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ging. Und heute käm's erst recht so, nachdem die Geschäfts welt halb tot geärgert worden wäre. Obwohl der Nürnberger sozialdemokratische Partei tag eine offenkundige Spaltung zwischen Berlinern und Süddeutschen gebracht hat, tut die Parteileitung doch, als sei Alles in schönster Ordnung. Der „Vorwärts" vom Sonn tag schreibt: „Der Parteitag hat geleistet, was von ihm ge fordert werden mußte. Er hat gesprochen, und an den Ge nossen ist es nun, dafür zu sorgen, daß sein Spruch aller Orten Geltung hat." Die Süddeutschen haben ja schon in Nürnberg erklärt, daß sie sich dem Beschluß über die Ge nehmigung der Staatsausgaben nicht fügen werden. Die Arbeit der gesetzgeberischen Faktoren mit der Reichs finanzreform hat mit der Besprechung des Gegenstandes durch den Bundesrat begonnen. Die Finanz- und die leiten den Minister der Bundesstaaten, Schatzsekretär Sydow und Reichskanzler Fürst Bülow waren zugegen. Der Kanzler ent warf in großen Umriffen ein Bild des Reformplanes und fand für seine Absichten und Auffassung die Zustimmung der Anwesenden. Es wurde Einmütigkeit aller Bundesratsmit glieder festgestellt. Möglich, daß diese Einmütigkeit sich auf die Notwendigkeit und die allgemeinen Grundlinien der Re form zunächst beschränkt hat, nicht aber auch auf die einzelnen Steuervorlagen ausgedehnt wurde, da diese vollzählig der Meinungsäußerung/des Bundesrats noch garnicht unterworfen sein sollen. An dem sozialdemokratischen Parteitage in Nürn berg war das Interesse nach Erledigung der Budgetbewilli gungsfrage erloschen. Was die Genoffen über die Reichs finanzreform zu sagen hatten, reizte niemanden mehr, auch der Beschluß, den nächstjährigen Parteitag in Leipzig abzu halten, hatte doch höchstens ein lokales Interesse. Die Mehr zahl der Genossen hatte auch Nürnberg schon verlassen, als Singer am Sonnabend gegen Mittag den Parteitag für ge schloffen erklärte. Bei den Schutzbauten um Helgoland zur Abwehr der Meeresfluten sind bedauerliche Unregelmäßigkeiten vor gekommen. In den ausgehöhlten Felsen sollte Mauerwerk in Stärke von 1^ Meter aufgeführt werden; es sind aber laut „Berl. Morgenpost" vorn und hinten nur Mauern von 40 Zentimeter Stärke errichtet, und der Zwischenraum ist mit Sand gefüllt. Außerdem entspricht die Zement mischung nicht den Vorschriften. Gegen mehrere Schacht meister ist Anklage erhoben; die ausführende Firma hat von den Betrügereien nichts gewußt. Auf dem Gartenfest, welches Fürst Bülow am Sonn abend den Mitgliedern des interparlamentarischen Kongresses gab, sprach der englische Abgeordnete Bord Weardale dem deutschen Reichskanzler seinen aufrichtigen Dank für den liebeswürdigen Empfang und den Wunsch nach dauernden guten Beziehungen aus, dem sich alle englischen Abgeordneten anschloffen. Der Kanzler dankte in herzlichen Worten. Die Festlichkeit war von prachtvollem Wetter begünstigt, alle an wesenden fremden Parlamentarier waren mit ihren Damen erschienen. Besonders machten sich die Tiroler Abgeordneten in ihrer Nationaltracht unter den übrigen, in feierlicher Ge sellschafts-Toilette erschienenen Gästen bemerkbar. Auch die hohen Reichs- und Staatsbeamten und Vertreter der Stadt Berlin, der Presse, der Kunst u. s. w. waren zugegen. Fürst Bülow war in glänzender Stimmung, sah vortrefflich aus und unterhielt sich mit zahlreichen Anwesenden. Oesterreich-Ungarn. Der slovenische Pöbel hat vom tschechischen gelernt. In Laibach fanden schwere Ausschreitungen gegen die Unterhaltungsteil. Hüben und Drüben. Von M. Eitner. 