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Schönburger Tageblatt -N 301 1886- Dienstag, den 28. December Filialen: in Altstadtward enb«g bei Herr« Lausmann Max Liebezeit; in Penig bei Herrn Kaufmann Rob. HL?tia, Mandelgafle; in Rochsburg bei Herrn Äuchhaiter Fauth; in Lunzenau bei Hrn. Buchhdlr. E. Di«)«; in Wechselburg bei Herrn Schmied Weber; in Lichtenstein b. Hrn. Buchh. I. Wehrmann. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten für dis nächster- scheinende Nummer bis nachmittags 2 Uhr. Der Avonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Ml. SS Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., Eiliges. 20 Pf. Expedition: Waldenburg, Kirchgasse 255. ««d Waldenburger Anzeiger 7" Amtsblatt für den ZtMrath zu Waldenburg. Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenftein-Callnberg und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchurs rorf, Langen leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Obergräfenhain, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Steinbach, Wechselburg, Wiederau, Wolkenbnrg und Ziegelheim. Witternnqsansfichtm für deu 28. December: Windrichtung um Siidwest. Ziemlich bewölkt ohue erhebliche Niederschläge. Temperatur wenig verändert. "Waldenburg, 27. December 1886. Von allen Männern, welche berufen sind, heute die Schicksale der französischen Republik zu leiten, erweckt keiner für Deutschland größeres Interesse, als der, welcher seit elf Monaten an der Spitze des wichtigsten Ressorts der Staatsverwaltung steht, an der des Mtt litärressvrts, General Boulanger. Mehr und mehr tritt dieser in den Vordergrund, mehr und mehr tre ten seine Collegen vom Civil vor ihm zurück. Frey- cinet, Ferry werden kaum noch genannt, Boulanger's Name hat die ihren verdrängt. In dem jetzigen wacke ligen Ministerium Goblet ist er der einzige Minister, welcher unbedingt feststeht. Mag das Cabinet Goblet fallen, Boulanger als Kriegsminister wird in jedem Cabinet bleiben. Der noch vor einem Jahre wenig oder gar nicht bekannte General hat es verstanden, sich zum Repräsentanten der Macht zu erheben, welche heule in Frankreich Alles ist, der Armee. Des Kriegs- ministcrs Lebenslauf ist nicht rein wir Schnee; es steht fest, daß er den orleanistischen Prinzen in der fran zösischen Armee schmeichelte, um durch ihren Einfluß zu avanciren, daß er aber ohne Bedenken seinen bis herigen Protektoren einen Fußtritt gab, als er die Macht in Händen hatte. Die bekannte Briefaffaire slbadetc dem General gewaltig; durch kluges Verhalten Hut er aber die Scharte ausgewetzt. Vor Allem hat er bewiesen, daß er jetzt ein entschiedener Republikaner ist, er hat ferner gezeigt, daß er wirklich das Zeug zu einem Kriegsminister hat, er hat endlich, nicht durch Worte, aber durch Thaten bewiesen, daß er sich auf das Eifrigste bemüht, Frankreich für den Revanchekrieg mit dem deutschen Reiche bereit zu halten. Alles das zusammen genommen hat dem General seine jetzige feste Position gegeben; er hat sich von der Zugehörig keit zu einer bestimmten republikanischen Partei losge sagt, wenn ihn auch die Radikalen noch als den ihri gen betrachten, aber dafür in die Wagschaale die Loo- sung geworfen: Vertreter der republikanischen Armee. Nicht lange vor dem Sturze des Ministeriums Frey- cinet hielt Boulanger in Paris bekanntlich eine Rede, in welcher er betheuerte, Frankreich wolle keinen Krieg. Unter dem Druck des damaligen Ministerpräsidenten hat Boulanger diese Worte gesprochen. Man hat sie nicht zn hoch deshalb angeschlagen. Direkt den Re vanchekrieg zu proklamiren, kann der Minister niemals, denn bei dem offenen Wort: „Wir wollen den Krieg", würden auch die Schwerter sofort aus der Scheide fahren. So etwas zu sagen, hütet sich General Bou langer ebenso sehr, wie jeder andere französische Mi