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chönlmM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge find erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und aldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. SV Pf. Alle Postanstaltsn, die Expedition und die Eolporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 2V Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 214. Freitag, de» 12. September 1884. *Waldeuburg, 11. September 1884. In diesen Tagen (5. —12. September) find genau 12 Jahrs verflossen, seitdem Kaiser Alexander II. von Rußland und Kaiser Franz Joseph von Oester reich als Gäste unseres Kaisers Wilhelm in Berlin weilten, um ihren friedlichen Gesinnungen persön lichen Ausdruck zu geben. Tas waren die Tage, von denen her das Dreikaiserbündniß existirte, und, wenn es auch nicht verbrieft und besiegelt war, so bestand es doch in den gleichen Gesinnungen der drei Herrscher und in den Augen der ganzen Welt. „Friede!" das war seine Devise und überschwäng liche Begeisterung glaubte damals einen Bund ent standen zu sehen, der lange, lange Zeiten dauern werde. Die Geschichte der verflossenen Jahre hat gezeigt, daß diese Hoffnung eine nichtige war; erst jetzt wieder, nach langen 12 Jahren, sollen die Herrscher der drei Kaiserreiche zum ersten Male seit jenen Tagen zusammen einander sehen und damit doknmentiren, daß jenes große Wart von 1872 wieder in seine volle Geltung getreten ist: der Friede! Der Kaiser Rußland's, der vor 12 Jahren in Berlin seinen greisen Oheim begrüßte, ist nicht mehr. Alexander II. hat vorzeitig sein Leben unter Mör derhänden aushauchen müssen. Er war ein guter Freund Deutschland's bis an seinen Tod, aber die Erfahrung, die Lehrmeisterin auch der Herrscher, erst hat seinen Sohn und Nachfolger Alexander III. auf denselben Weg gewiesen, den sein Vater ge wandelt. Angesichts der jetzigen erneuten Dreikaiser zusammenkunft müssen wir uns vor allen Dingen ins Gedächtniß zurückrufen, daß das Dreikaiserbünd- niß von 1872 lhatsächiich vernichtet war. Der ! maßlose Ehrgeiz der russischen Diplomaten auf dem Berliner Congreß von 1878, auf dem das Schicksal der Türkei verhandelt wurde, lockerte die Freund schaft zwischen Deutschland und Rußland, und sie zerriß späterhin, als von Petersburg aus intime Verhandlungen mit der Revanchepartei in Paris angeknüpst wurden. Alexander II. blieb unser Freund, aber die deutschfeindliche Kamarilla an seinem Hofe verfolgte unbeirrt ihren Weg und die Folge ihrer gehässigen Politik war die Schaffung des deutsch-österreichischen Bündnisses, das Frankreich und Rußland ein gewaltiges Gegengewicht bot und uns vor allen Angriffen von rechts und links sicherte. Es war Fürst Bismarck's größte That seit 1870. 1881 starb Alexander II. Wir Deutschen haben seinen Tod theilnehmend betrauert, während in Paris die radikale Partei das große Verbrechen bejubelte. Was die Regierung Alexander's III. einleitete, wissen wir. Loris Melikoff, der Vicekaiser unter Alexander II., wurde bald beseitigt, das Regiment eines Jgnatiew begann und damit hatten die Pan- slavisten, an ihrer Spitze General Skobelew, ihr Spiel gewonnen. Eine Deulschenhetze begann, die alles Maß und Ziel überstieg, an der russischen Grenze wurden eifrig Truppen concentrirt, ein Krieg mit Rußland schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein! Da endlich wurden Alexander III. die Augen geöffnet, er sah das Chaos, in welches die antideutsche Partei ihn zu reißen drohte, hörte die Beschimpfungen der Pariser Radikalen gegen sich selber, während doch die Deutschfeinde in seiner Umgebung zum Bündniß mit Frankreich