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nicht viel fortkommen, bleibt also der Militäretat. Den wird man sicher allerdings genauer ansehen, aber nach dem bisherigen Gange der Commissionsberathungen ist schon zu sehen, daß von sehr wesentlichen Verände rungen keine Rede sein wird. Die Einbringung der neuen Branntweinsteuervorlage im Reichstage noch in dieser Session ist doch schon etwas zweifelhaft gewor den. Wenn, wie geplant wird, der Gesetzentwurf erst von einer Sachverständigen-Commission geprüft wer den soll, wird der Reichstag wohl kaum noch in die sem Sommer an die Arbeit herankommen. Einen neuen Allarmartikel bringt die Berliner „Post" aus Anlaß des Petersburger Attentatsversu ches. Es heißt dort: Kaiser Alexander III. hat bis jetzt dem Andrängen der Kriegspartei widerstanden, weil er begriffen hat, daß ein Monarch nicht verfahren kann wie ein Spieler, der entweder die Bank zu spren gen oder sich eine Kugel in den Kopf zu jagen ent schlossen ist. Welchen Weg wird nunmehr der Kaiser wählen, nachdem ihm nichts mehr die furchtbare That- sache verhehlen kann, daß die Attentate nicht auszurot ten sind? Man darf sich die ernste Thatsache nicht verhehlen, daß eine fast übermenschliche Kraft dazu gehören würde, das Mittel abzuweisen, welches von den Stimmen, die bis an den Thron dringen, immer stürmischer gefordert wird: der Krieg. Der Krieg kann sehr verschiedene Ziele wählen, wenn man die Nachbarn in zwei Welttheilen hat, wie Rußland. Aber welches Ziel man sich auch denken möchte, die Ergreifung desselben wird Europa in Mitleidenschaft ziehen. Aber mit Schrecken lind Bedauern müssen wir es sagen, Europa hat sich gefaßt zu machen auf eine Politik der Verzweiflung, die in fatalistischer Er gebung bestehen kann, oder in kampfhaften Wagnissen. Der letztere Weg ist der wahrscheinlichere." Die „Post" vergißt eins: Der Czar kennt die Geschichte Rußlands, und diese lehrt: Der Sieg Rußlands über die Tür kei war 1877/78 so vollständig, wie nur möglich. Zwei Jahre später — trafen Alexander II. die Bom ben der Nihilisten. Vorher hatte auch noch die glän zende Besiegung der Teke-Turkmenen stattgefunden. — Rußland kann den Krieg beginnen, ja —, aber einige verlorene Schlachten, und in Petersburg ist Revolution. Beginnt der Czar den Krieg, so spielt er va danyns. Wie die demokratische „Berl. Volksztg." erfährt, hat die Leitung der socialdemokratischen Partei des Reichs tages an ihre Parteigenossen in Varel, wo für Rickert eine Nachwahl stattfinden muß, die Weisung erlassen, den freisinnigen Candidaten nicht wieder zu unterstützen. Die Socialdemokraten hatten nämlich den Wahlkreis für sich beansprucht. Das preußische Abgeordnetenhaus genehmigte am Dienstag die Eisenbahnverstaatlichungs- und die Sekundärbahnvorlage ohne wesentliche Debatte und unverändert. Donnerstag 11 Uhr findet die dritte Lesung dieser Gesetze statt. Es ist wieder sehr fraglich geworden, ob die neue Kirchenvorlage noch vor Ostern im preußischen Herrcnhause zur Berathung gelangen wird. Es haben l also die vorhandenen Schwierigkeiten noch nicht besei- ' tigt werden können. Frankreich. Die französische Deputirtenkammer hat eine recht starke schutzzöllnerische Mehrheit. Das hat der Ausgang der Berathung über die neuen Zollerhöhun- l gen bewiesen, die insgesammt mit 318 gegen 248 Stimmen angenommen worden sind. Die neuen Zölle sollen sofort nach der Publikation des Gesetzes in Kraft treten. Letzteres kann sehr bald geschehen, wenn