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Hof herabgestürzt und blieb sofort todt. Die" Be- dauernswerthe hat den Schritt im Fieberwahne gethan. — Laut Anschlag am schwarzen Bret der Leipziger Universität sind drei Studirende (der Pharmacie, der Philosophie und der Philologie) „wegen Verle tzung der Sitte und Ordnung des akademischen Lebens" durch eoueUiuw adsunäi von der Univer sität weggewiesen worden. — Am Freitag Vormittag erhängte sich in einer Arrestzelle des Ralhhauses zu Plauen i. V. der 56jährige Handarbeiter Johann Bauer aus Kolsch- witz mittels seines Halstuches. Derselbe war aus der Stadl ausgewiesen, kehrte aber wieder dorthin zurück, weshalb er zur Haft gelangte. — Die Lage der Maschinenstickerei, so wird aus Plauen i. V. geschrieben, ist immer noch eine sehr mißliche, und die Löhne sind niedriger als vor 4 und 5 Jahren. Am wenigsten werden die Fabrik sticker davon berührt; dagegen empfinden die Lohn sticker, welche selbst eine Maschine besitzen, die Krisis am meisten. — Der Stadtrath von Annaberg Hal aus An regung des dortigen Bezirkscommandos den Plan gefaßt, in der Nähe der Stadt eine Montirungs- kammer zu bauen und dieselbe dem königl. sächs. Kriegsministerium miethweise zu überlasten. — Die zu der in Hainichen projectirten Gewerbe ausstellung erbetenen Extrazüge nach und von Hainichen-Chemnitz resp. Roßwein am 29. Juni, 5., 6., 7. und 13. Juli sind Seitens der kgl. Gensral- direction der Staatseisenbahnen in erhoffter Weise genehmigt worden. — Zur Erinnerung an das 50jährige Priester- Jubiläum des Bischoss Bernert, welches bekanntlich im kommende,« August zu begehen ist, soll in Bau tzen ein katholisches Waisenhaus begründet werden. Die in Umlauf gesetzten Beitragslisten weisen schon bedeutende Summen auf. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 28. Juni 1884. Präsident v. Levetzow eröffnet die Sitzung nach 11 Uhr. Der internationale Vertrag zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel wird nach einer Erläuterung des Staatssekretär Or. Stephan an genommen. Es folgt dritte Berathung des Militär- relictengesetzes, zu welchem Abg. v. Minnigerode (cons.) seinen Antrag aus der zweiten Lesung, den Beitrag der unverheiralheten auf 1 Prozent (statt 3 Proz.) sestzusetzen, wiederholt hat, während Abg. Windlhorst einen Beitrag von 1*/r Prozent be antragt. Abg. Richter-Hagen tritt für die Gleichstellung der Offi ziere mit den Civilbeamten ein, die auch durch Windt- horst's Compromißantrag verletzt werde. Derselbe sei un annehmbar. Komme das Gesetz nicht zu Stande, so trüge die Regierung die Verantwortung, welche darauf bestehe, daß die Offiziere ein Privileg bekämen, wie es der letzte Landbriefträger nicht besitze. Dazu komme dann noch die ungünstige Finanzlage des Reichs. Kriegsminister Bronsart von Schellendorf bestreitet, daß hier ein neues Privileg für die Offiziere geschaffen werden solle; es handele sich nur darum, den Offizieren keine Last aufzulegen, die sie nicht tragen könnten. Die verheiratheten und höheren Offiziere sollten von diesem Privilegium ja frei bleiben. Der Minister wiederholt, daß die Commissionsbeschlüsse für die Regierung unannehmbar seien und lehnte die Verantwortung der verbündeten Re gierungen für das Nichtzustandekommen des Gesetzes ab. Abg. Prinz Carolalh (cons.) ist für die Com missionsbeschlüste, die nach Ablehnung beider Anträge auch beibehalten werden. Windthorst's Antrag wurde in Namensabstimmung mit 131 gegen 112 Stimmen abgelehnt. Es folgt dritte Berathung des Actiengesetzes. Abg. Oechelhäuser bemerkt, die nationalliberale Partei werde dem Gesetze zustimmen, wenn sie auch bezüglich man- 4°r Details Bedenken habe. Ävg. dichte r-Hagen erklärt, die freisinnige Partei werde