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nämlich regelmäßig nach oben, und wenn man dann so drüber hinweg ging —, so dankten die Schuh macher dem lieben Herrgott und dem Magistrat, daß sie in Feldheim so gute Nahrung hatten. Die Schuhmacher erwarben sich volle Geldbeutel, und die übrige Menschheit Hühneraugen! Einen Umstand gab es aber doch, welcher diese Pflasterleiden milderte: Das Gras nämlich, welches in friedlicher Beschaulichkeit auf den Bürgersteigen wuchs! Eigentlich war dem armen Kraut jede Existenzberechtigung abgesagt, und die Hausbesitzer sollten sogar Strafe zahlen, vor deren Häusern eine solche Gänseweide betroffen wurde, indessen der Herr Wachtmeister Härtner drückte alle beide Augen zu, im Kopfe nämlich, wenn ihn nur die an den Füßen nicht an ihre Gegenwart erinnerten. Was hatte er und Andere davon, wenn er bei sauberem Pflaster daherstolziren mußte, wie ein Storch und schließ lich war das Gras ja Niemand im Wege, die ganze Stadt befand sich nur wohl dabei. Das waren die Straßen meiner Vaterstadt! Heute ist es freilich ein ganz Theil anders! Hübsches, sauberes Trot toir bedeckt die Seitenwege der Hauptstraßen, und wehe dem armen Grashalm, der noch empor zu wuchern wagte. Es wird flugs beim Schopfe "ge nommen und beschließt auf irgend einem Kehricht haufen sein Dasein. Das Pflaster war in Feldheim, wie gesagt, expreß wie für die Schuhmacher bestellt, sie wollten ja auch leben, und hatten als städtische Bürger das beste Anrecht auf solchen kleinen Vortheil. Das sagte auch Härtner, aber ich kann dem trefflichen Manne in dieser Beziehung nicht ganz beipflichten. Was dem Einen recht, wäre doch gewiß dem Andern billig; aber man hätte doch unmöglich verlangen können, daß sich alle Tage so und soviel Feldheimer zum Sterben hinlegten, nur damit die Tischler Särge zu machen gehabt. Das hieße denn doch den Ge meinsinn auf die Spitze treiben! Wenn man am dunklen Abend so langsam die Straßen hinabstolzirte, so passirte es nicht selten, daß man mit irgend einem Schirm, Stock, Wagen deichsel, oder auch, wenn das Glück günstig war, mit einer hübschen Tochter ohne Mutter recht intim, obgleich selten erfreuliche Bekanntschaft machte. Auch das hatte seinen guten Grund. Feldheim hatte 40 Laternen, vierzig Stück, welche, wie der alte Raths- herr Niesmann, Jedem, der es hören wollte, ver sicherte, den Stadtsäckel noch arm machen würden. Früher waren nur 25 Lampen dagewesen, und man hatte sich auch nicht öfter die Köpfe zerstoßen, wozu also die große Vermehrung? IV. Feldheim war eine Ackerstadt! von Handel konnte trotz der Eisenbahn keine Rede sein und die In dustrie beschränkte sich auf die Handwerker, die aber fast sammt und sonders neben ihrem Gewerk noch fleißig ihr Land bebauten. Und nicht selten kam es vor, daß Werkstatt und Haus leer stand und das ganze Gewese hinauszog! Das waren Festtage und besonders für uns Jungen. Paul's Onkel, ein alter Junggeselle, war in Allem, was Landwirthfchaft anbeiraf, in der Stadt Autori tät. Während sein Bruder, der Vater meines Freundes, Rentier spielte, war er noch tapfer drauf und dran, nebenbei freilich stets bemüht, Jedem einen harmlosen Schabernack zu spielen, den er an traf. Nur einen einzigen Spaß von den vielen Hunderten will ich erzählen, der allerdings etwas derb war, den der betreffende aus Rücksichten — die ich hier nicht weiter nennen kann, recht wohl verdient hatte. Der alte Herr Christian saß im Kreise gleichge sinnter Freunde fidel beim Schoppen im Löwen. Das Blaue wurde vom Himmel herunter geschwatzt. Der alte Herr allein war etwas schweigsamer als sonst; es