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Der neueste Reichsbankausweis verzeichnet eine steuer« freie Notenreferve von 236^/, Mill. Mk. gegen nur 148,4 Mill, in der vergangenen Woche. Die allgemeine Besserung besteht in der Hauptsache aus der Zunahme des Metall bestandes um 31,3 auf 1005,4 Mill. Mk. Jedoch ist der Stand nicht so günstig, wie im vorigen Jahre zu dieser Zeit. Ter Wechseldestand ist größer, die Wechselkurse sind wenig günstig. Ein Grund zur Aenderung des Diskontsatzes liegt aber nicht vor. Oesterreich-Ungarn. In Ungarn herrscht die „kalte Revolution". Allen Mahnungen und Drohungen der Regierung gegenüber setzen die städtischen Behörden ihren passiven Widerstand fort, indem sie es selbst unterlassen, die freiwillig eingezahlten Steuer- beitrüge der Staatskasse auszufolgen. Ter Untrrrichtsminister Lucacs hat daher ganz recht, wenn er einem Ausfrager er klärte, es blieben der Krone nur noch drei Möglichkeiten übrig: entweder der Monarch genehmige die Forderungen der Opposition, oder er danke ab, oder aber er betrete den absolutistischen Weg. Da eine Genehmigung der magyari schen Forderungen gleichbedeutend mit der Auflösung der Doppelmonarchie wäre, so bleibt dem Kaiser eigentlich nur einer von den beiden letzteren Wegen, insbesondere die Er greifung von Gewaltmitteln übrig. Frankreich. Ueber Streikunruhen wird aus Paris berichtet: Tie durch den Ausstand der Hüttenarbeiter in Longny geschaffene Lage wird als recht bedenklich geschildert. Die Ausständigen versuchten mehrere Hochöfen auszulöschen, bedrohten in Hunigy den Fabrikdirektor und bewarfen die die Fabrik be wachenden Truppen mit Steinen. Es kam zu mehreren Zu sammenstößen, wobei 15 Ausständige erheblich verletzt wurden. Spanien. Die Not in Spanien steigert sich immer mehr. In Sanlucar-Arjes in der Provinz Cadiz hat die Arbeiter bevölkerung die Bäckereien gestürmt, um sich Brot zu ver schaffen. Die Not, eine Folge der Türre und Mißernte, wird durch Hitze, die bis 48 Grad Celsius im Schatten er reicht, und durch Wassermangel noch empfindlicher. Es gibt Revolten der Leute, die sich Wasser holen wollen und die Brunnen gesperrt finden. In Madrid beträgt die Sterblich keit 40 bis 42 vom Tausend. England. Im englischen Unterhause hat der Ministerpräsident Bal- four dieser Tage bei mehreren Abstimmungen, sogar solchen über die Jren-Frage, Mehrheiten erhalten. Er ist jetzt oben auf. Schweden-Norwegen. Der Sturz des schwedischen Ministeriums ist darauf zurückzuführen, daß der erst seit dem April im Amte befind liche ziemlich unfähige Ministerpräsident Ramstedt sich durch den Beschluß Norwegens, die Union mit Schweden zu lösen, völlig hat überraschen lassen. Diesem Kabinett, das von Anfang an bestrebt war, nach Möglichkeit versöhnlich zu wirken und eine friedliche Schlichtung des Konflikts selbst unter Preisgabe gewisser weitgehender Forderungen des schwedischen Nationalstolzes zu erreichen suchte, gehen die Ausschußbeschlüffe zu weit, obwohl auch diese die Notwendig, keit der Trennung unter erfüllbaren Bedingungen anerkennen. Türkei. Zu dem Anschlag gegen den Sultan wird aus Kon stantinopel berichtet, daß ein Deutscher, der Lehrer Hans Heller aus Nürnberg, verhaftet worden ist. Er wohnte dem Selamlik außerhalb des für die Zuschauer bestimmten Raumes bei und machte sich bei der türkischen Polizei da durch verdächtig, daß er gleich nach dem Attentat eine Skizze aufnahm und photographieren wollte. Der deutsche Vertreter hat sich seiner angenommen, um die Freilassung zu erwirken. Hinzugefügt sei, daß sich die deutschen Offiziere bei dem Anschläge in großer Gefahr befanden, da sie zwischen dem Punkt der Sprengung und dem Sultan standen, etwa 10 Meter vom Sultan und 15 Meter vom Punkt der Sprengung entfernt. Keiner von ihnen ist indessen verwundet worden. Rußland. Die inneren Wirren in Rußland nehmen kein Ende. Besonders arg geht es fortgesetzt im Kaukasus, sowie in Russisch-Polen zu. Tiflis, Warschau, Lodz, Sosnowice rc. bilden täglich den Schauplatz