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Oesterreich-Ungarn. Die österreichischen Kaisermanöver sollen vom 5. bis 14. September in Galizien stattfinden. Zwei Armeecorps Linie nehmen daran Theil, sowie 6 Ba taillone und zwei Schwadronen Landwehr. Frankreich. Der Graf von Paris ist nach Karlsbad abge- reeist, wo er längere Zeit verweilen wird. Infolge des Umstandes, daß der russische Minister des Aus wärtigen, von Giers, in Franzensbad Ende Juli ein trifft, sowie in böhmischen Bädern viele distinguirte politische Persönlichkeiten erwartet werden, ist dieser Reise immerhin eine gewisse Wichtigkeit beizulegen. Aus Paris heißt es abermals, der Botschafter in Berlin, Baron de Courcel, würde von seinem Amte zurücktreten, aber nicht so schnell, damit es nicht aus sieht, als gehe er der Prinzenausweisung wegen. Die gemäßigten Pariser Blätter tadeln die Reise leidenschaft des Kriegsministers Boulanger, der fort während herumfahre, Reden halte, sich Bürger-General betiteln lasse und mit alten Revolutionären Verbrüde rungsküsse austausche. Der Herzog von Nemours, Onkel des Grafen von Paris, hat den Vorsitz der französischen Gesellschaft vom Rothen Kreuz niedergelegt; er geht nach Bel gien. Mac-Mahon ist zu feinem Nachfolger gewählt. Alle Prinzen, welche noch in der Armeeliste verzeichnet standen, sind daraus gestrichen. Die Ausweisung der Prinzen zwingt die Regierung in Paris zu neuen Maßregeln, die sie in eine unge- müthliche Lage bringen. Der Gesetzvorschlag, der auf Confiscation des Manifestes des Grafen von Paris hinausläuft, wird fortgesetzt von vielen repu blikanischen Blättern als Angriff auf die Preßfreiheit hingestellt, und die monarchistischen Blätter posaunen Tag für Tag in die Welt hinaus: „Die Republik hat Furcht vor uns!" Dabei wird dann ein Spec- takel gemacht, daß auch der Gleichgiltigste seine Ruhe verliert. Noch eine andere wichtige Frage beschäftigt die Pariser, nämlich, ob die französischen Soldaten unter General Courcy bei dem Brande der annamiti- schen Hauptstadt Hue die Kaiserpaläste regelrecht geplündert, also eine Wiederholung der Plünderung von Peking gegeben haben oder nicht. General Courcy macht viele gewundene Redensarten und zuckt die Achseln. Alles in Allem kann man wohl daraus entnehmen, daß die Soldaten des „civilisirtesten Volkes der Erde" ganz gehörig lange Finger gemacht und wie die Raben ge stohlen haben. Da sind wir „Barbaren" denn doch bessere Menschen. Italien. Die Cholera nimmt ganz bedenklich in verschiede nen italienischen Orten zu. Gegen 90 Kranke und 30 Todte pro Tag werden bereits aufgezählt. Schweiz. Der Schweizer Nationalrath in Bern hat einstim mig den Gesetzentwurf betr. die Organisirung des Landsturmes angenommen. Rußland. Ein ganzes Bündel neuer Zollerhöhungen wird aus Rußland gemeldet: Betroffen sind u. A.: Roh leder und Häute, Ziegel, Thonwaaren, Alaune, Schwefel säure und andere chemische Gegenstände und Fabrikate. Die russische Regierung hatte den Fürsten von Bulgarien bei der Türkei denuncirt, indem sie be hauptete, der Fürst habe die internationalen Verträge verletzt, was aber gar nicht wahr ist. In Sofia küm mert man sich nur nicht um Rußland, was sehr ver nünftig ist. Auch die Türkei ist so verständig gewesen und hat das russische Schreiben in den Papierkorb versenkt, wo er am tiefsten ist. Darüber nun haus hohe Wuth in Petersburg. Das Regierungsblatt „Petersburger Journal" schimpft wie ein Rohrsper ling, behauptet, die Türkei protegire