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als die der Gradheit und Offenheit, mit denen Fürst Bismarck so große Erfolge erzielt hat, und die neulich Francesco Crispi als die einzigen nicht veralteten feierte, hat gerade Fürst Bismarck gelegentlich der Anwesenheit des Czaren in Berlin erfahren müssen. Auch heute noch werden die Kniffe angewandt, die man im Welt- sprachgebrauch als jesuitisch bezeichnet, heute noch wer den Gesandtschaftsberichte und diplomatische Depeschen gefälscht um politischer Zwecke willen. Im vorliegen den Falle ist es der Gradheit des Fürsten Bismarck und der Offenheit des Czaren zu danken, daß die Fäl schungen ans Licht kamen. Man mag sich das Er staunen des Fürsten Bismarck denken, als der Czar ihm auf Grund von Noten, die er — Bismarck — an deutsche Botschafter und Gesandten geschickt haben sollte, seine russenfeindliche Politik beweisen wollte, und die Verwunderung des Czaren, als Bismarck ihm ruhig erwiderte: „Majestät, wenn man Ihnen solche Noten als von mir herrührend vorgelegt hat, so hat man Sie betrogen; ich habe dergleichen nie geschrieben und Aehnliches hat mir auch mein Botschafter nie berichtet." Nachdem einmal diese im ersten Augenblick für beide Theile verblüffende Aufklärung geschehen war, wurde es leicht, der Sache näher zu rücken, und dabei stellte sich alsbald schon so viel heraus, daß mindestens die Leitung, welche die gefälschten diplomatischen Correspon- denzen zum Czaren nahmen, in orleanistischen Händen lag. Ob auch Orleanisten die Feder geführt haben, wird in wenigen Tagen aufgeklärt sein, da hierzu der Czar als Ehrenmann und Freund der Wahrheit in entgegenkommendster Weise seine Hilfe angeboten hat. Einflußreiche Verbindungen des Blutes haben die Or leans an fast allen europäischen Höfen. Von Paris abgesehen namentlich in Brüssel, Wien und Kopenhagen, und die Vermuthung liegt nahe, daß man die häufige und langdauernde Anwesenheit des Kaisers Alexander in Kopenhagen als besonders günstig erachtet habe, ihm Fälschungen von angeblichen Actenstücken der deutschen Diplomatie zuzustecken. Diese Fälschungen scheinen zum Zweck gehabt zu haben, den Czaren zu überzeugen, daß Bismarck Rußland im Orient verrathe und aus allem Einfluß verdrängen wolle. Ob dadurch das russisch französische Kriegsbündniß beschleunigt oder nur der Czar eingeschüchtert und abgehalten werden solle, etwas gegen den Prinzen Ferdinand zu unternehmen, läßt sich nicht entscheiden, wahrscheinlich ist es, und dann käme neben dem orleanistischen das coburgische Interesse in Betracht. Wie nahe uns dies frevelhafte Unterfangen dem Weltkrieg gebracht hat, ist bekannt. Das fran zösisch-russische Bündniß ist, wenn es nicht zu Stande kam, nur an der Unsicherheit und Unzuverlässigkeit des einen Theiles gescheitert. Neben dieser orlea nistischen Schleicherei und Täuschung ging eine an dere von gewissen, dem deutschen Hofe nahestehenden Personen, die den Czaren in den Glauben brachten, Bismarck treibe eine Politik gegen die eigentlichen Wünsche seines kaiserlichen Herrn, der gleichwohl den verdienten Kanzler gewähren lasse, aber unter dieser Duldung schwer leide. Hier wird der Czar leicht eines Feuilleton. Dunkle Tage. Roman von Valeska von Gallwitz. