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Schönburger Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Lage nach Sonn» und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster, scheinende Nummer bis nachmittags 3 Uhr des vorhergehenden Tages. Expedition: Waldenburg, Kirchgasse 255. ««d aldenburger Anzeiger. Der AbonnementSpreis beträgt vierteljähr lich L Mk. SS Pf. ' Einzelne Nummern 5 Pl Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Filial-Expedition in Altstadtwaldenburg: bei Herrn Kaufmann Max Liebezrit. Amtsblatt für deu Stadtrath zu Waldenburg. Donnerstag, den 23. Oktober ^L24S. 1834. *Waldenburg, 22. October 1884. Wir haben bereits in letzter Nummer auszugs weise eines Wahlaufrufes der Arbeiter im Leipziger Landkreise gedacht, den wir auf allgemeinen Wunsch heute an leitender Stelle wörtlich wiedergeben als Beweis, daß auch die Arbeiter endlich zur Einsicht und Vernunft gelangen und sich von den phanta stischen Zukunftsträumen der Herren Socialisten- führer lossagen. Der Aufruf, welcher für die Can- didatur des Herrn vr. Heine in Neu-Schleußig ein tritt, lautet: „Die Wahlen zum Reichstag stehen vor der Thür! Auch an uns ist es, einen Vertreter zu wählen, der unsere Interessen und Wünsche wahrnimmt! Der Arbeiterstand bildet das Fundament, den Grundpfeiler des Staatsgebäudes. Aber dieser Stand gilt heute fast gleichbedeutend mit der socialdemokratischen Partei. Das ist ebenso natürlich, wie unwahr, muß aber so erscheinen, so lange Gleichgiltigkeit, Mangel an Ueberlegung und, sagen wir es offen, Furcht den bessern Theil des Arbeiterstandes abhält, den Verlockungen ehrgeiziger Führer zu widerstehen und die eigene Meinung offen und ehrlich zu bekennen. Nicht alle Arbeiter sind Socialdemokraten! Es sind ihrer Unzählige, die noch ein Herz für König und Vaterland, die nicht in jedem Arbeitgeber den sie ausnutzenden Feind sehen, die von Weiber- und Gütergemeinschaft nichts wissen wollen! Aber das freimüthige Bekennen solcher Anschau ungen, das fällt heul' zuTage schwer! — Trotzdem müssen wir bekennen: Nicht jede Regierung ist eine Feindin des Arbeiters, wie nicht Jeder ein Arbeiter freund ist, der diesen Titel anmaßend auf der Zunge trägt!" Arbeiter! Wo sind alle die von den Führern der Socialdemokralie verheißenen goldenen Berge geblieben? Kann ein vernünftiger Mensch im Ernste glauben, daß das versprochene Paradies, wo Jeder für die halbe Arbeit den zehnfachen Lohn ernten soll, jemals erscheinen werde? Hand aufs Herz! — Keiner glaubt's, die Führer selbst am letzten! Sie rauben uns nur den Glauben an Gott, die Liebe zum Vaterland und der Familie und die Freude an der Arbeit; unsere materielle Lage ist durch Jene um kein Jota verbessert worden! Haben sie uns höheren Lohn und weniger Arbeit gebracht? Haben sie uns ein gesichertes Alter, Schutz gegen Krankheit und Unfall, kurz, eine gesicherte Existenz verschafft? Unzufriedenheit haben sie gesäet, unsinnige Strikes, die Tausende von Familien in's Elend stürzten, haben sie geschaffen und geschürt; das Socialisten- gesetz, das ihre Anhänger zu Bürgern 2. Klaffe degradirt hat, haben wir nur denen zu verdanken, die uns warnen, irgend etwas vom jetzigen Staate anzunehmen und uns, weil sie kein anderes Mittel wissen, auf die sobald wie möglich herbeizuführende sociale Revolution vertrösten! Arbeiter! Wenn wir künftig Sicherheit gegen die Unfälle des Lebens, wenigstens einigermaßen, haben, wenn wir geschützt sind gegen die Noth der