den Fürsten Alexander noch, und meint, zwischen Sofia und Kon stantinopel bestehe ein geheimes Einverständniß. Ruß land habe gar keinen Anlaß darnach mehr, sich als den Beschützer der Beschlüsse Europas hinzustellen; aber diese Sachlage berge ernste Gefahren für die Zu kunft in sich! Die Welt wird sich über diesen Peters burger Unkenruf nicht groß aufregen, sich im Gegen theil darüber freuen, daß die Petersburger Diplomatie in der bulgarischen Angelegenheit einen gehörigen Nasenstüber bekommen hat. Die Herren in Peters burg sind wüthend, weil sie die Bulgaren nicht wieder unter ihre Fuchtel zurückbekommen können. Das ist die Ursache aller Angriffe gegen Bulgarien. Bulgarien. Die Adresse der Nationalversammlung in Sofia ist dem Fürsten Alexander übergeben worden. Sie ist sehr schlau abgefaßt. Sie giebt der Befriedigung darüber Ausdruck, daß Nord- und Südbulgarien unter dasselbe Scepter gestellt und ihre Vertreter in einer gesetzgebenden Versammlung vereinigt seien. Dem Heere wird gedankt, dem Fürsten das tiefste Vertrauen ausgesprochen und schließlich das Wohlwollen der Groß mächte, besonders Rußlands, gegenüber Bulgarien ge rühmt! Rußlands Wohlwollen für Bulgarien — der Witz ist gut! Aus dem Muldenthale. ^Waldenburg, 30. Juni. Der Verband drama tischer Vereine in Sachsen, der zur Zeit seinen Vorort in Chemnitz hat, hält seine diesjährige Generalversamm lung nebst Verbandstag am 1. August in unseren Mauern ab. *— Heute früh ist ein vollständig entkleideter männ licher Leichnam auf der herrschaftlichen Niederauewiese bei Niederwinkel angeschwommen und polizeilich ausge hoben worden. Der Leichnam scheint derjenige einer Person von 15—17 Jahren zu sein. — Ein allgemein geachteter und in geordnetsten Ver hältnissen lebender Beamter, der Brandversicherungs- Jnspections-Assistent Weder in Zwickau, hat sich am Montag früh auf freier Strecke durch den Chemnitzer Zug überfahren lassen und dabei den sofortigen Tod gefunden. Es erregt dieser Fall um so lebhafteres Baudauern, als W., Vater dreier kleiner Kinder, erst vor einigen Tagen seine Ehefrau infolge Kindbett fiebers durch den Tod verloren hat, und der traurige Schritt desselben zweifellos nur als eine Folge des hierdurch herbeigeführten Tiefsinnes anzusehen ist. Aus dem Sachseulande. — Zufolge ministerieller Verordnung tritt am 1. Juli d. I. das Gesetz über die Ausdehnung der Un fall- und Krankenversicherung vom 28. Mai 1885 für die darin bezeichneten Betriebe, nämlich den Baggerei betrieb, den gewerbsmäßigen Fuhrwerks-, Binnen- schifffahrts-, Flößerei-, Prahm- und Fährbetrieb, sowie den Gewerbebetrieb des Schiffsziehens (Treide lei); den gewerbsmäßigen Speditions-, Speicher- und Kellereibetrieb; den Gewerbebetrieb der Güterpacker, Güterlader, Schaffer, Bracker, Wäger, Messer, Schauer, und Stauer seinem vollen Umfange nach in Kraft. — In Dresden ist am Dienstag die erste Haupt versammlung der deutschen Landwirthschaftsgesellschaft in Gegenwart des Königs, des Prinzen Georg von Sachsen, verschiedener Minister und vieler hoher Beam ten eröffnet. Der König ist der Gesellschaft als Pro tectionsmitglied beigetreten. Bicepräfident Ritterguts besitzer v. Oehlschlägel eröffnete dre Versammlung mit einer kurzen Ansprache, worauf Oberbürgermeister vr. Stübel die Versammlung namens der Stadt Dresden begrüßte. Nach Erstattung des Geschäfts- und Finanz berichts sprach Oekonomierath Steiger-Meißen über die Entwickelung und den gegenwärtigen Stand der sächs. Landwirthschaft