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. „Thue, was Du für gut hältst, meine liebe Nichte," antwortete Graf Zalewski, „ich selbst bin für den Au genblick unfähig zu irgend welchem Rath." Agnes verließ mit einigen Trostworten ihren Onkel, begab sich auf ihr Zimmer und beschied Tomanek zu sich. „Geh", sagte sie, und suche Posen zu erreichen, um einen Irrenarzt herzubringen. Leider wird es des Krieges halber nicht möglich sein, auch sind die Aerzte jetzt außergewöhnlich in Anspruch genommen, doch ver suchen wirst Du es." „Versuchen werde ich es, gnädige Frau, doch meine Schuld ist es nicht, wenn der Arzt auf viele Tage verreist." Natürlich nicht. Hier Tomanek, nimm diesen Beu tel; da Du heirathen willst, wirst Du wohl in Posen einige Einkäufe zu machen haben." „Tausend Dank, gnädige Frau." „So geh und mache Deine Sache gut." Herrin und Diener hatten sich verstanden. Die unglückliche Lodowika lag unterdessen in ihrem Zimmer auf dem Sofa, in einem schwer zu beschrei benden Zustande. Sie war derartig nervös aufgeregt, daß es vielleicht nur eines unbedeutenden Anstoßes be durfte, um sie in der That ihres klaren Verstandes zu berauben. Jedenfalls war ihre Widerstandsfähigkeit vollständig erschöpft. Nachdem Frau von Dembirska Tomanek ihre Aufträge gegeben, kehrte sie in das Zimmer des Grafen zurück. „Mein lieber Onkel," sagte sie, „ich habe dem Bo ten die größte Eile anempfohlen. Er solle keine Kosten scheuen, um den Arzt bald hierher zu bringen, Ruhe und Schonung ist bei ihrem Zustande die Hauptsache." „Geh," sagte der Graf, „sei gut und geduldig ge- Besserm belehrt werden. Wenn sich die thätige Mit wirkung deutscher Angestellten bei den beispiellos frechen Betrügereien erweisen sollte, so wird man diesen nicht einfach entfernen, sondern wahrscheinlich dem Straf richter überweisen. Im Reichsheeresetat ist eine Ausgabe von 21 Mil lionen Mark eingestellt zur Vervollständigung des deut schen Eisenbahnnetzes im Interesse der Landesverthei digun g, darunter ein Zuschuß zum Bau zweigleisiger Eisenbahnbrücken über die Weichsel und die Nogat. Bei den am Donnerstag stattgehabten Berliner Stadtverordnetenersatzwahlen erster Klasse er oberten die Kartellparteien von den Freisinnigen einen Sitz. Baurath Kyllmann wurde gegen vr. Hermes gewählt. Im Uebrigen wurden nur Freisinnige ge wählt. Der „Varik", das Organ der türkischen Regie rung, constatirt die tiefe Betrübniß aller Ottomanen anläßlich der Erkrankung des deutschen Kron prinzen, der jederzeit ein aufrichtiger Freund der Türkei war. Jedermann, der mit ihm seiner Zeit bei seinem Besuche in der türkischen Hauptstadt in Berührung gekommen war, hat das Andenken an sein edles Herz und an seine ausgesuchte Liebenswürdigkeit bewahrt. Alle Ottomanen flehen zur göttlichen Vor- j sehung, sie möge dem Kronprinzen zum Glücke seiner Familie und seiner aufrichtigen Freunde wieder die Gesundheit schenken. Frankreich. Wie aus Brüssel telegraphirt wird, findet dort nächsten Sonntag in der Wohnung des Prinzen Victor Napoleon eine Conferenz bonapartistischer De- putirten und Senatoren statt. Der Prinz em pfiehlt die Candidatur des Generals Saussier als Prä sidenten der Republik. Der Bischof von Angers, Freppel, hat sich als ge borener Elsasser stets als eifriger französischer Revanche apostel erwiesen. Freppel hat aber jetzt dem Begräb- niß des Bischofs Räß von Straßburg, seines lang jährigen Freundes und intimen Bekannten, beigewohnt und wird nun von den Pariser Hetzblättern sofort als „Verräther" verschrieen. Der Pariser Stadtrath hat, wie vorige Woche ge meldet, die Niederreißung der für die Hinrichtung Ludwig's XVI. errichteten Sühnekapelle angeord net. Dieser Befehl hat in Petersburg sehr