Volltext Seite (XML)
Zchimburm Tageblatt ««d Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Donnerstag, den 5. October 1882 Erscheint täglich mit Ausnahme der Tags nach Sonn- und Festtagen. Beiträge find erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. S0 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. "Waldenburg, 4. October 1882. Zur Tagesgeschichte. In Gotha hat am Sonntag der thüringische Parteitag der Liberalen stattgefunden. Die Abgg. Hänel, Di-. Lasker, vr. Baumbach, Di. Barth, Stengel, Meyer rc. waren erschienen. Professor Hänel hielt eine einstündige Rede über die Einigkeit der liberalen Parteien. Der Liberalismus sei die große Tradition, die mit dem Anfang dieses Jahr hunderts anhebe, ein Inbegriff politischer Leistungen, auf denen unsere modernen Staatseinrichtungen ruhen, ohne welche unsere moderne Cultur nicht ge dacht werden könne. Für Jeden müsse es einen Punkt geben, wo die Gemeinschaft den Sieg über die Unterschiede davontrage. Die liberalen Parteien in Deutschland müßten sich enger zusammenschließen. Der Ausführung dieses Gedankens stehe entgegen ein Fractionsparlamentarismus und eine Ueber- schützung der Bedeutung des einzelnen Programms. Aber die Frage der Verständigung von Partei zu Partei sei entscheidend für die Zukunft des Liberalis mus. Oi. Lasker, Professor Meyer (Jena), Di- Baumbach (Sonneberg), vr. Barth (Gotha) er klären sich in gleichem Sinne für die Einigung der Liberalen. Hierauf wurde nachstehende Resolution angenommen: 1) Gegenüber den Angriffen der konservativen, ultramonlanen und socialdemokratischen Partei auf die liberalen Grundlagen der Staats- und Gesellschaftsordnung ist ein engerer Zusammen schluß aller Liberalen in ihren verschiedenen Fractionen eine politische Nothwendigkeit. 2) Es ist die Pflicht aller Liberalen, unbeschadet der Unterscheidungen, welche jede große Parteirichtung in ihrer Mitte herausbildet, im Gegensatz zu jeder anderen Partei eine nähere, dauernde und organisirte Verbindung unter einander zu begründen. Wir betrachten als nächsten Schritt zu diesem Ziele eine offene Ver ständigung bei den Wahlen zu dem Landtage und zum Reichstage und ein planmäßiges Zusammen wirken der parlamentarischen Fractionen. 3) In einzelnen Theilen des Reiches haben die Liberalen diesen Weg bereits beschritten. Wir begrüßen freudig diesen Anfang und fordern die Liberalen in allen übrigen Theilen Deutschlands auf, das gleiche Ziel zu erfolgen, damit nicht nur die An griffe der Gegner zurückgeschlagen werden, sondern auch die Grundsätze des Liberalismus zu voller Ver wirklichung gelangen. In Frankreich beginnen die Parteien sich bereits aus die parlamentarische Wintercampagne vorzube reiten. Gambetta scheint allen Ernstes entschlossen zu sein, nochmals den Kampf um die höchste Ge walt, über welche die Republik zu verfügen hat, aufzunehmen, und hat die Laufgräben direct gegen die Umgebung des Präsidenten der Republik eröffnet, indem er durch seine Anhänger den Schwiegersohn Grövy's, Herrn Wilson, in der Presse angreifen läßt, freilich in so kleinlicher Weise, daß die öffent liche Meinung, welche die Absicht alsbald merkte, auch sofort verstimmt werden mußte. Andererseits sollen, wie angeblich Unterrichtete wissen wollen, während des Sommeraufenthaltes des Präsidenten der Republik in Mont-sous-Vaudrey Verabredungen zwischen diesem und dem früheren Ministerpräsiden ten Freycinet getroffen sein, aus welchen zu schließen wäre, daß auch sogar Jules Grövy endlich den Augenblick gekommen glaubt, wo