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ZlhSMirger Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. «nd Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 5« Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Lolporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile IO Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Donnerstag, den 27. Zuli .sie 172. 1882. "Waldenburg, 26. Juli 1882. Die „Ehrliche Probe." Bekanntlich wurden unter dem Schlagworte von der „Ehrlichen Probe" im letzten Reichstage die meisten der von der Regierung beantragten Zoll erhöhungen abgelehnt, nachdem man sich von Rechts und Links auf deu Grundsatz geeinigt hatte, daß an den derzeitigen Zolltarifpositionen auf längere Zeit hinaus Nichts geändert, dem diesbezüglichen Andrängen sowohl der Schutzzöllner als Freihändler Widerstand geleistet werden soll, damit sich die öffent liche Meinung aus den Erfolgen der jetzigen Schutz zollpolitik ein selbstständiges Urtheil über deren Richtigkeit, oder die Nothwendigkeit einer Umkehr zum Freihandelssystem bilden könne. Nun hat es gewiß seine Richtigkeit, daß es für die Productions- und Handelsthätigkeit der Nation nichts Schlimmeres giebt, als die Unbestimmtheit im Zollsysteme, die Unsicherheit, ob es vom heutigen Schutzzölle nicht schon morgen zum Freihandel und umgekehrt kommen werde, und die Stabilität des bestehenden Zolltarises in diesem Sinne zu begehren und zuzugestehen, ist vollkommen begründet. Allein das Gleiche gilt nicht auch von der Stabilität der einzelnen Zolltarifpositionen, und die Ausdehnung der „Ehrlichen Probe" auch auf diese dürfte wohl nur den Bestrebungen der Freihändler zu Gute kommen, um das Schutzzollsystem als solches nach einer Reihe von Jahren desto sicherer zum Falle zu bringen, was für die Herren Bamberger und Ge- nofsen wohl auch die wahre Bedeutung der „Ehrlichen Probe" sein wird. In einem richtig angelegten Schutzzollsysteme kön nen die einzelnen Zollpositionen so wenig, als die Arten der zu schützenden Artikel constant bleibende Größen sein. Zweck und Wesen des Schutzzollsystems fordern vielmehr fortwährend Aenderungen derselben. Ein heute vollkommen richtiger Schutzzolltarif kann, wenn er unverändert bleibt, schon nach wenig Jah ren gänzlich ungerechtfertigt erscheinen und in ein zelnen seiner Positionen als schwerer Druck empfun den werden. Nichts wird dann leichter sein, als ein aus den Thatsachen geholter Beweis der Schäd lichkeit des Zolltarises, und doch auch nichts falscher als der daraus gezogene Schluß auf die Verwerf lichkeit des Schutzzollsystems überhaupt. Das rich tige Schutzzollsystem setzt nur solche Zölle und keine höheren Zollsätze, als nöthig sind, um den Ausgleich der Preise der billiger producirten ausländischen Einfuhrartikel mit den einheimischen Producten der gleichen Art auf dem Jnlandsmarkte herzustellen. Das richtige Schutzzollsystem geht nicht darauf aus, die fremdländische Production ganz und für immer vom einheimischen Markte auszuschließen, im Gegen- theil, es will und braucht zur Erreichung seines Zweckes eben diese Concurrenz. Denn es soll ja nicht bloß die Erdrückung der einheimischen Pro duction durch das in Folge natürlicher oder künstlich herbeigeführter Ursachen billiger producirende Aus land verhütet, sondern diese soll auch zu immer weiterer Entwicklung angespornt und genöthigt werden, ihre Artikel nach und nach immer billiger und besser und schließlich ebenso billig und gut zu erzeugen, als sie im Auslande producirt werden. Denn nur durch diesen schließlichen Erfolg für dcn einheimischen Consum und die Vermehrung des