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ZchaiilmM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 5« Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 104. Sonnabend, den 6. Mai 1882. Bekanntmachung. Da an den nächsten Sonntagen die ordnungsmäßigen kirchlichen Unter redungen mit der in den letzten drei Jahren confirmirten Jugend während des Nachmittagsgottesdienstes wieder ihren Anfang nehmen, so werden die Betheilig ten hierdurch zu regelmäßigem Erscheinen dringend ermahnt, wie auch alle Eltern, Lehrmeister und Dienstherrschaften ersucht werden, ihre Pflegebefohlenen zum Besuch dieser Unterredungen anzuhalten, damit auch auf diesem Wege christl. Erkennlniß und frommer Sinn unter unserer Jugend gefördert werde. Waldenburg, den 5. Mai 1882. Der Krrchenvorstand daselbst. Oberpf. Schumann. Versteigerung. Nächsten Dienstag, den S. l. Mts., Vorm. S Uhr sollen in Lein's Restauration in Altwaldenburg 10 Stück seidene und wollene Kleiderzeuge, sowie Leinwand, Barchent u. s. w. gegen Baarzahlung zur öffentlichen Versteigerung gelangen. Waldenburg, am 5. Mai 1882. Der Gerichtsvollzieher des König!. Amtsgerichts. Arnold. *Waldenburg, 5. Mai 1882. Der schlummernde Unternehmungsgeist in Deutschland. Aus England wurde kürzlich gemeldet, daß dort allein zur praktischen und industriellen Ausnutzung neuer elektrischer Erfindungen 32 Acliengssellschaften ins Leben gerufen seien. Eine Berliner Zeitung, welche diese Nachricht brachte, knüpfte daran eine beklommene Betrachtung über den traurigen Unter schied zwischen dieser lebendigen englischen und der tobten deutschen Unternehmungsthätigkeit. Allerdings dieser Contrast ist für uns um so beschämender, als gerade Deutschland auf dem Gebiete der Elektro technik bahnbrechende Genies hervorgebracht hat, die es wohl verdient haben, daß ihre Landsleute die praktische Ausnutzung der Erfindungen als eine na tionale Ehrenpflicht auffaßten. Leider ist das deutsche Volk von einem derartigen patriotischen und natio nalen Ehrgeize noch weit entfernt. Wäre in Paris, in London oder in New-Jork die erste elektrische Eisenbahn construirt worden, wie solches in Berlin der Fall war, wir sind davon überzeugt, die genann ten 3 Städte hätten sich die Ehre und den Vortheil, auch mit der Ausführung im Großen die ersten zu sein, nimmermehr nehmen lassen. Anders in Deutsch land. Unser Volk hat seit 300 Jahren so viel Schande erlebt, es ist so häufig erniedrigt worden und es hat sich selbst so häufig erniedrigt, daß sogar die glänzenden Offenbarungen unseres nationalen Genies der letzten 100 Jahre auf dem Gebiet der Kunst, Wissenschaft und Politik außer Stande waren, den Gesammtgeist mit einem lebhaften nationalen Stolze und Solidaritätsgefühl zu erfüllen. Was Bismarck oder Stephan nicht thun und thun können — das bleibt in Deutschland so ziemlich ungethan. Hätte der Ov. W. Siemens, obwohl eine Zierde unserer Nation, nicht zufällig eigene Geldmittel, unser Volk würde ihm für Vervollkommnung der elektrischen Eisenbahn das nölhige Geld nicht zur Verfügung gestellt haben und wären seine Erfindungen auch noch zehnmal genialer. In Berlin würde der ame rikanische Elektriker Edison vielleicht verhungert sein, in New-Jork hat sich zur geschäftlichen Fructifizirung seines Genies eine große Aktiengesellschaft gebildet. Als Or. W. Siemens Berlin mit einer elektrischen Pfeiler-Eisenbahn ausstatten wollte, scheiterte dies eminent gemeinnützige, ja nothwendige Project an den jämmerlichsten Widerständen. Für die Ehre, mit einer solchen Culturthat der Erste in Europa zu sein, halte man in Berlin und Deutschland kein Gefühl. Selbst vom Standpunkte der ordinärsten Nützlichkeit aus ist diese Erscheinung fast unerklärlich, denn es giebt in Berlin heute schon Straßen und Plätze (z. B. den Potzdamer Platz), wo der Wagen- Verkehr die Fußgänger mit der äußersten Lebensge fahr bedroht, so daß die Siemenssche Pfeilerbahn zur Abstellung dieser wahrhaft skandalösen Verhältnisse nicht nur nützlich, sondern geradezu nothwendig erscheint. Kein Land Europas verfügt in dem Maße wie Deutschland über die für große Unternehmungen erforderlichen Menschen, aber kein Land weiß von diesem höchsten Reichthum einer Nation so geringen und schlechten Gebrauch zu machen. Es scheint so, als bestehe eine stillschweigende Verschwörung des deutschen Bürgerthums zu dem Zweck-, durch syste matische Unterlassung des Allernöthigsten den hand greiflichen Beweis zu erbringen, daß es ohne Staats- socialismus oder Socialdemokratismus doch zuletzt nicht geht. Die Führer der öffentlichen Meinung, namentlich die Presse, sollten diesen Zusammenhang wirklich mehr beleuchten. Wer den Staatssocialis- mus oder den Socialdemokratismus wirksam be kämpfen will, muß die bürgerliche Initiative und Thatkraft wachrufen, damit durch letztere nicht nur die öffentlichen Culturbedürfniffe