dem maßlosen Ehrgeiz Gambetta's, der selbst vor dem Bündniß mit den erbittertsten Feinden der Republik, den Mo narchisten und Klerikalen, nicht zurückschreckt, Schran ken gezogen werden müssen. Der Exdictator, der selbst nicht glaubt, daß er in der gegenwärtigen Kam mer eine sichere Majorität zu gewinnen im Stande ist, die ihm das ersehnte Listenscrutinium votiren und damit den Schlüssel zur Dictatur ausliefern würde, arbeitet jetzt auf die Auflösung der Kammer hin, in der Hoffnung, daß die Neuwahlen eine ihm gefügigere Mehrheit nach Paris entsenden würden. Er tritt deshalb auch in der auswärtigen Politik sowohl in seinen Reden als in den ihm zur Verfügung stehenden Preßorganen mit großer Zu rückhaltung auf, da ihm wohl bekannt ist, daß seine abenteuerlustige, kriegslüsterne auswärtige Politik am meisten dazu beigetragen hat, ihm das fciedensbe- dürftige sranzösische Volk in seiner großen Mehrheit zu entfremden. Das Ausland und insbesondere Deutschland hat alle Veranlassung, der Entwickelung der Dinge in unserem Nachbarlande mit großer Aufmerksamkeit zu folgen, denn wenn es auch zu nächst eins innere Angelegenheit der Franzosen ist, ob sie die Leitung ihrer Regierung noch einmal Gambetta anvertrauen wollen, und wir selbst die ihm mit Recht oder Unrecht zugeschriebenen Revanchepläne nicht im Geringsten zu fürchten haben, so kann es uns doch nicht gleichgiltig sein, ob die französische Politik in einer stetigen friedlichen Ent wickelung begriffen ist oder ob in einer sprunghaf ten, den Frieden stets bedrohenden Weise regiert wird. Die englische Presse giebt Frankreich harte Worte zu hören. Ein Telegramm aus London meldet darüber: „Die „Times" sprechen Frankreich jedwede Berechtigung ab, künftighin in Egypten ein Wort mitzureden. Die gemeinschaftliche Controls sei todt, die Umstände, unter denen sie geschaffen, seien un wiederbringlich verschwunden. England werde das Problem Egypten auf eigene Faust lösen, allein nur im Interesse der Angehörigen aller Nationen. Die politischen Interessen Europas würden nicht im entferntesten berührt werden, ausgenommen zum besten derselben. Der conservative „Standard" sagt, von der Theilnehmerschaft Frankreichs in Egypten könne nicht länger die Rede sein. Seit dem Krimkriege habe England weder die politische noch die militärische Freundschaft Frankreichs ge nossen. Frankreich bedürfe Englands Freundschaft weit mehr, als England der Feundschaft Frankreichs. Der „Observer" sagt: Das englisch-französische Bündniß empfing den Todesstreich, als das franzö sische Geschwader von Alexandria wegsegelte; jeder Versuch der Wiederbelebung wäre wahnsinnig. Wenn wir einer Alliance bedürftig sein sollten, so ist es Deutschland, welches durch seinen Charakter, seine Verwandtschaft, vor allem durch seine Interessen Englands natürlicher Bundesgenosse ist." "Waldenburg, 4. October 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Aus Baden-Baden wird berichtet, daß der Kaiser, welcher sich des besten Wohlseins erfreut, bei dem jetzigen schönen Wetter daselbst täglich längere Promenadenfahrten unternimmt, auch die Kaiserin unternahm bei günstigem Wetter schon mehrere Ausfahrten. Die Ausschüsse des Bundesrathes werden in der nächsten Woche ihre Thätigkeit beginnen, und zwar mit Prüfung bez. Feststellung der Anträge Preußens betreffend die Vornahme einer Viehzählung, sowie die Erhebung einer Anbaustatistik, damit gleich nach dem Zusammentritt des Bundesrathes das Plenum Anlaß nehmen kann, sich mit den Anträgen der Ausschüsse zu beschäftigen. Beim Empfange des preußischen Staatsministers v. Bötticher war, wie die „Hattinger Zeitung" aus Bochum mittheilt, in der Bochumer Gußstahl- Fabrik folgendes Tableau volle 8 Tage zur Kennt- nißnahme sämmtlicher Arbeiter ausgehängt gewesen und zwar ohne jede Nebenbsmerkung, aber auch ohne daß von irgend einem Arbeiter oder Beamten ein Widerspruch gegen die Ziffern erhoben wäre: Aera Camphausen- Delbrück Tiefster Niedergang. Gußstahl-Fabrik des Bochumer Vereins. Aera Bismarck- Bötticher Wiedsraufgang. 