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sie doch wenig. Wer sich nicht traut, auf den Parkettboden zu gehen, der soll einfach wegbleiben." Mehr Selbstbewußt sein kann doch selbst der ärgste Nörgler nicht verlangen. Der Nachfolger des wegen Veröffentlichung des Kaiser gesprächs zur Disposition gestellten Geheimrats Klehmet im Auswärtigen Amt soll der Gesandte in Luxemburg v. Jagow sein. Die „Leipz. N. N." lassen sich aus Berlin melden: Wir befragten heute im Reichstag verschiedene Diplomaten, wie auch verschiedene Abgeordnete, wobei allgemein die Meinung zum Ausdruck kam, der Reichskanzler werde jedenfalls »ach der Finanzreform erneut sein Demissions gesuch ein reichen und auf seiner Enthebung vom Amte bestehen bleiben. In diesem Vorhaben wird ihn besonders auch die heutige scharfe Debatte, die er über sich ergehen lassen mußte, be stärkt haben. Warum die freisinnige Vereinigung am Dienstag gegen die Reichstagsvertagung sofort nach der Kanzlerrede stimmte, erklärt Abg. Gothein wie folgt: Allein maßgebend für uns war die Auffassung, daß es der Rede des Fürsten Bülow eine ihr keineswegs zukommende Bedeutung beilegen hieße, nach ihr die Sitzung zu vertagen. Die Rede erschien uns durchaus ungenügend. Eine „Vereinigung zur Förderung der Reichsfinanz- reform" hat sich in Berlin gebildet und versendet ein „streng vertrauliches" Rundschreiben, in dem um Aufklärung über die Reichsfinanzreform ersucht wird. Der Vereinigung gehören laut „Berl. Tgbl." konservative und nationalliberale Abgeordnete an. Der größte deutsche Dampfer, 220 Meter lang, lief am Dienstag in Stettin vom Stapel und erhielt den Namen „George Washington". Der amerikanische Botschafter Hill hielt die Taufrede, in der er der Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika gedachte, die keine Konfliktsgefahr jn sich trügen. Zwischen der deutschen und der französischen Regierung ist gestern ein Uebcreinkommen getroffen worden, nach dem Deutschland bereit ist, in der Casablanca-Affäre von seinen ursprünglichen Forderungen abzulassen. Die gesamte Angelegenheit soll einem Schiedsgericht unterbreitet werden. Ein neuer deutscher Kreuzer läuft am Sonnabend in Danzig vom Stapel. Er erhält den Namen „Kolberg". Oesterreich-Ungarn. Das neue österreichische Ministerium Biehnert kommt zustande, weil die Parteien Gegner eines Beamtenministeriums sind und die Auflösung des Abgeordnetenhauses fürchten. Im ungarischen Abgeordnetenhause wurde am Mittwoch der Gesetzentwurf über die Wahlreform eingebracht. Die Nationalitäten und Sozialisten verursachten, da er ihnen nicht genügt, Lärmszenen. Ein Slowake wurde wegen eines Zwischenrufes zur Ordnung gerufen und von Mitgliedern der Unabhängigkeitspartei mit dem Wort „Frechling" belegt. Auch rief man: „Hinaus mit dem Baterlandsverräter!" Sozialisten warfen während der Rede des Ministerpräsidenten von der Galerie Flugblätter in den Saal, worin es hieß, der König habe das allgemeine Wahlrecht versprochen. Der Präsident des Hauses ließ die Galerie teilweise räumen. Rußland. Die russische Regierung hat die französische Firma Lebaudy mit der Lieferung eines Luftschiffes nach dem Typ der „Republique" beauftragt. Türkei. Die Balkankrise harrt noch immer der Lösung. Die wunderlichsten Nachrichten tauchen auf, so die von einem Unterhaltungsteil. Inge Paulsen. Von Eva Treu. 20) (Fortsetzung.) Mittagszeit; sie mußte sich nicht suchen und hier in Trä um finden lassen. Sie badete sich das Gesicht mit kaltem Wasser, strich sich mit der Bürste über das Haar und sah in den Spiegel, indem sie zu lächeln versuchte. Als sie über den Flur ging, kam eben Johannes die Treppe herauf, da Essenszeit war. »Inge", sagte er, sie freundlich umfassend, „ich habe dich vorhin überall gesucht, konnte dich aber nicht finden. Es kam eine Einladung für uns auf morgen Abend zum Phy- fikus. Ich habe vorläufig