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Hohkönigsburg. Von hier ging es nach Straßburg, daS bereits Mittags passiert worden war, zurück. Am Bahnhof erwies Militär die Ehren und Truppen bildeten bis zum Kaiserpalast Spalier. Abends fand Festtafel statt. Der Besuch, während dessen auch eine Parade über die Garnison abgehalten werden soll, ist aus zweieinhalb Tage bemessen. Die Kaiserin wohnte am Montag auf Schloß Osterstein bei Gera der Einsegnung der Prinzessin Viktoria von Reuß j. L., ihres Patenkindes, bei und reiste hierauf nach Potsdam weiter. Es ist aufgefallen, daß di« Karlsruher Studenten schaft sich geweigert hat, an der Spalierbildung bei dem Einzug des Kaiserpaares teilzunehmen. Wie der „Franks. Ztg." mitgeteilt wird, geht diese Weigerung darauf zurück, daß bei dem vorigen Kaiserbesuch die Studentenschaft, als sie den ihr für die Spalierbildung zugeteiltcn Platz am Schlosse eingenommen halte, von einem wachhabenden Offi zier zurückgewiesen wurde und der Zusammenstoß den Abzug der Studentenschaft zur Folge hatte. Da die Angelegenheit nach Ansicht der Studentenschaft nicht genügend bcigelegt wurde, so verzichtete sie darauf, sich wieder an einer Spalier bildung zu beteiligen. ES ist unmöglich, über alle Schillerfeiern, die im deutschen Reiche anläßlich des 100jährigen Todestages des Dichterfürsten begangen sind und noch begangen werden, im einzelnen zu berichten. Wir müssen uns da mit der Fest stellung begnügen, daß die Gedenkfeiern überall getragen waren von edelster Begeisterung und von wirklicher Liebe des gesamten Volkes zu seinem großen, herrlichen Dichter. An der Feier in Marbach, dem Geburtsorte des Dichters, nahm das württemberzische Königspaar teil. Großes In teresse wandte sich der Schillerfeier in Lauchstädt bei Halle zu, das vor 100 Jahren ein vielbesuchter Badeort war und Schiller wie Göthe zu seinen Gästen zählte. In dem historischen Göthe-Theater der Stadt wurde zur Gedächtnis feier „Die Verschwörung des Ficsco" zur Aufführung ge bracht. Tas Theater, in dem die beiden Dichterheroen wierholt persönlich anwesend waren, ist ein schlichter Bretter bau, dessen Erhaltung wegen der ruhmreichen Tradition, die sich an ihn knüpft, dringend zu wünschen ist. In Berlin sanden schon am Vorabend des Gedenktages Schillerfeiern statt, wobei die verschiedenen Festredner der Größe unseres Volksdichters gerecht zu werden trachteten. Auch Wilden bruchs schöner Prolog, der für die heutige Hauptfeier der Universität, an der die Spitzen der Reichs-, der Staats- und städtischen Behörden teilnehmen, gedichtet worden ist, wurde bei verschiedenen jener Vorfeiern stimmungsvoll vorgetragen. In Weimar, in dem die Früchte der klassischen Blüteperiode unsres Dichters zur Reife gediehen, nimmt die gesamt« Be völkerung an der Schillerfeier teil, dasselbe gilt für Württem berg, der Heimat des Unsterblichen. Erwähnt sei noch, daß die Sozialdemokratie, indem sie aus dem Zusammenhang gerissene Worte des Dichters herauSgreift, Schiller für sich reklamiert und ihm eine Art parteipolitischer Huldigung dar- bringt. Mit vollstem Unrecht natürlich. Schiller war kein Dichter einer Partei, am allerwenigsten einer politischen Partei, sondern der Dichter des ganzen Volkes, das er im „Tell" geloben läßt: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, — In keiner Not uns trennen noch Gefahr." Was ist uns Schiller heute? lautet die Ueberschrift des Festartikels, den die „Nordd. Allg. Ztg." dem Dichter fürsten zur 100. Wiederkehr seines Todestages widmet. In der Antwort auf diese Frage heißt es u. a.: Schillers Be deutung für jene Generationen, die das 19. Jahrhundert auf ihren starken Schultern trugen, und sein Einfluß auf die geistige Entwickelung der Gegenwart sind grundverschieden von einander, wenn sie auch von derselben Eigenschaft, der glrichen Grundbedingung zur Größe ausgehen. Von früher Jugend an stellte sich Schiller immer die schwierigsten