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Reichstage hatte der Staatssekretär von Bötticher die vom Hause beschlossenen Abänderungen nicht für an nehmbar erklärt. Trotzdem wird Preußen im Bun- desrathe für die Abänderung und damit für die ganze Vorlage stimmen, so daß also die Erhebung derselben zum Reichsgesetze fast sicher ist. Das Reichsgesetz betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen ist jetzt amtlich verkündet. Dasselbe tritt am 1. October 1888 in Kraft. Die wesentlichsten Bestimmungen lauten: 8 1. Eß-, Trink-, und Kochgeschirre sowie Flüssigkeitsmaße i dürfen nicht 1) ganz oder theilweise aus Blei oder f einer in 100 Gewichtstheilen mehr als 10 Gewichts theile Blei enthaltenden Metalllegirung hergestellt, 2) an der Innenseite mit einer in 100 Gewichtstheilen mehr als einen Gewichtstheil Blei enthaltenden Metall legirung verzinnt, oder mit einer in 100 Gewichts- - theilen mehr als zehn Gewichtstheile Blei enthaltenden Metalllegirung gelöthet, 3) mit Email oder Glasur versehen sein, welche bei halbstündigem Kochen mit einem in 100 Gewichtstheilen 4 Gewichtstheile Essig säure enthaltenden Essig an den letzteren Blei abgeben, f Auf Geschirre und Flüssigkeitsmaße aus bleifreiem ; Britanniametall findet die Vorschrift in Ziffer 2 be- s treffs des Lothes nicht Anwendung. Zur Herstellung von Druckvorrichtungen zum Ausschank von Bier, sowie von Siphons für kohlensäurehaltige Getränke und von Metalltheilen für Kinder-Saugflaschen dürfen nur Metalllegirungen verwendet werden, welche in 100 Gewichtstheilen nicht mehr als einen Gewichts theil Blei enthalten, tz 2. Zur Herstellung von Mundstücken für Saugflaschen, Saugringen und War zenhütchen darf blei- oder zinkhaltiger Kautschuk nicht verwendet sein. Zur Herstellung von Trinkbechern und von Spielwaaren, mit Ausnahme der massiven Bälle, darf bleihaltiger Kautschuk nicht verwendet sein. Zu Leitungen für Bier, Wein oder Essig dürfen bleihaltige Kautschukschläuche nicht verwendet wer den. Z 3. Geschirre und Gefäße zur Verfertigung von Getränken und Fruchtsäften dürfen in denjenigen i Theilen, welche bei dem bestimmungsgemäßen oder - vorauszusehenden Gebrauche mit dem Inhalt in un mittelbare Berührung kommen, nicht den Vorschriften des tz 1 zuwider hergestellt sein. Conservenbüchsen müssen auf der Innenseite den Bedingungen des 8 1 entsprechend hergestellt sein. Zur Aufbewahrung von - Getränken dürfen Gefäße nicht verwendet sein, in wel- i chen sich Rückstände von bleihaltigem Schrote befinden. - Zur Packung von Schnupf- und Kautabak, sowie Käse f dürfen Matafollien nicht verwendet sein, welche in 100 i Gewichtstheilen mehr als emen Gewichtstheil Blei ent- i halten. Die überseeische Auswanderung aus dem deut- l schen Reiche betrug im Mai 14,375 Personen; sie ; war 3117 größer als im Mai 1886, blieb dagegen ; hinter dem entsprechenden Monat der früheren Jahre ! zurück, in welchem sie 19,158, 21,931, 25,484,27,537, ! 