hindräng ten, und ein Wechsel der Politik begann, dem end lich in letzter Zeit eine aufrichtige Annäherung an Deutschland gefolgt ist. Alexander III. hat einger sehen, daß es weise war, wenn sein Vater zu- Freundschaft mit Deutschland rieth, daß auswärtige Verwicklungen dem Nihilismus und Anarchismus 'm Innern Rußland's Thür und Thor öffnen würden, daß ein Anschluß an die Politik der Ord nung und des Friedens der Zweikaisermächte für Rußland das Heilsamste sei. Und daraus folgt jetzt die neue Dreikaiserzusammenkunft. Die drei Monarchen, welche im Jagdschloß Skier- niewice einander begegnen sollen, blicken sämmtlich auf schwere Erfahrungen zurück. Jeder von ihnen, auch der Czar von Rußland, hat erkannt, daß das wahre Glück der Völker in Ruhe, Ordnung und Frieden besteht, und diese drei heiligen Güter zu wahren, reichen sie einander aufs Neue die Hand. Ob nun verbrieft und besiegelt, oder nicht, jetzt können wir mit gutem Recht hoffen, daß die Freund schaft der drei Kaisermächte eine festere und innigere sein wird, als nach 1872. Viel mehr spricht jetzt dafür, als vor 12 Jahren. *Waldenburg, 11. September 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Kaiser Wilhelm conferirte Dienstag Nachmittag nach der Rückkehr von der Spazierfahrt mit dem Minister v. Puttkamer. Mittwoch empfing der Kaiser den Generalquartiermeister Grafen Walder- fee und später den neuen amerikanischen Gesandten Mr. Kasson, welcher sein Beglaubigungsschreiben überreichte. Nachmittags unternahm der Kaiser wieder eine Spazierfahrt. Die Kaiserin Augusta ist von Berlin nach Koblenz abgereist. Den Kaisermanövern am Rhein werden außer dem Kaiser und dem kronprinzlichen Paare bei wohnen: Die Prinzen Wilhelm, Heinrich, Friedrich, Karl und Leopold von Preußen; der Grobherzog und der Herzog Georg von Oldenburg, der Kron prinz von Schweden, der Prinz Leopold von Bayern, der Fürst zur Lippe, der Erbprinz von Hohenzollern und später auch der Großherzog von Sachsen. Fürst Bismarck trifft, wie das „Deutsche Tgbl." hört, heute Donnerstag Abend '/27 Uhr in Berlin ein. Seine Familie wird mit ihm erwartet, auch Graf Herbert Bismarck. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht die Verleihung des Ordens xour Ik merits mit Eichenlaub an den Fürsten Bismarck. Es dürfte übrigens Vielen nicht bekannt sein, daß der Kanzler auch General der Cavallerie ist. Der Reichstagswahl-Termin ist noch immer nicht publizirt. Es scheint also richtig zu sein, daß die Wahlen erst nach der zweiten Octoberwoche statt finden. Aus Warschau meldet man der „Nat.-Ztg.", daß zur Zeit die Frage eines Aufschubes der Dreikaiserzusammenkunft um 8 Tage ver handelt werde. Bis zu anderweitiger Bestimmung ist indessen der 15. d. als Tag der Zusammenkunft festzuhalten. Die Reichscorrespondenz schreibt: „Die Anwesenheit der Staatsmänner verleiht der Zu sammenkunft den Charakter eines Ereignisses von europäischer Wichtigkeit, und wir meinen nicht zu irren, wenn wir glauben, daß zwischen den Kaisern und ihren Ministern die grundlegenden Verein barungen für eine friedliche aber zugleich entschiedene Politik der Jnteressensolidarität der europäischen Festlandsmächle gelegt werden dürften. Die deutsche Volkspartei hat ein Wahl programm in Form eines Beschlusses ihrer General versammlung festgestellt: Ihre Abgeordneten werden eintreten 1) für die Aufrechlerhaltung aller ver fassungsmäßigen Rechte des Volkes und der Volks vertretung, für die Gewährung von Diäten an die Reichstagsmitglieder, gegen jede Verkümmerung des directen und geheimen Wahlrechts, gegen jede Ver längerung der Budget- und Legislaturperioden. 