Aus gaben und setzte volle männliche Kraft an ihre Lösung. Sein festes Wollen hat ihn zu dem Menschen gemacht, den wir bewundern. Er selbst hat das Geheimnis seines Wesens aufgeschlossen, indem er sagte: der Wille macht den Menschen groß und klein. ES wächst der Mensch mit seinem größeren Ziele. Hand in Hand mit Goethe führt Schiller auf jene Stufe, von der aus man erkennt, daß ein goldenes Zeitalter nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft zu suchen ist. Allen bisherigen Gemälden von Utopien wohnt ein Nützlichkeitsprinzip inne, durch dessen auSgleichende Nivel lierungskunst nur Puppen, nicht aber Menschen beglückt werden. Indem Schiller zum obersten Gesetz seiner Philo sophie da» harmonische Zusammenwirken der Kräfte erklärt, lenkt er di« Tätigkeit auf eine harmonische Entwickelung des ganzen Menschen und gibt so der Schönheit eine führende Stellung im Leben. In dem Satz, die Schönheit ist «S, durch die der Mensch zur Freiheit wandelt, klingt eS wie jauchzender Lenz, der einen neuen, fetten Sommer der Menschheit öffnet. Von den Sorgen und Bedrängnissen einer schweren unruhigen Zeit umgeben, blicken wir nach dieser Sternenmehrheit, die ahnend ein Dichter in goldene Worte bannte, so stark, so überzeugend, daß wir — ein un gläubiges Geschlecht — daran zu glauben vermögen. Schillers ideale Lebensauffassung verkündet das starke unaufhaltsame Vorwärtswandern der Menschheit, das mit dem ganzen Ent wickelungsgange der Natur im Einklang steht. Schillers Wollen ist Werden. In Deutsch-Südwestafrika haben neue Gefechte statt- gefunden. In den Karasbergen erreichte am 26. April Leutnant v. Detten mit einem Zuge den nach Osten (nach der englischen Grenze) abziehenden Morenga und griff ihn an. Nachdem am 27. Hauptmann Winterfeldt mit Ver stärkungen eingetroffen war, wurde der Gegner mit einem > Verlust von mindestens 15 Toten in die Berge östlich Ganams § geworfen, wo seine Spuren auseinanderlaufen. Diesseits > sind 6 Mann gefallen, 10 verwundet. Die gegen die Ban- den des Belhanierkapitäns Cornelius, des Schwiegersohns ^Hendrik Witbois, entsandte Abteilung unter Hauptmann - v. Zwohl traf am 1. Mai drei Werften 75 Kilometer süd westlich Gibeon im Süden und warf den Gegner, von dem ' 24 Mann fielen, in südöstlicher Richtung. 500 Stück Groß vieh und 2000 Stück Kleinvieh wurden erbeutet. Wir hatten keine Verluste. Im Hererolande wurde wieder eine Werft gestürmt. Vom Gegner fielen 7 Mann, diesseits 1 Reiter. lieber die Verhältnisse auf Samoa herrscht keine Klarheit, eine offizielle Erklärung wäre deshalb am Platze. Im Gegensatz zu anderen Mitteilungen ist in der Kolonialen Zeitschrift zu lesen: „Privatnachrichten aus Samoa melden, daß die Lage sich in keiner Weise geändert habe, und fordern die Entsendung rines Kreuzers oder die Stationierung einer Landtruppe. Es wird Verwahrung eingelegt gegen die Be hauptung, daß die Ansiedler infolge ihrer oppositionellen Stellungnahme gegen den Gouverneur vr. Solf Veranlassung zu der Unzufriedenheit der Samoaner gegeben hätten. Diese sei ausschließlich die schon seit langem vorausgesagte Folge einer falschen Politik und des persönlichen Verhaltens deS Gouverneurs. Aus Anlaß der Eingabe der Ansiedler an den Reichskanzler gelangte im Gouvernementsrat ein Antrag des Gouverneurs zur Annahme, demzufolge gegen Weiße, die durch skrupellose Opposition den Eingeborenin ein böses Beispiel geben, mit den geeignet erscheinenden Mitteln vor. gegangen werden soll." Oesterreich-Ungarn. Der ungarische Ministerpräsident Graf TiSza kann sein Portefeuille nicht los werden. Er hat sich jetzt wieder zum Kaiser nach Wien begeben, um diesen dringend um Ent hebung von seinem Posten zu bitten. Da Kaiser Franz Joseph noch immer keinen neuen Mann gefunden hat, so ist es fraglich, ob Graf Tisza der unerträglichen Last entbunden werden wird. Mantreich. In Paris wird seit gegen Montag den Hauptmann a. D. Tamburini wegen des Militärkomplotts