nister. Es läßt sich aber nicht verkennen, daß Bou langer der Ueberzeugung ist, ein Krieg werde nicht mehr allzu lange ans sich warten lassen. Er entwickelt eine Thätigkeit, die durchaus anzuerkennen ist. Freilich hat das noch seinen geheimen Grund, und einzelne ra dikale Blätter haben es bei Freycinet's Rücktritt schon voreilig ansgeplaudert: Boulanger will noch höher, als Kriegsminister, er will der erste Mann in Frank reich werden. Offen stehen ihm die Aemter noch als Ministerpräsident und als Präsident der Re publik und es ist gar kein Zweifel, daß die Armee einen Offizier als Präsidenten viel lieber sehen wurde, als einen Angehörigen des Civilstandes. Unge stüm wurde bereits vor der Bildung des Ministeriums Goblet ein Ministerium Boulanger von den Radikalen gefordert. Der Kriegsminister ist aber vorsichtiger, als früher geworden und hat sich gehütet, zu rasch vor zugehen. Er weiß, daß ihm die Frucht der höchsten X Gewalt von selbst in den Schooß fallen wird, wenn er sich als tüchtiger Armeereorganisator zeigt. Darauf lmkt er jetzt sein ganzen Augenmerk, und nach Neujahr soll ja nun ernstlich an die schon seit neun Monaten vorbereitete Armeereorganisationsvorlage herangetreten werden. Käme es in so und so viel Jahren zu einem Kriege, Boulanger könnte viel gewinnen, er könnte die Dictatnr erreichen, wenn Frankreich den Erfolg oder wenigstens ein Erfolg blühte. Der General denkt aber gewiß auch an die Kehrseite, an einen unglücklichen Krieg. Dann würde nicht nur mit Frankreich exemplarisch verfahren, sondern auch Boulanger wäre total ruinirt. Er brauchte nicht gerade zu befürchten, daß die Pariser Bevölkerung ihn zum Laternenpfahl schleppte, aber er würde manchen Gefahren ausgesetzt sein. Das ist eine Warnung, und eine sehr heilsame. OsliLische Rundschau, Deutsches Reich. In kaiserlichen Palais in Berlin fand die Feier des heiligen Weihnachtsabendes, wie in jedem Jahre, in der hergebrachten Weife statt. Um 5 Uhr bescheer- ten die Majestäten den Personen ihres Hofstaates, während um 8 Uhr sämmtliche in Berlin anwesenden Mitglieder der Kaiserfamilie sich um die brennenden Christbäume versammelten. Der Kaiser zeigte vollkom men seine gewohnte Frische und Heiterkeit. Nach der Bescheerungsfeier blieben die Herrschaften noch längere Zeit zum Souper vereint. Am ersten Festtage wurde im Palais Gottesdienst abgehalten, dem die Majestäten und alle Prinzen und Prinzessinnen beiwohnten. Mit tags empfing der Kaiser den Grafen Moltke und die Officiere seiner Umgebung, welche ihren Dank für die kaiserlichen Weihnachtsgeschenke abstatteten. Nach mittags war Familientafel. Am zweiten Festtage er- theilte der Monarch verschiedene Audienzen und unter nahm eine Spazierfahrt. Die alte Münchener Hofsitte, wonach sich der König oder Regent in der Weihnachtsnacht, und zwar begleitet von allen Ministern, Generalen und Hofwür denträgern in die Allerheiligen-Hofcapelle begiebt, ist nach längerer Unterbrechung dieses Jahr wieder inne gehalten worden. Die Messe beginnt um 12 Uhr nachts und endet um 1 Uhr. Prinz Wilhelm von Preußm gab am Mittwoch Abend den Soldaten seines Gardehusarenregimentes eine glänzende Weihnachtsbescheerung. Alle Mannschaf ten wurden in reichem Maße bedacht. Der Prinz verweilte mit den Officieren längere Zeit unter den Husaren und unterhielt sich mit ihnen auf das Freund lichste. Vor der Bescheerung richtete der Prinz eine kurze Ansprache an die Husaren, die mit einem Hoch auf den Kaiser schloß. Das sensationelle Gerücht, der Kaiser von Rußland habe auf den deutschen Militärbevollmächtigen von Villaume in Petersburg geschossen oder ihn gar erschossen, wird von der Nordd. Allgem. Ztg. für ein Märchen erklärt. Andererseits wird mitgetheilt, daß v. Villaume durch einen Dolchstich verwundet worden sein soll. Aus Friedrichsruhe