2) Für die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort und Schrift, für Ueberweisung der politischen Prozesse an Schwurgerichte, für Entschädigung unschuldig Verurtheilter, gegen alle Ausnahmemaßregeln. 3) Für Herabminderung der öffentlichen Lasten, insbe sondere der Gerichtskosten und für Ersparnisse nament lich beim Militär-Etat, für vollständige Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht unter gleichzeitiger Herab setzung der Präsenzzeit unbeschadet der Kriegstüchtig- keit und Schlagfertigkeit des Heeres, für die Be seitigung aller Privilegien des Heeres oder einzelner Stände innerhalb desselben. Nach Ablauf des Sep- tennats gleiche Behandlung des Militäretals mit den übrigen Zweigen des Reichshaushalles. 4) Gegen die Erhöhung von Zöllen und Steuern auf noth wendige Lebensbedürfnisse, gegen das Tabaksmonopol. 5) Für Forderung der Landwirthschaft, des Handels und Verkehrs, für Erweiterung der Genossenschafts gesetzgebung, für volle Gewerbefreiheit und Frei zügigkeit. 6) Für eine gesunde Sozialpolitik zum Wohle der arbeitenden Klaffen, für Unfallschutz aller Arbeiter, für einen Normalarbeitstag, für Gewährung der Mittel an die Reichsregierung zur Untersuchung der Frage, wie eine Alters- und Jnvalidenver- sorgung der industriellen Lohnarbeiter durchgeführt werden kann. Ueber die Gestaltung des Militäretats im nächsten Reichshaushaltsetat wird gegenwärtig viel geschrieben. Wie die „Nat.-Ztg." aus guter Quelle erfährt, lassen sich die Ausgaben z. Z. noch gar nicht übersehen. Alle Angaben beruhen daher auf willkürlichen Combinationen. Ueber die Verletzung eines deutschen Fahnen mastes an der Westküste von Afrika wird der „Hamburger Börsenhalle" weiter gemeldet, daß es der englische Gouverneur von Anittah war, welcher den Mast ausreißen und wegschaffen ließ. In Little Popo wurde baldigstein deutsches Kriegsschiff erwartet, welches den früheren Zustand wiederher stellen sollte, indessen war dasselbe bis zum 9. August noch nicht eingelroffen. Mit Bezug auf die Beunruhigung, welche vielfach in den deutschen Handelskreisen wegen Gefährdung der deutschen Handclsinterefsen in China durch den französisch-chinesischen Streit entstanden ist, dürfte darauf hinzuweisen sein, daß in den chine sischen Gewässern zwei deutsche Corvetten und mehrere Kanonenboote mit nahezu 40 Geschützen und ca. 1050 Mann Besatzung unter dem Com- mando des Capitäns z. See Paschen vorläufig stationirt find und demnächst noch eine Verstärkung erhallen werden. Ueber die Beraubung des deutschen Cutter« „Diedrich" durch englische Fischer ist nun auch in London bei dem dortigen Handelsamt die Unter suchung eingeleitet worden. Durch die vorläufigen Feststellungen erscheinen die an dem Führer und der Mannschaft des „Diedrich" begangenen Gewalt- thätigkeiten und die Plünderung des Schiffes seitens der englischen Fischer außer Zweifel gestellt. Nach der „Kreuzztg." macht die hochkirchliche Partei in England gerade jetzt lebhafte Anstrengungen, um die preußische Regierung zu einer Entscheidung hin sichtlich des erledigten evangelischen Bisthums in Jerusalem zu bewegen. Dasselbe ist bekanntlich von England und Preußen gemeinsam errichtet. In der Diözese Münster fand dieser Tage eine Wallfahrt zu der Stätte des Wirkens des ersten Bischofs von Münster statt. Dabei hielt der jetzige Bischof eine Ansprache, der wir Folgendes entnehmen: „In jüngster Zeit haben wir auf kirchlichem Ge biete einige Erleichterungen erfahren. Wir haben sie dankbar entgegengenommen, aber zu beklagen ist, daß sie nur untergeorvnete Dinge betreffen. Der Kern der kirchenfeindlichen Gesetzgebung ist geblieben