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Neuwahlen für das bayerische Abgeordnetenhaus stattgefunden. Die Legislaturperiode in Bayern um faßt 6 Jahre. Von den 33 bayrischen Centrumsmit gliedern im Reichstage haben 14 gegen, 9 für das nme Branntweinsteuergesetz gestimmt. Trotzdem läßt sich erwarten, daß das Abgeordnetenhaus in München aufdas bayerische Brantweinsteuerreservratrecht verzichten und das Reichssteuergesetz annehmen wird. Von einem Verzicht auf die bayrische Sonderbiersteuer ist freilich keine Rede. Oesterreich-Ungarn. Der König von Belgien kaufte das 64,000 Joch umfassende ungarische Gut Ruma für 14 Millionen Franken zum Geschenk für seinen Schwiegersohn, den Kronprinzen Rudolf! Zu dm Wahlexcessen in Ungarn wird des Ge naueren gemeldet: Das Judenviertel in Duna-Szer- dahely, wo ein antisemitischer Abgeordneter gewählt ist, wurde Sonntag Mitternacht bei tollem Sturm auf zwei Seiten angezündet. Achtzig jüdische Fami lien sind an den Bettelstab gebracht, es gelang ihnen kaum, das nackte Leben zu retten. Der Schaden an Waaren ist groß. Leider sind auch Menschenleben zu beklagen. Der Pöbel versuchte zu plündern, es kam dabei zu heftigen Kämpfen. Die Garnison ist ver stärkt. Der antisemitische Abg. Sander und die Volks menge schworen knieend, die Juden zu vernichten. Frankreich. Die Pariser Patrioten wollen Freitag Abend in einer großen Versammlung gegen den Leipziger Hochverrathsproceß protestiren und die Regie rung zu einer Intervention auffordern, was ihnen freilich auch nichts helfen wird. Der Pariser Stadtrath forderte die sofortige Ent lassung aller durch die Verwaltung beschäftigter Deutscher. Das würde nur die elsässischen Straßen kehrer treffen. Die Kammercommission entschied sich für eine Au fenthaltssteuer für alle Ausländer, die mindestens 12 Franken pro Jahr betragen soll. Für Tonking soll ein fünftes Tirailleur-Regiment errichtet werden, damit ein Theil der europäischen Trup pen retour berufen werden kann. Ein ganz kleiner Colonialconflict ist zwischen Frankreich und England wegen eines Gebietes am Gambiaflusse in Afrika entstanden, wo die Franzosen ihre Flagge aufgehißt haben, während England das Land für sich beansprucht. Es finden aber bereits Verhandlungen statt, die auch wohl zum befriedigen den Ausgleich führen werden. Wie aus Nancy gemeldet wird, ist dort die Rede von der baldigen Inangriffnahme des Baues einer Anzahl neuer Forts. Belgien. Aus Brüssel wird gemeldet: Der Bürgermeister der Brüsseler Arbeitervorstadt Molenbeck hat dem Kö nige Leopold in aller Offenheit die Gründe vorge- getragen, welche die fortdauernden Arbeitseinstel lungen in Belgien Hervorrufen. Er hat vor s Allem dabei hervorgehoben, daß die Versprechungen, welche die Regierung unter Einberufung einer Staats commission den Arbeitern hinsichtlich socialer Reformen gemacht hatte, in keiner Weise erfüllt worden sind; dazu habe das neue Fleischzollgesetz die größte Miß stimmung hervorgerufen. Der König erschien hierüber sehr bewegt, und das Fleischzollgesetz ist auch bis jetzt noch nicht veröffentlicht worden. Italien. Die Deputirtenkammer hat mit 252 gegen 46 Stimmen die Regierungsvorlage auf Erhöhung der landwirthschaftlichen Zölle auf drei Lire angenommen. Die italienische Regierung hat das französische Mi nisterium davon verständigt, daß sie sich aus finan ziellen Rücksichten an der Pariser Weltausstellung