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Branntwein in Deutschland in den Jahren 1876 bis 1885 einschließlich gehabt hat. Die Kosten der Her stellung und Unterhaltung der Lagerhäuser soll das Reich tragen. Man behauptet, Centrum und Frei- conservative stimmtm dem Anträge zu, wenn sie ihn auch nicht unterzeichnet haben. Das wäre die Majo rität im Reichstag. Es käme also nur aus dieReichs- regierrug an. In der Montagssitzung der Reichstags commission wurde bereits der neue Antrag besprochen. Von den Gegnern wurde hervorgehoben, daß nach Er richtung der Brennerei-Genossenschaften andere Bren nereien nur unter dem Zwange eingerichtet werden dürften, ihr Product an das Ausland zu verkaufen. Außerdem würden die Steuercontraventionen massen haft zunehmen. Die Antragsteller befürworteten den Entwurf. Aus Mainz wird behauptet, die schon längst als bevorstehend angekündigte Spaltung der social demokratischen Lokalpartei habe sich thatsächlich vollzogen. Die Austretenden gründeten einen neuen „Arbeiter-Wahlverein." Für dm Sonntag Morgen hatten die Berliner Socialdemokraten eine Landpartie nach dem Grune wald angesetzt und mit dem ersten Morgengrauen schon trafen sie, etwa 500 Köpfe stark, dort ein. Die Po lizei war indessen benachrichtigt worden und ein großes Aufgebot von Criminalbeamten und Gendarmen war bereits zur Stelle. In Folge dessen entwickelte sich das bekannte Geduldspiel: Die Socialdemokraten zogen hin und her, die Beamten hinterdrein, um das Halten von Reden zu verhindern. So ging die Sache unter wiederholten Reibereien bis Nachmittags vier Uhr, wo die Gesellschaft sich zerstreute. Wegen Herbeiführung eines Masse naustritts aus der Landeskirche wird innerhalb der Berliner Arbeiterpartei stark agitirt, und sollen auch bereits zahlreiche bezügliche Erklärungen abgegeben sein. Oesterreich-Ungarn. Durch die Zollsätze über Petroleum, wie sie das österreichische Ministerium in den Ausgleich mit Un gam ausgenommen, ist die galizische Petroleum-Pro duction benachtheiligt und deshalb opponiren die pol nischen Abgeordneten auf das Schärfste dagegen. Es kann sich auch leicht eine Mehrheit gegen den Zoll zusammenfinden. .Minister Graf Taaffe und der Finanzminister Dunajewski haben nun klipp und klar ausgesprochen, sie würden zurücktreten, wenn die Zoll bestimmungen nicht genehmigt würden. Liegm sich Oesterreich und Ungarn in den Haaren, können sich die Rumänen umso mehr freuen und aus einen Sieg im Zollkrieg hoffen. Schweiz. Im Canto» Basel Land wurde letzten Sonntag durch Volksabstimmung die Einführung des Impf zwanges abgelehnt, dagegen die ärztliche Praxis frei gegeben. Im Canton Solothurn wurde eine vorge schlagene Verfassungsrevision abgelehnt. Feuilleton. Verlorene Ehre. Roman von W. Höffer. (Fortsetzung.) An der Ausgangspforte von den Pfeilern halb ver steckt, stand Elisabeth und sah unverwandt zu ihm her über — vielleicht schon längere Zeit hindurch, bis sich ihre Blicke begegneten, nun verschwand sie plötzlich, ehe er ihr ein Zeichen zu geben vermocht hatte. Sich weiter vorbeugend, spähte er ungeduldig in das Gewühl hinein, um sie wiederzufinden, aber vergebens. Nur gleich einer Vision war ihm das schöne, brünette Antlitz sekundenlang erschienen; dann hatte er es ver loren, als sei das Ganze ein Spuk gewesen. Sich init heimlichem Seufzer der Blinden zuwen dend, sah er, daß ihre weit offenen Augen voll Furcht den Blick der seinen zu suchen schienen. „O," flüsterte sie bittend, „ich bin Ihnen lästig ge worden! — Schlief ich?" Julius zwang sich zur Ruhe. „Während der ganzen Fahrt!" versetzte er freund lich. „Das thut Ihnen gut, Fräulein Herbst. Bitte, lassen Sie mich vorangehen." Er sprang aus dem Coupö und nahm das junge Mädchen in seine Arme, um sie dann der Diaconissin wieder zu überliefern. „Beste Julie," sagte er, „können Sie jetzt das Weitere allein übernehmen? Schützenstraße 9 — die Leute sind von Allem unterrichtet, und überdies komme ich schon morgen Vormittag selbst!" Die freundliche Pflegerin lächelte nur, anstatt zu ant worten. Sie hatte schon einem Droschkenkutscher ge winkt und ließ sich jetzt das wenige Gepäck ausliefern, während Anna immer noch mit ihren beiden kleinen Händen den Arm des Doctors umklammert hielt. „Ihre Stimme klingt verändert," hörte