ihre Befriedigung, sondern, was das Wichtigste, auch die vielen be schäftigungslosen und aussichtslosen Kopf- und Hand arbeiter Arbeitsstellen finden. Unterbleibt dies, so wird die Zahl Derjenigen, welche ihre Befriedigung vom Staatssoclalismus oder Socialdemokratismus verlangen oder erhoffen, mit Nothwendigkeit immer größer. Doch läge diese politische Gefahr auch nicht vor, so würde schon die moralische Gefahr, welche mit einem Mangel an Beschäftigungs-Gele genheiten verknüpft ist, groß genug sein, um die Führer der öffentlichen Meinung dringend zu ver anlassen, als beste Vorbeugungsmaßregel gegen die sittliche Verwilderung den Unternehmungsgeist bele ben zu helfen. Was uns dabei Alles vorschwebt, ist in den noch viel zu wenig beachteten Brochüren des Gefängnißpredigers Stursberg nachzulesen. In der That, man hat der Moralität unseres Volkes keinen Dienst erwiesen, als man das „Gründen" einfach infamirte, anstatt sich darauf zu beschränken, einzelne Betrüger zu schänden. Die bürgerliche Initiative ist nicht zu entbehren; sie ist aber auf geschäftlichem Gebiete ohne den Reiz großer Gewinne nicht zu haben. Der gegenwärtig lodte Unterneh mungsgeist in Deutschland beweist dies. Was haben unsere beschäftigungslosen Kopf- und Handarbeiter davon, daß nicht mehr „gegründet" wird. Sie haben nur Schaden davon. Ja selbst die Moralität hat Schaden davon, wie Stursberg beweist. Nicht einmal die Moralität der Börse hat sich dadurch gehoben, weil sich die Gewinnsucht von dem immer hin Arbeit schaffenden Gebiete des Gründers in das allen gesunden Unternehmungsgeist tödtende Börsenspiel flüchtete und hier einen uncontrolirbaren Schamwinkel fand. Diese Sachlage ist so gemein schädlich und trostlos, daß sie sowohl die Volkswirthe wie die Moralisten dringend zur Beschaffung von Heilmitteln auffordert. *Waldenburg, 5. Mai 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Wortlaut der Erklärungen im Bundes- rath bei der Abstimmung über das Tabaksmono pol liegt jetzt vor. Die baierische Erklärung lautet authentisch dahin, daß die baierische Regierung mit dem Gedanken einer weiteren Entwickelung des Systems der indirecten Besteuerung im Reiche und insbesondere auch mit einer stärkeren Heranziehung des Tabaks vollkommen einverstanden sei, sich aber durch die zur Zeit vorliegenden Anhaltspunkte nicht überzeugen könne, daß das Monopol zu dem ge wünschten finanziellen Ergebniß führen werde. Sie glaube deshalb, dermalen einer Steuerreform, durch welche sich höhere Erträgnisse aus dem Tabak ohne tiefgreifende volkswirthschaflliche Rückwirkungen er zielen lassen, den Vorzug geben zu sollen. Sachsen stimmt „in Hinblick auf die schweren volkswirth- schaftlichen und socialen Bedenken dagegen." Ba den, Hessen, Oldenburg und Reuß j. L. betonen hauptsächlich die Schädigung der ausgebreiteten Tabakindustrie in diesen Staaten durch Einführung des Monopols. Bremen läßt ausdrücklich erklären, „daß die Einführung des Reichstabaksmonopols noth wendiger Weise den wirthschaftlichen und finanziellen Ruin des Bundesstaates Bremen helbeiführen werde. Es sei allgemein bekannt, daß die Bedeutung Bremens als Handels- und Seestadt mit dem daselbst con- centrirten großartigen Tabakgeschäst so eng und un auflöslich verknüpft sei, daß die Zerstörung dieses wesentlich auf der Versorgung Deutschlands beruhen den, mit dem Bestehen eines Reichsmonopols un vereinbaren Geschäftszweiges die Existenzgrundlagen des gesammten bremischen Handels in verhängniß voller Weise erschüttern müßte." Der Senat bitte daher, diesem Momente das gebührende Gewicht beizulegen. Württemberg, Weimar und Braunschweig erklären, daß die Finanzlage des Reiches und der Einzelstaaten dringend die Vermehrung der Ein nahme fordere und das Tabakmonopol der geeignetste Weg dazu sei. Unter, dem Titel: „Die Hauptgegner des Monopols bringt die neueste „Prov.-Corr." folgen den Artikel: „In der Frage, welche unser öffent liches Leben vorzugsweise in Anspruch nimmt, in der Frage des Tabaksmonopols, wäre es zu dem Grade der Erregung, welche jetzt vorhanden ist, wohl nie gekommen, wenn nicht Seitens der politi schen Gegner der Regierung von vornherein gerade demjenigen Staate, welcher am wenigsten dazu be rufen sein möchte, der Haupteinfluß auf die öffent liche Meinung eingeräumt worden wäre, nämlich den eigentlichen Tabaksintereffenten und unter ihnen vorzugsweise den Tabakfabrikanten und Händlern, d. h. den Leuten, welche vom Tabakoerbrauch bis her den Nutzen ziehen und theilweise durch denselben reich geworden sind. — Wenn das deutsche Reich zum Vortheil der Steuerzahler dahin gelangen soll, wo die Franzosen und Oesterreicher längst sind, daß nämlich die Millionen jährlich, die an Tabak ge wonnen werden, künftig nicht mehr in die Tasche einzelner Fabrikanten und Kaufleute fließen, sondern in die gemeinsame Kasse zur Deckung d:r von den