befand sich ein Mann im Zimmer, der ihm einmal einen ganz infamen Streich gespielt, den er noch immer nicht vergessen konnte. Das Motiv dafür war ein etwas tiefer liegendes, als Schabernack, und Onkel Christian wünschte nichts sehnlicher, als sich dafür tüchtig zu rächen und Glei ches mit Gleichem zu vergelten. Das Gespräch kam auf Haare — Menschenhaare — und dessen Preis, und es wurde hitzig hin und her debattirt, als On kel Christian, wie er allgemein hieß, plötzlich mit den Worten dazwischen fuhr: „Geht doch mit Euren Haaren! Für einen guten Vollbart gebe ich sofort 10 Thaler!" „Abgemacht," rief sein Antipode herüber, der einen stattlichen Bart trug. „Gut," erwiderte der Alte und zählte 10 blanke Thaler auf, die der Wirth einstweilen zur Verwah rung erhielt; der Bärtige lachte sich ins Fäustchen. (Fortsetzung folgt.) Die Augensprache. Nachdruck verboten. Wir haben es bei der Augensprache nicht mit einer will kürlich gesetzten Sprache, wie die Blumensprache es ist, zu thun, denn sie ist der Ausdruck der Gemüthsbewegung und hat demnach seinen tiefinnerlichen Grund. Selbst das gelehrige Streitroß trägt mit frohem Muthe seinen Reiter in die Schlacht und sein Auge sprüht voll Freude und Muth; niedergeschlagen und trauernd steht es neben dem Gefallenen. Einzelne Beziehungen, wie Katzenaugen, Luchsaugen u. A. m. sind in die Sprache des alltäglichen Lebens über gegangen, wo sie als ein Merkmal für unsere Gewohn heiten gelten. Der Ausdruck des Auges wird also für ein charakteristisches Kennzeichen bestimmter individueller Eigenheiten gehalten. Es ist dies physiologisch begründet, denn das Auge dient eben nicht nur als Sehorgan, sondern es wird ohne unser Wissen und unseren Willen unser eigener Verräther, indem es von den physischen und psychischen (seelischen) Erregungen Kunde giebt, und zwar ganz ohne unser Be wußtsein. „Da ist er wieder, der verknöcherte Gelehrte, dem auch nichts heilig ist; alle unsere Ideale muß er vor sein Forum ziehen und „ergründen," wird manche schöne Leserin sagen oder denken und einen vorwurfsvollen Blick auf diese Zeilen werfen. Doch seien Sie ruhig, Verehrte, für manches Vorurtheil sollen Sie auch zum Ersatz durch die Wissenschaft entschädigt werden. So ist es z. B. falsch, aus der bloßen Farbe der Au gen einen Rückschluß auf den Character zu machen, denn warum sollen alle Besitzerinnen holder blauer Augen ei nen und denselben Character haben? Viele glauben das, weil es ihnen vorgesprochen wird. Unbegründet ist ferner die Ansicht, daß Leute mit her vortretenden Augen stark sinnlich seien; denn diese Er scheinung, das Hervorstehen des Augapfels, wird oft genug durch Krankheit hervorgerufen. Weit eher ist man be rechtigt, von tiefliegenden Augen auf ein bewegtes Leben zu schließen, da ein raschlebiger Mensch das Fett in den Augenhöhlen, welches den Augapfel vordrängt, schnell aufbraucht. Am meisten gilt der Glanz für den Ausdruck der Augen. Schon von Weitem betrachtet, glänzt das Auge. Betrach tet man Jemand recht scharf, während er in die Ferne sieht, so sieht man die Pupille sehr groß, beim Blick in die Nähe ist die Pupille kleiner. Beim Blick in die Ferne glänzt daher das Auge viel mehr, als für gewöhnlich. Nun unterliegen aber die beiden Muskeln, welche die Pu pille erweitern und verengern, dem Einfluß der Nerven, und so kommt es, wenn das Auge auch nur in eine ideale Ferne sieht, wenn man etwas Ideales, Freudiges, An genehmens denkt, daß sich dann die Pupille erweitert. Wahre Andacht und Sehnsucht bringen den schönsten Glanz der Augen hervor, weil bei diesen Gemüthsbe- wegungen und Stimmungen