44) Fortsetzung. Jetzt erst erblickte Ellen ihn, gerade als Roberts, der bis zum Stall geritten war, sich näherte. „Ach, Mister Braun!" sagte sie. „Willkommen hüben, Miß Roberts." Er streckte die Hand aus zum Gruß und reichte ihr die Blumen. „Ich bringe Ihnen Grüße von drüben," sagte Ellen, die Blumen mit freundlichem Lächeln nehmend. „Deutschland grüßt Sie, deutsche Eichen, deutsche Buchen senden ihre Grüße." Jetzt nahm sie den Arm des Vaters, schmiegte sich an ihn und sagte: „Teurer Vater, freust du dich, daß ich jetzt hier bin?" „Ja, darling. Ich fürchte nur, du wirst jetzt an Heim weh nach Deutschland leiden." „Mein Heim ist ja hier, teurer Vater. Es war ein schönes Jahr, das ich drüben verlebte, aber schließlich trieb mich das Heimweh doch zu dir." Roberts ging zuerst in das Haus, betrat sein Zimmer und stand kurze Zeit sinnend am Fenster. „Armes Kind," sagte er vor sich hin. „Ihr Herz wird jetzt in stetem Zwiespalt sein; es ist jetzt geteilt zwischen hüben und drüben." Vierzehntes Kapitel. Am nächsten Tage, als Vater und Tochter sich anschickten, einen Ritt zu unternehmen, sagte Roberts: „Es wird dir jetzt einsam Vorkommen, darling, auf Field-House. Und in New-Jork winkt dir auch nichts Besonderes mehr. Du weißt doch, daß Amys Hochzeit bereits gewesen ist, und sie ihre neue Heimat in St. Francisco hat. Und du weißt doch," fügte er lächelnd hinzu, „daß Mister William Read sich ver lobt hat." „DaS wußte ich noch nicht,"^erwiderte Ellen, fröhlich Deutschen statt. Die Fensterscheiben des Deutschen Kasinos und deutscher Geschäfte wurden durch Steinwürfe zertrümmert, die Firmenschilder herabgerisfen. Auch die deutsche Tonhalle, das deutsche Gymnasium und das deutsche Mädchenpensionat wurden beschädigt. Die Polizei ließ die Menge ruhig ge währen, worauf Gendarmen und Militär einschritten. Die Soldaten wurden verhöhnt und mit Steinen beworfen. Ein Feldwebel wurde am Kopf schwer verletzt. Erst als das Militär die Seitengewehre aufsteckte und die Gewehre lud, wich die Menge zurück. Viele Personen wurden verhaftet. Rußland. Die gewaltigen Fortschritte der Cholera in Petersburg haben die dortigen Behörden endlich aufgerüttelt. Nachdem sich das Sanitätswesen als geradezu kläglich erwiesen hat, ist eine Million Mark zur Bekämpfung der Seuche bewilligt worden. Ministerpräsident Stolypin hat selbst die Cholera baracken besichtigt. Ein großer Uebelstand ist der Mangel an Transportmitteln für Erkrankte. Die Stadt besitzt nur 20 Krankenwagen, täglich erkranken jedoch viele hundert Personen. Die meisten wurden bisher in Droschken befördert, die dann nur mangelhaft desinfiziert wurden, was die Be völkerung natürlich sehr beunruhigt. Jetzt wird die Stadt verwaltung endlich 100 Droschken zum ständigen Transport mieten. In den letzten Tagen find auch viele Kinder erkrankt. Dagegen ist das Militär im allgemeinen noch verschont. Von der Ausdehnung der revolutionären Bewegung in Rußland macht man sich einen Begriff, wenn man hört, daß der bekannte Millionär Roschkow in Petersburg ver haftet wurde, weil anläßlich der jüngsten polizeilichen Unter suchungen festgestellt wurde, daß er sein Haus den Revolu tionären als Hauptquartier zur Verfügung gestellt hatte. Roschkow unterhielt auch einen lebhaften Briefverkehr mit den Revolutionären des Auslandes. Bei dieser Verhaftung wurde die erhebende Entdeckung gemacht, daß ein in beson derer Vertrauensstellung befindlicher Polizeibeamter, Namens Cholodnjakow, mit den Revolutionären unter einer Decke steckte. Der Ministerrat verbot für die Zukunft die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium; die bereits zu- gelaffenen können ihre Studien beendigen. England. Ein schwerer wirtschaftlicher Kampf hat in England begonnen, dessen Wirtschaftslage so wie so schon zu denken gibt. In der Grafschaft Lancashire sind 200,000 Arbeiter der Baumwollfabriken wegen Lohnherabsetzung in den Aus stand getreten. Mehrere hunderttausend andere Arbeiter werden durch den Streik in Mitleidenschaft gezogen. Der Beschluß der Baumwollarbeiter wird vielfach verurteilt, erstens weil schon eine Krists besteht und zweitens, weil nicht genug Geld in den Kaffen ist. Aus dem Muldentale. *Waldenbvrg, 21. September. Der gestrige Sonntag, der letzte des diesjährigen Sommers, hat - es noch einmal recht gut gemeint. Ein wolkenloser Himmel lachte auf