offi ziell nicht betheiligen werde. England. Zum Jubiläum der Königin Victoria hat es auch einen reichen Ordenssegen gegeben. Kronprinz Ru dolf von Oesterreich ist zum Ritter des Hosenband ordens ernannt, den Großfürsten Sergius von Ruß land, dem Erbgroßherzog von Hessen, dem Erbprin zen von Meiningen und dem Khedive von Egypten wurden Großkreuze des Bathordens verliehen. Rußland. Die russische Regierung hat den Ausländern, welche l nicht des Landes verwiesen werden wollen, denUeber- s tritt in den russischen Unterthanenverband gestattet. Die Betreffenden müssen aber zu gleicher Zeit noch ihren Beitritt zur griechisch-orthodoxen Kirche erklären. Aus Krakau wird gemeldet, die russische Regierung habe die Errichtung von fünf neuen Gendarmerie- Commando's längs der österreichischen Grenze an geordnet. Serbien. Aus Belgrad kommen allerlei tolle Gerüchte, nach welchen man fast glauben könnte, König Milan's Absetzung und die Proclamirung einer Regentschaft für den jungen Kronprinzen Alexander sei nur noch eine Frage der Zeit. So schlimm steht es nun keineswegs. Minister Ristics hält vorerst noch an den guten Be ziehungen zu Oesterreich-Ungarn streng fest, und zum Beweise dafür will König Milan noch in diesem Som mer in Wien einen Besuch abstatten. Nicht ganz so freundlich, wie es in der letzten Zeit war, wird aller dings das Verhältniß zwischen Serbien und Bulga rien bleiben. Herr Ristics versicherte allerdings, er werde nicht daran rütteln, aber auf diese Versicherun gen ist nicht viel zu geben. Ristics will wieder mit Rußland gut Freund werden, das ist sein Hauptziel; dann kann er aber unmöglich mit Bulgarien Arm in Arm gehen. Asien. Der in San Francisco vor einigen Tagen ange kommene Dampfer „Australia" berichtet, daß in Hono lulu eine Revolution gegen die Regierung des Kö nigs Kalakaua bevorstehe. Die Bevölkerung sei erbit tert gegen die Regierung, weil dieselbe Nachforschungen nach Waffen halte und letztere mit Beschlag belege. Es sei ein Gerücht im Umlauf, daß die amerikanischen Feuilleton. Unter einem Dache. Roman von Karl Hartmann-Plön. (Fortsetzung.) „Man hat mir schon mehrfach gesagt, daß ich mich ungewöhnlich gut conservirt habe, ich habe auch über die Ursache nachgedacht und bin zu der Ansicht ge kommen, daß die Kennzeichen des Alters nur durch den Einfluß hervorgerufen werden, den der stets rege und mit Bewußtsein arbeitende Geist auf den Körper aus übt. Mein Geist ist viele Jahre krank gewesen und hat geschlafen; mein Körper ist also durch ihn nur wenig angestrengt worden. Bei näherer Betrachtung meines Gesichts indeß wird die Wahrscheinlichkeit deutlicher, daß ich die Mutter eines erwachsenen Soh nes bin." „Oh nein, das Räthsel würde trotzdem ein unge löstes bleiben." „Mit welchem Freunde Roderichs habe ich die Ehre zu sprechen?" „Wie? Habe ich mich Ihnen noch nicht vorgestellt? Oh, da bitte ich tausendmal um Vergebung! Diese Versäumniß ersuche ich Sie, gütigst nur dem Umstande zuzuschreiben, daß ich durch Ihre große Aehnlichkeit sowohl mit Ihrem Sohne, als auch mit einer längst verstorbenen mir ewig theuer bleibenden Person in einer zu plötzlichen Weise überrascht wurde. Noch jetzt bin ich wie betäubt davon. Mein Name ist Borgfeld, gnädige Frau, Geheimrath Borgfeld aus Berlin." „Roderich hat mir Ihren Namen schon genannt. Borgfeld, — er klingt mir bekannt, ich muß ihn schon früher einmal gehört