schlechten Eindruck gemacht und die Blätter äußern laut ihr Mißfallen darüber. (Das war auch kindisch!) Präsident Grevy hat sich nun endlich entschlossen, abzudanken, nachdem alle Politiker, welchen er die Cabinetsneubildung angetragen, seinen eigenen Rücktritt in Folge der Wilson-Skandale als unvermeidlich be zeichnet hatten. Er will sich aber noch mit einer Pro- clamation ans Land wenden, um sein Verhalten zu rechtfertigen, und hat dieselbe bereits ausgearbeitet. Grevy sagt darin, er trete zurück, weil seine Demission von Werth für das Gedeihen der Republik sei, der er sein ganzes Leben gewidmet. Er schließt mit den besten Wünschen für Frankreich. Am Donnerstag empfing gen mein armes Kind, ich werde auch kommen, so bald ich ein wenig gefaßter bin." Agnes Dembirska trat in das Schlafzimmer des jungen Mädchens. Keine Spur von Mitleid beschlich dieses grausame Weib, als sie das Opfer ihrer Rache betrachtete. Gefühllos, wie ein Mann der Wissenschaft das Resultat seines Experimentes beobachtet, so betrach tete Agnes das bleiche Antlitz, die tiefeingesunkenen Au gen und die abgemagerte Gestalt Lodowikas. An ihrem Lager sitzend, plauderte sie leise, jedoch Worte, welche die Unglückliche ängstigten und erregten. Nach einiger Zeit kam der alte Graf, er setzte sich zu ihr und fragte besorgt: „Mein Herz, wie fühlst Du Dich?" „Ach, Vater," sagte sie ihn umarmend, „bist Du bei mir, bin ich weniger unglücklich. Nicht wahr, Du zweifelst nicht an meinem klaren Verstände?" „Nein, mein Liebling." „Aber sie, Vater," fuhr Lodowika leise fort, „sie nennt mich wahnsinnig, ach, befreie mich von ihr, schicke sie fort." Voll Betrübniß wandte sich der Vater ab. „So sprechen leider alle Irren," dachte er, „die, welche sie pflegen, halten sie für ihre schlimmsten Feinde." „Agnes meint es gut mit Dir, mein Herzenskind," suchte er Lodowika zu trösten, „glaube mir, sie wird Dich mit Liebe pflegen." Entmuthigt sank die Arme auf die Kissen. Mit einem Kuß auf Lodowikas Stirn zog sich der Graf wieder zurück. Noch an demselben Abend hatte Agnes eine zweite geheime Unterredung mit dem Spion Frondeurs. „Ich war mit Euch zufrieden, hier der Lohn Eurer Geschicklichkeit." Lude empfing grinsend den Sündenlohn. „Wann meint Ihr, daß der Angriff auf Lions statt finden wird?" „Soweit ich Erkundigungen einzog, heute Abend oder morgen früh." Grevy Rouvier, der aber sein Bleiben im Amt ver weigerte; Grevy wird nun Ribot die Cabinetsbildung übertragen, und dann sofort Adieu sagen. Das Mini sterium Ribot wird Flourens und Ferron als Minister behalten, die übrigen Mitglieder aus den Reihen der gemäßigten Republikaner nehmen. Seine Hauptarbeit wird die Berufung des aus beiden Kammern bestehen den Congresses zur Neuwahl eines Präsidenten der Republik sein. Monarchisten und gemäßigte Repu blikaner sollen den General Saussier, Generalgouver neur von Paris, wählen wollen, die Radikalen wüthen dagegen. Freycinet scheint aber doch die meisten Chan cen zu haben. Die Ruhe in Paris ist ungestört. Bis Ende des Jahres sollen 5 französische Armee- corps mit dem neuen Lebelgewehr versehen sein. Frau Limo uz in hat mit ihrem Freunde Lorentz ein Bierlokal äußerst zweifelhafter Sorte gepachtet. Das Lokal ist aber bereits von der Polizei geschlossen, da die Menge vor demselben demonstrirte. Und dies Frauenzimmer war eine intime Freundin des Schwieger sohnes des französischen Staatsoberhauptes. Außer dem Wachsamkeitsausschuß der Pariser Radi- calen hat sich