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bei den nächsten Reichstagswahlen sein wird: hie Zoll freiheit, hie Zollschranke. Oesterreich-Ungarn. Der böhmische Statthalter Coudenhove weilt gegen wärtig in Wien. Dieser Aufenthalt ist anscheinend durch Verhandlungen bedingt, die der mißliebig gewordene Statthalter mit dem Ministerpräsidenten Frhrn. v. Gautsch zu führen hat und deren Resultat der Rücktritt des Herrn Coudenhove von seinem Posten in Prag sein wird. Aufsehen erregt ein Artikel des „Budapesti Hirlap" von „hoher russischer Seite". Danach habe der Zar allen französischen osficicllen Mittheilungen über die Stärke der Armee mißtraut; auch die Angaben des russischen Spions Esterhazy hätten keinen Eindruck ge macht, da diese sichtlich vom Generalstab inspirirt waren. Um dem Zaren deren Verläßlichkeit darzuthun, habe man den Verrath inscenirt und dem ohnehin miß liebigen Dreyfus das Verbrechen imputirt, ihn ge richtet und durch dieses Opfer endlich die Allianz erwirkt. Die französische Regierung sträubte sich nun dagegen, einzugestehen, daß die Allianz erschlichen und durch ein Verbrechen erkauft worden ist. Zu bemerken bleibt, daß das Blatt sonst nicht zuverlässig ist. Frankreich. Am sechsten Derhandlungstage im Prozeß Zola waren vier Compagnien Garde rings um den Justiz palast postirt, zwei reitende Schwadronen bildeten die Reserve. Oberst Picquart, nochmals als Zeuge auf- gerufcn, sagte: Ich glaube, daß Zola, als er schrieb, das Kriegsgericht habe Esterhazy wissentlich freigesprochen, mehr geschrieben hat, als er beabsichtigte. Die Mit glieder des Kriegsgerichts haben aber unbewußt unter dem Einfluß ihrer Vorgesetzten gehandelt. Sie befanden sich gegenüber einer unvollständigen Voruntersuchung und urtheilten daher nach bestem Wissen. Darauf wurden Picquart und der Commandant Lauth gegenübergestellt. Lauth hat ausgesagt, Picquart habe ihn seiner Zeit beauftragt, eine Rohrpostkarte Esterhazy's zu photo- graphiren, und ihn dabei ersucht, die Spuren der Risse in der Karte zum Verschwinden zu bringen und danach die Echtheit derselben zu bescheinigen; Alles dies habe er dem Obersten rundweg verweigern zu müssen geglaubt. Lauth bleibt dabei, Picquart habe ihm zugemuthet, eine Briefmarke auf das Stadttelegramm zu kleben. Advokat Clemenceau bringt Lauth dahin, zuzugeben, daß er das zerrissene Telegramm auf Papier zusammengeklebt habe; wo war also der Platz für eine Briefmarke? ES folgte dann die Confrontation Picquart'S mit Oberst Henri. Letzterer erzählt, wie er Picquart und Advokat LebloiS vor der geheimen Actenmappe antraf. Picquart verneint dies entschieden. Henri: LebloiS hat eß dem Kriegs gericht gestanden. L. bestreitet, dergleichen erklärt zu haben. Er habe nur gesagt, „eine" geheime Actenmappe, nicht die, von der die Rede sei, mit „Kanaille D.". Labori constatirt, daß Henri früher nur gesagt habe, er habe Picquart und Leblois in einer Actenmappe blätternd gefunden, während er heute sage, die Mappe war ge schlossen. Entweder sage Henri die Unwahrheit oder der Rapport Ravary'S. Die Erregung ist in Paris eine hochgradige. Aus dem Boulevard Sebastopol zer- Unterhaltungstheil. Hand und Ring. Von A. K. Green. (Fortsetzung.) „Herr Ferris," sagte sie im Flüsterton und trat dicht an ihn heran, „ich habe mich entschloßen, Ihnen alles zu offenbaren. Nie hätte ich geglaubt, daß ich gezwungen werden könnte, dies letzte Geheimniß, das ich so fest in meiner Brust bewahrte, zu enthüllen. Er ist so selt samer Art, kein Mensch hätte eS je entdecken können. Aber der Himmel will mir auch diese Prüfung nicht ersparen. Gottes Finger hat von Anfang an dir Spur deS Verbrechens gezeichnet — eS