haben." Die Sonne war soeben untergegangen, draußen war es noch Heller Tag, aber im Zimmer lagerten in den Ecken schon die ersten Schatten der Dämmerung, nur noch bis in die Mitte des kleinen, freundlichen Ge maches drang durch die Fenster das Licht ungeschwächt. Borgfelds Gestalt und Gesicht wurden von letzterem nicht mehr erreicht, im Gegentheil er war in der Nähe der den Fenstern gegenüber liegenden Thür stehen ge blieben, wo die Schatten am stärksten waren. Frau Barlandt strengte ihr Gedächtniß abermals an, ob sie in ihm nicht etwas fände, was sich mit dem Namen Borgfeld verknüpfen lasse. Auch die Stimme des Geheimraths war ihr nicht fremd, auch diese mußte sie schon vernommen haben. Es war ein wohlklingendes Baritonorgan, das ihr Ohr angenehm und sympathisch berührte. „Wollen Sie sich nicht setzen, bis Roderich kommt?" sagte sie und wies mit der Hand auf einen Lehnsessel, der schon im Bereich des Hellen Lichtes stand. Borgfeld hörte kaum, was sie sagte, so sehr war er in ihrem Anschauen verloren. Eine so merkwürdige, kaum faßbare Aehnlichkeit hatte die Natur bis dahin noch nie geschaffen. Wäre ihm nicht als verbürgt und verbrieft mitgetheilt worden, daß die Geliebte seines Herzens, die in Rom von ihrem Vater gezwungen worden, einem ungeliebten Manne die Hand zu reichen, gestorben sei, er hätte auf den Gedanken kommen kön nen, daß sie und Roderichs Mutter ein und dieselbe Person seien. Er sah indessen wohl ein, daß hier nur ein Spiel der Natur seine schmerzlichen Erinnerungen in einer Weise wachgerufen, als wäre erst vor Kur zem das ganze Unglück auf ihn eingestürmt, er wurde aber einen Augenblick so sehr von ihnen ergriffen und erfaßt, daß er die Gegenwart darüber vergaß. Und während er fast mechanisch sich anschickte, der Auffor derung sich zu setzen, Folge zu leisten und aus dem dämmerigen Hintergründe des Zimmers in den licht volleren Vordergrund trat, entschlüpfte ihm, wenn auch nicht laut, doch immerhin noch deutlich genug, das eine Wort „Gertrude." Hatte er diesen Namen früher in gleicher Weise, in und britischen Einwohner sich an ihre Regierungen um Schutz gewendet haben. Den neuesten Nachrichtm zufolge soll die Revolution bereits ausgebrochen sein. Kalakaua ist bekanntlich auch ein fürchterlicher Schul- denmacher. Aus dem Muldenthale. *Waldeuburg, 22. Juni. In der gestern Nach- mittag 6 Uhr stattgefundenen Sitzung des hiesigen Stadtverordnetencollegiums wurde beschlossen, gemäß des Stadtrathbeschlusses die wegen Bebauung des Stiegelgrundstücks angekauften an der Altenburger Straße gelegenen Scheunen noch im Laufe dieses Mo nats behufs Abbruchs zur Versteigerung zu bringen. Wegen Unterbringung des Holzmagazins hatte der Bauausschuß vorgeschlagen, dazu das von Herrn Post director a. D. Schneider angebotene Scheunengrund stück für 1500 Mk. anzukaufen. Der Stadtrath hatte diesem Vorschlag beigestimmt, das Gleiche war sei- - tens des Stadtverordnetencollegiums der Fall. Gleich falls schloß sich das Collegium den Beschlüssen des Schulausschusses und des Stadtrathes in Bezug auf eine Gratifikation in Höhe von 30 Mk. an Herrn Lehrer Müller für gehabte mehrjährige Mühewaltung an. Der öffentlichen Sitzung folgte noch eine geheime. *— Vorigen Sonntag Nachmittag wurde auf der Höhe des Gasthofs zu Tirschheim bei völliger Wind stille eine Windhose bemerkt, welche, erst die Straße entlang gehend, von da auf eine