angenommen, du wirst doch nichts dagegen haben?" Sie machte sich unfreundlich von ihm los, wie sie es nie sonst getan hatte. Wenn sie auch bis dahin nie seine Liebkosungen erwiderte, so hatte sie sie doch ruhig über sich ergehen lasten wie etwas Unvermeidliches, das man eben zu allem übrigen in den Kauf nehmen mußte. Heute und in diesem Augenblick hätte sie es nicht gekonnt, und wenn es ihr Leben gekostet hätte. „Wie konntest du das tun, Johannes?" sagte sie kühl, „jetzt, nachdem die feinen Leute sich monatelang nicht um uns gekümmert haben, sind sie endlich so gnädig, sich unser zu erinnern. Ich denke, nun ist es an uns, nicht zu wol- len." Sie warf den Kopf trotzig zurück; in ihren Augen flimmerte etwas. „Was fällt dir denn ein, Inge?" sagte Johannes ver wundert und halb lachend. „Wenn wir jetzt die Empfind lichen spielen wollen, so versperren wir uns den Kreis, in dem du gern Verkehren willst, ein für allemal. Du weißt, mir liegt nicht diel daran, aber dir würde es hinterher doch leid tun." „Es ist mir unbeschreiblich gleichgültig," sagte die junge Frau bitter. „Mir liegt nichts, gar nichts an all dem hoch- „Schutz- und Trutzbündnis" zwischen der Türkei, Serbien und Montenegro!! Dazu würden ja Meldungen über „tür kische Rüstungen" und Einberufung von Reserven in Serbien Pasten, aber amtliche türkische Angaben lauten anders, wenn auch die Jungtürken auf den schärfsten Boykott gegen Oester reich dringen. Die türkische Regierung hat bei einer deutschen Firma 300 Millionen binnen zwei Jahren zu liefernde Mauserpatronen bestellt. Aus dem Muldentale. "Waldenburg, 12. November. Die Niederschlagsmenge betrug in der ersten Dekade des Monats November nach den auf hiesigen Wetterwarte vorgenommenen Messungen 0,4 mna. Seit dem 28. September ist bis zum heutigen Tage insgesamt nur 1,z ww Niederschlag zu verzeichnen ge wesen, davon 0,g mm in Schneeform. *— Infolge des anhaltenden Frostwetters war die Mulde unterhalb der hiesigen Brücke gestern streckenweise vollständig zugefroren, eine Tatsache, die seit Jahrzehnten im Monat November nicht beobachtet worden ist. *— Der Gasthof in Remse ging in der am 10. d. vor dem Amtsgerichte Glauchau vorgenommenen Zwangsver steigerung für den Kaufpreis von 78,500 Mk. in den Besitz der Glanchauer Brauerei-Aktiengesellschaft über. Ziegelheim, 11. November. Am Kirmesmontag hatte Herr Gasthofsbesitzer Weber ein Konzert veranstaltet, welches von der Altenburger Regimentskapelle unter der bewährten Leitung des Herrn Stabshobist Büchner in künstlerischer Weise ausgeführt wurde. Sämtliche Darbietungen wurden von dem außerordentlich zahlreichen Publikum mit allseitigem Beifall belohnt. — Die neue Lutherkirche in Glauchau ist jetzt soweit vollendet, daß am Dienstag Nachmittag ^5 Uhr das neue, in Ls-äur abgestimmte Geläute zum ersten Male ertönen konnte. Vormittags fand die Weihe der Glocken durch Herrn Superintendent Neumann statt. An den Weiheakt schloß sich die schwierige Arbeit des Glockenaufzuges. — Die Lehrerschaft des Schulaufsichtsbezirks Glauchau wird in diesem Jahre ihre Beratungen in zwei internen Hauptversammlungen pflegen: Donnerstag, den 26. Novem ber in Meerane (Amtsgerichlsbezirke Meerane, Waldenburg, der Mülsengrund, Landorte des Amtsgerichtsbezirks Glau chau) und Freitag, den 27. November, in Hohenstein-Ernst thal (Amtsgerichtsbezirke Hohenstein-Ernstthal, Lichtenstein außer Mülsengrund, Stadt Glauchau). Beratungsgegenstand ist das Lesebuchwerk. — Der Vorstand der Ortsgruppe ZwilkttU des All deutschen Verbandes hat folgende Entschließung an den Reichs tag gesandt: „Die Veröffentlichungen im „Daily Telegraph" und ihre Behandlung durch die Regierung haben das An sehen des Deutschen Reiches schwer geschädigt. Die Orts gruppe Zwickau des Alldeutschen Verbandes erwartet vom Reichstage, daß er mit allem Nachdruck sichere Bürgschaften verlangt