von Bombenattentaten, Revolver schüssen und blutigen Zusammenstößen. Auch die Arbeiter ausstände dauern fort. Tie in Moskau versammelt gewesenen Vertreter der Semstwos (Gemeindebehörden) sind in ihre Heimatsorte zurückgekehrt und wollen dort für ihre weitgehenden Reform forderungen Propaganda machen. Ueber die Bulyginschen Reformenlwürfe herrscht allgemeine Enttäuschung und Er bitterung. Wohlhabende Russen kommen in Menge nach Berlin und siedeln sich dort an. Sie sind wegen Unruhen aus Rußland ausgewandert und stellen unter den Wohnung- Suchenden ein starkes Kontingent dar. Tie armen Russen beglücken namentlich Ungarn und die Balkan-Länder mit ihrem Besuch. Während das Organ der französischen Regierung, der Pariser „Temps" erklärt, der Präsident des russischen Minister komitees Witte habe in Paris weder politische noch finanzielle Verhandlungen geführt, sondern sich bei seinen Zusammen künften mit zahlreichen politischen und finanziellen Persön lichkeiten lediglich auf Gespräche beschränkt, wußte man an der Börse schon ganz genau, daß Witte bei dem französischen Ministerpräsidenten Rouvier das Versprechen einer russischen Anleihe von 375 Millionen Franken durchgesetzt habe. Unmittelbar vor seiner Abreise nach Cherbourg ließ der russische Bevollmächtigte Witte im Pariser „Figaro" einen Artikel veröffentlichen, in dem es nach der „Voss. Ztg." heißt: Man würde Rußland schlecht kennen, wenn man glaubt, daß es den Frieden um jeden Preis verlangen muß oder dazu gezwungen ist. Die Konferenz ist in dieser Form von Japan verlangt worden. Was will Japan? Man weiß es nicht; darum konnte der Zar seinem Minister keine förm lichen Unterweisungen geben. Er hat ihn nur nach Amerika geschickt, damit er hört und wiedersagt. Der Zar allein wird antworten. Die finanzielle und innere Lage Rußlands beurteilt man aus der Ferne schlecht. Von den 136 Millionen Russen nehmen nur einige Tausend an den Ruhestörungen teil, die ungeheure Mehrheit bleibt ihnen fern. Rußlands Hilfsquellen an Menschen sind unerschöpflich, an Geld an sehnlich. Auch auf sich allein angewiesen, würde Rußland das nötige Geld zur Weiterführung des Krieges aufbringen. Zwingt Japan Rußland dazu, würde Rußland außerordent- ltches leisten. Ter Frieden hängt also nur von der Ver ständigkeit der Japaner ab. Wir wollen gleichwohl hoffen, daß es auch die Russen an der notwendigen Verständigkeit nicht fehlen lassen werden. Amerika. Tas japanische Mitglied der Friedenskommission, Sato, äußerte sich im Namen Kamuras bei einer Unterredung fol- gendermaßen: „Ich glaube bestimmt, daß die Verhand lungen erfolgreich sein werden. Es werden keine über triebenen Forderungen gestellt werden. Die Stimmung Japans und Rußlands ist dem Frieden günstig. Beide Parteien haben 570,000 Mann verloren, wovon 370,000 Mann auf Rußland entfallen. Ter Krieg kostet Japan täg lich eine Million Dollars und es herrscht die Meinung, daß eine Kriegsentschädigung gezahlt werden muß. Ferner er klärt Sato, daß der Abschluß eines Waffenstillstandes wahr scheinlich der erste Schritt der Friedensunterhändler sein werde. Die Japaner wünschten den Frieden, aber nicht den Frieden um jeden Preis. Aus dem Muldentale. "Waldenburg, 27. Juli. Das Wetter hat sich seit gestern erfreulicherweise gebessert. Es ist prächtiges Ernte wetter eingetreten, durch welches nunmehr die Möglichkeit gegeben ist, den Getreidesegen ungestört unter Dach und Fach zu bringen. Leider fehlt es überall auf dem Lande an geeigneten Arbeitskräften, Niemand mag sich mehr der schweren, aber doch so gesunden Feldarbeit unterziehen. Die Kartoffelernte verspricht ebenfalls guten Ertrag; infolge der reichlichen Feuchtigkeit sind die Pflanzen kräftig gewachsen und haben zahlreiche Knollen angesetzt, die zum Teil von ansehnlicher Größe sind. Der jetzigen Schweinenot wird infolgedessen in kurzer Zeit abgeholfen sein. *— Die 3. Klaffe der 148. Kgl. Sächs. Landes-Lotterie wird am 9. und 10. August gezogen. *— In einer am Sonntage in Falken im Görner'schen