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überwacht, aber zwei Tage später entwischte er und stürzte sich abermals ins M-er. Er wurde wiederum an Bord gebracht und während der übrigen Reise streng bewacht, um einen dritten Selbstmordversuch zu verhüten. Das dänische Königspaar hat nach eintägigem Aufenthalt in München von dort seine Fahrt nach Athen fortgesetzt. Die nächste Station wird in Bo logna gemacht werden. Eine neue Kaiserzusammenkunft in Aussicht! Ein Beweis für den höchst befriedigenden Bcrlauf der Kaisertage in Berlin ist, wie die „Post" mitlheilt, daß die beiden Kaiser sich nicht getrennt haben, ohne bereits eine neue Zusammenkunft zu vereinbaren. Kaiser Alexander hat den Kaiser Wilhelm gebeten, den großen Manöver» beizuwobnen, welche im nächsten Sommer in Rußland stattsinden werden und unser Kaiser hat diese freundschaftliche Einladung auf das Bereitwilligste angenommen. Der Kaiser von Rußland hat folgendes Tele gramm an das Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier- Regiment Nr. 1 in Berlin gelegentlich dessen 75jäh- rigen Jubiläums gerichtet: „Telegramm aus Lud wigslust, 15. October 1889. Dem Commandeur des Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regimentes. Zur 75jäyrigen Jubiläumsfeier sendet der Chef feine besten Glückwünsche dem ruhmreichen Regiment und erinnert sich mit besonderem Vergnügen der srohen Stunden, die er inmitten seiner Grenadiere zugebracht hat. Alexander." Eine große conservative Parteiversammlung fand Freitag Abend in Berlin statt, in welcher die Zustimmung zu der bekannten Kundgebung im „Reichs anzeiger" ausgesprochen wurde. Professor Wagner hielt den Vortrag. Nachdem die christlich-sociale Par tei in Berlin ihre Parteiversammlungen eingestellt hat, ist der deutsche Antifemitenbund um so lebhafter. Herr Stöcker wird in gleichem Maße gefeiert, wie das Kar tell angegriffen wird. In der letzten Versammlung wurde auch der Kaiser Alexander ganz besonders als „Antisemit auf dem Throne" verherrlicht. Mit dem 15. October war das erste Jahr seit der Einbeziehung Hamburgs in den deutschen Zoll verband verflossen. Der Großhandel hat sich durch den Zollanschluß nicht betroffen gefühlt, da ihm in dem Freihafengebiet die unbeschränkte Bewegungsfrei heit gewährleistet worden ist; mit der Zollkontrolle der landeinwärts gehenden Waaren hat er sich auch bereits vertraut gemacht, zumal da diese Controlle sich in recht coulanter Weise vollzieht. Das Kleingeschäft hat außerhalb Hamburg's neue Kunden gewonnen, freilich haben sich auch die Geschäftsunkosten vermehrt, La die Saläre gestiegen sind. Der Zoll hat selbst verständlich manche Consumartikel vertheuert, aber man hofft, daß hier im Laufe der Zeit ein größerer Aus gleich eintreten wird, als er bisher zu bemerken ge wesen ist. Der deutsche „Reichsanzeiger" bringt über die Land- tagsersatzwuhlen im Königreiche Sachsen folgende Zeilen, die im Hinblick auf die bevorstehenden allge meinen Neuwahlen zum Reichstage von besonderer Be deutung sind: „Das Wahlergebniß ist ein solches, daß die Anhänger der Ordnungsparleien keinen beson deren Anlaß haben, des Tages mit Stolz zu geden ken. Zwar haben die Carlellparteien von den Wahl kreisen, die sie bisher innegehabt, nur zwei verloren und dafür einen neu gewonnen, so daß der thatsäch- liche Verlust sich nur auf einen Kammersitz beläuft, aber daß sich als Ergebniß ein wenn auch noch so ge ringer Verlust anstatt eines Gewinnes ergiebt und daß in manchen Kreisen der Steg der Ordnungspar- teieu durchaus kein glänzender gewesen ist, das