nur der Senat die Berathung etwas beschleunigt. Das Ministerium sagt zweifellos ja. Ferdinand von Lesseps ist Montag Abend von Berlin wieder in Paris angekommen und auf dem Nordbahnhofe von seiner Familie, zahlreichen Freun- i den und einigen Berichterstattern empfangen worden. , Er sprach sich entzückt über seine Aufnahme in Ber- ' lin aus und hochbefriedigt über Alles, was er dort l gesehen und gehört. Namentlich rühmte er die Rüstigkeit des Kaisers und den freundlichen Em- i pfang durch denselben. In Epernay will man einen deutschen Spion j mit vielen Zeichnungen und Plänen verhaftet haben. Was dabei wohl wieder herauskommt? Aus Paris wird der „Nat.-Ztg." telegraphirt: Herr von Lesseps versichert, in Berlin die Ueberzeugung er langt zu haben, daß alle Welt in Deutschland der Kaiser, Fürst Bismarck und die ganze Nation auf richtig den Frieden wünschen. Er erklärte zu gleich alle über den Gesundheitszustand des Kaisers verbreiteten Gerüchte für falsch; Kaiser Wilhelm sei körperlich und geistig von einer erstaunlichen Frische. Herr von Lesseps wiederholte, daß er absolut keine Mission hatte, aber nicht ermangeln würde, seine in . jeder Beziehung beruhigenden Wahrnehmungen dem , Präsidenten der Republik und Minister des Auswär tigen mitzutheilen. Auf der Durchreise durch Köln sagte Lesseps, der Friede sei in jeder Beziehung ge sichert. Die vorhanden gewesenen Differenzen seien völlig beseitigt. Dem dortigen Consul Brandt schrieb er auf den Rahmen einer ihm zum Andenken über gebenen Photographie folgende sehr bemerkenswerthe Worte: Lou souvsmi- äs mon M88ÄK6 ü Ooloxus elis? 21r. ürunät. Drö8 eonnaiüSLNt äs 8n i 6161186 ÜO8pit.Llit6 6t ä« 86rV1668, gu' 11 N6Uä L In, Francs, awis nutuislls ä6 I'^llswLANS. Ots. P6rä. äs I^6886P8. General Boulanger gab Montag ein großes diplomatisches Diner, dem auch der deutsche Bot schafter Graf Münster und der erste Militär-Attachs ! Frhr. von Hüne, sowie Flourens und Freycinet bei- ! wohnten. Die Musik spielte während der Tafel sämmt- liche Nationalhymnen und begann mit der deutschen! Nicht nur in Paris, sondern in einer ganzen Reihe französischer Städte haben die Anarchisten am Sonntag die Mörder Czar Alexander's II. ge feiert. Das ist ein Theil der französischen Brüder, nach welchen die Russen sich sehnen. England. Die „Times" läßt sich aus Wien melden, fin Pe tersburg habe man eine Verschwörung entdeckt, die auf den Sturz des Absolutismus und die Einführung einer Verfassung gerichtet sei. Die Verschwörer seien keine Nihilisten, sondern hochgestellte Großgrundbesitzer; ihr Plan sei nicht gewesen, den Czaren zu ermorden, sondern ihn zu zwingen, zwischen dem Erlasse einer Verfassung und der Abdankung zu wählen. Der Standard bringt ein Telegramm, dem zufolge in Petersburg 6 Studenten in der Nähe des Anitschkow - Palais verhaftet wurden, bei denen Spreng stoffe gefunden sind. Aus Allem geht der Ernst der Lage in Petersburg zur Genüge hervor. Kriegsminister Stanhope theilte im Parlament mit, die Schlagfertigkeit der britischen Armee habe sich in letzter Zeit bedeutend erhöht, aber es müsse noch viel mehr geschehen, lieber die Wahl eines neuen « Repetirgewehres soll in nächster Zeit Beschluß gefaßt i und dasselbe dann schleunigst eingeführt werden. Rußland. In russischen Blättern wird jetzt mit wahrem Feuereifer gefordert, es möchte ein kleines militärisches Corps zur Besetzung einer Hafenstadt in Bul garien abgesendet werden. Auch damit wird es nicht so schnell gehen; oder