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ltMlniM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge find erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. «nd aldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Lotadtrath zn Waldenburg. Sonnabend, den 28. April S6. 1883. *Waldenburg, 27. April 1883. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Ueber die Botschaft unseres Kaisers äußerte sich das Centrumsorgan „Wests. Merk.", wie folgt: „Wir sehen mit Befriedigung, daß auch der Reichs kanzler immer die Nothwendigkeit betont, die Pro ductivstände zu schützen gegen die Ausbeuter. Das ist ein einfacher Satz, aber ein großes und Segen versprechendem Programm. Die Deklamationen der liberalen Manchestermänner gegen diese gesunden Grundsätze, welche Kaiser und Kanzler vertheidigen, lasten in ihrer blinden Wuth das letzte Aufflackern einer wirthschaftlichen Anschauung erkennen, die von der Wissenschaft, wie von der Erfahrung gleichmäßig gerichtet ist. Ist das die moderne „Demokratie", welcher nach ihren Prinzipien nichts höher stehen soll, als das Wohl des Volkes? Za, es sind unsere „Freiheilsmänner", jene lauten Leutchen, welche an den Nockschößen der Börsenbarone hängen. Jetzt haben sie sich festgebiffen in eine Opposition gegen die sofortige Berathung des Etats. Was sie so un- geberdig macht, ist die kaiserliche Botschaft selber, aber es macht sich schöner, wenn man die Opposi tion einkleidet in Eintreten für „Volksfreiheil", und dazu giebt die Eta^srage Gelegenheit. Indessen macht das Manöver keinen Einvruck mehr, sobald es durchschaut ist. Das dem Reichstage zustehende Recht der Budgelbewilligung wird nicht geschmälert, wenn der Etat ein paar Monate früher berathen wird, und wer da lamentirt, Verfassung, Freiheit, die vitalsten Volksintereffen, kurz alles stehe auf dem Spiele, mit dem ist im Ernste nicht mehr zu reden. Nur das Mitleid wäre am Platze, wenn man nicht die Absicht merkte." Der „Deutsche Volksfi eund" in Frankfurt a. M. schreibt heute: Die einseitige Berücksichtigung der Handelsinteressen hat unsere wirthschaftlichen Nothstände verursacht. Der Handel muß naturgemäß der Diener der Arbeit sein, welcher ihr die denöthig- ten Stoffe zuführt und für ihre fertigen Waaren Märkte sucht, aber er darf nicht der Herr der Ar beit werden. Die Arbeit ist die Quelle des Wohl standes und ihr Gedeihen muß darum auch den Ausschlag in der Wirthschastspolitik geben. Ist die Nation wohlhabend, dann wirds auch dem ehrlichen Hanoel wohlgehen; nur der Wucher- und Schacher handel speculirt auf Nothstände. Während der Frei handel die nationale Arbeit erdrückt, die Arbeiter brod- und verdienstlos macht, sucht sich die Richtung, welche ihm huldigt, dadurch bei dem Volke einzu schmeicheln, daß sie ihm vorredet, der Freihandel liefere den Consumenten billige Waaren, und es sei doch die Hauptsache, daß man so sparsam wie mög lich sich einrichten könne. Das wäre gut, wenn die deutsche Nation aus lauter Kapitalisten oder Be amten bestände, die von ihren Zinsen oder Besol dungen leben und sie diese Zinsen und Besoldungen nicht von deutschen Bauern und Handwerkern, son dern vom Ausland bezögen. Wie die Dinge wirk lich liegen, hängen Production und Consumlion aufs innigste zusammen, und die letztere hängt wesentlich von der ersteren ab. Verdient der Bauer, Hand werker und Arbeiter tüchtig Geld, dann kann er auch consumiren, kann seine Zinsen und seine Steuern bezahlen, ohne daß sie ihm drückend wer den, hat er aber keinen Verdienst, dann helfen ihm alle Steuererlasse und