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Beilage zum Schönburger Tageblatt. 22«. Sonntag, den 28. September 1884. Punkt 6 Uhr. (Aus der „Wiener Preffe".) Im Hause Duflost wird um 6 Uhr abends ge speist. Seit morgens vom Hause abwesend, kehrt Duflost zum Diner zurück. Er hat sich um sieben Minuten verspätet. Madame Duflost, ohne ihrem Gatten Zeit zu einer Entschuldigung zu lassen: Als Du die Glocke zogst, glaubte ich schon, es wäre der Arzt. Herr Duflost, unruhig: Du hast ihn erwartet? Fühlst Du Dich unwohl? Sie: Glaubst Du, eine Gesundheit von Eisen könnte einem Magen Stand halten, der durch un regelmäßige Mahlzeiten systematisch ruinirt wird? Meinst Du etwa, daß man nicht vor Angst und Aufregung krank werden müße, wenn man jeden Augenblick befürchtet, einen Unglücksboten eintreten zu sehen, der einer armen geängstigten Frau die Nachricht bringt: Ein Stellwagen ist Ihrem Ge mahl über den Kops gefahren! Herr Duflost fühlt das Nahen des Sturmes und schweigt. Sie: Willst Du nicht die Güte haben, mir wenigstens auf eine Frage zu antworten? Er: Auf welche? Sie: Ich möchte gern wissen, ob Du die Ab sicht hast, täglich um diese Zeit nach Hause zu kommen. Er, sanft: Liebes Kind, Du wirst mir doch keine Szene machen wollen, weil ich mich um sieben armselige Minuten verspätet habe? Ich wurde durch eine Geschäftsangelegenheit zurückgehalten, um deren Geheimhaltung man mich dringend ersuchte. Sie: Wer bürgt mir dafür, daß Du nicht näch stens um eine Woche zu spät kommen wirst; mit sieben Minuten fängt man an und endigt mit Jahren. Er: Das kommt wohl kaum vor. Sie: So . . . .o! Das kommt nicht vor? Hast Du mir nicht erst gestern Abend von einem Seemann erzählt, welcher abreiste, seiner Frau ver sprach, zurückzukehren und seither nichts mehr von sich hören ließ? Er: Aber liebes Kind, das war ja vor achtzig Jahren. Sie: Gleichviel! Darum ist er doch schuldig. Er: Und dann sagte ich Dir, daß er bei einem Schiffbruch um's Leben gekommen sei. Sie: Das könnte Jeder behaupten, wenn Nie mand da ist, ihn Lügen zu strafen. O! Du täuschest Dich gründlich, falls Du glaubst, daß ich mich zum Besten halten lasse, wenn Du eines Tages in die Zeitungen einrücken lässest, Du seiest in einem Luft ballon aufgestiegen, der niemals niedergegangen ist. Bei mir wirken derlei Geschichten nicht .... eben sowenig wie die von heute. Er: Ich begreife nicht, welche Geschichte Du meinst. Sie: Ah! Ah! Monsieur kommt in Mysterien eingehüllt nach Hause. Und wenn man ihn fragt, wenn man es würdig findet, ihn zu fragen, schließt er die Lippen und sagt, es wäre ein Geheimniß. O! Ich bin nicht neugierig, es zu erfahren, Ihr kostbares Geheimniß, mein Herr, weit entfernt da von, in Ihr Geheimniß einzudringen, derlei erfährt eine Frau zeitig genug. Er: Du machst Dir unnöthige Sorgen, liebe» Kind. Ich versichere Dir, daß ich durch eine fremde Angelegenheit zurückgehalten wurde. Sie: Eine saubere Angelegenheit das, welche ein Gatte nicht eingestehen darf Außer dem Hause, ich weiß es nur zu gut, giebt es keinen, der soviel spräche als Sie; aber zu Hause muß ich Ihnen jedes Wort beinahe mit einer Zange Heraus reißen. Er: Ich wiederhole Dir, daß es ein Geheimniß und zwar nicht das meinige ist. Sie: Ha! ha! Eine gute Ausrede! Er, mit stiller Wuth: Du wirst mich noch ver rückt machen. Sie: Dazu haben Sie zu wenig Herz, mein Herr. Er: Um des lieben Frieden» halber will ich Dir Alles sagen! Sie: Nein, nein! Er ist unnöthig! Er: Du willst nicht, daß ich spreche. Sie: Wozu auch? Sie werden irgend eine Lüge ersinnen, denn darin sind Sie Meister. Er: Allen Ernste», wollen Sie mich nun an hören, Madame? Sie, nonchalant: Sie können Ihre Geschichte meinetwegen beginnen. Er: . ... Ich — Sie, ihn