die Pupille sehr groß ist. Das unheimliche Feuer, das bei rasenden, unbändigen Leidenschaften aus dem Auge bricht, hat wahrscheinlich seinen Grund darin, daß bei dem schnellen Wechsel' der Leidenschaft sich die Pupille schnell verengert und erwei tert, und auf diese Weise das Auge blitzt, ähnlich, wie unter dem schnellen Erschlaffen und Erweitern der Ge fäße des Gesichts dieses plötzlich erröthet und erblaßt, was auch nur bei großen Gemüthsbewegungen eintritt. Conservirt wird der Glanz der Augen hauptsächlich durch das Herabsinken des oberen Augenlides, welches den Staub vom Auge wegwischt und bei jedem Sinken ein Ouantum Fett über die (äußere) Hornhaut ausbreitet, welches in der die Hornhaut umgebenden weißen Bindehaut präpa- rirt wird. Wenn nun seelische Affecte das Blut in hefti geren Wallungen nach dem Kopfe treiben, so wird auch der Stoffwechsel in der Bindehaut beschleunigt und das Auge erhält in Folge dessen einen feuchten Glanz, den Manche irrthümlich den Thränen zuschreiben. Doch auch die Thränen des Auges, wie innig sind sie mit unseren seelischen Erregungen verknüpft, was sprechen sie nicht Alles aus! Wenn tiefes Weh des Menschen Brust erfüllt, dann entquillt dem brennenden Auge die Thräne und löst den starren Bann, welcher das verwundete Herz umfangen hält. Blutige Thränen des Schmerzes nennt sie der Dichter. Thränen entströmen den Augen, wenn die un heilvollen Folgen einer raschen That sich zeigen, die nicht wieder gut zu machen ist. Es sind die bitteren Thränen , der Reue über die unbedachte That, deren Folgen nicht berechnet und vorausgesehen waren. Mit Thränen aber auch füllt sich das Auge, wenn die sparsame, gütige Göttin Fortuna aus ihrem unendlichen Füllhorn — ach leider nur zu selten — dem Armen ihre reichen Gaben unver hofft in den Schooß schüttet, daß er aufjauchzen möchte in unendlicher Seligkeit. So verkünden die perlenden Thränen zugleich die tiefste Trauer und die höchste Lust, die größte Freude und den bittersten Schmerz. Kein Wunder, wenn angesichts solcher Erscheinungen die Ansicht verbreitet ist, daß di: Thränen dazu dienen, Gemüthsbewegungen auszudrücken, daß sie Thauperlen des menschlichen Herzens sind! Vermischtes. Eine tödtliche Vergiftung durch eine« Schleier hat sich kürzlich in einer Stadt in Kansas zugetragen. Die Frau eines Richters hatte am Gesicht eine Schramme und zog daher einen dunkelgrünen Schleier über das Antlitz, als sie einen Spaziergang machte. Die Wunde kam mit dem grü nen Farbstoffe in Berührung und eine Blutvergiftung war die Folge, an der die Frau starb. Zwei glückliche Gewinnerinnen. Zwei Schwestern, welche die Trafik im Pester Börsengebäude gepachtet haben, haben den letzten Haupttreffer der Wiener Communalloose im Betrage von 200,000 fl. gemacht. Und das kam so. Die beiden Glücksschwestern, Namens Rosa und Katharina Gru ber, 18 respective 19 Jahr alt, befassen sich außer dem Ver kaufe von Rauchrequifiten aller Art auch mit dem Verkaufe von Promessen, wie dies ja in den meisten Trafiken üblich ist. Am 1. April, also am Ziehungstage, war ihnen nun von 25 Stück Promessen auf Wiener Communalloose noch ein einziges übrig geblieben, doch, trotzdem sie es freundlichst zum Verkaufe ausboten, wollte Niemand anbeißen. Wie man erzählt, war in früher Morgenstunde ein Professor, der feinen Bedarf an Cigarren stets in dieser Trafik deckt, dort erschienen und auch ihm wurde die Promesse mit der be kannten sicheren „Aussicht auf den Haupttreffer" angeboten. Obgleich nun der Mann, der eine zahlreiche Familie sein Eigen nennt, die 200,000 fl. wohl brauchen konnte, wollte er doch