giebt kein Entrinnen. — Wie es Ihrem Scharfsinn gelungen ist zu ergründen, daß ich in betreff des Mordes noch etwas weiß, was ich bisher vor aller Welt verborgen habe, verstehe ich nicht. Aber es ist dir Wahrheit; der Himmel will sie ans Licht bringen und ich kann nicht widerstehen! — Sic sollen alles wissen, wenn Sie versprechen, mir offen kundzuthun, welche Wirkung meine Anssage haben wird und ob der Angeklagte verloren ist, wenn ich vor Gericht mein letztes Zeugniß gegm ihn ablege." Ihr Auge glühte wie im Fieber, sie starrte angsterfüllt nach ihm hin. „Reden Sie," sagte er bestimmt, „erst wenn ich weiß, wa« Ihre Aussage enthält, kann ich mir ein Urtheil über ihre Tragweite bilden. Wo Wahrheit und Gerech tigkeit unser Zeugniß verlangen, Fräulein Dare, muß jede Nebenrücksicht schweigen." „So hören Sie denn," sagte sic leise, sich gewaltsam zusammenraffend, „jene Stunde in Professor Darlings Thurmzimmer war mein Verhängniß. Ich sah das Mädchen nicht, das mich zu rufen kam und gab ihr keine Antwort, weil ich am andern Ende des Zimmers, hinter einem hohen Mappenständer verborgen, etwas be obachtete, was alle meine Sinne beherrschte. — Wie ge brachen Manifestanten die Fensterscheiben eines Ladens, der dar Schild „Levy und Dreyfus" trug. Ein Barbier gehilfe feuerte einen Rcvolverschuß ab. Die Polizei nahm verschiedene Verhaftungen vor. Auf dem Boulevard Voltaire wurden die Fenster des Geschäftshauses Bern heim zertrümmert. Eine Bedienstete des Hauses wurde ziemlich schwer verletzt. Die Gegner Zola's sind wüthend über Picquart'S Aussagen. Ferner wird berichtet: Nach erbittertem Wortwechsel zwischen dem Obersten Picquart und Henri erklärt Ersterer, er habe die Wahrheit gesagt, er bleibe dabei, auch wenn man ihn aus der Armee jage. (Große Bewegung.) Demange, Dreyfus' Advokat, bestätigt, es sei ein geheimes Actenstück dagewesen, das die Richter für sich behalten. Abg. JaurbS spricht warm für Zola und nennt Dreyfus- wie Esterhazy-Prozeß wegen der vorgckommenen Unregelmäßigkeiten ungesetzlich. Er habe von früheren Ministern gehört, die Regierung habe von geheimen Actenstücken gegen Dreyfus nicht» gewußt, der Generalstab habe eigenmächtig gehandelt. Für eine Republik sei das ganze Verfahren schmachvoll. Berthillon, der im Dreysus-Prozeß als Schreibsachver ständiger das entscheidende Gutachten abgegeben, wirkt als Zeuge direct komisch. Erstaunt fragten alle Hörer, wie ein solcher Mann berufen werden konnte. Montag: Fortsetzung. Die Lage ist nun die: Für jeden denkenden Menschen ist klar, daß Zola im guten Glauben gehan delt, daß es in den früheren Prozeßen thatsachlich un gesetzlich zuging, daß die Regierung die Militärs schonen will. Bei der Strömung in Paris ist ein Freispruch Zola's dennoch fraglich. Die Kammer beschäftigt sich erst nach Prozcßschluß mit der Sache, aber Aeußerungen am Sonnabend ergeben, daß das Ministerium sich nach wie vor weigert, auf eine Revision des Dreysus-ProzeßeS einzugehen. Vor Allem weist der Kriegsminister eine solche Möglichkeit zurück, und ob die Kammer gegen Armee und Pariser Mob für eine Revision des Prozeßes stimmen wird, muß doch sehr abgewartet werden. Mehrere Straßenskandale kamen wieder vor. Das Cabinet Möline wird dem Anscheine nach von den hochgehenden Wogen, die der Zolaprozeß ins Rollen gebracht hat, doch nicht unberührt bleiben. Wie nämlich aus Paris verlautet, finden zwischen den Radikalen und Theilen der republikanischen Regierungspartei Verhand- lungen statt, um den Sturz Melines vorzubereiten, welcher wegen seiner Verbindung mit den Klerikalen und der Rechten gefährlich und verdächtig zu werden beginnt. Die Republikaner wünschen die Bildung