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chöiünmM TagMait Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. ^L28« Donnerstag, den 13. November 1884 Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten *ür die nächster scheinende Nummer bis nachmittags 3 Uhr des vorhergehenden Tages. Expedition: Waldenburg, Kirchgasse 255. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 28 Pf. Einzelne Nummern 5 Pf Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Gingesandt 20 Pf. Filial-Expedition in Altstadtwaldenburg: bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit. und Waldenburger Anzeiger Bekanntmachung. Nachdem für die hier bevorstehende Stadtverordneten-Ersatzwahl die Liste der Stimmberechtigten sowie der Wählbaren aufgestellt ist, liegt dieselbe vom Erscheinen dieser Bekanntmachung ab 14 Tage lang, d. i. bis mit SS. November 1884 an hiesiger Rathsexpeditionsstelle zur Einsicht aus. Zufolge § 51 der Revidirten Städteordnung vom 24. April 1873 steht jedem Belheiligten frei, bis zum Ende des siebenten Tages nach Bekannt machung und Beginn der Auslegung, den LS. November dss. Js. gegen die Wahlliste beim unterzeichneten Stadtralhe Einspruch zu erheben. Alle Bürger, welche in der geschloffenen Liste nicht eingetragen sind, kön nen gemäß Z 52 a. a. O. an der bevorstehenden Wahl nicht Theil nehmen. Waldenburg, den 11. November 1884. Der Stadtrath. Helbig. R. II. *Waldenburg, 12. November 1884. Bei der hochgradigen Spannung, mit welcher bei uns in Deutschland dem Ausfälle der Wahlen enl- gegengesehen wurde und auch noch enlgegengesehen wird, ist die Tragi-Komödie, welche sich in der Vorwoche in den Vereinigten Staaten von Nord amerika abgespielt hat, weniger beachtet worden, als es sonst wohl der Fall gewesen wäre. Der Kampf um den Präsidentensitz der Vereinigten Staaten ist ein Schauspiel, von dem wir uns nur schwer einen Begriff machen können, dessen Heftig keit und Lächerlichkeit aber erklärlich wird, wenn wir darauf Hinweisen, daß es sich bei der Neuwahl nicht allein um den Präsidenten der Republik, son dern auch um die Neubesetzung aller hervorragenden und nicht hervorragenden Slaalsämter handelt. Mit einem Worte: Bei der amerikanischen Präsi dentenwahl spielt die Politik wohl eine große Rolle, der Geldbeutel aber eine noch viel größere. „Nimm, wo Du's kriegen kannst," ist eines der Hauptprin zipien derselben Partei geworden, welcher ein Abra ham Lincoln angehörte. Traurig, aber wahr! Vierundzwanzig Jahre hat die republikanische Partei die Vereinigten Staaten von Nordamerika beherrscht und ihre Mitglieder haben brav Alles gelhan, um sich auf Staalskosten die Taschen zu füllen. Seit Garfield's Ermordung hat die Heiden- wirthschaft in Washington mehr und mehr versucht, sich das Mäntelchen der äußeren Ehrbarkeit umzu hängen, aber — auf gut Deutsch gesagt — die Spitzbüberei guckt aus allen Falten hervor. Wenn ein Dieb irgend wo 1000 Dollars stiehlt, wandert er so und so lange ins Zuchthaus, wenn ein vor nehmer Staatsbeamter dort drüben allerlei un saubere Manipulationen macht, so nimmt man höf lich den Hut vor ihm ab und sagt: „Der Mann verstehl's; sieh' zu, daß Du ihm nachahmst!" Das sind so Sillen in jenem freien Lande. Natürlich war es, daß die Republikaner bis zur letzten Sekunde Alles aufboten, sich den Sieg zu erhalten. Ihr Candidat Blaine hielt an einem Tage oft 18 Reden und liegt von der Aufregung des Wahlkampfes noch krank darnieder. Alles das Hal