Julius die Blinde halblaut flüstern. „Sie sind mir böse?" Er drückte lebhaft ihre Hand. Frankreich. In Paris gehen die Ansichten wegen der Prinzen ausweisungen gewaltig auseinander. Es scheint, als ob sich Präsident Gr4vy auf die Seite der Prinzen stellen wollte, also, daß er der Ausweisung nicht zu stimme. Die Sache ist in der That das Geschrei nicht werth, welches deshalb an der Seine erhoben wird. Mehrere Blätter meinen, die Frage sei nur deshalb von den extremen Radikalen unter Clemenceau aufgeworfen, um das Ministerium zu stürzen. Die famose Patriotenliga hielt Sonntag in Havre ein Bankett ab. Es wurde dabei unter allgemeinem Beifall die Forderung erhoben, allen Ausländern in Frankreich eine Kopfsteuer aufzulegen. Italien. Nach den letzten Nachrichten aus Rom wird die ministerielle Mehrheit in der Kammer 90, vielleicht sogar 100 Abgeordnete betragen. Das römische Blatt „Diritto" betrachtet die Wieder- § errichtung der russischen Flotte im Schwarzen Meer ' und die Reden in Moskau als Vorboten eines Krieges zwischen Oesterreich und Rußland, der nur durch die Gestalt Kaiser Wilhelms noch verhindert würde. Bräche dieser Krieg aus, dann müsse Italien die Oesterreich freundliche Politik verlassen, die ihm uicht das Geringste eingebracht habe. Spanien. In der Wahlprüfungscommission der spanischen Kammer kam es zu einer interessanten Rede Don Francisco's von Bourbon, des jüngeren Bruders des wegen seines Verhaltens gegen die Königin zu achtjähriger Festungshaft verurtheilten, aber dann zur Verbannung begnadigten Herzogs von Sevilla. Der junge Abgeordnete, der trotz des heftigsten Widerstandes der Regierung in Katalonien durchgedrungen ist, klagte in den stärksten Ausdrücken gegen diese Wahlbeeinflussung. Die Wahl des etwa 30jährigen Bourbonen, der wie sein Bruder die demokratischen Grundsätze seines Va ters hervorkehrt, obwohl er ebenso, wie dieser, im Heere gegen die Karlisten gekämpft hat, wird wohl be stätigt werden. Belgien. Aus Brüssel wird die Nachricht, die deutsche Re gierung habe wegen der angekündigten großen Ar beiter-Versammlung in Brüssel Vorstellungen erhoben, für durchaus unbegründet erklärt. England. Die Abstimmung über die zweite Lesung der irischen Vorlage findet erst Donnerstag oder Frei tag statt. Eine knappe Mehrheit wird für gesichert gehalten. In der kanadischen Provinz Neuschottland ist eine lebhafte Agitation für die Vereinigung mit Nord amerika entstanden. Selbst die Regierung nimmt daran Theil. Rustland. Der Kaiser und die Kaiserin von Rußland sind aus Moskau nach Schloß Gaffchina bei Peters burg zurückgekehrt. Griechenland. Die Londoner „Times", welche bereits vor acht Tagen das Aufhören der griechischen Blokade forderte, segelt jetzt mit anderem Winde. Sie sagt gegen wärtig, die Blokade müsse fortdauern, bis ihr Zweck, die Abrüstung Griechenlands, völlig erreicht sei. Europa verlange eine Versicherung der griechischen Regierung, daß sie an der friedlichen Politik festhalten wolle. Aus dem Muwenthale. *Waldenburg, 1. Juni. Der Kastellan im hie sigen fürstlichen Schlosse, Herr Heinrich Wilke, befindet sich in der glücklichen Lage, demnächst den Tag seines 25jährigen Dienstjubiläums begehen zu können. Wir knüpfen hieran schon im Voraus unsere herzlichsten Glückwünsche. *— Allen Badelustigen seien folgende Regeln zur Beherzigung empfohlen: 1) Lege den Weg zur Bade anstalt in mäßigem Tempo zurück. 2) Bei der An kunft im Wasser beachte Strömung und Terrainver hältnisse. 3) Entkleide Dich langsam, bis Du abge kühlt bist, gehe dann aber sofort ins Wasser. 4) Springe mit dem Kopse voran ins tiefe Wasser oder tauche wenigstens schnell ganz unter, wenn Du das erste nicht kannst oder magst. 5) Bleibe nicht zu lange im Wasser, zumal Du nicht sehr kräfüg bist. 6) Kleide Dich nach dem Baden schnell wieder an. — Unterlaß das Baden: 1) Bei heftigen Gemüthsbe- wegungen. 2) Nach durchwachten Nächten. 3) Bei Unwohlsein. 