und Professor vr. Heiden-Pommritz über die Behandlung des Stallmistes. Geh. Hofrath Prof. vr. Blomeyer-Leipzig machte die Rolle, die die Mikroorganismen bei der Zersetzung der Stickstoffver bindungen im Boden spielen, zum Gegenstand einer interessanten Betrachtung, worauf Prof. vr. Maerker- Halle über den Anbau von Zwischenfrüchten zur Futter gewinnung und Gründüngung mit besonderer Berück sichtigung der stickstosisammelnden Pflanzen sprach. Sämmtliche Vorträge riefen lebhafte Debatten hervor. In der Gruppenversammlung für Thierzucht („Drei Raben") erörterte Geh. Regierungsrath Prof. vr. Sittegast-Berlin die Frage: „Empfiehlt es sich, der Beurtheilung von Schauthieren bez. der Feststellung des Grades ihrer Preiswürdigkeit Werthskalen zu Grunde zu legen und in Anlehnung an sie die Werthmale der Schauthiere zu beziffern?" Er bejahte die Frage, schloß aber die jetzige Methode der freien Anschauung nicht aus. Rittergutsbesitzer v. Nathusius machte Vor< schlage betreffs des den Thierausstellungen der Gesell schaft zu Grunde zu legenden Programms. Weiter fanden im Laufe des Tages noch 4 Sonderabtheilungs- sitzungen statt. Abends 6 Uhr wurde mit 2 Separat dampfbooten eine Extrafahrt nach Pillnitz unternommen, an welche sich eine Abendunterhaltung mit Garten- concert auf dem Waldschlößchen anschloß. — Die Nachricht von dem Tode der kgl. sächs. Feuilleton. Verlorene Ehre. Roman von W. Höffer. - (Fortsetzung.) „Mein Vater baute zum Beispiel einst nach meinem Wunsche einen sonderbar geformten fensterlosen Pa villon, in welchem bei dem Glanze von tausend flam menden Kerzen ein orientalisches Fest gefeiert wurde, ein Fest, das zwischen Abend und Morgen Tausende von Thalern kostete, und über das später alle Zei tungen der Stadt die fabelhaftesten Wunderdinge be richteten, meine Verehrer priesen unaufhörlich das schöpferische Genie, welches diesen eigenartigen Tempel erschaffen — ihre Lobhudeleien spornten mich schon während des Balles zu einer neuen Tollheit — ich be stellte sie alle auf den nächstfolgenden Mittag, und in ihrer Gegenwart wurde das preisgekrönte Bauwerk dem Boden gleich gemacht. — Mein Vater lachte da zu. Vielleicht war das, was er that, Wahnsinn, viel leicht ein Verbrechen, aber ich fluche ihm nicht — er liebte mich, und Liebe ist immer von Gott. Als ich neunzehn Jahre zählte, schien mir sein ganzes Wesen verändert. Ich fand ihn weniger freigebig und bemerkte auch fo nebenbei, daß auf unseren Comptoirs die meisten jungen Leute entlassen wurden, daß er bald diesen, bald jenen Grund vorschob, um mir einen be sonders kostspieligen Wunsch zu versagen — für eine eigentliche Beunruhigung aber war ich viel zu ober flächlich, zu leichtsinnig. Ich habe später erfahren, als mir der Sturz der Firma Bredow erst zu Ohren kam, daß schon in ganz Hamburg die Leute darüber sprachen und nicht selten mich selbst und mein tolles Treiben als Ursache des hereingebrochenen Unglücks be zeichneten. Eines Morgms, es waren wenige Tage vergangen, weckte mich ein plötzliches Geräusch, das sich, als ich völlig wach geworden, nicht wiederholte, das aber ein unheimliches Hin- und Herlaufen, ein Thürschlagen und Rufen zur Folge hatte. Eine Unruhe ergriff mich und trieb mich auf, als auf wiederholtes Klingeln Niemand erschien, aus dem Bett und in den Vorsaal. — Hier zeigte mir die um eine Thür versammelte Dienerschaft den Weg. — Es war meines Vaters Zimmer, das da vor mir lag, und von Furcht er griffen drängte ich