theüs gegen das Gesetz stimmen, theils sich der Abstimmung enthalten, wen der Commissionsbericht zu kurze Zeit in den Händen der Mitglieder sei, als daß sie sich ein Urtheil hätten bilden können. Abg. Kayser constatirt, die socialdemokratische Partei werde für alle Verschärfungen auf dem Gebiete des Action- wesens stimmen. Abgg. Hartmann und Meyer-Halle treten diesen Ausführungen entgegen, womit die Generaldiscussion schließt. In der Specialdiscussion wird das Gesetz ohne große Debatte wesentlich nach der zweiten Lesung angenommen; doch wird in den Preßpara graphen auf Antrag Reichensperger das Wort „wissentlich" eingeschoben. Es heißt also: „Wer in öffentlichen Bekanntmachungen wissentlich falsche Thalsachen vorspiegelt, um zur Theilnahme an einem Aclienunternehmen zu bestimmen, wird be straft rc." Ferner wird auf Antrag Windthorst ein Zusatz beschlossen, nach welchem, wenn die öffent liche Bekanntmachung im Jnseratentheil einer perio dischen Druckschrift erfolgt und der Verfasser des Inserats nicht nur unter demselben genannt, sondern such in dem Bereich der richterlichen Gewalt eines deutschen Bundesstaates ist, § 20 des Preßgesetzes keine Anwendung finden soll. Ohne Debatte werden in dritter Lesung genehmigt: Der Nachtragselal bez. des Reichsversicherungsamts, die Literarconvention mit Italien, die Convention mit Siam, und der Handelsvertrag mit Korea. Eine Resolution des Abg. Kapp, daß den Deutschen nicht nur der Kauf, sondern auch der Verkauf von Grundstücken rc. in Korea gestattet sein soll, wird angenommen. Es folgen einige Petitionen ohne größeres Interesse. Nach ^«3 wird darauf die Sitzung auf 3 Uhr 15 Min. vertagt. (Dritte Be- ralhung der Kabelconvention, Berathung der soeben eingebrachten Interpellation des Abg. v. Minnigerode betr. die Choleragefahr und die Vorsichtsmaßregeln, welche die Reichsregierung eventuell zu treffen be absichtigt.) Zweite Sitzung vom 28. Juni. Präsident v. Levetzow eröffnet die Sitzung. Der Kabelvertrag wird definitiv ohne Debatte genehmigt. Auf die Cholerainterpellation erwidert Staatssekretär v. Bötticher sofort. Es sei noch nicht gelungen, definitiv festzustellen, welcher Art die Cholera in Toulon sei. Einige Aerzte erklärten sie für die asiatische Cholera, während die amtlichen Nachrichten daran festhielten, daß es nur eine sporadische Krankheit sei, die bald wieder verschwinden werde. Es haben bereits heute die Berathungen einer eigens zu diesem Zweck hier eingesetzten Commission begonnen, die in den nächsten Tagen fortgesetzt werden. Der Commission ge hören u. A. Geh. Rath Koch und Professor v. Pettenkofer an. Die Berathungen werden zu einem sachgemäßen und die Bevölkerung beruhigenden Resultat sühren. Redner ver liest aus einem Bericht des Geh. Rath Koch folgende Stelle: „Ich bin überzeugt, daß auf Grund der Resultate, welche die vom Reichs ausgesandte Choleraexpedition erzielt hat, sich Maßnahmen treffen lassen, welche der Ausbreitung der Krank heit im Inlands in wirksamster Weise entgegentreten kön nen". Professor Virchow wünscht, daß auch die auswärtigen Mächte die Choleragefahr ernster beachten möchten, nament lich England. Ebenso hätte die französische Regierung nicht so leicht von sporadischer Cholera reden sollen. Sie hät ten vor Allem weitgehende Vorsichtsmaßregeln treffen müssen. Staatssekretär von Bötticher erwidert, Frankreich habe Alles gethan, der Seuche entgegenzutreten. Die französische Regierung treffe nicht der geringste Vorwurf. Was die Behandlung des Sanitätsdienstes in Egypten anbetreffe, so werde die Reichsregierung nicht säumen, dahin zu wirken, daß eine Besserung eintrete. Die Frage der Entsendung einer Commission nach Toulon sei erwogen, aber noch nicht zum Abschluß gelangt. Zu einer