29,680 betrug. Seit Beginn des laufenden Jahres j sind im Ganzen ausgewandert 48,537 Personen, von denen 8340 auf Westpreußen, 5586 auf Posen, 4217 auf Pommern entfallen. In Freiburg i. B. fand Sonnabend Vormittag die feierliche Eröffnung der oberrheinischen Gewerbe- Ausstellung durch den Erbgroßherzog von Baden und seine Gemahlin statt. Sowohl in der Begrüßungs ansprache des Ausstellungspräsidenten, wie in der Ant wort des Erbgroßherzogs wurde auf die Theilnahme des Ober-Elsasses als ein Zeichen des guten nachbar lichen Verhältnisses hingewiesen. Der Minister Tur ban und die elsaß-lothringischen Unterstaatssekretäre Studt und Back nahmen an der Eröffnung Theil. Die Ausstellung ist von etwa 1400 Ausstellern be schickt. Oesterreich-Ungarn. In Wien fand am Sonnabend ein Ministerrath unter Vorsitz des Kaisers statt, welcher beschloß, das bestehende Pferdeausfuhrverbot nicht aufzu heben. Eine Commission soll aber über mögliche Er leichterungen bei Durchführung der Maßnahme be- rathen. Kaiser Franz Joseph ist am Sonnabend nach Pola gereist, wo er festlich empfangen worden ist. Der Kronprinz Rudolph ist auf seiner galizischen Rundreise in Lemberg eingetroffen und enthusiastisch begrüßt. König Milan von Serbien reist heute Mon tag nach Belgrad zurück. Frankreich. Peyramont, der Herausgeber des berüchtigten Hetz blattes „Revanche" in Paris, hat dasselbe aufge geben. Die Bewegung gegen den deutschen Spiritus, welche durch die Verdreifachung der deutschen Ausfuhrvergü tung hervorgerufen ist, scheint doch ihre Früchte tragen zu sollen. Der Ministerrath ist im Prinzip geneigt, den Einfuhrzoll für Alkohol zu erhöhen. General Boulanger bleibt noch ein paar Tage in Paris; wird aber der großen Parade am Nationalfest (14. Juli), auf welcher er im vorigen Jahre brillirte, nicht mehr beiwohnen. Die Austrittserklärungen aus der Patriotenliga dauern fort. Die Vergötterung, welche Präsident Dsroulöde auf der letzten Versammlung Boulanger hatte zu Theil werden lassen, hat allgemeines Aegerniß erregt. Der französische Finanzminister bringt allmählich die skandalösesten Steuer-Defraudationen großer Industrieller an den Tag. Man erzählt von einem Senator des Nord-Departements, welcher den Staat um eine hohe Summe — man spricht von 200,000 Franken — prellen wollte, auf der That ertappt wurde und die Steuer mit der entsprechenden Strafe, dem zweifachen Betrage, entrichten mußte. Jetzt ist schon ein zweiter ähnlicher Handel im Gange. Ein ehemaliger Abgeordneter, der im letzten Wahlkampfe unterlag, einer der ersten Raffineure von Paris, wurde auf einem Betrüge von 120,000 Franken betroffen und wird nun 360,000 Franken an die Staatskasse abzuliefern haben. Feuilleton. Unter einem Dache. Roman von Karl Hartmann-Plön. (Fortsetzung). Es war schon acht Tage über die Zeit, als er, von einer inneren Unruhe erfaßt, an den Banquier schrieb und denselben bat, ihm die Summe zu schicken und ihm den Grund der Verzögerung mitzutheilen. Eine Möglichkeit hatte er stets im Auge behalten, die ihn bisweilen sehr beängstigte, nämlich die, daß der Prinz noch einmal dem Fürsten ein offenes, freimüthiges Ge- ständniß seiner Handlungen in Paris ablegen könne, dann wäre es nicht allein mit der Herrlichkeit der Pensionen vorbei gewesen, sondern er sowohl, sowie wahrscheinlich auch sein Vater wären in die tiefste Un gnade gefallen. Und hatte auch seine Entlassung als Offizier ihm bei dem Hofe einen schlimmen Stoß ge geben, so hoffte er doch durch seinen einflußreichen Va ter noch einmal, wenn die Sache etwas vergessen, da selbst wieder ausgenommen zu werden und eine Hof stelle erhalten zu können. Waldemar hatte nun freilich, seitdem er in Kiel war, einen andern Plan gefaßt und den Gedanken, eine Anstellung bei Hofe zu bekommen, vorläufig fallen lassen. Gelang es ihm, durch die Hand der schönen Frau v. Sonns ein Millionär zu werden, so wollte er sich nimmermehr