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ltMtmM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich L Mr. SV Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Donnerstag, den 26. October ^250. 1882. "Waldenburg, 25. October 1882. Zur Tagesgeschichte. Alles in Allem genommen, kann Bismarck mit dem Ausfall der Wahlen zum preußischen Abgeordne tenhause recht zufrieden sein. Eine Zusammenstel lung der bisher bestätigten Resultate ergiebt, daß die Deutschconservativen 16 Mandate gewonnen und 4 verloren, die Freiconservativen 4 gewonnen und 3 verloren, die Nationalliberalen 3 gewonnen und 14 verloren, die Secessionisten 5 gewonnen und 2 verloren, die Fortschrittler 8 gewonnen und 11 verloren und die Ultramontanen definitiv 2 Mandate verloren haben. Demnach haben die Deutschconservativen unter der Voraussetzung, daß der Wahlkreis Halle-Bielefeld-Herford von ihnen behauptet wird, 12, die Freiconservativen 1 und die Secessionisten 3 Mandate erobert, die National liberalen 11, der Fortschritt 3 und das Centrum 2 Mandate verloren. Am meisten gehen die Ansichten über den Wahlkreis Halle-Bielefeld-Herford auseinan der, in welchem die conservaliven Zeitungen eine con- fervative Majorität von 25 Stimmen für sich yeraus- rechnen, während die fortschrittlichen Zeitungen eine gleiche Majorität für sich in Anspruch nehmen. Dem nach würden die conservalive Fraction im Ganzen 121 Mann, die freiconservative 50, die nationalliberale 73, ver Fortschritt 34, das Centrum 94, die Se cessionisten etwa 20 Mann stark sein, während die Polen um höchstens einen verstärkt wiederkehren. Dazu kämen noch zur Vervollständigung der Ge- sammtzahl von 433 Abgeordneten die sogenannten Wilden. Wenn wir die einzelnen Provinzen be trachten, so ist Ostpreußen fast ganz von den Con- servativen dem Fortschritt abgenommen worden, während aus Westpreußen noch nähere Nachrichten fehlen. Pommern wird bis auf Stettin ganz con- servativ vertreten sein. In Posen glauben die Polen ihren Besitzstand ganz zu erhalten, ja sogar in Schubin-Jnowrazlaw ein Mandat zu gewinnen, während in Santer-Birnbaum die Fortschrittler den nationalliberalen Kiepert verdrängen wollen. Hanno ver Hal fast ganz wie früher, d. h. überwiegend nationalliberal, Hessen in der Majorität conservativ gewählt, da außer 2 Clericalen nur in Kassel ein ^"^"Ebbraler und in Hanau ein Fortschrittler m "gbfi wird. Schlesien lheilt sich wieder unter alle Parteien, Sachsen hat die Hoffnungen der Liberalen enttäuscht, Schleswig-Holstein sie dagegen übertroffen, Nassau wählte zum größten Theil liberal, die Nheinprovinz und Westfalen durchgehends für das Centrum. Der Streit um den Canaltunnel ist noch immer nicht ganz erloschen. Obwohl die öffentliche Mei nung, die Presse und die Regierung in England sich gegen das Project entschieden haben, macht man in Frankreich geltend, daß die französischen Unternehmer dadurch nicht verhindert würden, die Arbeiten bis zu dem Punkte unter dem Meeresboden fortzusetzen, wo das englische Besitzrecht beginnt, das heißt bis auf eine Entfernung von drei Meilen vom Ufer bei niedrigem Wasserstande. Vorläufig scheint man denn auch die Tunnelarbeiten vom französischen Ufer aus fortzusetzen. Eine praktische Bedeutung haben diese Bemühungen angesichts der Haltung Englands zur Zeit gar nicht. Die neuerdings von den gambettistischen Organen in Frankreich wieder in Scene gesetzte, gegen die Deutschen gerichtete Spionenriecherei dürfte vielleicht doch einmal in Deutschland, wo man die albernen Hetzereien bisher allerdings wenig beachtet hat, ver- schnupfen und es rathsam erscheinen lasten, dem Treiben der Herren Chauvinisten einen wirksamen Dämpfer aufzusetzen. Das geht aus einer jedenfalls /Vpirirten Notiz der „Kr.