zum Sturz« der Republik vor dem Polizeigericht verhandelt. Die Verhandlung dreht sich namentlich um die Frage, wer dem famosen Tam burini die Mittel im Betrage von etwa 10,000 FrcS. zur Beschaffung der 500 alten Uniformen, Gewehre usw. ge- liefert hat. Aus der Feststellung dieser Frage wird man einen Schluß ziehen können, ob Tamburini im Auftrage resp. im Interesse der Bonaparlisten gehandelt hat, was von diesen bekanntlich verneint wird. Der französische Kriegsminister Berteaux hielt eine Rede, in der er hervorhob, kein Franzose vergesse die Ereignisse von 1870/71. Aber Frankreich wolle den Frieden, um ihn zu erhalten müsse es stark sein, damit seine Friedfertigkeit nicht alS Schwäche gedeutet werde. Mit seiner Rede wollte der Minister wohl die schwer erschütterte Stellung seines Kollegen DelcaM stützen. Italien. Der italienische Ministrrrat hat ein Flottenprogramm angenommen, daS für Neubauten von Schiffen 132 Mill. Lire, auf 12 Etatsjahre v...^.lbar, auSsetzt. England. Chamberlain soll ernstlich ertrankt sein. Die Meldung kommt um so überraschender, als der „ungekrönt« König" Englands noch vor wenigen Tagen eine bedeutsame Red« über die Notwendigkeit baldiger Neuwahlen gehalten hat. ES wäre ein Zusammentreffen der Ereignisse, das der Tragik nicht entbehrte, wenn der gewaltige Mann so kurz vor der Verwirklichung seiner weittragenden Plän« von der Schaubühne abtreten müßte. Spanien. Aus Madrid wird der „Franks. Ztg." gemeldet: Im Zu sammenhänge mit dem abenteuerlichen Gerüchte, daß in Madrid eine internationale Verschwörung zwecks einer militäri schen Expedition zur Errichtung eines Freistaates im brasiliani- schen Distrikt Cunani entdeckt sei, wurde der ehemalige Hof beamte Serrion de Horrera verhaftet. Tie Haussuchung brachte auf ein solches Projekt bezügliches Material zum Vorschein. Nach dem jetzigen Stande der Untersuchung scheint ein auf die Goldminen Cunanis gegründeter Finanzschwindel oder ein Auswanderungsschwindel großen StilS vorzuliegen. Rußland. In Sibirien sind revolutionäre Unruhen ausge brochen. In der Et. Jsaak-Kirche zu Petersburg machte sich ein in Offiziersuniform gekleideter Mann verdächtig. Eine Leibesvisitation förderte eine mit Nitroglycerin gefüllte Bombe zu Tage. Asten. Ueber einen russisch-persischen Grenzzwischenfall wird aus Petersburg gemeldet, daß der persische Gouverneur von Ardebil nach Teheran abberufen worden sei, weil eS bei seinem Versuche, die Grenze zu Ungunsten der Russen zu Unterhaltungsteil. Ein Leelenleiden. Novelle von Hellmuth Mielke. 20) (Fortsetzung.) „Hatte nicht einmal mehr die Aussicht, sich durch 'ne reiche Partie zu salvieren, Trauihausens hatten ihm die Tür vor der Nase zugemacht und die Tochter aufs Land geschickt. Tatsache ist freilich, daß die beiden sich immer noch schrieben. Vielleicht wäre doch noch alles gut geworden, da kamen die Wechsrlgeschichten, wissen Sie, so ein paar kleine falsche Aecepte, noch ehe er den Abschied definitiv bewilligt bekom men. Es war aus mit ihm. Ein Kamerad steckte ihm eine geladene Pistole zu, ein Verwandter aber einige hundert Taler, mit denen er glücklich über den Ozean schwamm. Inzwischen hatte Flatzow den Dienst quitti«rt, machte der »erlassenen Erna einen Antrag. Sie wirS ihn ab, aber Flatzow war zähe, und eines Tages gab's Hochzeit. Die Dummschlauen sagten, er hätte das des Geldes wegen getan — Unsinn, damals hatte ihn sein Vater gerade auf Flatzow als zukünftigen Erben eingesetzt. ES war Liebe, nichts als Liebe, verrückte Leidenschaft. Na ja, bei ihr wohl kaum. Sie sind aber doch miteinander auSgekommen, sie war eine stille, s«ntimentale Frau, so ein richtiges Tränenkrügleinl Der lustige Kressen, wie ich ihn kenne, hätte sie sicher an dem ersten besten Busch drüben stehen lassen." „Und der alt« Gegensatz zwischen den beiden, ich meine Herrn v. Flatzow und dem Kranken, besteht noch?" fragte der Arzt nachdenklich. „Bei Flatzow? Na das haben Sie ja