aber ebenso wenig verfangen, wie das Mittel, wodurch die Republika ner bei der Wahl ihres Präsidenten Hayes siegten: einfach gegnerische Stimmen zu beseitigen, und Grover Cleveland, der Candidat der Demokraten, ist zum Präsidenten der nordamerikanischen Union erwählt worden. Der 4. November hat also dem 24jährigen Regi ments der Republikaner ein Ende gemacht. Ebenso lange etwa waren vorher die Demokraten am Ruder gewesen und sie waren gefallen, weil sie damals der Corruption ebenso Thür und Thor geöffnet hatten, wie jetzt die Republikaner. Unter Lincoln haben die Letzteren die Einheit der großen Republik jenseits des Oceans gerettet, aber unter General Grants zweiter Präsidentschaft erreichte die Scham losigkeit, mit welcher die öffentlichen Interessen dem Ausbeutungssystem der Parteigänger geopfert wurden, eine solche Höhe, daß sich ein Umschlag der öffent lichen Meinung vorzubereiten begann. Die Ver dienste der Republikaner standen in einer weiten Vergangenheit, vor Augen standen nur ihre Sün- , den. Die Demokraten aber haben im Laufe der langen Jahre, während deren sie zur Enthaltsam keit oder zu vergeblichen Kämpfen verurtheilt waren, die Zeichen der Zeit verstehen gelernt und sie haben den richtigen Griff gethan, in dem sie Cleveland als Candidaten aufstellten. Cleveland ist ein Mann, welchem glänzende, bestechende Eigenschaften ab gehen, aber durch und durch ein Ehrenmann, und auf ihn vereinigte auch das ehrenhafte Element der Republikaner, das deutsche, seine Stimmen, das von der liederlichen Wirthschaft nichts mehr wissen wollte. Blaine, der durchgefallene Candidat der Republikaner, ist ein sehr liebenswürdiger, gewinnender Herr, aber er besitzt ungemessenen Ehrgeiz und — keine reinen Hände. Ehrlichkeit und Corruption, das waren die Schlagworte bei dieser Wahl, alle sonstigen Partei- prinzipien traten völlig zurück, und glücklicherweise hat die Ehrlichkeit, wenn auch nach hartem Kampfe, der deutlich zeigt, wie's drüben steht, den Sieg da von getragen. Ein ehrlicher Mann steht somit an der Spitze der nordamerikanischen Union. Er hat den festen Willen, mit dieser vornehmen Diebesgesellschaft ein Ende zu machen, doch wird sich trotz alledem dec Umschwung in der inneren Entwickelung nur lang weder er, noch seine Partei vergessen: Von der Regierung in den kommenden vier Jahren hängt die Zukunft der demokratischen Partei ab. Täuscht sie die auf sie gesetzten Erwartungen, so wird sich über vier Jahren die Majorität der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Nordamerika wieder den Republikanern zuwenden. Die Letzteren haben das Sternenbanner der Union durch ihre Mißregierung besudelt, die Demokraten müssen nun zeigen, daß sie den Willen und die Kraft haben, die Flecken zu tilgen. *Waldcnburg, 12. November 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser ertheilte am Dienstag dem Reichs kanzler Fürsten Bismarck eine längere Audienz. Mittags empfing der Kaiser den Admiralitätschef von Caprivi, sowie den Besuch des Erbgroßherzogs von Baden. Die Spazierfahrten setzt der Kaiser ununterbrochen fort. Die Prinzessin Ludwig von Bayern ist von einer Tochter glücklich entbunden worden. Die Familie des Prinzen Ludwig zählt nunmehr 4 Prinzen und 5 Prinzessinnen. Die Verordnung, betreffend Einberufung des Reichstages, hat folgenden Wortlaut: Wir Wil helm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen rc. rc. verordnen auf Grund des Art. 12 der Verfassung, im Namen des Reiches, was folgt: Der Reichstag wird berufen, am 20. Novem ber d. I. in Berlin zusammen zu treten, und beauf tragen Wir den Reichskanzler mit den zu diesem Zweck nölhigen Vorbereitungen. Urkundlich unter Unserer höchsteigenhändigen Unterschrift und bei- gedrucklem Kaiserlichen Jnsiegel. Gegeben Berlin, den 11. November 1884. Wilhelm, v. Bismarck. Die Nachricht, daß im Auswärtigen Amt eine dritte Abtheilung geschaffen werden soll, wird der „Nat.