dafür, daß derartige Vorkommnisse sich nicht wieder holen." — Die Gehalte der städtischen Beamten und Lehrer in Aue sollen eine Erhöhung erfahren, die insgesamt gegen 25,000 Mk. erfordern dürfte, und zwar betragen die Auf besserungen für die Beamten rund 8000 Mk. und die für die Lehrer gegen 17,000 Mk. Aus dem Sachsenlande. — Die 1. Kammer beschäftigte sich am Mittwoch mit mütigen Volk. Laß sie hingehen, wohin sie wollen." „Nein," entgegnete Johannes ruhig, „an ihren Gesell schaften liegt mir auch nicht viel, das weißt du; aber ich sehe die Herren am dritten Ort, und mich betragen wie ein eigensinniges Kind, bloß weil du es so willst, Inge, das werde ich nicht tun." „Aber ich will nichts von all den Leuten; — ich bin krank, — mir tut der Kopf weh zum Zerspringen"! „Das ist etwas anderes," sagte er, sie besorgt ansehend, „ja, du siehst elend aus, kleine Frau, — so blaß. Wenn es morgen nicht besser ist, lassen wir absagen." Er strich ihr freundlich mit der Hand über die blassen Wangen und das kaufe Haar. Sie wich zurück. „Sie ist krank," dachte der Mann entschuldigend, und sein Blick ruhte über Tisch oft besorgt auf ihr, wenn sie keine Speise berührte. Die jungen Herren aus dem Geschäft sahen sie mitleidig von der Seite an und führten ihre Un terhaltung mit gedämpfter Stimme. Nachmittags nahm Inge Hut und Mantel und ging hin unter an den Hafen. Sie Halle mit der Mutter zu sprechen, und das konnte nicht im Hause ihres Mannes geschehen. Jule Paulsens Art der Auseinandersetzung war dafür zu gefährlich geräuschvoll. Aber Jule Paulsen mochte einer Auseinandersetzung überhaupt noch aus dem Wege gehen wollen; sie war nicht daheim, und Inge fand die Tür ver schlossen. Doch verstand sie sich auf die Kunst, die innere Klinke der Hoftür von außen zu öffnen, trat ein und setzte sich im geheizten Wohnzimmer an das Fenster, die Mutter zu erwarten. Da saß sie einsam. Es war so still um sie her. Nur dann und wann drangen die lauten Stimmen draußen spie lender Kinder zu ihr herein. Die Stube sah blank und auf geräumt, auf ihre Weise ordentlich geputzt aus. Seit sie nur für sich allein zu sorgen hatte, durfte sich Jule Paulsen manche kleine Bequemlichkeit und Verschönerung gestatten, und der Schwiegersohn tat außerdem auch dann und wann seine gütige Hand auf, — wenn auch nicht, um ihr Geld spenden zu verabreichen, denn die würden Jule Paulsen ge Eisenbahnpetitionen. Dabei entwickelte Or. v. Wächter den Standpunkt der 2. Deputation dahin, es müsse mit den Eisenbahnwünschcn möglichst streng ins Gericht gegangen werden, um den Bahnbau nicht zu rasch fortschreiten zu lassen. Es wurde u. a. beschlossen, die Petition auf Er bauung einer vollspurigen Eisenbahn von Theuma nach Plauen der Regierung zur Erwägung zu überweisen. Nächste Sitzung Donnerstag. Nachtragsetat. — Der Landtag hat sich am Mittwoch in der 2. Kammer nur mit Eiscnbahnpetitionen beschäftigt, die kein allgemeines Interesse haben. Nächste Sitzung Donnerstag ^/zlO Uhr. Nachtragsetat der Landesbrandversicherungsanstalt und Beamtenpensionsgesetz. — Ucber die Veröffentlichung des vertraulichen Rund schreibens des Bundes der Landwirte zur sächsischen Wahl rechtsreform gaben die beteiligten Landtagsabgeordneten, die Abgg. Langhammer und Kickelhayn, eine Erklärung ab, wo nach das Schriftstück nicht entwendet, sondern in einem Zimmer des Ständehauses frei auf einem Tisch liegend ge funden worden ist. — Der 52j8hrige Kaufmann Albert Hoelke in Leipzig, der stellungs- und wohnungslos war, hatte sich am Montag Abend in ein Haus der Sternwartenstraße eingeschlichen, um bei der herrschenden Kälte dort zu nächtigen. Am Morgen fand man ihn erfroren auf der Treppe vor. — Auf dem Friedhöfe an der Rcichcnhainer Straße in Chemnitz wurde am Dienstag Nachmittag in der 3. Stunde eine 67jährige Schuhmacherswitwe, zwischen Gräbern liegend, in bewußtlosem Zustande