Nationalwohlstan des rechtfertigt sich die Anfangs durch den Schutzzoll auferlegte Vertheuerung der Verbrauchsartikel. Auch nicht jede Art von Production ist durch Zölle gegen das Ausland zu schützen, sondern nur diejenigen sowohl bestehenden als aufstrebenden Productions- zweige, welche den Schutz eben nöthig haben, zu gleich aber auch die natürlichen Bedingungen ihrer Entwicklungsfähigkeit in sich tragen, um die heutige Vertheuerung durch ihre spätere Verwohlfeilung wieder wett machen zu können. Darnach sind die einzelnen Tarifpositionen eines richtigen Schutzzollsystems das Ergebniß einer Be rechnung, welche sich aus der Höhe der Erzeugungs- und Transportkosten der Auslandswaare gegenüber den Erzeugungskosten des Inlandes für die in Rede stehenden Artikel zusammensetzt, und da jeder ein zelne Factor dieser Berechnung oft plötzlich eintreten den Veränderungen ausgesetzt ist, welche das Con- currenzverhältniß der Auslandswaare bedeutend alteriren können, so wird es auch zu jeder Zeit und ganz unerwartet nothwendig werden können, die bestehenden Schutzzölle ebensowohl nach herab, als hinauf ändern zu müssen, wenn man anders richtige Schutzzölle haben, oder das Schutzzollsystem als solches nicht absichtlich discreditiren will. Ebenso kann es in Folge neuer Erfindungen und Entdeckun gen plötzlich und unerwartet kommen, daß ein ganz neuer Productionszweig sich im Lande aufthut, der zu seiner Entwicklung den Schutzzoll verlangt, wo durch eine Erweiterung des bestehenden Tarises durch Aufnahme eines oder mehrerer bis dahin zollfrei gebliebener Artikel nöthig wird. Man sieht daher, daß es richtigerweise gar nicht angeht, für die unveränderte Giltigkeit eines den heule bestehen den Productions- und Transportverhältnissen ganz entsprechend gemachten Zolltarises eine bestimmte, und wäre es auch nur kurze Zeitdauer zu fixiren, und daß die Schutzzöllner alle Ursache haben, gegen das von Seite der Freihändler gemachte Entgegen kommen mit der „Ehrlichen Probe" mißtrauisch zu sein. "Waldenburg, 26. Juli 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Die Reichscommission zur Ausarbeitung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich hat zur Zeit Ferien. Man vernimmt jedoch, daß das bedeutsame Werk auch in letzter Zeit erheblich gefördert worden ist und auch in der Folgezeit, so weit es nur angeht, vorwärts kommen wird. Da nach ist wohl die Annahme nicht ausgeschlossen, daß das Werk im nächsten Jahre zu einem ersten Ab schlusse gelangt sein wird: Bekanntlich besteht über die Förderung und die Lesungen des Gesetzbuchs ein Bundesrathsbeschluß aus dem Jahre 1874, und obwohl derselbe nichts über eine Veröffentlichung des Entwurfs enthält, so läßt sich doch erwarten, daß eine solche erfolgen und namentlich den juristischen Facultäten Gelegenheit zur Begutachtung gegeben werden wird. Wurden doch schon vor über hundert Jahren, als Friedrich der Große das Gesetzbuch für Preußen entwerfen ließ, Abschnitte desselben vor her veröffentlicht und Preise für gute Kritiken aus gesetzt. Freilich gab es damals noch keine Volks vertretung mit entscheidender Stimme. Professor Reuleaux ist von seinen College» eine Auszeichnung zu Theil geworden, indem derselbe von der Abtheilung III. der technischen Hochschule (Maschinenbaufach) für das Studienjahr 1882/83 zum Vorsteher gewählt worden ist. Diese Genug- thuung hat Reuleaux, dem Manches wider den Strich gegangen ist, mit lebhafter Freude erfüllt. Dieser Tage treten die Vorstände derjenigen statistischen Centralstellen, welchen die Bearbeitung der Berufsstatistik obliegt, zur Conferenz in Kassel zusammen, um ihre Wahrnehmungen aus zutauschen und über das Detail der Arbeit weitere Bestimmungen zu treffen. Der Reichstags - Abg. Grad, Fabrikdirector zu Logelbach im Kreise Kolmar i. E., veröffentlicht im Mülhauser „Expreß" eine längere Rede über die Finanzreform des Reiches. Die „Els.