kann nur als höchst bedauerlich bezeichnet werden. Und die ses Bedauern steigert sich nur, wenn man sieht, daß an dem mehr oder weniger unerfreulichen Ergebnisse doch wieder lediglich die Trägheit Ler Wählerschaft die Schuld trägt. Zwar ist in den meisten Wahlkreisen eine etwas regere Beteiligung, als bei den letzten Wah len zu verzeichnen, noch immer aber ist das Verhält- niß der abgegebenen Stimmen zu der Zahl der Wahl berechtigten ein außerordentlich schlechtes." Eins ist je denfalls gewiß: leicht wird der bevorstehende Reichs tagswahlkampf nicht werden, und wenn sich unser Land Len Ruhm, den es vor drei Jahren erworben hat, auch diesmal erhalten will, dann müssen die Freunde der Ordnung in ganz anderer Weise auf dem Posten sein, als es jetzt der Fall gewesen ist. Folgendes Erkenntniß des preußischen Oberverwal- lungsgerichtes über das Züchtigungsrecht der Lehrer ist auch für weitere Kreise von größerem Interesse. Es lautet: Der Lehrer ist zur Vornahme empfindlicher körperlicher Züchtigung berechtigt. Eine merkliche Ver letzung ist eine solche, durch welche Gesundheit und Le ben des Schülers gefährdet erscheint. Blutunterlau fungen, blaue Flecke, Striemen für sich allein gehören nicht hierzu; denn jede empfindliche Züchtigung, und zu einer solchen ist der Lehrer berechtigt, läßt derartige Erscheinungen zurück. Der Lehrer ist nicht straffällig, wenn er einen Schüler, der einer anderen Klasse an gehört, züchtigt, auch kann die Züchtigung außerhalb des Schullokales stattfinden. Das Verhalten des Schü lers außerhalb der Schule unterliegt ebenfalls der Schulzucht, was so oft von den Eitern gerade bestrit ten wird. Dasselbe Züchtigungsrecht hat auch der Geistliche bei Ler Ertheilung des Confirmanden-Unter- richts. Die Schulzucht kann nur dann Gegenstand einer gerichtlichen Verfolgung werden, wenn eine wirk liche Verletzung des Schülers stattgefunden hat. Aus Berlin wird der „Pol. Corr." geschrieben, daß die weitgehenden Absperrungsmaßregeln beim Be such des Czaren ausdrücklich auf Verlangen der russi schen Polizeibeamten getroffen wurden. Darunter be finden sich aber mehrere ehrgeizige Personen, welche die dem Czaren drohenden Gefahren weit übertreiben, um ihre Verdienste in das rechw Licht zu stellen. Trotzdem ist die Berliner Polizei den russischen Wün schen unweigerlich nachgekommen. Ueber Len Entwurf Les neuen deutschen bürger lichen Gesetzbuches Hal sich der berühmte Rechts - lehrer, Professor von Windscheid, bei einem Festmahl zu Ehren des Oberlandesgerichtspräsidenten Or. Alb recht in Frankfurt a. M. vor dortigen Juristen fol gendermaßen ausgesprochen: „Sollten unsere Hoff nungen wieder getäuscht werden, sollte ein deutsches bürgerliches Gesetzbuch nicht auf Ler Grundlage des jetzt vorliegenden Entwurfs zu Stande kom men können? Eines Entwurfs, Ler unter dem Vorsitz eines Mannes, wie Pape, zu Stande gekom men ist, der an Wissen, praktischem Sinn, Denk- und Arbeitskraft kaum seines Gleichen hat! Man ändere und verbessere den Entwurf ich gebe: „Kauf bricht Miethe," und ich weiß nicht, wie vieles Andere, preis. Dian bringe sich zum Bewußtsein, daß, wenn das Ge setzbuch auf Grund des vorliegenden Entwurfs nicht zu Stande kommt, es überhaupt nicht zu Stande kommt. Jeder andere Entwurf würde in der gleichen Weise angegriffen werden, eine vollständige Einigung der Meinungen ist nicht zu erzielen. Jeder muß re- sigmren, damit endlich ein deutsches bürgerliches Ge setzbuch zu Stande kommt. Ein einiges bürgerliches Recht für das einige deutsche Volk. Bedenken Sie auch Las, haben wir