jemals irgend einem Zwange wie der unterwerfen, sondern als freier Mann das Leben genießen. Seine Bewerbungen um Gabriele trugen durchaus keinen stürmischen Charakter, er wollte nichts übereilen und konnte warten, bis sie mit ihren Gefüh len für Hans v. Bela fertig war, erst dann wollte er die ihm zu Gebote stehenden Mittel, ein Herz zu ge winnen, zur Anwendung bringen. Er wußte, daß Frau v. Sonns am Sonntag Mit tag nach Kiel zurückkehren würde, und die Aufmerk samkeit, sie am Bahnhofe zu empfangen, wollte er ihr doch erweisen. Gabriele war denn auch mit ihrer Tochter nebst Amanda und den beiden Dienerinnen gekommen. Außer diesen befand sich noch Jürgensen in ihrer Gesellschaft, den sie bis auf Weiteres zu ihrem eigenen Kammer diener ernannt hatte. Sie reichte Waldemar nicht unfreundlich die Hand und forderte ihn auf, mit ihr in die telegraphisch be stellte Equipage zu steigen und sie nach Bellevue hin aus zu begleiten. Amanda und Melanie mußten in einer Droschke folgen, die Dienerinnen in einer zwei ten Droschke. Gabriele war nicht freudigen Herzens nach Kiel zurückgekehrt, die alten Zweifel hatten auf Schloß Hel lenborn sie mehr als je vorher erfaßt, und dieselben hatten durch Hans' kurze Absage zum Leichenbegäng- niß sich nur noch vermehrt. Es drängte sie, etwas über ihn zu hören, selbst aus dem Munde Dessen, von dem sie erwarten konnte, daß er übertriebe und ihr nicht die volle Wahrheit sage. Der Wagen hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als sie an Flamming die Frage richtete: „Haben Sie kürzlich Herrn v. Bela gesehen?" „Ich sehe ihn täglich," antwortete Waldemartrocken, „er und sein alter langweiliger Vetter Wesselbach bringen fast ihre ganze Zeit in der Gesellschaft der Frau Johannes und deren Töchtern zu, seit vorgestern ist Bela sogar selbst in die Villa übergesiedelt und wohnt jetzt mit ihnen unter einem Dache." Frau v. Sonns erwiderte keine Silbe, nur ein kurzes Aufflammen ihrer grauen Augen zeigte dem neben ihr sitzenden scharfen Beobachter, daß diese Nach richt getroffen hatte. Trotz mancher Versuche von Mammings Seite, eine fließende Unterhaltung anzu- knüpfen, blieb dieselbe bis Bellevue ziemlich einsilbig. Daselbst angekommen, bat ihn Gabriele, ihr zu ver zeihen, wenn sie ihn nicht aufforderte, mit ihr in's Haus zu treten, sie fühle sich von der Reise und der Italien. Der römische Senat hat ebenso wie die Deputir- tenkammer die neue Kriegsforderung für Afrika mit zwanzig Millionen Lire angenommen. Die Regierung betonte auch dort, daß der Friede in Europa völlig gesichert sei. Weiter sprach sich der Senat mit sehr großer Mehrheit für die Reform der Verfassungsbestimmungen über die Zusammensetzung des Senates aus. Ministerpräsident Depretis ist nach dem Comersee abgereist. Belgien. Der „Brüsseler Courier" fordert von der Regierung und den Kammern gegenüber dem neuen deutschen Branntweingesetz den Erlaß eines Gesetzes zum Schutze der nationalen Industrie und Landwirthschaft. England. Königin Victoria hielt Sonnabend Nachmittag vor dem Buckinghampalast in London eine Revue über 30,000 Freiwillige ab. Die Parade verlief ziemlich gut. Der Prinz und die Prinzessin von Wales, sowie andere Fürstlichkeiten wohnten der Parade bei. Die Volksmenge begrüßte die Königin mit enthusiastischen Kundgebungen. Die Entscheidung in dem englisch-türkischen Con flic t wegen des egyptischen Vertrages steht jetzt bevor. Der Pforte ist eine