aufgefunden. Die Frau verstarb alsbald. Wie ärztlich festgestellt wurde, hatte sie sich ver giftet. Schwermut soll die Bedauernswerte in den Tod ge trieben haben. — Ein schwerer Unfall trug sich am Sonntag während eines Festes des Arbeitcrturnvereins Löbtau im Gasthof des nahen Roßthal zu. Dort wurden unter anderen turne rischen Veranstaltungen sogenannte Leitergruppen gestellt. Als die Gruppe sich auflösen wollte, stürzte der ganze Bau zusammen. Dabei wurde der Turner Demnitz schwer ver letzt. Er erlitt neben anderen Verletzungen einen kompli zierten Beinbruch, andereLurner trugen leichtere Verletzungen davon. Verschiedene Leitern waren zerbrochen, desgleichen Wand- und Kronleuchter und andere Gegenstände stark be schädigt worden. — Ein Bierfahrer der Unionbrauerei in Meißen wurde vor wenigen Tagen, als er nach seiner Arbeitsstelle gehen wollte, am „Kalkberg" von einem Radfahrer angefahren und zu Boden geschleudert. Er mußte vom Platze gefahren werden und ist, ohne daß er die Besinnung wiedererlangt hat, am Montag im Krankenhause gestorben. Er scheint eine Schädelverletzung erlitten zu haben. Der Täter ist zwar davongefahren, doch ist er erkannt worden. — Mittwoch früh ^7 Uhr explodierte in der Ritterguts- Brennerei zu Böhlen der Kartoffeldämpfer. Der Luftdruck war so stark, daß nicht nur das Wcllblechdach abgehoben und weit weggeschleudert wurde, sondern auch das Mauerwerk rechts und links vom Dämpfer eingestürzt ist. Der angerich tete. Materialschaden ist bedeutend. Menschen sind dabei nicht verletzt. — In Großweitzschen wurde am Sonntag die hoch gelegene neue Kirche geweiht. Das Gotteshaus ist nach den Plänen und unter Leitung des Baurates Zeißig-Leipzig an der Stelle der abgebrochenen, vor 700 Jahren von Mönchen des Klosters Bach angelegten Kirche in streng romanischem Stile erbaut und dank zahlreicher Geschenke mit gediegenem kränkt haben, sie hatte auch ihren Stolz, — so doch, um kleinen Bedürfnissen in anderer Art abzuhelfen. Wie fremd war Inge doch hier geworden! So ganz schien die Behaglichkeit des Wohlstandes ihr in den wenigen Monaten ihrer Ehe schon unentbehrlich geworden zn sein, daß es sie wunderlich anmutete, hier so viele Jahre ihres Lebens verbracht zu haben, ohne sonderlich viel zu entbehren. Sonderbar, während sie so dasaß und die Augen hingehen ließ über die häßlichen Holzschnitte an ven Wänden, war's, als würde ihr Weh ein wenig geringer. Aber der kurze Wintertag ging schnell zu Ende, es wurde erst dämmerig in dem kleinen Raum und dann ganz dunkel, und je mehr die Finsternis all das Unschöne und Aermliche um sie her verhüllte, zu dem ihre eigene elegante Erschei- nung in so hartem Widerspruch stand, um so mehr quollen wieder die bitteren, zornigen, anklagcnden Gedanken in ihr empor, und während sie auf die Mutter wartete, zogen ihr die Worte durch den Sinn, die sie zu ihr sprechen wollte, wenn sie käme. So saß sie, die Hände im Schoße zusam- mengelegt, in die kalte Finsternis draußen hineinsehend und wartend, — wartend. Endlich hörte sie den Haustürschlüssel sich im Schloß drehen, dann klang die Türglocke, deren langweiligen, blechernen Ton Inge so gut kannte, dann war ein unsanftes Geräusch in der Küche, und gleich darauf öffnete sich die Stubentür, und Jule Paulsen trat ein, in der Hand die kleine, brennende Küchenlampe. Inge saß ganz still und kehrte ihr blasses Gesicht nach der Tür zu. Die Mutter sah sie nicht; sie hantierte im Zimmer umher, stocherte das Feuer auf und ging an das Fenster, um die Laden zu schließen. „Herrgott!" rief sie auf einmal, einen Schritt zurückpral lend, „Inge, bist du es? Wo kommst du her? Wie du mich erschreckt hast!" Die kleine, flackernde Lampe warf ihren ungewissen Schein auf die beiden Gesichter. Jule Paulsen war rot geworden, und auch Inge stieg das Blut langsam und heiß bis au die Schläfen empor. (Fortsetzung folgt.)