-Ztg." hervor, welche sich an die Adresse dieser Herren richtet und worin es heißt: „Es ist ein Beweis, wie tiefe Wurzeln die von unserer Regierung verfolgte Friedens-Politik bereits in unserem Volke geschlagen hat, daß jene Verfolgungen und Hetzereien nicht mehr Aufsehen bei uns erregen, daß man sie vielmehr nur mit pathologischem Interesse als eine innere Angelegenheit Frankreichs behandelt, doch wird dies nur bis zu einem gewissen Punkte möglich sein, und, sollte es zu einer ernsteren Auf fassung dieser Dinge kommen, so möge Frankreich sich deshalb bei seinem Gambetta bedanken." Möge Hr. Gambetta sich das ein wenig aä notaw nehmen! Die Langmuth, mit welcher man diesseits seinen Wühlereien zusieht, scheint ihn immer dreister zu machen, so daß eine solche Zurechtweisung ganz am Platze ist. "Waldenburg, 25. October 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Die Kaiserin kehrt zu Ende des Herbstes nach Berlin zurück, begiebt sich also nicht nach Italien, wie ihr die Aerzte angerathen. Die Jagdausflüge des Kaisers nach Ludwigslust und Wernigerode sind aufgegeben. Der Bundesrath beschloß am 24. d. die Ver längerung des kleinen Belagerungszustandes für Hamburg. In Berlin haben zur großen Ueberraschung und zum wüthenden Aerger der Judenschaft bei den Wahlen die Herren Magnus (von der Firma F. Martin Magnus) und Veit (Robert Warschauer), die sich unbeschadet ihres semitischen Ursprungs neuerdings als „orthodoxe Christen" legitimiren, für den conservaliven Candidaten S.öcker gestimmt; ein weit unliebsameres Aufsehen hat es erregt, daß der Geh. Commerzienrath Wilhelm Friedberg, der be kannte Mitinhaber der großen Juwelierfirma, ein gleiches Verfahren beobachtet hat. In der kauf männischen Ressource gab es in Folge dessen zwischen F. und mehreren semitischen Mitgliedern des Ael- testen - Collegiums der Kaufmannschaft stürmische Auftritte. Das Reichsgericht hat gegen das preußische Kriegsministerium erkannt, daß zur Geltendmachung der durch Einquartierung entstandenen Kosten der Rechtsweg zulässig ist. Die Vorderrichter und in zweiter Instanz das Kammergericht hatten den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs für begründet erachtet, während das Reichsgericht aus führt, daß weder durch das allgemeine preußische Landrecht noch durch irgend ein anderes preußisches Gesetz und ebenso wenig durch das Bundesgesetz vom 25. Juni 1868 als durch ein anderes Bundes oder Reichsgesetz der Rechtsweg bezüglich des von der klagenden Stadtgemeinde erhobenen Anspruchs ausgeschlossen ist. In dem am 30. September abgeschlossenen Fiscal- jahr wurden nach den Vereinigten Staaten von Nord amerika aus dem Theile Deutschlands, der dem amerikanischen Generalconsulat in Berlin untersteht, für 33 Mill. Doll, (über 130 Mill. Mk.) Waaren mehr ausgeführt, als im Fiscaljahr 1880/81. Eine beträchtliche Zunahme der Ausfuhr nach Amerika begann erst 1880, also mit der neuen deutschen Zollpolitik. Unter den Führern der Socialdemokratie ist neuerdings ein heftiger Kampf über die Frage entbrannt, ob für die Socialdemokratie selbst und für deren Bestrebungen eine Aufhebung des gegen sie gerichteten Ausnahmegesetzes wünschenswerth erscheine oder nicht. Die Liebknecht'sche Gruppe verficht die Ansicht, daß es für die socialdemokrati schen Zwecke besser