch," lobte der Andere. „Culculire, daß es Euch recht gut hier gefallen wird, und wir auch gut mit einander fertig werden. Da, nehmt zum Anfang einen guten Tropfen." Damit goß er ein Glas voll Brandy, Sachs trank es aus und ging an seine Arbeit. Sie war bitlersauer, und mit den Schwarzen und Chine sen fertig zu werden, das war fast noch ein größeres Kunststück. Aber wenn es das nur allein gewesen wäre! Das Leben im Orte war für Jemand, der an regelrechtes Essen und Trinken und gute Mahlzeiten gewöhnt ist, ganz außerordentlich theuer, es war für den Deutschen unmöglich, unter zwölf Dollars pro Woche auszukommen. Und er mußte und wollte doch bei Kräften bleiben. So blieben ihm noch drei Dol lars für Kleidung und gelegentliche Ausgaben. Trotz der äußersten Genauigkeit gelang es ihm im Durch schnitt nur 1 bis 2 Dollars pro Woche zurück zulegen, um sie sür die Heimreise verwenden zu können; denn daß er an diesem Orte nicht länger als unbedingt nothwendig war, verblieb, das stand bei ihm fest. Er erfuhr auch bald ge- genug, daß er nicht der Erste war, der auf die be kannte Weise in den weltentlegenen Ort spedirt worden war, Mr. Sam Thompson verstand seine Sache. Weiße Arbeiter waren nur Wenige vorhanden, und diese meist halbverkommene Personen, die den Abend beim Schnavsglase und bei den Karten verbrachten. Ihre Gesellschaft widerte den Deutschen ebenso an, wie die der Schwarzen und Neger, und seine Sehn sucht nach Hause wuchs von Tage zu Tage. Aber so rasch sollte sie nicht erfüllt werden. Eines schönen Morgens gab es in Thompsons Hill einen gewaltigen Lärm, der Compagnon der Firma, welcher das Werk geleitet, war nicht aufzufinden; aber statt seiner trafen Gläubiger und Gerichtsbeamte ein, welche das Ganze mit Beschlag belegten. Alle Arbeiter wur den ohne weitere Umstände entlassen, die schöne Grün dung war verkracht. An eine Zahlung des rückstän digen Lohnes war nicht zu denken, der saubere Prinzi pal hatte die Kasse vor seiner Abreise gar zu gründ-