mich durch die rastlos flüsternde Menge — auf dem Teppich lag blutüberströmt die Leiche des alten Mannes. Er hatte sich mittelst eines Pistolenschusses das Leben genommen, um der unab wendbaren Schande rechtzeitig aus dem Wege zu gehen. — Was jenem Schreckenstage später folgte, bedarf kei ner Schilderung mehr." Die junge Frau fuhr in ihrem Geständnisse fort: „Ich lebte eine Zeit lang thatlos wie in wachem Traum dahin. Das Haus war plötzlich nicht nur leer und öde geworden, sondern geradezu in die Acht erklärt. Niemand, kam um mich zu trösten, die Schaar meiner Verehrer hatte der Pistolenschuß in alle Rich tungen der Windrose auseinander gesprengt. Ich war allein mit meiner wachsenden Verzweiflung, bis eines Tages ein Herr bei mir erschien und sich als mein Vormund einführte. Er sagte, daß Haus und Ein richtung verkauft werden würden, und daß es jetzt an mir sei, meinen Unterhalt durch eigene Kraft zu erwerben. In den nächsten Tagen werde er wieder kommen, um zu hören, welchen Weg ich einzuschlagen gedenke. — Das war eine schreckliche Zeit, die trost loseste, bitterste meines Lebens! Ich glaubte nicht mehr unglücklicher und elender werden zu können. Wo mit sollte ich Geld verdienen? Ich, die es nicht ver stand, mein eigenes Haar zu frisiren oder mein Kleid ohne fremde Hilfe anzuziehen? — Als mein Vormund wiederkam, fand er mich rathlos wie zuvor. Ich hatte über die Entscheidung meines ferneren Schicksals auch keine Ansicht, keine Vermuthung; ich sah ihn nur an und ließ Alles geschehen, was er für gut fand. Nach längeren Kreuz- und Querfragen, nach vielen Schrei bereien und demüthigen Vorstellungen in fremden Häusern gelang es ihm, mich als die Bonne einer kleinen achtjährigen Gräfin in Wien zu placiren, und damals erst erwachte ich aus dem Schlummer der letz ten entsetzlichen Unglückszeit zuin vollen Bewußtsein meines schrecklichen Looses. Aus einer regierenden Fürstin war ich über Nacht zu einer Sclavin gewor den, aus dem verwöhnten, vergötterten Kinde des Hau ses zur Dienerin, die man widerstrebend duldet, weil eben keine Maschine ihre Thätigkeit zu ersetzen im Stande ist. Ich kannte von allen den Obliegenheiten meiner neuen Stellung nicht eine einzige; ich hatte an statt der verlangten Unterordnung und des blinden Gehorsams das Benehmen der großen Dame, und konnte mich namentlich an die kleine Quälerin, deren specielle Sclavin ich war, durchaus nicht gewöhnen. Das Kind wurde als lästig zur Seite geschoben, anstatt den Ge genstand meiner lebhaftesten — wenigstens erheuchelten — Theilnahme und des wärmsten Interesses zu bil den. Ich begann, die ganze Welt um mich herum, die glücklichen Menschen, in deren Mitte ich lebte, ja das Dasein selbst zu hassen. Ich fühlte es fast Wie den Genuß befriedigter Rache, daß ich Allen gleich antipathisch war. Von hundert Seiten zugleich ver wundeten mich die Nadelstiche der äußeren Verhältnisse, aus hundert Wunden zugleich blutete das Herz des verzogenen, aus allen seinen Himmeln plötzlich in die Eiswüste verbannten Kindes. Die Herren fanden an meiner Erscheinung Wohlgefallen genug, um mich heimlich mit Beleidigungen zu überhäufen, die Damen haßten mich, weil meine Manieren nicht die der Unter gebenen, sondern die der großen Welt waren — sie ersannen ein System, das mir zuweilen Folterqualen verursachte und durch welches ich für meine Kenntniß der fremden Sprachen, der Musik und des gesellschaftlichen To nes von ihnen hinlänglich bestraft wurde." (Forts, folgt.)