richtiger, es ist gar keine Aus sicht vorhanden, daß dieser Plan zur Ausführung ge langt, wenn nicht Fürst Alexander nach Sofia zurück kehrt. Und daran ist für's Erste nicht zu denken. Bulgarien. Ueber die Vorgeschichte der letzten Militär revolte in Bulgarien geht der „Pol. Corr." aus Sofia eine authentische Darstellung zu, der wir Fol gendes entnehmen: Die Revolte kam der bulgarischen Regierung keineswegs unerwartet. Die Regierung : hatte vielmehrziemlich genaue Kunde von den einzelnen j Vorbereitungen. Seit mehr als zwei Monaten wußte man in Sofia von dem Bestände eines revolutionären Comitee's in Bukarest, welches auf die Herbeiführung von Unrnhen in Bulgarien hinarbeitete und über be deutende Geldmittel für diesen Zweck verfügte. Die ses Revolutionscomitee versandte lithvgraphirte und gedruckte Circulare, sowie Privatbriefe an Officiere der verschiedensten Garnisonen Bulgarien's, in welchen die Empfänger zum Abfall von der Regentschaft auf gefordert wurden. In den von Capitän Benderew i unterzeichneten Briefen wurde den Officieren für den Fall, daß der Aufstand gelinge, ein rasches Avance ment verheißen, Jenen aber, die sich dem Aufstande nicht anschließen, sowie überhaupt den Garnisonen, die der Regentschaft treu bleiben würden, wurde Vernich tung angedroht. Vielen Briefen waren mehrere hun dert Rubel beigeschlossen und die Empfänger dieser Summen wurden eingeladen, nach Rumänien zu kom men, wo sie bis zum Sturze der gegenwärtigen bul garischen Regierung und bis zur Herstellung einer Neu ordnung der Dinge aus der reichdotirten Kasse des § revolutionären Comitee's ihren vollen Gehalt beziehen würden. Officiere, welche auf diese Weise geködert Feuilleton. Unter einem Dache. Roman von Karl Hartmann-Plön. (Fortsetzung Sie machte ein förmliches Studium daraus, wie diese Vornehmen sich in der Welt bewegten, wie sie, sich verbeugten, ja wie sie aßen und tranken. Sie hatte stets Augen und Ohren offen. Nur Eins war ihr gänzlich unmöglich, nämlich eine nähere Befreundung mit der Grammatik., Trotz des vielen Ermahnens und Verbesserns seitens ihrer Töch ter hatte sie nicht den kleinsten Fortschritt gemacht, und ob dritter oder vierter Fall, die Sache schien ja gar nicht so wichtig. Seit einiger Zeit hatte sie sich jede Correctur ernstlich verbeten, wobei sie ihren Kindern gesagt hatte: „Mit Eurem „richtigen Deutsch" kommt es mich mitunter lächerlich vor, bald heißt es „in dem", bald heißt es „in das"; Deutsch ist Deutsch, die Hauptsache ist, daß ich mir gebildet ausdrücke und daß in unserer Familie nur Hochdeutsch gesprochen wird, sogar mit dem Vater und mit die Magd! Und mit die Fremdwörter komme ich auch schon zurecht!" Es gab keine Frau, die über das Emporgekommen sein aus niederer Sphäre glücklicher war, die sich über alles Schöne, was sie besaß, mehr freute, als Frau Runkel. Mit einem wahren inneren Behagen durch wanderte sie oft ihre Salons, eine Reihe größerer und kleinerer Zimmer in der Front und zu beiden Seiten des ersten Stockwerkes, nur um sich an der glänzen den Einrichtung zu erfreuen. Ein kleines Eckzflnmer, welches neben dem „Empfangssalon" lag, nannte sie ihr „Budovar". Dasselbe war mit rothen Sammet tapeten ausgekleidet und hatte violette Plüschmöbel. Diese bestanden aus einem kleinen Divan, zwei großen Lehnstühlen und mehreren kleineren Sesseln. Außerdem befand sich in dem Gemach ein hübscher Schreibtisch und ein Marmortisch, auf dem verschiedene „Werks" lagen in rothen, blauen