Krank heit, wenn wir nicht mehr fürchten müssen, daß Unglücksfälle im Berufe uns und unsere Familien als Bettler auf die Straße werfen —, wem ver danken wir das? In erster Linie doch sicher unserer Reichsregierung, die mit Umsicht und Energie, den übrigen Völkern voranschreitend, die Bahn der socialen Reform be treten hat! Bloße Wahltaktik, bloßes Manöver sollen alle jene im Interesse des Arbeiterstandes erlassenen und noch zu erlassenden Gesetze — Kranken-, Unfall-, Alters versorgungsgesetz — sein, so sagen Diejenigen, welche sich als unsere Führer aufspielen! Wer berechtigt sie zu diesem Vorwurf? Wo sind die Beweise dafür? Hat unser ehrwürdige Kaiser, der die gegen ihn gerichteten Mordkugeln mit jener berühmten Bot schaft vom 17. November 1881 vergalt, solchen Un dank verdient? Hat sein großer Kanzler, dem wir es doch in erster Linie verdanken, daß wir überhaupt in den Reichstag wählen können, zu so niedrigem Verdachte Veranlassung gegeben? Arbeiter! Jagen wir nicht mehr phantastischen Plänen nach, die sich doch nicht erfüllen; treiben wir nichtden Schrecken einerRevolution zu, deren Ende, wie das aller Revolutionen, nur blutiger Elend und schwerste Reaktion sein würde; setzen wir uns lieber bestimmte und erreichbare Ziele vor, welche wir sicherer im Wege des Fried as und der Verständi gung mit der Regierung und unseren Arbeitgebern erreichen werden, als durch fortwährenden Hader und ewiges, unfruchtbares Neinsagen! Die Führer der Socialdemokraten haben uns Steine statt Brod gegeben, sie wollen uns durch schwere, blutige Kämpfe über Trümmer und Leichen zu besseren Zuständen führen! Die Reichsregierung hat aber energisch die Bahn der friedlichen, socialen Reform eingeschlagen, kommen wir ihr mit Vertrauen entgegen! Denn Vertrauen weckt wieder Vertrauen! Schon dämmert es im Arbeiterstande! Am Rhein haben Tausende unserer Brüder unser n allen ruhm reichen Kaiser ihren Dank in einer Adresse darge bracht, welche im ganzen deutschen Reiche in den Herzen aller Arbeiter lebhaften Wiederhall gefunden hat, und wir sind gewiß, daß es nur dieser An regung bedürfen wird, um auch in unseren Kreisen zahlreichen Gesinnungsgenoffen den Mund zu frei- müthigem Bekennen ihrer innersten Ueberzeugung zu öffnen! Wichtige Interessen harren im neuen Reichstage der Entscheidung, Interessen, welche dem Arbeiter vor Allem nahe liegen! Es gilt, dem Gebäude der socialen Reform das dritte und wichtigste, aber auch das schwierigste Stockwerk — die Altersversorgung der Arbeiter — aufzusetzen. Es gilt, die Regierung auf dem kühn und entschlossen betretenen Pfade der Colonialpolitik, durch welche der deutschen Arbeit neue Absatzgebiete erschlossen werden, kräftig zu unterstützen! Dazu brauchen wir aber keinen Socialdemokraten, der über seinen wilden Zukunststräumen die Gegen wart vergißt, oder wenn er sich mit ihr beschäftigt, sie nur durch die Brille des Mißtrauens und Klassen haffes sieht. Dazu brauchen wir auch keinen Fortschrittler und Freisinnigen, dessen ganze politische Weisheit nur in einem einzigen langweiligen „Nein" besteht. Wohl aber bürgt uns für eine entschlossene und nachhaltige Vertretung unserer Interessen der Name eines Mannes wie des Herrn vr. Carl Heine in Neu-Schleußig. Er ist ein Mann des Volkes, ein Mann de» praktischen und werkthätigen Lebens, kein Professor und Stubengelehrter. In steter Berührung mit dem Arbeiterstande, kennt er dessen Interessen und Wünsche und hat während jener langjährigen Thä- tigkeit