4) Nach Mahlzeiten und besonders 5) nach dem Genüsse geistiger Getränke. — Schon längst sind unsere Zugvögel von den Ge staden fremder Meere wieder eingetroffen. Einer die ser gefiederten Afrikareisenden, eine reizende Haus schwalbe, wurde am Sonnabend in Glaucha» einge fangen. Das Thierchen trug an einem um den Hals befestigten seidenen Faden einen kleinen Zettel mit der Aufschrift: Oairo. N. ^äriüg.. Aus dem Sachsenlande. — Ihre königlichen Majestäten werden voraussicht lich Ende dieser Woche aus Sybillenort nach Dres den zurückkehren und Mitte Juni das Sommer-Hoflager zu Pillnitz beziehen. — Das Staatsvermögen Sachsens bestand nach dem letzten geprüft vorliegenden Rechnungsabschluß, dem für die Finanzperiode 1882/83, in 790432777,31 Ml. Immobilien, 102455663,22 Mark Mobiliar und Inventar, 87 774346,12 Mark Kassenbeständen, Außenständen und Naturalvorräthen, in Summe 980662786,65 Mk. Diesem Staatsvermögen stan den gegenüber 676 702312,31 Mk. Staatsschulden, darunter 359,880,000 Mk. dreiprocentige Rente, die zum Nennwerth eingestellt war und zum damaligen „Ich habe im Augenblick Eile," versetzte er, sich zu ihr herabneigend. „Morgen sehen wir uns wieder, liebes Fräulein. Wie können Sie nur glauben, daß ich Ihnen den segenbringenden Schlaf mißgönnt hätte, weil mir derselbe einige geringfügige Unbequemlichkeiten verursachte? — Adieu für heute!" Er legte ihre Hand in die der Diaconissin, bei wel cher er sich freundlich verabschiedete, um dann den kur zen Weg nach Hause mit schnellen Schritten einzu schlagen, einzig darauf bedacht, die gekränkte Frau wiederzusehen und sich womöglich mit ihr zu versöhnen. In weniger als fünf Minuten stand er vor seiner Hauthür. Elisabeth hatte kaum Zeit gehabt, Hut und Man tille abzulegen; sie mußte ihm schon entgegengehen, als noch die Unruhe, die Aufregung ihre Züge beherrschte. Was ihr armes, gequältes Herz empfand, als sie, von nicht zu besiegender Furcht getrieben, nach dem Bahn hof ging und dort, zufällig gerade vor dem geöffneten Coupö stehend, die Fremde in Julius' Armen sah — darüber wollen wir schweigen. Nur ein einziger Ge danke, verhängnißvoll und gefahrdrohend für das ge marterte Hirn; ein beharrlich wiederkehrender Gedanke verdrängte jede andere Reflexion: Es war Elisabeth Herbst, die Julius geheirathet hatte, es war diese, die da so still, so ganz als sei das ihr gutes Recht an seiner Brust lag — Und sie selbst? — Sie? Was wußte er von ihr? Welche Gemeinschaft gab es zwischen dem feingebildeten, zartfühlenden Manne und der entlassenen Strafgefangenen? Verwirrung und Furcht, die ganze Qual des un ruhigen Gewissens, durchfluthete ihre Seele, als sie jetzt in sein Auge sah. Noch wußte er nichts, aber welche Absicht steckte hinter dem unerklärlichen Schweigen der Fremden? „Lisa!" rief Julius, mit offenen Armen seine junge Frau begrüßend. „ Lisa, weshalb flüchtetest Du vorhin? " Und die Bedauernswerthe that, was in jedem Falle gewagt ist, hier aber nothwendig verhängnißvoll wer den mußte: sie wandte sich achselzuckend ab, sie pro- vocirte eine Scene. „Hattest Du wirklich noch Zeit genug übrig, um mich zu bemerken, Julius?" Er ließ sogleich die Arme sinken. „Wie Du mich ansiehst, Lisa! — Also weshalb fandest Du für gut, Dich zu verbergen?" „Laß das!" sagte sie mit erkünstelter Kälte. „Wenn erst das Unglück geschehen ist — zu spät natürlich — dann wirst Du bereuen." Julius stand eilten Augenblick schweigend vor ihr. „Und das ist Dein Empfang, Lisa?" fragte er end lich. „Mehr als dies hast Du mir nicht zu sagen?" „Nein! Kehre zu dieser Betrügerin zurück, sobald es Dir beliebt — ich werde Dich nicht daran zu hin dern suchen!" Er schüttelte den Kopf, halb zweifelnd an der Wirk lichkeit dessen, was er hörte. I „Weshalb gingst Du denn überhaupt zum Bahn hof, Lisa?" sagte er muthlos. „Wahrhaftig, ich bin außer Stande, Dich zu begreifen!" „Bis jetzt, Julius," antwortete sie immer im selben kalten Ton, „aber das Verständniß wird schon kom men. Sprach Deine interessante Patientin »och nie mals von mir? Macht sie keine Versuche, sich zwischen Dich und mich zu stellen?" In den schwarzen Augen glühte so furchtbare Auf regung, daß Julius erschrak. Er konnte diese Eifer sucht seiner Frau nicht als bloße Grille behandeln. Die Sache lag fieser, aber gerade das verursachte ihm ein höchst unangenehmes Gefühl. Auch als er schonend und freundlich erzählte, daß die Fremde nicht in dies Haus zu ziehen wünsche, eben aus Rücksicht für sie, da hatte Elisabeth nur ein spöttisches Lächeln. Die Arme glaubte zu wissen, weshalb das geschah. Der ganze Plan jener Anderen lag jetzt offen vor ihrer Seele. (Fortsetzung folgt.)