-Lothr. Ztg." hebt daraus folgende Stelle hervor: „Es liegt uns sicherlich nicht am Herzen, die deutsche Einheit zu befestigen; aber wer die Frage vom objecliven Gesichtspunkte aus betrachtet, kann den Werth der Pläne des großen Kanzlers für die Finanzen der Einzelstaaten nicht bestreiten. In Deutschland be trägt jetzt das Ergebniß der Zölle und Verbrauchs steuern auf den Kopf II Frcs. 50 Cts. gegen 34 Frcs. 60 Cts. in Frankreich. Die nachfolgende Aufstellung ergiebt ein Verhältniß von 280 pCt. zwischen den Lasten pro Kopf der Bevölkerung aus den Stempel- und Verbrauchssteuern in Frankreich und Deutschland." Jährlicher Ertrag der Verbrauchs und Stempelsteuern. Auf den Kopf der Bevölkerung. Zölle u. Ver brauchs steuern. Stempel- Gefälle. Summa. Mk. Mk. Mk. Mk. Deutschland . . 467,409,028 9,20 1,20 10,40 Frankreich. . . 1,579,617,560 27,70 14,00 41,70 England.... 1,090,205,438 24,90 6,70 31,60 Italien 477,540,000 12,40 4,30 16,70 Oesterreich. . . 365,382,600 12,10 4,30 16,40 Rußland.... 1,205,095,400 13 10 1, 14 10 Verein. Staaten 1,355,229,000 26,10 0,20 26,30 In Betreff der von der Oberrechnungskammer geforderten Rückvergütung der Kriegsleistungen hat die Stadtverordneten-Versammlung in Köln auf den Antrag ihrer Juristen-Commission einstim mig beschlossen, nicht zu zahlen und die Passiv- Legitimation zu bestreiten, da nicht die Stadt, son dern die Regierung verklagt werden müsse. Der Obersteuermann Meiling ist durch kriegs gerichtliches Erkenntniß vom 12. Juni c., bestätigt von Seiner Excellenz dem Herrn Chef der Admira lität unterm 23. Juli c., wegen Landesverraths unter Entfernung aus der Marine mit Zuchthaus strafe von 6 Jahren und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf gleiche Dauer bestraft worden. Die so viel erörterte Frage der deutschen Colo nien wird in diesen Tagen wieder auf die Tages ordnung kommen, da auf Anregung des Barons von Maltzahn sich in Hamburg ein Comilo bilden wird, das die Agitation für Erwerbung von Colo nien seitens des deutschen Reiches neu beleben will. Der Plan, für den der Baron v. Maltzahn im preußischen Handelsministerium mehrmonatliche Stu dien gemacht hat, soll fertig vorliegen. Es handelt sich nicht um eine Reichssubvention, auch nicht um Erwerbungen, sondern wesentlich um den Reichsschutz in der Weise, daß Plätze und Landstrecken, in wel chen sich bereits deutsche Firmen angesiedelt und festen Fuß gefaßt haben, erweitert und ausgebaut werden. Man will versuchen, den Strom der Aus wanderung zum Theil nach solchen Plätzen zu leiten, damit die in den Colonien gewonnenen Produkte direct Deutschland zugeführt werden, und daß ande rerseits die deutsche Industrie erweiterte directe Absatzmärkte in überseeischen Ländern gewinne, ohne die Vermittelung Englands und Frankreichs in An spruch nehmen zu müssen. Es gehört nicht zu den seltenen Erscheinungen, daß Facloreien, welche durch deutschen Fleiß emporgekommen sind, schließlich durch Kauf an England übergehen, während sie in weiterem Ausbau der deutschen Industrie treffliche Dienste hätten leisten können. Der ganze Plan des betreffenden Comitös wird demnächst ver öffentlicht werden, und es befindet sich der oben er wähnte Baron v. Maltzahn, der vielfach Reisen in überseeischen Ländern gemacht, augenblicklich in Ham burg, um weiteres Material für seinen Plan zu