Gasthofe stattgehabten Versammlung von Vertrauensmännern der vereinigten Ordnungsparteien wurde Herr Fabrikant Bahner aus Oberlungwitz als Kandidat für den 38. länd lichen Landtagswahlkreis aufgestellt. Von sozialdemokratischer Seite aus ist Herr Emil Haubold aus Chemnitz als Kan didat nominiert worden. *— Ein Ehemann, dessen Frau bei einer Eisenbahnfahrt tödlich verunglückte, erhob Anspruch gegen den Eisenbahn fiskus, den er durch alle Instanzen verfocht. Schließlich wurde vom Reichsgericht durch Urteil vom 24. Mai 1905 die Revision des Klägers zurückgewiesen. Der klassische Schlußsatz dieses Urteils lautet wörtlich: „Einen Schaden hat aber die Frau, da sie getötet worden, nicht erlitten; nur das Fahrgeld könnten ihre Erben oder der Kläger auf Grund des ehelichen Güterrechts zurücksordern; einen solchen An spruch aber haben die Kläger nicht erhoben." Also nach Ansicht des höchsten deutschen Gerichtshofes erleidet jemand, der getötet wird, keinen Schaden, ebensowenig die Kinder, die ihre Mutter verlieren und der Mann, der seine Frau verliert. Tas Urteil gleicht demjenigen, nach welchem hxr Diebstahl von elektrischem Strom kein Diebstahl war. *— Die Monate Juli und August sind für den Liebhaber und Erforscher von Sternschnuppen die dankbarste Zeit im ganzen Jahre. Eine ganze Reihe von Meteorschwärmen kommen in diesen Wochen in größte Erdnähe und liefern ihren Tribut an unsern Planeten ab. Auch der Himmel pflegt durch Klarheit der Beobachtung der Sternschnuppen günstig zu sein. Da endlich auch der Aufenthalt zur Nacht zeit im Freien nie angenehmer ist, als im Hochsommer, so trifft alles, zusammen, um auch den Nichtfachmann zu ver locken, daß er Beobachtungen über die Meteore anstellt. Die eigentliche Jagdzeit für die Sternschnuppen beginnt mit der dritten Juliwoche, wenn die Nächte dunkler werden. Dann zeigen sich die ersten Vorläufer der Perseiden, des berühmten Tränenstroms des heiligen Laurentius, der aber erst am 12. und 13. August seinen Höhepunkt erreicht. Dazu kommen wohl noch gelegentlich Meteore aus den Sternbildern des Wassermanns, Bogenschützen, Pegasus, Unterhaltungsteil. Aus gutem Hause. Novelle von C. Zöller-Lionheart. 21) (Fortsetzung.) „Und sind es doch ganz und gar in jedem Gedanken und mit jedem Atemzug." Und als sie unmutig errötend das Haupt wenden wollte, setzte er erläuternd zu: „Das Panier, das jeder moderne Mensch heutzutage un verfroren hochhebt, ist der Egoismus, der Egoismus niedri gerer oder höherer Natur, und unsere gefeierten Modedichter Preisen als neues Evangelium die Ichsucht von den Bühnen herunter. Tie Ichsucht in dem Selbstbestimmungsrecht. Kennen Sie Ibsens Glaubensbekenntnis, sein Evangelium, wodurch er die irrenden Menschen zu bekehren sucht? — Die Freimachung des Individuums ist es von allgemcin- giltigen Gesetzen, als da find: — Das Sakrament der Ehe, das Herkommen, wodurch er die allgemeine Glückseligkeit herbeiführen will." Tann mit starker Stimme, daß das Kind entsetzt die Augen aufriß, das Köpfchen schlaftrunken hin und her pendeln ließ, bis es an seinem Halse wieder ein sicher geborgenes Ruheplätzchen fand. „Und nein, tausend mal nein, rufe ich dem entgegen. Die allgemeine Zer setzung der menschlichen Verbindung hätte dieses Sich-per- sönlich-nur-ausleben-wollen zur Folge, und deshalb nenne ich Sie einen unmodernen Charakter, der seine Selbstheit auslöscn will für das Wohl der Seinen, der für sein Ich seine Bedeutung, seine Berücksichtigung fordert, ja, der sich erst befriedigt fühlt in der schrankenlosen Hingabe an die sich selbst gestellte Aufgabe." „Dazu hat mich das Beispiel im Elternhause erzogen," sagte Elisabeth, jedes Lob dadurch ablehnend. „Ja, ich höre, Ihr Herr Vater hat kommunistische Ideen." Elisabeth lachte laut auf. Es war das freudlose Lachen, das er von früher her kannte. „Also ist die Fabel auch zu doch unerschütterlichen Vorurteilen mit Gleichgilligkeit, aber bei Ihnen möcht' ich, daß Sie diesen Edelsten der Menschen doch gerechter beurteilen