unterbrechend: Nur mache ich Sie darauf aufmerksam, daß ich nicht ein Wort davon glauben werde. Er: In diesem Falle ist es fast bester, wenn ich Dir gar nichts sage. Sie, frohlockend: Ha, ha! Wußte ich's doch! In dem Augenblicke, wo es mit der Sprache Heraus rücken heißt, finden Sie nichts auch nur Halbwegs Glaubwürdiges vorzubringen. O, ich kenne alle Ihre Schliche! Er, ärgerlich: Aber zum Teufel ! Sie: Immer besser nun schimpfen Sie, um Zelt zu gewinnen, Ihre Lüge zu ersinnen. Er, wüthend: Kreuzmillionenschockschwerenoth! Willst Du mich endlich zu Worte kommen lassen? Sie: O gewiß! Bitte sehr! Nur zu! Ihre Sklavin lauscht in Demuth! Er, ruhiger: So hör' denn! Einer meiner Freunde, der vor einem Falliment steht, hat sich an mich gewendet, und ich mußte den ganzen Tag umherlaufen, um ihn durch meine Bürgschaft vor der Katastrophe zu bewahren. Sie: Nun und? Er: Weiter nichts! Sie, nach einem tiefen Seufzer: O! Wie gut that ich daran, gestern den Bäcker zu bezahlen; wenigstens sind unsere Semmeln für den ganzen Monat gesichert. Von heute Abend angefangen, werde ich unseren Sohn daran gewöhnen, auf Stroh zu jchlafen, denn dies wird das Schicksal des armen Kindes sein, dessen leichtsinniger Vater sein Ver mögen an den erstbesten hergelaufenen Vagabunden verschleudert. Er: O! Vagabund! Wie kannst Du so vorschnell über Jemand uriheilen, dessen Namen Du nicht einmal kennst? Sie, verächtlich: Pah .... Als ob ich nicht schon längst errathen hätte, daß es sich wieder um diesen unausstehlichen Idioten Ducoudray handelt. Er: Doppelter Jrrthum! Es ist weder Ducoudray, noch ein Idiot. Weit entfernt davon! Ducoudray ist ein hervorragender Fabeldichter. Sie, zornig: Wenn ich daran denke, daß er die Unverschämtheit gehabt hat, mir eine seiner elenden Sudeleien zu widmen! Und für diesen elenden Fabelschmierer ruiniren Sie Ihre Familie? OI Wie unrecht that ich daran, meinen bösen Vorahnungen nicht sogleich Glauben zu schenken, als er zum ersten Male unser Hau» betrat! Damals dachte ich mir: Jetzt steht er mit zwei Füßen in unserem Salon, bald wird er mit allen Vieren in unserer Kasse sein! Und so ist es auch, Gott seis geklagt, gekommen! Unsere ganze Zukunft liegt nun in den Händen dieses Ducoudray, für den Du gehaftet hast. Er, außer sich: Ich versichere Dich, daß es nicht Ducoudray ist. Sie: Dann ist es irgend ein anderer Taugenichts derselben Gattung, dessen Namen zu nennen Du Dich wohl hüten wirst. Er: Beschimpfe den Mann nicht, denn Du würdest es bereuen, wenn Du seinen Namen wüßtest. Sie: So?! Es kann nur ein Lump, ein Bankerot teur, ein Schurke, ein Hochstabler, Jndustrieritter . ... ein Taschendieb sein. Er, verliert die Geduld: Saperlot! Jetzt ist es genug! Wenn Du es durchaus wissen willst: Für Deinen Bruder habe ich Bürgschaft geleistet, der in türkischen Actien unglücklich speculirt hat. Sie, reumüthig: Ach, mein guter Duflost, ver zeihe mir. Dis Gatten umarmen einander wiederholt! Er: Und nun, da Alles wieder in Ordnung ist, laß uns endlich zu Tische gehen. Sie: Noch nicht, liebes Männchen! Er: So? Weshalb denn noch nicht? Sie: Die Köchin mußte tagsüber verschiedene Gänge besorgen, deshalb werden wir heute aus nahmsweise statt um 6 Uhr erst um 7 Uhr diniren. Er, fällt in einen Fauteuil:. . . Erst ... um 7 .... Uhr? Und mir machtest Du eine Scene, weil ich mich um sieben Minuten verspätet hatte? Sie: Die« geschah nur, damit Dir die Zeit ver gehe, mein Schatz! Verbrecher i« Amerika. Vor einiger Zeit, so schreibt ein Chicagoer Blatt, wollte der Carpethändler Bedell einen seiner Ar beiter, einen unwissenden, freund- und heimalhslosen Finnländer, Namens Jacobson, um seinen Arbeits lohn betrügen. Jacobson, der als russischer Soldat zum professionellen