die bereits recht herbstlich gewordene Landschaft herab. Jung und Alt wanderte hinaus, um noch einmal die linden Lüfte in vollen Zügen einzuatmen. In den Vergnügungslokalen entwickelte sich ein reges Leben; Viele wählten den Aufent halt im Garten. Der Abend ließ freilich merken, daß es mit der wahren Sommerstimmung vorbei ist. Die abendliche Kühle erinnert recht sehr an den heranzieheuden Herbst. *— Die hier verbreitet gewesene Nachricht, daß der ge fürchtete Einbrecher Pelz aus Steinpleis in der Brauerei in Schönberg festgenommen worden sei, hat sich nicht bestätigt, lachend, „aber das ist das Vernünftigste, was er tun konnte. O, teurer Vater, ich liebe Field-House, du weißt es. Mama würde mich auch nicht durch ein Wort zurückgehalten haben. Ich soll dir sagen, daß jetzt ein einsames Jahr ihr schnell vergehen wird, und daß sie hofft, daß du mich dann wieder zu ihr bringst. Jede Woche wird sie mir einen Brief schreiben." Mit strahlenden Augen dankte sie dem Vater, der ihr in den Sattel half. Dann ließ sie in übermütiger Laune Leila ansgreifen, ehe der Vater seinen Braunen bestiegen hatte, wendete wieder und kam zu ihm zurück. „Wohin willst du reiten?" fragte Roberts. „O, nach White-House. Ich muß doch sehen, was der Herr Nachbar geleistet hat in diesem Jahr, und — ich will doch sehen, wo die hübschen Blumen wachsen, die er mir gestern gebracht hat." Als sie nach White-House kamen, war Rudolf gerade mit Gartenarbeit beschäftigt. Missis Black, seine Haushälterin, stand inmitten der gackernden und schreienden Hühnerschar, die Futter verlangte. Fröhliches Hin- und Herreden fand statt. Missis Black, die eine besondere Vorliebe für Ellen hatte, ging in das Haus, kam zurück und brachte ein Glas Milch. MU tiefem Knicks reichte sie es Ellen hin, wich aber scheu zurück, als Leila den Kopf wendete und ihre aufgeblasenen Nüstern in gar zu nahe Berührung mit ihrem Gesicht brachte. „Pfui, Leila!" rief Ellen und fügte gleich hinzu: „Seien Sie nicht ängstlich, Missis Black, sie ist nur ungezogen und neugierig. Geben Sie mir, bitte, das Glas Milch." Noch einmal wagte die alte Frau sich heran, und diesmal war Leila artig. Ellen trank die Milch und gab das Glas mit freundlichem Dank zurück. „Ich glaube," sagte sie, „Sie pflegen Ihre Kühe ganz besonders gut. Die Milch schmeckt ausgezeichnet." Missis Black strahlte und ging knicksend in das Haus zurück. Rudolf hatte mit Roberts gesprochen und ihm gesagt: „Ich habe eine ernste Frage an Sie, die ein Brief meiner Mutter, den ich heute früh erhielt, Hervorrust. Haben Sie Wir bringen daher nachstehend seine Personalbeschreibung: Der gesuchte Arbeiter Pelz nennt sich mit Vornamen Her mann Paul, ist am 8. Januar 1881 in Steinpleis geboren, 170—175 Zentimeter groß und von mittlerer Statur, hat volles Gesicht, hohe Stirn, graublaue Augen und trägt röt lich-blonde Haare und rötlichen Schnurrbart. Besondere Kennzeichen: Sommersprossen; am linken Daumen fehlt ein Glied. Wer über den Aufenthalt des Gesuchten zweckdien liche Angaben zu machen in der Lage ist, wird ersucht, hier von der Gendarmerie bezw. der nächsten Polizeibehörde An zeige zu erstatten. Am Sonnabend, den 12. d., hat er sich in der Reichskneipe hier aufgehalten und sich als ein Pferde händler Walter Wolf aus Glauchau ausgegeben. (Unter diesem Namen ist er auch am 16. d. in Borsdorf bei Grimma, wie wir in letzter Nummer berichtet haben, aufgetreten. Am nächsten Tage gab er hier seine Gastrolle.) Das fehlende Daumenglied wollte er, wie er bei dieser Gelegenheit auf Befragen angab, durch einen Pferdebiß verloren haben. Er scheint sich auch noch andere Namen beigelegt zu haben. Im vorigen Jahre hat bei der hiesigen Firma August Mai ein Schlosser in Arbeit gestanden, auf dessen Person die oben mitgeteilte Personalbeschreibung völlig paßt. Hier nannte er sich, wie auch seine Papiere auswiesen, Paul Jackisch, geboren am 27. Oktober 1884 in Mogwitz, Kreis Grottkau. Er war hier vom 