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ZchöntmiM TagMatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. SO Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Donnerstag, den 8. Mai 107. 1884. Bekanntmachung. In den Orten Schwaben und Heiersdorf werden am 12. Mai Posthülfstellen eingerichtet. Leipzig, 3. Mai 1884 Der Kaiserliche Oberpoftdirector. Walter. "Waldenburg, 7. Mai 1884. Die Mitglieder der deutschen Choleraexpedition, Geh. Rath Dr. Koch und seine wackeren Genossen, welche seit Ende August 1883 am Nil und in In dien geweilt haben, um eine der gräßlichsten und tödlichsten Krankheiten der neueren Zeit zu erfor schen, sind von ihren schaurigen Arbeitsstätten in die Heimath zurückgekehrt, wo sie mit Beifall uno Ent husiasmus empfangen sind. Wohlverdiente Ehren harren der todesmulhigen Gelehrten, die im Inter esse der Wissenschaft und zum Wohle der von dem Würgeengel der Cholera bedrohten Menschheit sich mitten hinein in die verpesteten Orte begaben, um dort ihre Studien vorzunehmen. Wer in der Schlacht dem Tode muthig in's Auge schaut, ihn verachtet, gilt als Held; und sind das nicht minder die Männer, die Monate lang dem Tod in seiner scheußlichsten Gestalt furchtlos getrotzt? Es sind alle möglichen Vorsichtsmaßregeln angewendet, daß aber auch diese nicht immer von wirklichem Schutze sind, zeigt das Schicksal der französischen Cholera commission, die eins ihrer Mitglieder in die egyp- tische Erde versenken mußte. Geh. Rath Koch und seine Genoffen haben nicht Alles erreicht, wohl aber haben sie die größte Schwierigkeit überwunden, an der bisher alle Forscher scheiterten, die auch die französischen Gelehrten zur Rückkehr — ohne Re sultate — nach Paris veranlaßte. Wir können stolz darauf sein, daß es deutsche Männer waren, welche die ersten sicheren Zeichen von dem wahren Wesen, der furchtbaren Krankheit entdeckten, daß deutscher Wissenschaft, deutschem Fleiß und deutscher Ausdauer gelungen, woran die Aerzle und Gelehrten anderer Nationen bisher gescheitert. Geh. Rath Koch's Entdeckungen bieten die erste Gewähr, die erste sichere für die Hoffnung, daß in nicht allzu ferner Zeit das furchtbare Gespenst der Cholera verschwinden wird. Die deutsche Choleracommission hat viel geleistet, aber alle ihre Entdeckungen und die fernerer Zeiten werden vergeblich fein oder doch in hohem Grade beeinträchtigt werden, wenn die Weiterverbreitung der alljährlich auftauchenden Krankheit nicht von vornherein gehemmt wird. Bei zehn, zwanzig Cholerakranken läßt sich dem drohenden Wachsthum noch leicht vorbeugen, sind es ihrer Tausend, so ist es mit menschlicher Kraft zu Ende, die Seuche geht ihren Weg. Im Vorjahre brachte ein einziger cholerakranker indischer Kaufmann die Pest nach Egypten, die binnen Kurzem sich über das ganze Land — dank der bodenlosen Nachlässigkeit der egyptischen Behörden und des nicht weniger ver werflichen Leichtsinn's und Egoismus der Engländer — verbreitete und mehr Opfer forderte, als ein blutiger Krieg. Wie viel Menschen der Cholera damals erlegen sind, wird sich nie feststellen lassen. Offizielle Daten geben 30,000 etwa zu, setzt man dafür 50,000, so wird es kaum zu hoch sein. Die Gefahr, welche die Seuche in sich birgt, be ruht nicht so sehr in der Cholera selbst, als in der Handlungsweise, mit welcher englischerseits der Krank heit gegenübergetreten wird. Auf der ganzen Welt giebt es nichts, was in London mehr gefürchtet wird, als die Stockung des Verkehrs mit Indien, der Hei math der Cholera. Die Briten sind deshalb aus gesprochene Feinde aller durchgreifenden Vorsichts maßregeln und namentlich der Quarantäne, durch welche allerdings die Schiffs mehrere Wochen aus gehalten werden, und mit welcher Frivolität man sich darüber hinwegsetzt, zeigt der Fall des englischen Transportdampfers „Crocodile", an dessen Bord 8 Personen an der Cholera erkrankten, von denen 6 sehr schnell starben, und der ohne Weiteres den Suezkanal passirte und in Portsmouth einlief. Auch im Vorjahre wurde die Quarantäne oft von den englischen Schiffen trotz aller Proteste durchbrochen, und wenn Tausende von Menschen starben, in Lon don verdiente man doch Geld. "Waldenburg, 7. Mai 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Dem Kaiser ist der Ausflug nach Potsdam sehr gut bekommen. Am Dienstag Nachmittag entsprach derselbe einer Einladung des Ministers Grafen Schleinitz zum Diner. Der deutsche Kronprinz empfing am Montag die Mitgieder der deutschen Choleracommission und zog 'ieselben später auch zur Tafel. Wie sehr verschieden die Ansichten über das Resultat der Abstimmung über das Socialisten- gesetz sind, zeigt die Zeitungscorrespondenz eines bekannten Führers der freisinnigen Partei, in der es heißt: — — Das Socialistengesetz wird abge lehnt werden und es steht zu erwarten, daß die Auflösung des Reichstages nicht mehr zwei Tage auf sich warten läßt. Es ist ferner in Aussicht zu nehmen, daß ein Theil