selbst gehört. Bei de» Kressen — kaum. Er nimmt zwar das Geld auch von feinen Feinden, habe aber nie gehört, daß er gegen Flatzow noch pikiert sei." „Herr v. Flatzow zürnt dem andern also nur deswegen, «eil zwischen ihm und seiner Braut vordem ein Verhältnis bestand?" „Gewiß, darum. Mich würde eS nicht verdrossen haben. Aber Flatzow blieb noch als Mann seiner Frau eifer süchtig. Denken Sie, Doktor, eifersüchtig auf einen Menschen, von dem einen blos ein Ozean lrennt!" „Vielleicht hatte er Grund, vielleicht korrespondierte Kressen noch mit seiner Frau?" „Der? Hätten ihn vor drei Jahren hör«n sollen, als er hier auf kurzen Besuch war. Machte eS damals wie heut«. Eines Abends war er da, wollte einem alten Freunde und Kameraden die Hand drücken. Ich dachte, er würde auch seine alte Liebste aufsuchrn, aber er verzichtete, wollte mit allen Flatzows nichts zu tun haben, sagte, er wolle ihr Glück nicht stören." „Also er war schon vor drei Jahren hier? Wie kam er denn nach Europa?" forschte Doktor Küfner wiiter, den die Erzählung des Hausherrn allmählig zu interessieren begann. „Hm — glaube, er war Agent so einer amerikanischen Gesellschaft, dir sich Auswanderer zu billigen Preisen herüber holen wollte, Kulturdünger für den wilden Westen. Er bat mich auch, Flatzow nichts von seinem Besuch zu erzählen. Fiel mir auch nicht schwer, denn Flatzow war damals ver reist." „lind Sie sagen, eS war vor drei Jahren?" fragte der Arzt, in dem sich eine ganze Gedank«nflut regte. „Im Winter oder Sommer?" „O, im Sommer, kurz vor der Getreideernte. Daß Sie das aber so interessiert, Doktor. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn ich nie wieder von ihm etwa- g«hört hätte. Na, nun kommen Sie. Wollen doch endlich 'mal den Wein kosten. Ist freilich keine Sorte wie die da in Flatzow, leider aber immer noch trinkbar." Herr s. KolowieSki schnalzte mit der Zunge. Er war augenscheinlich begieriger, sich selbst als seinen Gast zu be wirten. Doktor Küfner folgte ihm nachdenklich in den Salon zu rück. Was er sorben vernommen, beschäftigte sein Interesse lebhaft und regte ihn zu allerlei Kombinationen an. Aber als er Feodora wieder gegenüber stand, trat«n dir wunder lichen Gedanken, die ihn erfüllten, zurück. Er gab sich ganz dem Reiz ihres Geplauders hin. Schade, daß es durch die Anwesenheit des würdigen Herrn v. KolowieSki die frühere Intimität verlor, die sich zwischen ihnen, zu seiner inneren Genugtuung, hergestellt zu haben schien. Ter edle Hausherr ermunterte seinen Gast zum Trinken und ging ihm unaufhörlich mit gutem Beispiel voran. End lich dachte der letztere an Aufbruch, die Sonne war schon im Sinken. Herr v. KolowieSki, dessen Wangen sich bedenklich gerötet hatten, ereiferte sich stark dagegen, und auch Feodora stimmte mit Bitten ein, so daß der Arzt im Begriff war nachzugeben, als ein unerwartetes Ereignis ihn in seinem Entschluß bestärkte. Draußen wurde die Hausglocke laut und ungestüm geläutet. „Gottes Wunder — Besuch? Wer zum Kuckuck kann noch kommen?" Herr v. Kolowi«ski hatte sich erhoben und wandte sich der Tür zu, in welcher, die verschossene Livree deS alten Diener- wieder zum Vorschein kam. „Herr WolterSdorff wünscht den gnädigen Herrn zu sprechen!" „WolterSdorff? Was Dummkopf führst Du ihn nicht herein?" Und Herr v. KolowieSki eilte selbst auf den Kor ridor hinaus. Doktor Küfner hatte bei dem Namen Feodora angeblickt; ärgerliches Empfinden war wider Willen über ihn gekommen. Sie dagegen zeigte ein mokantes Lächeln, indem sie seinen Blick aushielt, und bewog ihn dadurch, daS Lächeln auf sich zu beziehen. „Ich muß mich doch, zu meinem Brdauern, verab schieden," sagte er schroff, während er sich von seinem Sessel erhob. „Kommen Sie nur, lieber Nachbar," tönte draußen di« mächtig« Stimme deS Herrn v. KolowieSki, „haben uns lange nicht das Vergnügen geschenkt. Sind ganz en petit vowitä. Meine Tochter wird sich freuen. Bitte sehr." (Fortsetzung folgt.)