alle Sparsamkeit nichts. — Deshalb ist die Hauptsache und das wichtigste Mittel jur Lösung der socialen, wirthschaftlichen und finan ziellen Fragen die Förderung und Pflege der natio nalen Arbeit. Das ist aber nur möglich, wenn wir unsere Wirthschastspolitik auf den Satz stellen: Die deutsche Nation muß ihre Arbeit selbst thun. Der Bauer muß das Brod und Fleisch, der Handwerker und Fabrikant die Waare Herstellen, welche man in Deutschland braucht, und nur wo die deutsche Arbeit nicht auöreicht, muß auswärtige Ar beit in Anspruch genommen werden. Das ist der einzige gesunde Weg, dem deutschen Volke aus reichende Arbeit und Verdienst zu schaffen und sei nen Wohlstand zu erhöhen. Eine Nation wird auf die Dauer keine große Rolle in der Welt spielen können, wenn sie nicht im Wohlstand ist. Nach ar men Schluckern fragt niemand. Die Macht des kleinen England ruht in seinem Wohlstand und sein Wohlstand ruht in seiner Arbeit. England hat immer an dem Grundsatz festgehalten: die enalische Nation besorgt ihre Arbeit selbst. Dieser Grundsatz hat auch Amerika wohlhabend gemacht und wird auch Deutschland wohlhabend machen, wenn es sich von dem Aberglauben an das internationale Schacher thum loszumachen vermag. Officiös wird in Sachen des spanischen Han delsvertrages geschrieben: Die Erfahrungen der letzten Tage bestätigen die Vermulhung, daß die spanische Finanzoerwaltung von Hause aus nicht gewillt war, mit dem deutschen Reiche einen Handelsvertrag zu schließen. Die Gegnerschaft dieses für die Frage wichtigsten Ressorts wird schwer zu überwinden sein, wenn sie, wie es heißt, mehr auf politischen wie auf wirthschaftlichen Grundsätzen beruht. Die Seniorenronvente des Reichstags und des preußischen Landtags haben sich dahin geeinigt, daß das Abgeordnetenhaus Vormittags uno der Reichs tag Nachmittags seine Sitzungen beginnt. > In dem Befinden des Abgeordneten Or. Schulze- ! Delitzsch ist eine Besserung leider nicht eingetreten, i die Kräfte des Patienten nehmen vielmehr von Tag ! zu Tag mehr ab, so daß die ihn behandelnden ; Aerzte jede Hoffnung auf seine Genesung aufgegeben ! haben und für die nächsten Tage bereits das Un ausbleibliche erwarten. Hinsichtlich der Vorbildung der Gerichterefe rendare hat der preußische Justizminister die Ver fügung getroffen, daß dieselben die ersten 6 Monate fortan bei einem kleinen Amtsgerichte beschäftigt werden sollen. Es verlautet, die Kurie habe in ihrer letzten Note sich dahin ausgesprochen, sie könne noch keine be stimmten Erklärungen und Concessionen machen, weil sie nicht wissen könne, ob selbst beim besten Willen der preußischen Regierung der Land tag seine Zustimmung zur Revision der Maigesetze geben werde. Auf Beseitigung dieser Einwendungen dürfte sich die Antwortnote, welche jetzt dem Kaiser zur Genehmigung vorliegt, beziehen. In Bremen wurden auf Grund des Socialisten- gesetzes zwei socialistische Vereine: der Verein für Geschichte und der dramatische Lesezirkel, verboten. Frankreich. Im Senate stand am 26. d. die Convertirungs- vvrlage auf der Tagesordnung. Senator Chesne- long (Legitimist) erklärte, er bestreite nicht die Loyalität der Conversion, halte aber den gegen wärtigen Zeitpunkt für ungeeignet und die Conver sion zur Deckung des DeficitS für unzureichend. Der Finanzminister bemerkte, er erkenne an, daß die Ausgaben übertrieben waren und die Budgets pro 1882/83 DeficitS aufweisen. Gerade darum müsse man Ersparnisse herbeiführen durch die Convertirung. Die finanzielle Situation sei im ganzen Reiche eine schlechte. Im Fortgang der Sitzung