-Ztg." bestätigt. Angeblich sollen dieser neuen Abtheilung die kolonialen Angelegenheiten zu gewiesen werden. Wie sehr die Ansichten über die Bedeutung des Wahlresultates auseinander gehen, ergiebt sich aus Folgendem: Die,, Nordd. Allg. Ztg." hebt hervor, daß die freisinnige Partei eine schwere Nie derlage erlitten, die Nationalliberalen und die Con- servativen sich wesentlich verstärkten, die Social demokraten mehr Stimmen als Sitze gewannen, und endlich das Centrum ziemlich unverändert wiederkehre. Es sei das ein Beweis dafür, „daß die Ziele dieser letztgenannten Partei außerhalb der nationalen Interessensphäre liegen." Der be deutendste Erfolg sei aber das Zusammenwirken von Conservalioen und Nationalliberalen, welches auch in der Folgezeit gute Früchte verspreche. Dem gegenüber sagt die Germania, Herrn Windthorst's Organ: „Einstweilen hat Fürst Bismarck bei den jetzigen Wahlen eine furchtbare Niederlage erlitten, denn: die so heftig angefeindete Centrumspartei hat ihre momentane Niederlage ein, weist aber auf das Anwachsen der Socialdemokratie als bedeutungs vollstes Moment hin, während Nationalliberale und Conservative sich ihres Sieges rühmen. Wer Recht hat, das können schlagend erst die nächsten Wahlen lehren. Herr Eugen Richter hatte in einer Wahl versammlung des V. Berl. Reichstagswahlkreises bekanntlich erklärt, er habe die Wahl in Hagen nur angenommen, weil das Mandat dort sonst verfallen wäre. Er mache seine letzte Entscheidung aber von dem Ausfall der Stichwahl in Berlin abhängig. Die Wests. Post schreibt nun: „Nach den positiven Behauptungen seiner hiesigen (Hagener) ihm nahe stehenden Freunde, wie nach seinen Antezedentien denkt Herr Richter nicht im Entferntesten daran, sein Mandat in Hagen fallen zu lassen!" Hier ist denn doch wohl eine Klärung nothwendig. Donnerstag finden in Berlin die Stichwahlen statt, für welche beiderseits in unglaublich regsamer Weise agilirt wird. Im 6. Wahlkreise steht das Resultat, Hasencleverls Wahl, fest, da die frei sinnige Partei bereits den Kampf als nutzlos auf gegeben hat; in 2, 3. und 5. stehen sich gegenüber Pro fessor Virchow-Stoecker, Munckel-Brecher, Eugen Richter-Cremer. Den Ausschlag geben überall die Socialisten, deren Führer entweder Wahlenthaltung oder Abstimmung für die freisinnigen Candidaten empfehlen. Namentlich der socialistische Abg. Sin ger hat noch Montag Abend in einer großen Ar- beiterversammlung(1.d.)inStoeckers Wahlkreis in die- sam vollziehen können. Cleveland wird kaum hin dern können, daß sich die „ausgehungerten" Demo kraten auf die Aemter stürzen, er muß sich vorerst begnügen, den Uebergang vorzubereiten und kann dann erst mit dem Uebel aufräumen. Eins wird ihren Besitz völlig behalten, der Kanzler hat keine Mehrheit, wie er sie will, erhalten, ist also nicht Herr der inneren Lage, und endlich ist die Social demokratie stärker als zuvor." Dann folgt ein indirekter Appellan den Kanzler, mit dem Centrum Frieden zu schließen. Die freisinnige Partei gesteht