sind in Berlin sehr befriedigende Nachrichten über das Befinden des Fürsten Bismarck eingegangen. Auch die Fürstin, die einige Tage un päßlich war, hat sich wieder erholt. Generalfeldmarschall Graf Moltke sollte gelegent lich einer Tafel im kaiserlichen Palais zu den ihn umgebenden Generalen und Officieren geäußert haben: „Sie können versichert sein, daß, so lange unser Kai ser Wilhelm lebt, Deutschland vom Kriege verschont bleibt!" Graf Moltke hat, wie jetzt mitgetheilt wird, diese oder eine ähnliche Aenßerung nicht gethan. Wie aus dem Reichslande geschrieben wird, sollen bei den Truppenvermehrungen elsaß-lothrini- sche Städte besonders bedacht werden. Mit Bezug auf die in Berlin stattgehabten Confe- renzen von Generalstabschef und Intendanten der ein zelnen Armeekorps aus Anlaß der vorzunehmenden Armeeverstärkungen wird darauf hingewiesen, daß die Reichsregierung, sofern sie eine erhöhte Kriegsbereit schaft für nothwendig hielte, unter diesem Titel einsei tig einen großen Theil der in der Militärvorlage ge planten Verstärkungen des Heeres anzu ordnen befugt wäre. Natürlich könnte dies nur für eine be schränkte Zeit geschehen. Der „Kreuzztg." wird über russischeRüstungen aus Petersburg gemeldet: In Südrußland bereitet man sich auf die Möglichkeit eines Frühjahrs-Feldzuges vor. In Odessa, der Krim, Bessarabien und Trans kaukasien werden Vorräthe von Munition und Lebens mitteln aufgehäuft. Nicht minder sorgt man für die nöthige Bespannung der Artillerie und des Trains. In Polen und Litthauen werden die Rüstungen weni ger auffallend betrieben, weil die dort stehe ade, 150,000 Mann starke Armee, welche durch Heranziehung der Reserven in 6 Tagen auf 300,000 Mann gebracht werden kann, gewissermaßen als Deckmantel für die im Innern des Reiches auszuführenden Rüstungen an gesehen wird. In Warschau allein stehen zur Zeit je eine Division Garde und Linien-Jnfanterie, auch Ka vallerie, also rund 25,000 Mann. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht den kaiserlichen Erlaß, betr. die Aufnahme einer zu 3','2 Procent ver zinslichen Anleihe im Betrage von 35,738,856 Mk. für die Kosten des Anschlusses von Hamburg und Bremen an das deutsche Zollgebiet, sowie für Zwecke der Verwaltungen des Reichsheeres, der Marine und der Reichseisenbahnen. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Die „Magdeb. Ztg." brachte folgende Notiz: In parlamentarischen Kreisen erzählte man, daß der Reichskanzler auf eine telegraphische Anfrage nach Friedrichsruh sich gegen eine Auflösung des Reichstages ausgesprochen habe. Es scheint demgemäß, daß die Regierung sich der Hoffnung hingiebt, auf der zu erweiternden Grund lage des Centrumsantrages zu einer Verständigung mit dem Reichstage zu gelangen. Verschiedene Aeuße- rungen des Kriegsministers in der Militärcommission lassen ebenfalls eine solche erhoffen." Wir sind in der Lage, diese Nachricht als eine willkürliche Er findung zu bezeichnen und können hinzufügen, daß in Regierungskreisen nirgendwo ein Zweifel an der Noth wendigkeit des Festhaltens an der Militärvorlage um jeden Preis besteht." Das Mitglied der bulgarischen Deputation, Kaltschew, theilte in einer Unterredung mit einem Mitarbeiter der „Nat.-Ztg." letzterem Folgendes mit: „Wir müssen eine Vermittelung zur Verständigung mit Rußland suchen. Diese Vermittlung versuchten wir bei Deutschland, das mit Rußland befreundet ist, zu erreichen. Frankreich ist gleichfalls mit Rußland befreundet, und wir müssen nun versuchen, in Paris zu erreichen, was wir in Berlin nicht erreicht haben." Ans den Einwand des Berichterstatters, daß es aber auch schon von Paris verlaute, daß dort die Deputa tion, wenn auch mit dem „größten Wohlwollen", im Wesentlichen aber doch nicht anders, wie in Berlin empfangen würde, erwiderte Herr Kaltschew: „Wir