sei, wenn das Socialistengesetz in seiner gegenwärtigen Form bestehen bleibe; die Argumentation geht dahin, daß es der Socialdemo kratie trotz des Gesetzes möglich war, ihr Bestehen zu wahren, daß sie sich auch innerhalb dieses Ge setzes eingerichtet, ihre Beziehungen, ihre propagan distische Thäligkeit zu erhallen gewußt habe. Sollte — was bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Reichstages keineswegs unmöglich erscheine — eine Majorität sich zusammenfinden, welche für die Aufhebung des Ausnahmegesetzes stimmt, so wäre damit für die socialdemokratischen Bestrebungen wenig oder gar nichts gewonnen. Denn es sei nicht an zunehmen, daß nach Aufhebung des Socialisten- gesetzes eine freie Bewegung ihrer Partei gestattet werden würde, vielmehr sei zu fürchten, daß dann durch Revisionen der ordentlichen Gesetze, resp. durch Novellen zu diesen neue Mittel geschaffen werden würden, um die Socialdemokratie zu bekämpfen, daß es dann nicht nur uöthig sein würde, sich gegen diese neuen Gesetze „einzurichten/' die zwar mög licherweise gegen andere politische Parteien ausge nutzt werden könnten, dis aber eben deshalb den Unterschied zwischen der Bourgeoisie und der So cialdemokratie verwischen würden, während das So cialistengesetz Jeden wie mit Ketten an den Socialis- mus banne, der sich ihm einmal dienstbar gemacht habe. Von der anderen socialistischen Gruppe wird hingegen betont, man solle sich nicht so sehr „von der Phrase" beherrschen lassen und durch Bemü hungen zur Aufhebung des Ausnahmegesetzes we nigstens die Schaffung von so viel Erleichterung versuchen, als möglich sei. Von dieser Seite wird überdies auch vor einer unzweckmäßigen Theilnahme ! an der „hohen" Politik gewarnt, dagegen eine Be- theilignng an allen Bestrebungen empfohlen, welche geeignet erscheinen, eine Besserung in der Lage der arbeitenden Bevölkerung herbeizuführen. Man muß auf den Ausgang dieses häuslichen Streites inner halb der socialdemokratischen Partei gespannt sein. Von den Etatsentwürfen liegt jetzt auch der zweijährige Etat der Reichs-Justiz-Verwal tung dem Bundesrathe vor. Dieselbe stimmt im Ganzen mit dem Etatsentwurf für 1883/84 überein. Nur setzt er eine weitere Steigerung der Einnahmen von Gerichtskosten vom Reichsgericht um 32,250 Mark voraus, auch sind die einmaligen Ausgaben für den zweiten Hilfssenat des Reichsgerichts, der im Jahre 1884/85 nicht mehr bestehen wird, sowie für den Ankauf eines Grundstückes für das Reichsge richtsgebäude in Leipzig selbstverständlich in Wegfall gekommen. Frankreich. Am Sonntag wurde in Marseille ein großes Bankett von 850 Gedecken zu Ehren des Geburts tages des Grafen Chambord gehalten. Der Saal war mit weißen Fahnen und Chambord's Brust bild geschmückt. Der Marquis de Foresta präsidirte. Heftige und aufrührerische Reden wurden gegen die Republik gehalten, welche zwei Provinzen verloren und das Prestige Frankreichs ruinirt habe. Die Servietten wurden unter stürmischen Rufen: „Es lebe Elsaß-Lothringen! Hoch Frankreich! Nieder mit der Republik! Hoch König Heinrich V.!" ge schwenkt. Dank den polizeilichen Maßregeln wurde die Ordnung weiter nicht gestört. Die vom französischen Kriegsministerium erlasse nen Ausführungsbestimmungen über die Organisa tion und den Gang der militärischen Jugend erziehung lassen nunmehr den Umfang sowie die Bedeutung dieser in Frankreich mit so viel Leidenschaft erfaßten Maßregel erkennen. Danach können mit Genehmigung des Präfecten jede öffent liche Schule oder mehrere für diesen Zweck sich ver-