Mörder erzogen war, ergrimmte ob dieses Betruges und feuerte eine Revolverkugel auf den betrügerischen Arbeitgeber ab. Tramp Jacobson wurde zum Tode verurtyeilt und wird in einigen Wochen gehängt werden. Vor etwa 11 Jahren ging ein Arbeiter, der Name ist uns entfallen, ein Kesselmacher, zu seinem Arbeit geber, einen reichen Fabrikanten, Namens Devine, um seinen rückständigen Lohn zu holen. Devine ergriff, ohne ein Wort zu sagen, seinen Revolver und schoß den Arbeiter nieder wie eine Maus, ihn auf der Stelle tödtend. Jedermann sagte: „Der Kerl muß an den Galgen!" Doch es kam anders, er wurde freigesprochen. Weshalb wurde Jacobson, der doch weit mehr Grund zu seiner That hatte, als Devine, der, weil er gebildet, für seine That viel verantwortlicher war, als der unwissende Finne, sreigesprochen? Weil Devine reich und sein Opfer ein armer Arbeiter, und weil Jacobson arm und sein Opfer ein „angesehener" Geschäftsmann war! Vorgestern wurde ein armer Teufel, Fanne, der aus Noth 30 Dollars gestohlen hatte, mit 3 Jahren Zuchthaus bestraft. Jacob Nehm wurde vor einigen Jahren überführt, einige hunderttausend Dollars ge stohlen zu haben. Es ist ihm nie ein Haar ge krümmt worden. Er ist heute einer der angesehensten und gesetzliebendsten Bürger der Stadt. Warum stempelte man Fanne zum Verbrecher und steckte ihn in die Sträflingsjacke? während man Rehm frei aus ließ und ihm noch obenein den Besitz des Raubes gestattete? Weil Fanne arm und weil Rehm reich war! Vor einiger Zeit stahl ein armer Teufel einen Rock, den er versetzte, um mit dem Erlös für seine kranke Mutter Medizin zu kaufen. Er wurde zu einem Jahr Zuchthaus verurtheilt. Vor einigen Jahren stahl D. Gage, der damalige Stadtschatzmeister, eine halbe Million. Es geschah ihm nichts; er wurde ob „seines Pech's, gefaßt zu werden" höchstens bemitleidet. Warum ging der eine ins Zuchthaus, während der andere frei ausging? Dieselbe Antwort: Weil der eine arm, der andere reich war! Vor einigen Monaten stahl ein armer Teufel einige Häute aus dem Geschäft von Fillinghorst u. Co. Er wurde zu 20 Jahren Zuchthaus verurlheit. Die Firma Fillinghorst L Co. fallirte vor einiger Zeit mit einer halben Million und „settelte" mit 25 Prozent; sie beging also einen Diebstahl an ihren Gläubigern von 375,000 Dollars. Niemand, der ihnen ein Haar krümmt. Die Geschäftsbesitzer sind heute angesehene Bürger. Warum? Dieselbe Antwort. Vor etwa einem Jahr ermordete ein unzurech- rechnungssähiger Idiot und armer Teufel in der Nähe von Evanston einen Farmer. Er wurde zum Galgen verurtheilt, vom Gouverneur zu lebensläng licher Zuchthausstrafe begnadigt. Vor einigen Jahren ermordete ein gewisser Sulli van den Schulinspector Hanford in der denkbar kaltblütigsten Weise. Er wurde freigesprochen und ist heute einer der hervorragendsten Bürger und Präsident der Irish National Land League. Warum? Dieselbe Antwort. Man könnte ein dickes Buch über Beispiele dieser Art schreiben, die keineswegs Ausnahmen sondern Regeln sind! Glückliches Land der Vereinigten Staaten von Nordamerika! Papierdrachen. Wenn draußen die Felder zum größten Theil geleert sind und der Herbstwind seine Melodie zu pfeifen beginnt, dann beginnt auch für die Jugend ein Sport, der nicht nur recht amüsant, sondern auch der Gesundheit zuträglich ist. Tonnenreifen und große Bogen Zeitungspapier wer den um diese Zeit ein gesuchter Artikel, und wehe der Rolle Bindfaden, welche die elterliche Hand nicht sorgsam hinter Schloß und Riegel bewahrt. Tag für Tag nimmt sie an Umfang ab, bis sie endlich ganz verschwunden oder auf ein Minimum reducirt ist, das die begehrlichen Finger doch nicht mehr zu eskamotiren wagen. Im Geheimen beginnt dann die Arbeit mit Kleistertopf und Pinsel und