1877. October: 2191 Arbeitsrzahl. 1882. August: 4757 82,546 Mk. halbmonatliche Löhnung 13 Arbeitstage. 196,087 Mk. 2,898 Mk. Durchschnitts-Verdienst pr. Kopf nach Tag. 3,171 Mk. (also 10"/« höher) 18^/79 70,000 r Gesainmtgswicht der fertigen Fabrikate. 18»'/-- 136,278 r 11,889,000 Mk. Facturirte Waaren. 24,241,211 Mk. 1875-78 nichts 18'8/7»: nur 2"/» Dividende für die Actionäre. choraussichtlich 4'/- > „Diese originelle, drastische Beweisführung," schreibt- das Blatt, „für die segensreiche Wirkung der Eisenzölle hat bei der gesummten Freihandsls- presse den unangenehmsten Eindruck gemacht, der sich, je nach dem Grade des Anstandsgefühls der verschiedenen Blätter, in mehr oder weniger abfälli ger Kritik äußerte." Diese Kritiken sind aber, wie nachgewiesen, theils sehr kleinlich, theils enthalten sie ganz unbegründete Verdächtigungen, so die Ver- muthung, daß wahrscheinlich Beamtengehälter in dem als durchschnittlichen Lohnsatz der Arbeiter den Herrn Staatsminister v. Bötticher genannten Ziffern mit enthalten wären. In Betreff dieser von dem „Hattinger Anzeiger" aufgestellten Vermuthung ist Einsender in der Lage, erklären zu können, „daß dem Herrn Minister die Lohnbücher der Bochumer Gußstahl-Fabrik aus dem letzten Dezennium vorge legt sind, um daran die deutlichen Wirkungen der Zollpolitik zu zeigen und zugleich die Richtigkeit der Ziffern des Tableaus nachzuwsisen. Beides ist mit Erfolg geschehen und dabei — eben um Verdrehun gen vorzubcugen — nachgewiesen, daß es sich sowohl bei der Löhnung October 1877, wie auch August 1882 nur um Arbeitslöhne, nicht aber um Beamten gehälter, die übrigens monatlich ausgszahlt werden, handelt." Der preußische Handelsminister hat die Handels kammern veranlaßt, „in allen Fällen, in welchen sie über Handelskammer-Angelegenheiten internatio nalen Charakters um eine Aeußerung angegangen werden, zu einer etwa beabsichtigten öffentlichen Verwerthung des Materials zuvor seine Genehmigung einzuholen." In de: unlängst erschienenen Lorenz v. Stein'schen Schrift „drei Fragen des Grundbesitzes" wird der strenge Beweis geführt, daß von einer Concurrenz- sähigkeit des deutschen bezw. mitteleuropäi schen Landbaues mit dem amerikanischen gar keine Rede sein kann. Zunächst schon wird ja in Amerika, so lange noch Prima-Boden zu haben ist, kein mittelmäßiger oder gar schlechter Boden bebaut, oder wenigstens müssen die Products des letzteren zu dem gleichen Preise, wie die des ersteren, an der Concurrenz Theil nehmen. Es concurrirt also nicht Boden mit Boden, sondern der gesammte mitteleuropäische Boden concurrirt mit dem besten amerikanischen. Sodann ist Amerika im Besitze kolossaler ebener Flächen, welche zur ausgedehntesten Verwendung landwirthschaftlicher Maschinen förm lich einladen; Gebiete, auf denen ein ähnlicher Bau getrieben werden könnte, gehören aber bei uns zu den Ausnahmen. Endlich aber, und das ist die Hauptsache, ist unser Landbau mit den kolossalen Verzinsungssummen für den Erstehungspreis be-