Volltext Seite (XML)
HchmbiuM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten sür die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pl. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 26 Mittwoch, den 1. Februar 1882. "Waldenburg, 31. Januar 1882. Kan» der Staats-Socialismus durch Cin- wirkung auf die Sitten die Gefahr der Socialrevolution vermindern? Die Gegner des Sta Us-Socialismus sind in vollem Rechte, wenn sie auf die schwere Verantwort lichkeit Hinweisen, welche die Slaatsiegierung mit der Verkündigung des staatssocialistischen Princips aus sich ladet. Ganz ohne Zweifel besteht und ent steht die Verantwortlichkeit in viel höherem Maße als sich dies mancher Beifallsklatscher der neuen Regierungspolitik träumen läßt. Die staatssociali- stische Proklamation des Princips activer Landes- Väterlichkeit hat noch zahlreiche Consequenzen, welche seither kaum geahnt, geschweige denn erörtert oder gar auch nur einleitungsweise verwirklicht wurden. Solange das manchesterliche Princip des „Gehen- lassens" als höchste Bliiche der Staatsweishcit galt, war das Amt eines Königs oder Ministers eine sehr leichte, mühe- und verantwortungslose Manier, „sein Brod zu verdienen." Wenn die Könige, Minister und Staatsbeamte kein höheres Ideal kannten, als ihre persönliche Behaglichkeit, so müßten sie dem Adam Smith und Friedrich Bastiat in jedem Ort Bildsäulen errichten und Auszüge ihrer Schr iften in Gold gefaßt an den Straßen-Ecken zu Jedermanns Belehrung und „Be ruhigung" befestigen lassen. Wenn sie dies gleich wohl versäumen, so leitet sie neben ihren besseren Jnstinkien wahrscheinlich auch das Gefühl, daß das absolute „Gehenlassen" doch nur eine kurze Herrlich keit begründen würde. Thatsache ist, daß augen- blicklich das manchesterliche 1-3.18862 tg,1i'6 aus dem Tempel der osficieUen Slaatskunst vertrieben und auf den dadurch leer gewordenen Altarplatz wieder ! das liefe unerschöpfliche Princip der activen Landes- f Väterlichkeit gesetzt wurde. In dem Augenblicke, wo dies in feierlichen Slaatsaclen geschah, begann die unter dem 1-3.18862 tstii6 fehlende Verantwortlich keit des „socialen Königgthums" für den gesammlen Staatsinhalt, für Gegenwart und Zukunft des ge- sammten Staatswohls in derselben gebieterischen Weise, wie sie in der Fdmilie auf den Schultern des Familien-Oberhauptes liegt. Wie sich Sorge und Verantwortlichkeit des Hausvaters nicht auf das leibliche Wohl seiner Kinder beschränkt, so hat sich unter der Herrschaft des staatssocialistischen Prinzips activer Landesvüterlichkeit auch Sorge und Verantwortlichkeit des Landesvaters nicht auf die winhschaftlichen Dinge zu beschränken. In der That, die neue Staalskunst ist nicht nur vor die Aufgabe gestellt, das leibliche, sondern ebenso sehr auch das moralische Wohl des Volkes zu or- ganisiren. Es wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß die Niederhaltung der Socialdemokratie oder mit anderen Worten die Verhütung der Socialrevolution nicht nur eine systematische Einwirkung auf die Oekonomie, sondern auch auf die Sittlichkeit, auf das Gemüth und Phantasie, auf die Geselligkeit und auf die Religiosität, kurzum auf den ganzen Menschen er fordere und voraussetze. Wir trauen dem Princip activer Landesväterlich- keit neben der Pflicht auch die Fähigkeit zu, durch Einwirkung auf die Sitten die Gefahr der Social- Revolution zu vermeiden und die Volkssittlichkeit vor demjenigen Abgrunde der Sittenverderbniß zu schützen, in welchem die antike Cultur zu Grunde ging, und welchem die moderne Cultur in wildem Taumel entgegenrast. Wir halte» eine landesherrliche Organisation der Volkssittlichkeit für verhältnißmäßig leicht, jedenfalls aber nicht für schwerer, als dir neuerdings einge leitete staatssocialistische Organisation des Volks wohlstandes. Es sind Organisationen denkbar, welche darauf hinarbeiten, 3,) daß die bürgerliche Gleichheit und damit die bildenden und versittlichenden Berüh rungen zwischen den gebildeten und un gebildeten Volksklassen vermehrt werden. b) daß Vie moralisch schädliche und selbst politisch höchst gefährliche Trennung besei tigt wird, welche neuerdings im Schulwesen die Kinder gebildeter und ungebildeter Volksklassen schon auf der Stufe des Ele mentarunterrichts in gleichsam indische Kasten scheidet, e) daß die Heranwachsende Jugend vor den Gefahren sexueller und sonstiger Ausschwei fung mehr wie jetzt geschützt wird, ä) daß das sittliche Verhalten eines jeden Standes unter die Controls eines Instituts gestellt wird, wie für die Fabrikarbeiter ein Muster in dem Arbeiler-Aeltesten-Collegium der Marienhütte besteht, o) daß die Geistlichen sich nach dem Beispiel der Gesellen- und Jünglingsvereine aller orts der moralischen Erziehung und Be wahrung der Heranwachsenden Jagend wid men müssen, t) daß aus den öffentlichen Vergnügungen, Schaustellungen und Veröffentlichungen alles Rohe und bloß sinnlich Aufreizende und damit eine entsetzliche und schmachvolle Aehnlichkeit verbrannt wird, wie sie zwischen heute und den schlimmsten Verfallperioden der Cultur besteht. Zu solchen landesväterliche» Leistungen halten wir das neue Slaatspriucip activer Landesväterlich keit auch auf vem sittlichen Gebiete für wohl be fähigt, jedenfalls aber zur Anstellung ernsthafter und systematischer Versuche verpflichtet, wenn sich das „sociale Königthum" nicht mit einer erdrückenden Verantwortlichkeit ohne Gleichen b-!aden will. "Waldenburg, 31. Januar. 