sprach sich Bocher (rechtes Centrum) gegen die Finanzpolitik der Regierung aus, die Convertirung würde die Aufnahme einer Anleihe nicht verhindern, auf die Amortirsirung werde man verzichten müssen. Der Finanzminister er widerte, die Aufnahme einer Anleihe sei nur pro 1884 nothwendig zur Forlsitzung der öffentlichen Arbeiten. Vallis griff die Regierung heftig an, weil sie durch Jndicrelion die Börsenmanöoer för derte. Die Conoertirungsvorlage wurde schließlich mit 200 gegen 71 Stimmen angenommen. England. Die Temperenzbewegung findet nun auch in den aristokratischen Kreisen Englands Eingang, wo sie nicht minder nölhig zu sein scheint, als in den mittleren und unteren Ständen Albions. So fand am Sonnabend in „Stafford House" auf Ein ladung der Herzogin von Sutherland eine sehr zahl reich besuchte Versammlung von hochadeligen Mä- ßigreilsfreunden statt, in welcher nach einer sehr eindringlichen Ansprache des den Vorsitz führenden Lords Mount-Temple zu Gunsten der MäßigkeitS- sache sehr viele Damen und Herren der englischen Aristokratie das „blaue Band" der Enthaltsamkeit von dem Genüsse berauschender Getränke anlegten. Rußland. Die vor etwa 18 Monaten in den russischen Ostseeprovinzen vorgenommene Volkszählung hat Resultate geliefert, die erst dieser Tage veröffentlicht worden sind, und die überall da Interesse erregen werden, wo man an den Geschicken der gefährdetsten aller Colonien des deutschen Siammes noch einigen Antheil nimmt. Von den angeblichen Erfolgen der in den größeren Städten Liv-, Est- und Kurlands unternommenen Russifications-Versuche (auf dem flachen Lande und in den kleineren Stadien giebt es — vom Militär abgesehen — nur sehr wenige Russen) ist in jüngster Zeit so viel die Rede gewesen, daß man meinen sollte, das bisher in denselben herrschend gewesene Element sei voll ständig auf den Aussterde-Elal gesetzt. Die letzte Volkszählung hat gerade das Gegencheil ergeben, obwohl bei Gelegenheit der Ausführung derselben alles Denkbare versucht wurde, um die große Zahl dortiger germanisirter Letten zu Nicht-Deutschen zu machen. Riga, dessen Bevölkerung im Jahre 1867 etwa 102,590 Köpfe umfaßte, zählte im Jahre 1881 nicht weniger als 169,820 Einwohner. Die Zahl der Deutschen, welche damals 43,980 betragen hatte, ist auf 66,775 angewachsen; zählt man denselben die 14,222 deutschredenden Juden zu, so ist das deutsche Element ebenso stark, wie dasjenige der Russen (31,976) und der Letten (49,974) zusam mengenommen. Daß in Riga mehr als doppelt so viel Deutsche wie Letten leben und ihre Zahl diejenige der Letten erheblich übertrifft, fällt aber um so schwerer ins Gewicht, als die Deutschen fast ausnahmslos den höheren Klassen (Adel, Geistlichkeit, Gelehrte, Kaufleute und Handwerker) angehören, und sehr zahlreiche sogenannte Letten in Wahrheit zu Deutschen geworden sind. Türket. Schon wieder ist ein deutscher Beamter nach Konstantinopel berufen worden, um an der Reor ganisation des Osmanenreiches nach deutschem Muster theilzunehmen: der bisherige Amtsrichter Gescher in Oberehnheun, der als Rath in die Oüainbrs äos l6Aist68 im türkischen Auswärtigen Ministerium eintreien wird. Herr Gescher, ein durch Fähigkeit und Strebsamkeit gleich ausgezeich neter junger Beamter, ist ein Bruder des früheren Staatsanwalts Gescher in Köln, der seit nunmehr zwei Jahren in Konstantinopel mit glänzendem Er folge als Rechtsbeistand des Auswärtigen Amtes thälig ist, die Stelle eines Directors der Kammer der Justitiarien bekleidet und vom Sultan mehr mals durch die schmeichelhaftesten Beweise der An-