Grenzsperre werde es vor aussichtlich nicht kommen. Präsiden! v. Levetzow giebt den üblichen Geschäfts bericht über die verflossene Session, worauf Abg. Graf v. Moltke dem Präsidenten den Dank des Hauses für seine umsichtige und unparteiische Leitung darbringl. Präsident v. Levetzow dankt für das Wohlwollen des Hauses und spricht den Vizepräsi denten, den Schriftführern und Quästoren seine Er kenntlichkeit aus. Staatssekretär v. Bötticher ver ließt darauf die kaiserliche Ordre, dalirt Ems 24. Juni, durch welche die Session des Reichtages ge schloffen wird. Mit vom Präsidenten ausgebrachten dreimaligem Hoch auf den Kaiser trennen sich die Mitglieder um 4^/» Uhr. Schluß der Session. Vermischtes. Die Müdigkeit und Schläfrigkeit, welche sich nach dem Mittagessen (besonders bei blutarmen Personen) einstell:, rührt davon her, daß nach der Mahlzeit das Blut sich theilweife aus dem Gehirn nach den Werkzeugen der Verdauung entlehrt. — Während des Schlafes wird aus dem Gehirne Blut an die Arme und Beine abgegeben. Daher kommt es, daß derjenige, welcher aus dem tiefsten Schlafe plötzlich erwacht, eine geraume Zeit braucht, bis er wieder „zu sich selbst kommt", und zwar dauert das so lange, bis dem Gehirne wieder so viel Blut zu geflossen ist, als es zur geistigen Arbeit braucht. Alpeufahrt! Es wird vielen unsrer Leser interessant sein zu erfahren, daß die bekannten Extrafahrt-Unternehmer E. Geucke in Dresden und H. Wagner in Leipzig auch in die sem Jahre, und zwar am 19. Juli und 16. August, billige Extrafahrten nach der Schweiz, Tyrol, Salzburg, Stayermark rc. veranstalten. Gewiß wird die große Schaar der Alpen freunde und Wanderlustigen das ausführliche Programm (s. Inserat), welches die Unternehmer immer sehr eingehend und instructiv zu behandeln wissen, mt Freuden begrüßen. Für die Schweiz gilt Lindau, Zürich und Luzern und für Tyrol u. s. w. die Station Husstein oder Salzburg als End punkt der Extrafahrt, von wo aus es dann jedem Theil nehmer frei steht, zu reisen, wie und wohin es ihm beliebt. Die ungewöhnliche Dauer der Billetgiltigkeit von 6 Wochen ermöglicht auch Sommerfrisch- und Badereisenden, diese bil ligen Extrafahrten mit Vortheil zu b utzen. Die Wissenschaftlichkeit unseres Zeitalters schlägt manchen Purzelbaum. Kommt kürzlich der kleine Karl aus der Chemiestunde und weint, weil er einen Tadel bekommen. „Was weinst Du denn, Kärtchen?" fragt Mama theilnahms- voll. Und was antwortet der Junge? „Salzwasser Mama chen!" (D. Montbl.) Im Examen. Professor: „Sagen Sie, Herr Kandidat: in welcher Weise erklären Sie die Liebe?" — Kanditat „In schwarzem Frack und weißen Handschuhen, und ich sage dem Mädchen, daß ich es heirathen will." (D. Montbl.) Auch ein Fechter. Beim Amtsgericht Butzbach wurde am 4. d. ein in Haft genommener Stromer abgeurtheilt, der als er vernommen und bezüglich feiner Militärverhältnisse befragt wurde, sich stolz auf die Brust schlagend erwiderte: „Jawohl, ich habe Sechsundsechzig und Siebzig mitgemacht und zweimal für Kaiser und Reich gefochten, jetzt fechte ich für mich!" Die heutige Mode. „Was hast Du denn so große Eile?" ruft ein Freund dem andern nach, der aus einem Modemagazin herausstürzt. — „Ich habe meiner Frau einen neuen Hut gekauft und muß mich eilen, daß er nicht alt modisch wird." Allerlei. Die Zahl der Brände im preußischen Slaate ist 1883 bedeutend höher gewesen, als in den Vorjahren. 