lernen." „O, ich habe nichts Böses damit gemeint," entgegnete Ludolf. Elisabeths Stimme zitterte nun doch von leichter Erregung, als sie schnell erwiderte: „Nennen wir das Kind unerschrocken bei seinem häßlichen Namen. Man hat Ihnen den Vater als Sozialdemokrat, als einen Aufwiegler gegen Gesetz und bestehende Ordnung geschildert, und ich versichere Ihnen, er ist es nicht mehr oder minder als Sie." „Dann aber . . ." begann Ludolf zögernd. Toch das junge Mädchen achtete nicht auf die Unterbrechung. Eifrig fuhr sie fort: „Mein lieber Vater lebte lange Jahre hindurch recht und schlecht wie jeder andere, der seinen Beruf aussüllt, und der keine Zeit übrig hat, links oder rechts nach seinem Neben mann zu schauen. Er hielt sich, wie ich mir sagen ließ, so gar geflissentlich jedem politischen Treiben in seinem da maligen Wohnorte fern und soll sich dadurch bei den herr schenden Parteien schon etwas verdächtig gemacht haben, die ihn gern für sich gewonnen hätten, weil er eine beliebte und einflußreiche Persönlichkeit gewesen sein soll. „Kinder, ich hab zu viel mit dem leiblichen Wohl der leidenden Menschheit zu tun, um mich auch noch um ihr politisches zu kümmern," hatte er gesagt und sie damit resolut abgewiesen, , bis — bis die traurige Zeit kam. Sie kennen die Ursache?" ! „So ungefähr," gab Ludolf peinlich verlegen zurück. ! „Sie wissen, daß für meinen Vater doch eine Zeit kam, i wo er wenig zu tun hatte, weil er es mit einem Großen ! dieser Erde verdorben hatte. Tie zimperliche Frau des Oberbürgermeisters rief seine Ungeduld hervor. Einer der ! Sanftmütigsten war er in seiner damals schon gereizten § Stimmung wohl überhaupt nicht mehr. Man hat es von ! dieser feindseligen Seile aufzubauschen gesucht, als wäre er iin Trunkenheit brutal gegen eine Todkranke geworden, die zu damaliger Zeit auch nicht die leisesten Symptome der ihnen gedrungen? Im allgemeinen begegnen wir solchen später hinzugetretenen Krankheitserscheinungen bot. Sie ver ¬ stehen mich wohl," unterbrach sie sich tief errötend. „Es vollzog sich dort einer jener Naturprozesse, die ohne schädlich Hinzutretendes ganz normal zu verlausen pflegen. — Bitte, schwenken Sie links ab. Der Weg führt direkt auf unser Haus zu. — Kurz, mein armer Vater mußte den traurigen Ausgang entgelten, man zog sich allerorten von ihm zurück. Stellen Sie sich nun einen Feuergeist ohne befriedigende Tätigkeit vor, eine übernormale physische und moralische Kraft, die gewohnt war, sich auszuleben und die man nun zum Stillstand verdammte. Ein schäumendes Wasser, dem man plötzlich den Ausgang verrammelt, steigt über die Ufer, nicht wahr? So sind es die Ideen meines Vaters, die ost einen unbeschreiblich stürmischen Ausdruck finden. Durch das eigene, unverdiente Leid waren ihm die Augen erst in unfreiwilliger Muße geöffnet worden für den Jammer der Menschheit. In seiner Verbitterung grub er sich da förmlich ein und ging all den schlimmen Wegen nach, die in die Höhlen des menschlichen Elends führen. Die Herrschaft der Starken über den Schwachen rief seine heiligste Empörung hervor. Er machte sich zum größten Vormund des Unterdrückten und suchte ihm zu Helsen, wo es immer möglich war, er trat für ihn ein in Wort und Schrift. Er ist einer von den vielen, die man durch blinde Verurteilung, durch Ungerechtigkeit zu leidenschaftlichen Verteidigern der Sache aller Unschuldig leidenden gemacht hat. Wenn das Auflehnen gegen die Staatsgewalt ist," schloß sie in flammender Beredsamkeit, dann ist jeder Menschenfreund ein Sozialdemkrat, ein Rebell." Ludolf sah das junge Mädchen bewundernd an. So war sie ihm gegenüber noch nie herausgetreten. Daß das sanfte Mädchen einen festen Charakter besaß, wußte er, aber eine so große Energie in der Verteidigung ihr nahestehender Menschen hatte er nicht erwartet. Er kam sich plötzlich sehr klein und unbedeutend neben ihr vor. „Sie haben viel und ernst nachgedacht und mehr nach innen gelebt, als die meisten von uns," gestand er beschämt und kleinlaut. (Fortsetzung folgt.)