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Für die Prinzessin Wilhelin- von Preußen fand am 29. Januar in den Kirchen Potsdams zum ersten Male die übliche Fürbitte bezüglich des im Lause des Monats März zu erwartenden freu digen Familienereignisses statt. Während der Sitzung des preußischen Abgeord netenhauses am 30. Januar wurde dem Abgeord neten, Staatsminister a. D. Or. Falk die König!. Kabinets-Ordre überbracht, mittelst welcher derselbe zum Präsidenten des Ober-Landesgerichts in Hamm ernannt worden ist. Or. Falk war bekannt lich vor seiner Ernennung zum Kultusminister jahre lang Vortragender Rath im Justizministerium. Durch seine jetzige Ernennung erlöschen seine beiden Man date als Mitglied des Reichstags und preußischen Abgeordnetenhauses. Der Bundesrath berieth am 30. Jan. einen An trag Sachsens, dem 153 des Strafgesetzbuches folgende Fassung zu geben: „Wer von einer zur Abnahme von Eiden zuständigen Behörde einen Eid wissentlich falsch schwört, wird mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft." Der Antrag wurde an den Justizansschuß verwiesen. Beim Reichskanzler fand am 29. Jan. ein kleines Diner statt, an dem der Königlich Säch sische Kriegsminister von Fabrice, der Königlich Säch sische Mtlitärbemächtigte v. d. Planitz, der Vice präsident des Reichstags Frhr. v. Frankenstein, der bisherige Gesandte in Washington v. schlözer rc. theilnahmen, v. Schlözer reiste am 30. Jan. Abend zunächst nach München ab, von wo aus er nach Rom weiterreist. Die „B. B.-Ztg." schreibt: Wir hören, daß der Reichskanzler am Dienstag, entgegen den Wün schen seines Arztes, und den Bitten seiner Familie, sich noch im letzten Augenblicke zur persönlichen Theilnahme an der Debatte über den königlichen Erlaß im Reichstage entschlossen hat. Es wird uns in dieser Beziehung eine wohlverbürgte Aeußerung des Fürsten Bismarck berichtet, welche hinreichend erkennen läßt, warum derselbe ein so großes Ge wicht darauf legte, bei dieser Gelegenheit persönlich im Reichstage zu erscheinen und auf die fortschritt lichen Angriffe Rede und Antwort zu stehen. Am Morgen des Dienstag erklärte der Reichskanzler nämlich seiner näheren Umgebung, er werde sich zusammennehmen und unter allen Umständen in den Reichstag fahren, sonst sage die fortschrittliche Presse, er habe sich vor dem angekündigten An- gnsf des Herrn Hänel gefürchtet und hinter einer angeblichen Krankheit „Deckang" gesucht. Es ist eine Thatsache, Vie uns von genau insormirter Seite verbürgt wird, daß Fürst Bismarck aus den Artikeln fortschrittlicher Blätter über den königlichen Erlaß den gegen ihn direct erhobenen Vorwurf der per sönlichen Feigheit herausgelesen und denselben wäh rend der letzten Wachen ungemein schwer empfunden hatte, trotzdem er sonst gegen alle Aeußeruugen der Oppositionepresse sehr abgehärtet ist. Daraus erklärt sich auch die besondere Leidenschafilichkeit seines jüngsten Auftretens im Reichstage, die durch die voraufgegangene, verhältnißmäßig ruhige Rede des Professors Hänel allein keineswegs veranlaßt sein kann. Oesterreich. In Galizien sind in der letzten Zeit massenhafle socialistische Schriften verbreitet worden. Die Colporteure sollen mit russischem Gelde versehen gewesen sein. Ueber eine neue Jnsurgentenführerin in der Herzegowina wird aus Pest telegraphir!: Eine junge, reiche Engländerin, Alice Hurtley, ist in Cet- linje eingetroffen und beim Senator Petrovic abge stiegen, wo die Führer der Actionspartei eine Sitzung hielten, der die Jnsurgentenführer Metkoe, Starjevics und Davidovics aus der Herzegowina beiwohnten. Fräulein Hurtley stellte diesen 200,000 Francs zur Verfügung zur Werbung neuer Auf- rührerschaaren in der Herzegowina, deren Führung sie mit Metkoe theilen will. Frankreich. Das neue Kabinet ist nunmehr wie folgt zu sammengesetzt: Freycinet, Conseilspräsident und Mi nister des Auswärtige»; Löon Say, Finanzen; Ju les Ferry, Unterricht; Goblet, Inneres; Humbert, Justiz; Billot, Krieg; Jaursguiberry, Marine; Var- roy, öffentliche Arbeiten; Tirard, Landwirthschaft; Cochöry, Post und Telegraphie. Die beiden von Gambetta geschaffenen neuen Departements der schö nen Künste und der Handels sind also von Freycinet wieder abgeschafft worden. Das Finanzprogramm, wie es von Freycinet, Say und Ferry angenommen wurde, zielt dahin, daß weder cine Renlenemission, noch Conveclirung, noch ein Ankauf von Eisenbah- - nen erfolgen soll. Gegen letztere Maßregel sträubte sich Rothschild, einer der Haupteigenthümer der gro ße» französischen Bahnen, in deren Verwal-ungs- räthen Say als Agent Rothschilds sitzt. Die fran zösische Nation wird also bereits durch die Interessen dec Börsenjobber geleitet.