nicht zugreifen, gerade weil der erste April als „Auf sitzertag" berüchtigt ist. So blieb denn die Promesse den gu ten jungen Damen auf dem Halse. Um die Mittagsstunde wollten sie dieselbe zwar bereits einpacken und nach Wien an die Wechselstube zurücksenden, von welcher sie dieselbe in Commission hatten, aber es mangelte ihnen an Zeit und so beschlossen sie, die Promesse für sich zu behalten. Als nun gestern Morgens Fräulein Rosa ein Zeitungsblatt zur Hand nahm, um die Nummern und Serien der Ziehung nachzu sehen, stieß sie plötzlich einen lauten Schrei aus, während die Zeitung zur Erde fiel. Die erschreckt auf sie zusilende Schwe ster fragte, was ihr plötzlich fehle. Statt aller Antwort zog Rosa aus der Lade die weggelegte Communalloos-Promesse hervor und reichte sie der Schwester. Letztere blickte zuerst auf die Promesse und dann in die Zeitung, um hernach gleichfalls einen Schrei auszustoßen. Auf die Promesse, welche die Serie 2445 und die Nummer 85 trug, war der Haupttreffer mit 200,000 fl. gefallen. Unbeschreiblich war der Jubel der beiden Schwestern, die es auch nicht unter ließen, eine verheirathete Schwester und deren Gatten sofort von dem außerordentlichen Glücksfalle in Kenntniß zu fetzen. Bald hatte sich die Kunde von der Haupttreffergeschichte im ganzen Stadttheile verbreitet und in Hellen Schaaren kamen dis Neugierigen herangezogen, um einestheils die Glückskin der von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und anderntheils wieder, um ihnen auf's herzlichste zu gratuliren. Erwäh- nenswerth ist noch, daß eines der beiden Mädchen im Braut stande sich befindet und nun auf so unverhoffte Art zu einer nie geträumten Mitgift kam. Neidlos gönnt Jedermann der braven Familie diese neueste Laune der Glücksgöttin. Ein netter Freund. A.: Was, Du läufst noch herum? Und, wie ich sehe, ganz munter? Hörte vor einiger Zeit, Du seist gestorben. B.: Was? Und da bist Du nicht ein mal zu meinem Begräbniß gegangen?! Du bist mir ja ein netter Freund, das muß ich sagen! Eine hübsche Heine-Anekdote erzählt „Der Bär." Wie bekannt, wohnte Heine in Paris im Faubourg Poissoniöre und zwar vier Treppen hoch. Eines Tages kehrt er aus dem Lesekabinet zurück, seine Frau empfängt ihn schon an der Thüre und erzählt ihm im Tone des Vorwurfs, ein ganz alter Herr sei dagewesen uud habe ihn sprechen wollen; sie habe den alten Mann sehr bedauert, daß er so ganz umsonst so hoch habe steigen müssen. Heine besieht die Visitenkarte. „Tröste Dich, mein Kind," sagte er, „der Mann ist schon höher gestiegen als zu uns!" ... Es war die Karte Alexander von Humboldts. Näthsel. Schmucke Dinge, merk's, es sind; Streichst ein Zeichen Du geschwind, Aus der Mitt', sind's Reste noch', Aber oft bewundert doch. Auflösung des Räthsels in Nr. 98: Mitgift — Mit Gift. Schiffs-Bewegung der Hamburger Postdampfer: „Rhaetia", 16 April von Hamburg, 30. April in Nswyork angekommen. „Lessing", 17. April von Newyork 29. April in Hamburg eingetroffen. „Allemannia" 26. April von St. Thomas nach Hamburg abgegangen. „Thuringia", „Selesia", beide von Westindien nach Hamburg, 28. resp. 29. April in Havre angekommen. „Saxonia", 26. April in St. Thomas, „Bo russia" 29. April in Vera Cruz angekommen. „Teutonia", 28. April von St. Thomas abgegangen. „Argentina" 28. April in Bahia, „Lissabon" 29. April in Montevideo ange langt, „Paranagua", von Brasilien kommend, 29. April Dover passirt. MH 'S dorsoünuLA. WWW WWW Waläenbui-g, Kii-ckgsssv 255, oinMeüIb sied nur ^.nkortiAUUK allsr Oruoüarlisiton doi billiAstor ?rsis- von Redaetion, Druck und Verlag von E. Kästner in Waldenburg.