Note England's überreicht, in wel cher die britische Regierung eine weitere Verschiebung der Radification des Vertrages ablehnt. Eine Mini sterkrisis in Konstantinopel ist wahrscheinlich. Ernste Verwicklungen drohen jedenfalls nicht. Rustland. Die russische Kaiserfamilie hat ihre »alljährliche Sommerreise nach Finnland angetreten. Der Ausflug wird etwa anderthalb Wochen dauern. Von verschiedenen Seiten wird jetzt aus Petersburg geschrieben, Geheimrath Katkow sei vom Czaren wieder zu voller Gnade angenommen. Die russischen Zeitungsschreiber sind manchmal doch recht Phantasiereich. Schreibt da ein solcher in der „Ssowremennyja Tswestiza" Folgendes: Der russische Leser möge es mir verzeihen und mich nicht des Mangels an Patriotismus beschuldigen, ich bin aber der Ueberzeugung, daß uns die Deutschen an der Weich sel schlagen und daß sie sich des ganzen Hinterpolens bemächtigen werden. Eine der Hauptursachen dieser Niederlage werden aber gerade die uns feindlich ge sinnten Elemente sein, die sich gegenwärtig in dem Bestände des Eisenbahnpersonals in dem Weichselge biete befinden und die wir durch unsere Eisenbahnba taillone vergeblich zu verdrängen versuchten. Doch werden wir uns beim Abschlusse des Friedens nicht zu beklagen haben; als Entschädigung für Polen wird uns Rumänien und Bulgarien mit Konstantinopel zu fallen. Wenn ich nach 5 Jahren nach Warschau rei sen will, so werde ich eines ausländischen Passes nöthig haben. Alle Waggons werden mit Aufschriften in deutscher Sprache versehen, der Kondukteur und das ganze Bahnpersonal aus Deutschen bestehen. Und wenn ich mich beim Kondukteur nach den Beamten vorhergegangenen Aufregung auf Hellenborn so ange griffen, daß sie sich für den Rest des Tages einer un bedingten Ruhe hingeben müsse, morgen sei er ihr zu jeder Zeit willkommen. Flamming fuhr daher in der selben Equipage bis zu seiner Wohnung zurück, wo er sich absetzen ließ. Um die fünfte Nachmittagsstunde — er war soeben aus dem Hotel zurückgekehrt, wo er täglich zu speisen pflegte — brachte ihm der Postbote einen Brief, der ihn vollständig zu Boden warf. Derselbe war von dem Bauquier, an den er geschrieben und enthielt die erschütternde Nachricht, daß der Prinz gestern am Ty phus gestorben sei. Da der Verstorbene immer selbst das Geld für Flamming angewiesen habe, eine solche Anweisung zu dem letzten Termin aber nicht mehrer folgt sei, so müsse der Banquier mit der Absendung der betreffenden Summe so lange warten, bis ihm von anderer Seite ein entsprechender Auftrag zugestellt würde. Mit dem Tode des Prinzen war diese Quelle für immer versiegt, und das nicht allein, die offenbarste Noth gähnte Flamming an, denn sein Baarvermögen reichte nicht mehr aus, seine Wohnung und den Mit tagstisch zu bezahlen. Was nun beginnen? An den Vater durfte er sich nicht wenden, er war vorläufig mit ihm wegen seiner Cassation zerfallen. Wirkliche Freunde, die ihm aus der Verlegenheit geholfen hätten, besaß er nicht, und ihm Fernerstehende um ein Dar lehen anzubetteln, war er zu stolz. Dem Leben, das er mit all seinen Genüssen liebte, jetzt schon ein Ende zu machen, wollte er auch nicht. Dieses letzte Mittel blieb ihm ja immer noch. Einer einzigen Hoffnung durfte er sich noch hingeben, nämlich der Gemahl der Erbin von Hellenborn zu werden. Wenn aber auch diese nicht erfüllt würde, was dann? Dann gab es noch ein letztes, aber gefährliches Mittel. (Fortsetzung folgt.)