ein blanquistischer Dauerausschuß gebildet, der die revolutionären Streitkräfte organisiren und zum Handeln bereit halten will. Bulgarien. Bulgarien drohen neue Gefahren. Auf vielen Stellen des rumänischen Donauufcrs besonders in den Städten Tum-Severin, Kalafat und Kalarasch haben sich Schaaren von bulgarischen Emigranten und an deren Abenteurern angesammelt. Für die Organi sation derselben sind eigene Bureaus unter der Leitung von russischen Reserve-Offizieren gebildet worden. Die bulgarische Regierung ist glücklicherweise rechtzeitig da von benachrichtigt und hat die Besatzungen an der Grenze bedeutend verstärkt. Leichtsinnig werden sich die Emigranten übrigens schwerlich vorwagen, die Exekution von Rustschuck ist noch im frischen Andenken. Die Prinzessin Clementine von Koburg, Mutter des Fürsten Ferdinand von Bulgarien, ist in Sofia angekommen, um sich in der Fürstenherrlichkeit ihres Sohnes zu sonnen. Das ist das erste Mal, daß den Bulgaren eine Fürstin sich präsentirt. Aus dem Muldeuthale. "Waldenburg, 25. November. Der gestrige außer ordentlich dichte Nebel, der sich gegen acht Uhr vor mittags eingestellt hatte und die Temperatur um meh rere Grade tiefer sinken ließ, scheint schöne Herbsttage verursachen zu wollen; bereits um 10 Uhr hatten wir gestern blauen Himmel und Sonnenschein und auch heute hält die freundliche Witterung an. Der Nebel ist übrigens über einen großen Theil Deutschlands ver breitet gewesen, denn aus den verschiedensten Orten wird das Auftreten desselben gemeldet. *— Die leidige Verkehrsstörung durch den Repa raturbau an unserer Muldenbrücke macht sich auch im Erwerbsleben der hiesigen Einwohnerschaft in schädi gender Weise bemerkbar. Wie uns ein hiesiger Händ- „ Und Ihr wißt bestimmt, daß Lubinski bei den an greifenden Truppen steht?" „Bestimmt." „Gut. Bis ich Näheres befehle, haltet Euch in dem Zimmer Tomaneks auf. Maruschka wird Euch mit Lebensmitteln versorgen." — — — — — >— — Am folgenden Morgen war die Situation dieselbe wie am Abend vorher. Lodowika hatte sich ihrer Pei nigerin gegenüber still und fügsam verhalten und saß jetzt, die Hände im Schoß gefaltet, theilnahmslos in einem Fauteuil. Agnes Dembirska begab sich, nachdem sie mit dem Grafen Zalewski das Frühstück eingenommen, nach dem Erkerzimmer, in welchem sie vorgestern den ersten An griff nach ihrer Cousine unternommen. Mit gespann ter Aufmerksamkeit sah sie nach Lions hinüber. Dort erwartete sie jeden Augenblick das Alarmsignal, welches, wie Frondeur hatte mittheilen lassen, durch eine vom Thurm aufsteigende Rakete gegeben werden sollte. Sie wartete nicht umsonst. Etwa um zehn Uhr erglänzte ein blaues Licht am Horizont und gleichzeitig glaubte sie einen dumpfen Ton zu hören, den sie für den ersten Kanonenschuß hielt. Mit pochendem Herzen sah sie der Entwickelung des Dramas entgegen. Lubinski hatte die Zeit, welche auf den 18. März folgte, in steter Aufregung und Besorgniß um das Schicksal Lodowikas zugebracht. Er mußte annehmen, daß die gräflich Zalewskische Familie an demselben Tage, wie er, Berlin verlassen und ihrem Plane ge mäß, nach Moilowo übergesiedelt sei, während Frau von Dembirska sich nach Staliszyn begeben. Aber seine anfänglich nach dem Gute gerichteten Briefe blieben, Dank der Umsicht Agnesens, unbeant wortet, und bald war es überhaupt nicht mehr mög lich, dorthin zu schreiben, da die Postverbindung nach den insurgirten Gegenden der Provinz Posen unter brochen war. (Fortsetzung folgt.)