ein deutsches bürgerliches Gesetz buch, so haben wir auch eine einige deutsche Wissen schaft des bürgerlichen Rechts, nicht mehr eine preu ßische, bayerische, sächsische n. s. w., sondern eine deutsche. Alle wissenschaftlichen Kräfte werden auf das eine Werk concentrirt sein, und ohne eine ihm zur Seite stehende, nach- und ausdenkende Wissenschaft vermag kein Gesetz buch etwas." Die freiconscrvativen „Hamb. Nachr." kündigen neue Reichssteuern als sehr wahrscheinlich an. Das Blatt stellt fest, daß die Jahrcseinnahmen aus der neuen Branntwein- und Zuckersteuer 102 Millionen Mark betragen. Diesen Mehreinnahmen stehen aber bereits 89 Millionen Mehrausgaben gegenüber, so daß also den Einzclstaaten nur noch 13 Millionen zu Gute kommen. Im nächsten Jahre werden sie auch diesen Ueberschuß nicht mehr erhalten, weil abermalige Mehr ausgaben für Pensionen, Neuanschaffungen rc. in Aus sicht stehen. Sollten diese Mehrausgaben die Summe von 13 Millionen überschreiten, so stehen wir wieder vor der Frage, ob das alsdann entstehende Deficit durch neue Reichssteuern oder durch die Einzelstaaten gedeckt werden soll. Wie erinnerlich, hat sich Finanz minister von Scholz erst in der letzten Session dahin ausgesprochen, daß an den Ueberwetsungen, welche den Einzelstaaten aus der Reichskasse bisher zugegangen sind, nicht gerührt werden dürfe, daß also das Reich, wenn es seine Ausgaben erhöht, gezwungen sein werde, seine Einnahmen zu erhöhen." Oenerrct^-NngKrr. In der Wiener Hofburg sand am Freitag abermals ein Ministerrath statt. Auf den Wunsch des un garischen Ministeriums ist beschlossen worden, daß die Benennung Ler Armee fortan nicht mehr „Kaiserlich- Königliche" sein soll, sondern „Kaiserliche und König liche". In dieser Aenderung liegt lediglich eine Rück sicht auf das Königreich Ungarn. Weiter hat die Sache keinen Zweck. Frankreich. Fürst Ferdinand von Bulgarien lebt in Paris im strengsten Jncognito. Donnerstag Abend begegnete er durch Zufall im Vaudeville-Theater dem Könige Milan von Serbien, mit dem er sich einige Minuten unterhielt. Heute Sonnabend will er zum Grafen von Paris nach England reisen. Es wird jetzt wieder bestritten, daß die Reise mit Finanzangelegenheiten zu- sammenhängt und dieselbe einfach als ein Verwandten besuch hingestellt. Im Figaro schlägt ein Osficier vor, Frankreich und Deutschland sollten ihren Hader durch ein Gottesge richt entscheiden, nämlich durch eine Schlacht, an wel cher von jeder Seite 100,000 Mann theilnehmcn sollten. Die Deutschen sollen sich sogar noch durch 10,000 Italiener verstärken. Was für wunderliche Gedanken nicht Alles in der Welt auftauchen! Die Regierung befürchtet ernstlich den Ausbruch eines allgemeinen Bergmannsstreiks in Nord- Frankreich. Die Verdoppelung des 6. Armeecorps ist angesichts der Errichtung eines neuen Armeecorps im Elsaß beschlossene Sache. Außerdem will man zwei mit der Grenze gleichlaufende Bahnlinien von Lille nach Lyon und Besancon bauen, um eine etwaige Mobilmachung zu beschleunigen. Italien. Das deutsche Kaiserpaar wird in Mailand von den bürgerlichen und militärischen Spitzen der Stadt erwartet werden. Der Bürgermeister der lombarischen Metropole wird dem Kaiser im Namen der Stadt eine Adresse überreichen. Bestimmt kommt das Kaiser paar nach Como und wird von dort wahrscheinlich Bellaggio und Lecco besuchen. Pariser Blätter kündig n vorsichtig an, Frankreich werde den Schutzvertrag König Meneliks von Abessy- nien mit Italien möglicherweise nicht anerkennen. Die römischen Blätter äußern sich darüber sehr er bittert. 