1881 wurden 14,623 Schaden brände gemeldet, 1882 13,467, 1883 aber 16,107, also über 19°/o mehr. — In Süddeutschland find Nachbildungen der neuen Reichskassenscheine von 50 Mark vorgekommen. Sie tragen auf der Rück seite die Bezeichnung O. Nr. 0019668. — Die Anklage gegen die am Pfingstmontag in Friedrichs ruhe anläßlich des Skandales vor der Fürst Bis- marck'schen Besitzung Verhafteten lautet auf Aufruhr, wird also vor dem Schwurgericht und zwar in Altona zur Verhandlung kommen. — Die Nach richten aus der Thorner und Kulmer Weichsel niederung lauten sehr betrübend. In einem gro ßen Theil beider Niederungen gilt die Ernte als vollständig verloren. Dabei hat die Hoffnung, daß am oberen Laufe der Weichsel der Wasserstand sin ken werde, sich nicht bestätigt. Bei Warschau wächst das Wasser immer noch. — In Hameln begann am Sonnabend Nachmittag das Raltenfängerfest mit dem Zuge, welcher die Austreibung der Ratten darstellte. Ein Musikcorps in der Tracht des 13. Jahrhunderts eröffnete den Zug; dem Musikcorps folgte der Rattenfänger Singuf, welchem sich 400 Kinder im Rattenkostüm anschloffen. Dem Volksfest auf dem Felsenkeller wohnten gegen 6000 Personen bei. Nach der bekannten Dichtung von Julius Wolff wurden lebende Bilder vorgeführt. — Der Reichs tagsbau in Berlin ist nun in vollem Gange. Zahlreiche Gespanne sind zur Bewegung der großen Erdmassen in Thätigkeit, ein imposantes Material an Steinen, Sand u. dergl. baut sich am Rande des Bauplatzes auf und eine große Bauhütte nähert sich rasch ihrer Vollendung. Erziehungswefen und Gesund heitspflege. (Erscheint jeden Dienstag.) Erziehung der ersten Kindheit. L. Die menschliche Erziehung ist aber mehr als Erhaltung und Unterstützung des physischen Lebens, mehr als die Sorge für die Gesundheit und Tüchtig keit des Leibes, sie ist und bleibt doch vor allem geistige Erziehung, sie soll den Verstand wecken, das Gemülh bilden, den Willen stärken. Der mensch liche Geist ist zwar ein in seinem Grundwesen un- getheiltes Ganzes, aber er läßt sich doch nach seinen Aevßerungen gleichsam als ein gegliedertes Wesen betrachten. Das eine Grund- oder Unvermögen äußert sich nämlich nach drei Richtungen hin, als Denk-, Gefühls- und Willensvermögen. Nach diesen drei Seiten hin muß das geistige Leben des Kindes entwickelt und gebildet werden. L. Das Denkvermögen. Der menschliche Geist hat Vorstellungen, Erinnerungen, kann sich Begriffe bilden, das Nützliche vom Schädlichen, das Falsche vom Wahren, das Sichtbare vom Unsichtbaren unter scheiden und durch dies alles denken. Durch sein Nachdenken kann er bis zu der Erkenntniß hindurch dringen, daß der letzte Grund alles Seienden Gott ist, der allmächtige, allgütige und allweise Schöpfer. Das Thier kann sich nicht zu solcher Erkenntniß er heben, es geht gedankenlos durch die Schöpfung und erkennt nicht die Ursache alles Geschaffnen, den Geber aller Gaben. d. Der Mensch kann mit Hilfe seines Geistes auch Gefühle bilden. (Freude, Schmerz, Theilnahme, Liebe, Haß, Furcht, Hoffnung, Sehnsucht, Wohl gefallen am Guten, Wahren und Schönen rc.). Diese Gefühle lassen sich eintheilen in sinnliche, unmittel bar mit gewissen Thätigkeilen der körperlichen Organe verknüpft, ästhetische, in bezug auf das Schöne und Erhabene, und sittliche, unser Verhältniß zu andern oder zu uns selbst betreffend. Der Inbegriff der sittlichen Gefühle ist das Gemüth. Die Erziehung hat dahin zu wirken, daß es nur solche Gefühle er zeuge, welche in der Ausübung zu Tugenden wer den. Aber unter allen Fähigkeiten der Seele nimmt e. der Wille den Primat ein. Unser Wille ist unser eigenstes Selbst, das Innerste der Seele. Dem etwaigen Einwand, daß das Gefühl das Innerste sei, ist entgegenzuhalten, daß alle Gefühle, Freude und Schmerz, Hoffnung und Furcht rc. näher be trachtet ebensoviel« Affectionen des Willens sind, und daß, wenn die heilige Schrift als das Innerste unsres Seelenlebens das Herz nennt (Gieb mir dein Herz!) und aus diesem die guten und bösen Ge danken kommen läßt, das Herz nichts andres ist als der Wille in seiner Einheit mit dem Gefühle, nur