14. März bis 17. Mai beschäftigt und ist dann, nachdem er seine drei Arbeitskollegen, mit denen er in Dresden Schlosierarbeiten auszuführen hatte, bestohlen hatte, verschwunden. Seine Quittungskarte befindet sich noch bei der Kaffenverwaltung der hiesigen Ortskrankenkasse II. Er wird als sehr geschickter Schlosser und gewandter muskulöser Turner geschildert. Das hat er zur Genüge auf seiner Flucht am Donnerstag bewiesen. *— Die sächsische Regierung hat eine Verordnung, die Gewinnung und Verwertung des Radiums betreffend, er lassen. Gleichzeitig werden die Ergebnisse der durch Prof. Schiffner im Auftrage des Finanzministeriums ausgeführten Untersuchungen veröffentlicht. Die Aufsuchung und Gewinnung radiumhaltiger Mineralien bleibt hiernach dem Staate Vor behalten. *— Die in Plauen stattgehabte'sozialdemokratische Landes versammlung hat besonders unter den Genossen des 17. Reichstagswahlkreises (Glauchau-Meerane) viel böses Blut gemacht. Fortwährend finden im Kreise Versammlungen statt, die sich mit der beschlossenen Beitragserhöhung, sowie mit dem Antrag der Leipziger Genossen über „Die Neueinteilung und Reorganisation der Presse" beschäftigen. Dieser Tage fanden wieder Versammlungen in Meerane und Oberlungwitz statt. Mit der Einführung der erhöhten Steuer erklärte man sich nicht einverstanden. Die Angriffe auf den 17. Kreis seien auch ungerecht gewesen, insbesondere sei die aufgestellte Beitragsstatistik des Genossen Braune-Dresden falsch. In allen bisherigen Versammlungen wurde von den Anwesenden scharf getadelt, daß der 17. Kreis jederzeit nur Prügelknabe gewesen sei. Für die Zukunft wolle er das nicht mehr sein. Auch von. der Neueinteiluug der Kreise wegen der Presse will man nichts wissen. Altstadtwaldenburg, 21. September. Die Freiwillige Feuer- wehr hierselbst hielt am gestrigen Sonntag Nachmittag 3 Uhr unter der schneidigen Leitung ihres Kommandanten, des Herrn Branddirektor Förster, und in Gegenwart von Mit gliedern der Gemeindevertretung, sowie Kameraden der Nachbarfeuerwehren ihre diesjährige Hauptübung ab, be stehend in Fuß- und Detailexerzieren mit Geräten und Sturmangriff. Die ersteren Uebungen fanden auf dem heute eine halbe Stunde Zeit für mich?" „Kommen Sie zum Abend. Ich werde sorgen, daß wir für eine halbe Stunde allein sind." Ellen hatte noch dieses und jenes zu fragen. Dann ritten die Besucher wieder weiter. „Papa," sagte Ellen plötzlich unterwegs, als sie gerade in langsamem Tempo ritten, „schätzest du Mister Braun ge ringer ein als dich, weil er keiner vornehmen Familien ent stammt?" Erstaunt blickte Roberts seine Tochter an. „Kind," sagte er, „wie kommst du auf diese Frage? Habe ich in meinem Verkehr mit dem Nachbar irgend etwas verfehlt, das zu solcher Annahme berechtigte?" „Nein, teurer Vater, das hast du nicht getan." „Wer dergleichen dächte, wäre auch auf solcher Fährte. Wenn man länger als fünfzehn Jahre in Amerika gelebt hat, verschwinden diese Art Standesunterschiede vollständig. Wer treu und fleißig arbeitet, wer seine Stelle ausfüllt und ein anständiger Mann ist, gilt etwas, mögen seine Eltern einfache Leute sein, oder mögen sie über einen Adelsbrief verfügen. Weshalb fragst du?" „Nur, um meine Keuntnisse zu bereichern," entgegnete El len lächelnd und ließ Leila in schnellen Trab verfallen. — Als Rudolf gegen Abend nach Field-House kam, stand Ellen mit Nama im Hof. Sie nickte ihm freundlich zu und rief: „Papa ist in seinem Zimmer. Er erwartet Sie. Sie bleiben doch den Abend über bei uns?" Rudolf sagte zu, und ein Seufzer kam über seine Lippen: Ach! warum war sie so schön und gut? Und wamm war sie so vornehm? Mit freundlichem Händedruck wurde er von Roberts be grüßt. „Habeu Sie irgend welche schlechte Nachrichten von daheim erhalten?" „Ja, ich kann sie wohl nicht anders nennen. Der Mann meiner Schwester ist gestorben, und sie wird mit ihren zwei Kindern nach Berlin kommen, mit den Eltern zusammen wohnen." (Fortsetzung folgt.)