800 französische Pilger sind in Rom eingetroffen. Die Mehrzahl derselben sind vom Papste bereits em pfangen worden. König Humbert von Italien bringt für die Aus schmückung von Schloß Monza zu Ehren seiner kaiser lichen Gäste sehr große Opfer. Aus Genua sind dort hin für die Kaiserin Augusta Viktoria 200 Kamelien gesandt worden. Nichland. Die socialen Verhältnisse in Rußland sind schon längst als traurige bekannt, aber selten ist dies mit solcher Kraft hervorgehoben, wie von dem Erzbischof Nikanor in Odessa es j-tzt geschehen ist. Der hohe Kirchenfürst entrollte mit schonungsloser Offenheit ein Bild der Zustände unter den arbeitenden Theilen der Bevölkerung, besonders des Bauernstandes. In scharfer Weise stellte der Erzbischof die Dörfer der deutschen Kolonisten in Süd-Rußland den einheimischen gegen über, betonte er, wie die Juden und sogar die muhame- danischen Tartaren sich auf eine höhere, menschenwür digere Stufe emporarbeiteten. Bei den deutschen Bauern herrscht überall Ordnung, Regelmäßigkeit, Wohlstand, die russischen sind voller Nachlässigkeit, Aermlichkeit, Unordnung. Deutsche, Juden und Tar taren werden reich, die Russen verarmen und müssen als Knechte und Arbeiter bei den Fremden sich ver dingen. Die Gründe für diese Zustände sieht der Erzbischof zunächst in der zunehmenden Unkirchlichkeit, dann aber in der furchtbaren Trunksucht, Trägheit und Verachtung aller Schulbildung. Es giebt genug Freischulen, aber Lie Bauern sind absolut nicht zu be wegen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, sondern verdingen sie schon mit zehn Jahren gegen Tagelohn. Der Prälat sagt, daß diese Zustände zu einem Ende mit Schrecken führen müßten, denn so müsse der russi sche Bauernstand unbedingt untergehen. Portugal. Der Zustand des Königs Ludwig ist fortwährend schlecht. Der Monarch ist bewußtlos, und die Aerzte geben fast keine Hoffnung mehr. Türkei. Große Anstrengungen werden in Konstantinopel ge macht, um di. türkischen Panzerschiffe zu dem bevor stehenden Besuche des Kaisers Wilhelm in den gehörigen Stand zu setzen. Vier Fregatten werden die kaiserlichen Jachten „Sultanieh" und „Stambul" bis zur Höhe von Tenedos begleiten, wo sie das kaiser liche Geschwader abwarten werden. Der Großvezier, die Minister des Krieges, der Marine und des Aus wärtigen, sowie die in türkischen Diensten befindlichen deutschen Officiere werden sich an Bord der Dachten befinden. Auf dem Bosporus wird ein Feuerwerk zu Ehren des Kaisers abgebrannt und die Stadt beleuchtet werden." Die 30,000 Mann Soldaten, welche vor dem Kaiser zur Revue erscheinen werden, erhalten sämmtlich neue Uniformen. Ans dem MuLdentlMLe. "Waldenburg, 19. October. Die Einwohner Langenchursdorfs werden demnächst ihren langjährigen allverehrtcn Seelsorger, Herrn Pastor Kaiser, scheiden sehen. In der am 16. d. in Reichenbach i. V. ab gehaltenen Kirchenvorstandssitzung wurde tm Einver- ständniß mit der Collaturbehörde die Berufung des Herrn Pfarrer Kaiser einstimmig beschlossen. *— Heule fand im Rathskeller hierselbst von vor mittags 11 Uhr an eine Vorconferenz der Bezirks- Stcuerinspectoren und verschiedener Interessenten aus den Steuerbezirken Glauchau, Chemnitz, Zwickau und Rochlitz statt. *— In einem Inserat des „Peniger Tageblattes" vom Donnerstag, überschrieben: Dank und Abwehr, behauptet Herr Rechtsanwalt Dr. Meischner daselbst, das „Vaterland", die „Dresdner Nachrichten" das „Schönburger Tageblatt", der „Bornaer Bezirksan zeiger" und dessen „Langenleuba-Niederhainer" Absen ker hätten sich nicht entblödet, eine ihm als Stadtver-