sich stets als treuester Freund des arbeitenden Volkes gezeigt. Arbeiter! Wir wollen nicht mehr unsere Meinung und unser Gewissen knechten und uns von ehrgeizi gen Führern mißbrauchen lassen! Wer Socialdemokrat ist, mag es bleiben! Wer aber wie wir, anders denkt, soll es frei und furchtlos bekennen! Wir wollen standhaft und mit Ernst unsere In teressen vertreten; dazu brauchen wir keine geheimen Versammlungen, wir brauchen das Licht des Tages nicht zu scheuen! Möge unser Ruf weit und breit ein Echo in den Herzen unserer Brüder finden! Möge der Bann der Socialdemokratie gebrochen werden! Möge eine neue, eine wirkliche Arbeiterpartei erstehen!" *Waldenburg, 22. October 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Kaiser Wilhelm wird Donnerstag früh 8'/» Uhr aus Süddeutschland wieder in Berlin eintreffen. Der Kaiser hat an den Generallieutenant z. D. v. Stockmar in Dessau die folgende Kabinetsordre gerichtet: Ich habe mit aufrichtigem Interesse ver nommen, daß es Ihnen und Ihrer Ehegattin durch des Himmels Gnade vergönnt ist, am morgenden Tage das Fest der Diamant-Hochzeit zu begehen. Ich kann es Mir nicht versagen, dem Jubelpaare die herzlichsten Glückwünsche zu diesem frohen Er- eigniß auszusprechen, indem Ich Ihnen gleichzeitig zur Erinnerung daran die hier beifolgende „goldene Ehejubiläums-Medalle" verleihe. Baden-Baden, 17. October 1884. Wilhelm. Kronprinz Rudolf von Oesterreich ist Montag Abend mit dem fahrplanmäßigen Zuge von Berlin nach Wien zurückgereist und dort Dienstag früh eingetroffen. Aus Kiel, 18. October, wird der Köln. Ztg. ge meldet: Prinz Heinrich stellte sich bei der heutigen Parole als befördert zum Kapitänlieutenant und Hauptmann des 1. Garde-Regiments z. F. dem versammelten Offiziercorps vor und empfing dessen Glückwunsch. Der Reichskanzler Fürst Bismarck ist aus Fried richsruhe wieder in Berlin eingetroffen. Aus Braunschweig wird mitgetheilt, daß die Aufstellung der Leiche des Herzogs im Gartensaale des Residenzschlosses erfolgt. Dem Publikum ist der Zutritt am Donnerstag und Freitag Vormittag von 9 — 12 Uhr und nachmittags von 2—5 Uhr gestattet. Privatnachrichten zufolge hat der Herzog dem deutschen Kronprinzen sämmtliches bewegliches Inventar, die Kunstschätze und das Silbergeräth im Schlosse zu Oels zum Geschenk gemacht. Der braunschweigische Landtag tritt am Donnerstag Vor mittag 11 Uhr zusammen. Erwähnt mag noch sein, daß Exzellenz Windthorst nach dem Salzkammergut zum Herzog von Cumberland gereist ist. Es wird sich bald zeigen, welche Rathschläge der Centrumr- führer dem früheren Kronprinzen von Hannover ertheill hat. Ueber die Stimmung in Braunschweig wird der „Voss. Ztg." geschrieben: „Man sieht be greiflicherweise der weueren Entwickelung der Dinge mit Spannung, aber ohne sonderliche Erregung entgegen. Eine unbedingte Sympathie ist weder für die hannoverschen Welfen, noch für Preußen vorhanden. Da der braunschweigische Bürger und Bauer sich in seinen engen Verhältnissen frei und wohlig gefühlt hat, so ist der Wunsch nach Auf rechterhaltung der Selbstständigkeit des Landes be greiflich. Von Preußen würde man sehr gern die verkehrspolitische Aufschließung des bisher in dieser Beziehung noch sehr schlecht bedachten Herzogthum« annehmen und sich darum vielleicht mit der Wahl eines Regenten aus dem Hause von Hohenzollern am leichtesten aussöhnen, vorausgesetzt, daß es über haupt zu einer solchen Wahl kommt. Die alten Traditionen sprechen zwar für den Herzog von