und grünen Einbänden. Hier saß sie oft mit Vorliebe längere Zeit allein und dachte darüber nach, wie des Hauses Glanz und Ansehen zu erhalten und zu vermehren sei. Hierher ließ sie aber auch Mann und Töchter kommen, wenn sie nicht mit ihnen zufrieden gewesen und ihnen einen „Rüffel" zu ertheilen hatte. Auch heute, um die zehnte Vormittagsstunde, saß die kleine kugelrunde Frau Runkel mit den Hochrothen Wangen, die fleischigen Hände von derselben Farbe vor der Magengegend gefallet, auf einem der violetten Lehnsessel. Sie mußte eine große Freude gehabt haben, denn ihr Gesicht strahlte förmlich vor Glück und Wonne. „Es ist gelungen," sprach sie laut, „nun wird Run kel es einsehen, daß der Plan mit dem Vcrmiethen gut war, er hatte Anfangs allerlei dagegen einzuwenden. Gott, was wird er sagen, wenn ich ihm das mittheile. Wenn ich nun auch lieber gesehen hätte, daß die Laura Frau Doktor würde, so ist Frau Pastor auch nicht zu verachten, die Pastors stehen überall in großem An sehen. Und Laura war immer etwas sentimentalisch und war stets vor die Frömmigkeit. Ich will mich jetzt auch eine Prachtbibel anschasfen, die soll da zwi schen die Werks liegen. Und wenn Runkel sich unter steht, von nun an noch eine faule Geschichte, noch ein faules Geschäft zu machen, so steige ich ihm aufs Dach. Wie schrecklich, wenn er einmal dabei anliefe und in Untersuchung käme, der Schwiegervater eines zukünf tigen Pastors, ich möchte es nicht erleben! Ich bin stets vor die Reellität gewesen, aber er, er fischt nur zu gern im Trüben. Das muß aufhören! Da ist wieder so etwas im Werk — ich werde ihm fortan mehr auf die Finger paffen, als ich es bisher gethan habe. Ich werde ihm bei dieser Gelegenheit einmal ordentlich ins Gewissen reden, das ist der beste Augen blick!" Sie stand auf und zog zweimal an einer kleinen Klingelschnur, ein Zeichen, daß die Magd sich nachdem Boudoir zu begeben habe. Letztere kam sogleich und dieser rief sie zu: „Sagen Sie dem Herrn, Kathrin, daß er »ach dem Budovar heraufkommen möge." Die Magd verschwand, und wenige Minuten später erschien Herr Peter Runkel auf der Schwelle des klei nen Gemaches. Vater Runkel, dem es niemals sehr behaglich war, wenn er in dieser Weise zu seiner Frau gerufen wurde, wo es in der Regel eine Gardinenpredigt gab, war sehr erstaunt, als seine Ehehälfte ihn mit einem unge wöhnlich freundlichen Gesicht empfing, ihn ebenso freund lich zum Platznehmen einlud uud ihm darauf erzählte, daß Laura sich mit Herrn Blinker, dem bei ihnen im Hause wohnenden Theologen, verlobt habe. War ihm die Verlobung mit einem Theologen nicht gerade ganz recht, so freute er sich auch wiederum, daß ' nun doch eine der Töchter vergeben war. Indessen, eine Gardinenpredigt ivurde ihm doch keineswegs bei dieser Gelegenheit geschenkt. Frau Runkel ließ es sich nicht entgehen, ihm nicht allein noch einmal sein ganzes früheres Sündenregister vorzuhal ten, sondern untersagte ihm geradezu, das gewisse „faule Geschäft" mit dem Verivalter von Hellenborn abzuschließen. Der Gatte sah seine Frau betroffen an und fragte, was sie von diesem Geschäft wisse. Frau Runkel besann sich einen Augenblick, dann sagte sie: „Ich weiß Alles, jede Kleinigkeit weiß ich, denn was Dich durch den Kopf geht, plapperst Du Alles im Schlaf aus." Frau Runkel hatte in diesem Augenblick nicht die Wahrheit gesprochen. Schon längst war ihr das Dunkle und Geheimnißvolle in den Geschäften ihres Mannes unangenehm gewesen. (Fortsetzung folgt.)