eine» Concen« trationS-Cabinets Dupuy, welches dir Wahlen leiten soll. Türker. Zur kretensischen Frage verlautet, daß die Can- didatur deS Prinzen Georg keineswegs aufgegeben ist, sondern nur von der Tagesordnung abgesetzt wurde, bis eine Einigung unter den Mächten erzielt worden sei. Wie weiter gemeldet wird, hat die russische Regierung dagegen den Sultan auffordern laßen, seinen Candidaten für den Posten eines Gouverneur» von Kreta zu nomi- niren. Die Mittheilung, daß Ruhland große maritime Vorkehrungen im Schwarzen Meere treffe, und daß gelegentlich eines ScheinmanöverS mehrere Kriegsschiffe wöhnlich hatte ich mich am Dienstag Morgen zu den astronomischen Studien eingefunden, die ich mit Helene Darling betrieb. Ich war an jenem Tage durchaus nicht dazu aufgelegt, denn ich dachte nur an die Unterredung mit Frau Klemmens, welche ich mir für den Nachmittag vorgmommen hatte. Als ich erfuhr, daß Fräulein Dar ling ausgegangen sei, war ich froh, ein stilles Stündchen für mich zu haben, um alle« wohl zu überlegen. In dem Thurmzimmer hoffte ich ungestört zu sein und saß dort lange in Nachdenken versunken, bis mir plötzlich ein fiel, es müße schon sehr spät sein und ich ans Fenster trat, um nach der Stadtuhr zu sehen. Ich konnte mit bloßen Augen zwar das Zifferblatt erkennen, doch nicht wohin die Zeiger deuteten, aber ich erinnerte mich, daß wir vor einigen Tagen zur Kurzweil das Fernrohr auf die Stadt hinunter gerichtet hatten. Als ich hindurch sah nach der Uhr, stand der Zeiger gerade auf fünf Minnien vor zwölf" — sie stockte und warf einen forschenden Blick auf Ferris. Dieser fuhr zusammen. „Fünf Minuten vor zwölf —" rief er, „und wa« geschah weiter?" „Ich wollte versuchen, Frau Klemmens Haus zu ent decken und wandte da» Fernrohr nach rechts, da sah ich " „Was?" fragte Ferris gespannt. „Die Thür zum Eßzimmer war nur angelehnt — ein Mann sprang in wilder Eile über den Zaun — er lief nach dem Sumpf zu — —" „Und Sie erkannten den Flüchtlings" Sie rang nach Kaßung. „Ja — eS war Craik Mansell." — Ein tiefer Ernst lagerte auf deS Bezirksanwalts Stirn. „Das geschah um fünf Minuten vor zwölf, sagen Sie? — und fünf Minuten früher, um zehn Minuten vor zwölf, war es der Vertheidigung zufolge schon unmöglich, von Frau Klemmens Haus die Station am Steinbruch bis zur Abgangszeit des Zuges, 1 Uhr und 20 Minuten zu erreichens" bei Batum 4000 Soldaten gelandet hätten, die sofort nach der türkischen Grenze abmarschirt seien, begegnet berechtigten Zweifeln. Aus dem Muldenthale. *Waldeub«rg, 14. Februar. In der Nacht zum Sonntag, früh 2 Uhr, brannte in LangenchurSdors ein oberhalb der Kirche gelegenes Wohnhaus bis auf die Umfaßungsmauern nieder. Entstehungsursache unbekannt. *— Eine neue Gemüseart, zugleich eine schöne Zier pflanze, kommt jetzt aus Amerika und bürgert sich bei uns ein: die virginische Erdnuß. Die Knollen sollen nahrhafter sein als Kartoffeln und schmecken nach Kasta nien; die Schotensrucht kann man wie Erbsen benutzen. *— Je mehr man sich in Deutschland anstrengt, den Obstbau zu heben, desto größeres Gewicht legt man von selbst auf die Auswahl richtiger Sorten beim Pflanzen junger Obstbäume. Mit allergrößter Sorgfalt muß darauf geachtet werden, daß für die Gegend d. h. für die Bodenverhältnisse, für Klima, Höhenlage, Windschutz, auch für die Feuchtigkeitsverhältniße passende Sorten ge wählt werden. Am sichersten wird man gehen, neben sorgfältiger theoretischer Prüfung der Sorten nach zuver lässigen Büchern, sich an die praktische Erfahrung, die in derselben Gegend mit Sorten gemacht ist, zu halten und ist es eine richtige Ausgabe für Obstbauvereine, unter fortgesetzter Controle die für jede Gegend