abgemähte Wiese ge- rieth und das dort liegende Heu in eine ziemliche Höhe mit emporwirbelte. Auch in anderen Gegenden Sachsens wurde um diese Zeit jene Erscheinung be obachtet. *— Sonntag, den 3. Juli, Nachmittags 2 Uhr findet in der Kirche zu Langenberg ein Missionsfest statt, zu dem Herr vr. xk. Eckardt aus Lugau die Festpredigt übernommen hat. Dem Festgottesdienst folgt später eine Besprechung, die, günstige Witterung vorausgesetzt, im Veit'schen Gasthofe daselbst stattfindet. Hierbei wird der kürzlich aus Indien heimgekehrte Missionar, Herr Handtmann, Mittheilung machen von seinen Wirken und Erlebnissen und Herr Judenmis sionar Taber aus Leipzig berichten über „Gottes Thaten unter den jetzigen Juden". Herr Pastor Kai ser aus Langenchursdorf wird sprechen über „China und Japan". Den Jahresbericht des Missionsvereins erstattet Herr Pastor Gehring aus Callenberg. Der Gesangverein Langenberg-Falken hat zur Verschönerung des Festes ebenfalls seine Hand geboten. — Am vergangenen Freitag wurde das Vogel schießen zu Glauchau auch von Sr. Erlaucht dem Grafen Clemens von Schönburg-Glauchau und Hoch desseu Gemahlin, Ihrer Erlaucht Gräfin Frida mit einem längeren Besuche beehrt. Die hohen Herrschaf ten, welche von der Stadtkapelle mit einem Tusch, so wie von Herrn Stadtrath I)r. Neff begrüßt wurden, besichtigten unter Führung des Directors der Schützen gesellschaft, Herrn Rechtsanwalt Grimm, die Schieß halle und mehrere der auf dem Anger aufgestellten Sehenswürdigkeiten. gleichem Tonfall öfter gerufen? War der Klang wie ein elektrischer Funke in den Gehörnerven weiter ge leitet worden und wie ein Blitz in das Bollwerk ge fahren , welches fest gefügt sich inmitten des Gedächt nisses aufgebaut und die alten und neuen Erinnerungen durch eine feste Wand geschieden hatte, so daß diese zertrümmert zusammensank und das Helle Licht in den bis dahin verdunkelten Raum drang? War dadurch dem Geiste ein freier Eingang gestattet, um unter den tausenden von an einander gereihten Bildern aus der Vergangenheit sich diejenigen auswählen zu können, die er zur augenblicklichen Verwendung brauchte? Es mußte wohl ein ähnlicher Vorgang stattgefunden haben, denn Frau Barlandt, nachdem sie den Namen gehört, ver spürte in ihrem Kopf einen mit einem sonderbaren Klingen verbundenen Stoß, der sie einer Ohnmacht nahe brachte, so daß sie sich an einen kleinen Tisch halten und ihre Augen schließen mußte. Aber in dem nächsten Augenblick öffnete sie dieselben wieder und rich tete sie forschend auf das von dem Wiederschein des Abendrothes hell beleuchtete edle und immer noch schöne Gesicht Borgfeld's und in demselben Augenblick hatte sie ihn erkannt. Mit dem lauten Aufschrei: „Hein rich, ja, Du bist es!" stürzte sie ihm entgegen und sank schluchzend an seine Brust. Eine volle Minute verging, ohne daß die beiden so lange getrennt gewesenen Liebenden fähig waren, ein einziges Wort hervorzubringen. Borgfeld glaubte, daß er sich mitten in einem Traum befände, und als er wirklich im Stande war, zu sagen: „Bist Du es denn wirklich, Gertrude?" da fürchtete er, daß nun sofort der Traum zerrinnen müsse. Aber nein, es konnte ja kein Traum sein, denn er fühlte das Herz der Theu- ren au seiner Brust schlagen, fühlte den warmen Athem, die heißen Thränen, es war kein Traumbild, das er in seinen Armen hielt, sondern entzückende Wirklichkeit. (Fortsetzung folgt.)