der conservativen und na- tionalliberalen Freunde des Gesetzes sich absichtlich von Berlin fernhalten werden, um eine Auflösung herbeizuführen. Auch in süddeutschen Blättern ist diese Auffassung vertreten. Wie das Centrum über das Socialistengesetz stimmen wird, darüber weiß bis jetzt noch Niemand etwas Sicheres. Man glaubt, die Majorität der Partei werde sich für das Gesetz entscheiden, aber reelle Grundlagen hat der Glaube nicht. Es ist eben eine Vermuthung. Seitens der Commission wird beim Plenum des Reichstages nur die An nahme der Windthorst'schen Resolution auf Vorlage eine« Gesetzes gegen Mißbrauch der Sprengstoffe beantragt, bekanntlich der einzige positive Beschluß, der gefaßt worden ist, und dem seitens der Reichs regierung auch schnelle Folge wird gegeben werden köynen, da preußischerseits bereits ein entsprechender Gesetzentwurf im Bundesrath angekündigl ist. Es könnte darnach scheinen, als ob man auch in Re gierungskreisen an die Annahme des Socialisten- gesetzes glaubt. Weiter hat der Bundesrath be schlossen, dem Reichstage eine Vorlage wegen Ab änderung der Maß- und Gewichtsordnung zu machen. Der Gesetzentwurf bezweckt, die Maß- und Gewichts bestimmungen, welche mit dem Dezimalsystem nicht in Einklang sind und die bisher zur Erleichterung des Ueberganges beibehalten wurden, ganz zu be seitigen. Der von dem Reichstage beschlossene Gesetz entwurf betreffend die Fabrikation von Zündhölzern soll dem Kaiser zur Vollziehung unterbreitet werden. Der Beginn der Berathungen über den Zollanschluß Bremen's ist wegen Trauerfalls in der Familie eines der Commissare auf Dienstag verschoben. Die Frage, wie England sich den von Frankreich abgegebenen Erklärungen betreffs der egyptischen s Conferenz gegenüber verhalten werde, ist gegenwärtig ein Mittelpunkt der diplomatischen Discussion. Man nimmt keinen Anstand, den französischen Anschauun gen eine gewisse Berechtigung zuzu rkennen. In London ist die Auffassung verbreitet, daß Fürst Bismarck die französische Stellung zur Conferenz durchaus begünstige und daß diese Thatsache viel zu der entschiedenen Haltung der französischen Re gierung beigelragen habe. An dem Zustandekommen der Conferenz, und zwar in London, wird nirgends mehr gezweifelt, ebenso wie man überzeugt ist, daß auch die eine und die andere mit der Finanzange legenheit im directen Zusammenhangs stehende Frage zur Discussion gelangen wird. Wenn dies der Fall, so darf angenommen werden, daß der Vertreter des deutschen Reichs auf der Conferenz die nothwendige Regelung der Quarantäne-Verhältnisse in Egypten zur Sprache bringen wird. Die Ereignisse der letz ten Zeit haben erst wieder klar und deutlich gezeigt, wie England die Gesundheits-Interessen Europa's gering schätzt, sobald sein materieller Vortheil in Betracht kommt. Die „Morgenzeitung" in Elberfeld schreibt: Herr Landrichter Schäfer vom hiesigen Landgericht, welcher die Untersuchung gegen die wegen der Dynamit- Attentate Verhafteten führt, hat sich nach Frank furt a. M. und dem Niederwald begeben, um an Ort und Stelle Material für die Untersuchung zu sammeln. Neuerdings verlautet, daß die Anklage auf Hochverrath erhoben werde. Am Dienstag hielt das preußische Abgordne- tenhaus nur eine ganz kurze Sitzung ab. Ohne jede erhebliche Debatte wurden in dritter Lesung angenommen: Der Antrag Straßmann wegen Ab änderung der Städteordnung, der Antrag Bachem wegen Abänderung der rheinischen Städteordnung und die Eisenbahnverstaatlichungsvorlage. Eine Pe tition von Civilanwärtern um Gleichstellung mit den Miltäranwärtern bei Besetzung von Gerichtsvollzieher- stellen wurde der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen. Das Mandat des Abg. Unterstaats sekretärs Marcard wurde durch seine Ernennung zum Wirkt. Geh. Regierungsrath für nicht erloschen erklärt. Nächste Sitzung: Sonnabend 10 Uhr. Dritte Lesung des Noth Communalsteuergesetzes. Daß über die Erhöhung der Getreidezölle in maßgebenden Kreisen der Reichsregierung be- rathen wird, ist ganz außer Frage, und direct auch durch den württembergischen Staatsminister v. Höl- der bestätigt. Die der Regierung nahestehenden Organe agiliren nach Kräften für die Zollerhöhung; so bringt die „Nordd. Allg. Ztg." folgenden Bericht aus Darmstadt: Die Kornpreise sind niemals so niedrig gewesen, wie jetzt und dabei herrscht Ueber- fluß an Waare. In Mannheim staut sich das aus Californien, Odessa und La Plata kommende Ge treide auf; denselben Ueberfluß findet man beim Bauer, der nicht verkaufen kann, da die Preise an der Mannheimer Börse zu niedrig sind, und dort 3 Monat« Kredit gegeben werden, was der Bauer nicht kann. Dazu tritt fortwährende Zufuhr von Außen bei immer billigeren Frachten: ein in Worm« jetzt ausgeladenes Getreideschiff aus Odessa, 22 Tage unterwegs, berechnet beispielsweise den Centner Wei zen mit 50 Pf. Fracht! So greift die Ansicht immer mehr um sich, daß ohne Zollerhöhung der Bauer zu Grunde geht!"