paßenden Sorten zu ermitteln und zu empfehlen. In der neuesten Nummer des praktischen Rathgebers im Obst- und Gartenbau, jener vortrefflichen Wochenschrift, der der deutsche Obstbau schon soviel Anregungen verdankt, bespricht ein tüchtiger Pomologe, Herr Rudolf Säuberlich in Ehrenfeld, die Er fahrungen, die er in den letzten naßen Sommern mit einer großen Reihe von Birnen- und Apfelsorten gemacht hat: er führt an, welchen Einfluß die große Feuchtigkeit auf die einzelnen Sorten, ihre Tragbarkeit und Haltbar keit der Früchte gehabt hat und kommt zu einer Liste der Sorten, die sich gut, und einer solchen, die sich schlecht bewährt haben. Die in ihren Erträgen so sehr schwan kenden Obsternten in Deutschland bilden das Haupt hinderniß zu einem selbständigen Obstbau: solange wir noch so viele Mißernten haben, können wir das Aut- land nicht entbehren. Desto wichtiger ist die Sorten« kenntniß und in diesem Sinne sei die verdienstvolle Ar beit deS Herrn Säuberlich allen Obstzüchtern dringend empfohlen. Die Nummer wird von dem Geschästsamt des praktischen Rathgebers in Frankfurt a. Oder gern allen Obstliebhabern auf Wunsch unentgeltlich zugeschickt. *— Am 12. Februar 1888 verschied Herr Oberschul« rath I)r. Friedrich Wilhelm Schütze in Gohlis bei Leip zig, wo er während der letzten Jahre seines arbeit-vollen Lebens als Emeritus weilte. Der Verstorbene hat al» erster Seminardirector des Fürstlich Schönburgischen Lehrerseminars hierselbst über ein Menschenalter an der Spitze dieser Anstalt segensreich gewirkt und sich auch al» fruchtbarer pädagogischer Schriftsteller, dessen Werke besonders der Ausgestaltung der Methodik des Religions unterrichts gewidmet waren, hohe Verdienste erworben, sodaß sein Name weit über die Grenzen unseres engeren Vaterlande» hinaus bekannt geworden ist. Um nun zu Voll Todesangst hing ihr Blick an seinem Munde. „Ich irre mich nicht," hauchte sie kaum hörbar; dann stieß sie verzweifelt hervor: „Glauben Sie, daß mein Zeugniß ihm das Leben kosten wird?" „Fragen Sie mich nicht, Fräulein Darc," war de» Bezirksanwalts ausweichende Antwort. „Das ist weder meine noch Ihre Sache." Sie lachte wild und schrecklich auf. „Nicht meine Sache? — „Freilich nicht. Ein Verbrecher ist j, dem Gesetz verfallen und jeder gute Bürger ist verpflichtet, ihn der Staatsgewalt zu überliefern. Da müßen alle Herzensgesühle schweigen. Liebe und Treue, die man einander geschworen, die innigsten Bande, die zwei Menschen verknüpfen, gelten nichts, wo da« Gesetz sein Opfer ver langt. Das Gericht sagt: Du weißt etwa«, um diesen Mann ins Verderben zu stürzen, sprich eS auS, man muß dem Gesetz gehorchen." Vergebens war Ferris bemüht, der wilden Fluth ihrer Rede Einhalt zu thun; ihr Jammer hatte endlich Worte gefunden. „Oh, Sie begreifen nicht, um wa« es sich handelt," rief sie; „sehen Sie denn nicht, da« e« meine Hand allein gewesen ist, die ihn langsam und erbarmungslos au« dem sichern Hafen vertrieben hat, bi« ich ihm jetzt auch noch den letzten armseligen Zweig entreißen muß, an den er sich zu seiner Rettung klammert, der ihn allem noch bewahrt vor dem Sturz in den grausen Abgrund, der zu seinen Füßen gähnt. „Sehen Sie nicht — —" „Ich sehe genug, um Sie von Grund meiner Seele zu beklagen, Fräulein Dare. Aber Sie sind nicht da« einzige Werkzeug der Gerechtigkeit gewesen. Dir Geheim polizisten " „Oh, verschwenden Sie nicht leere Worte," unterbrach sie ihn. „Können Sie mir ins Antlitz behaupten, wagen Sie zu betheurrn, daß die Lage für ihn gefährlich geworden wäre, auch ohne mein Zeugniß — daß sein Leben bedroht wäre, auch wenn ich nicht gezwungen würde, diese letzte Tat sache zu enthüllen?" (Fortsetzung folgt.)