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2. Mage M ZchSnbmgcr Tagedlatt. 86. Sonntag, ven 12. April 1908. '-7 «E», Attsdner Kries. Nachdruck v erdate^ Dresden, 9. April 1908. Fürwahr, es ist zum Lachen, daß sich in unserem aufge klärten Jahrhundert die Menschen noch eine solche Portion Sand m die Augen streuen lassen! Sie werden doch „nicht alle", Und das ist auch ein Glück, Sonst ging in jedem Falle Die Klugheit mit zurück; Denn will die Klugheit weiter Erfolgreich Fallen bau'n, So muß sie doch auch Gimpel Manchmal darinnen schau'n. Wieder einmal hat sich, ähnlich wie im Falle des „Haupt manns von Köpenick", die „Macht der Uniform" gezeigt, ötvar nicht direkt bei uns in Dresden, aber die Sache spielt doch zu uns herüber. Eine feine lustige Sache, die da zeigt, wie Wciberherzen entflammen und Leichtgläubige sich prellen lassen von einem hergelaufenen stockfremden Menschen, nur, weil er eine phantastische Uniform und eine, gehörige Portion Erzählerphantasie besaß. Doch hört. Bis zum Jahre 1903 hatte im Zittauer Infanterie-Regiment der jetzt 27jährige Kutscher und Stallschweizer Ernst Albert Decker gedient. Da es ihm nicht gelingen wollte, in seinem Berufe Stellung zu finden, schloß er sich einer Zirkus- und Tierbändigergesell schaft an und wurde — Dompteur. Als solcher ging er nach Brüssel, Paris, Madrid, Lissabon und Boston. Hier lernte er eine Kunstreiterin kennen und lieben, die ihm für seine hervorragenden Dienste die „amerikanische goldene Me daille für Kunst und Wissenschaft" schenkte. Damit zog der Tierbändiger weiter, nach Asien, Ostindien, Australien und schließlich nach Südwestafrika. Dann ging's heimwärts. Der Vielgereiste trat darauf als Dompteur in Nürnberg, Frankfurt a. M. und Berlin mit großem Erfolg auf, will aber schließlich in Berlin von einem widerspenstigen Tiger schwer Verletzt worden sein. Dies zwang ihn, dem Artiften- leben Valet zu sagen, und er sah sich nach einem anderen Arbeitsgebiete um. Welt- und Menschenkenntnis hatte er auf seinen Kreuz- und Ouerfahrten genug gesammelt. Und die Tierbändiger-Uniform hatte er auch noch. Stolz trug er sie zur Schau, als er zunächst in Mittweida einkehrte. Die eigenartige Uniform schon machte Eindruck. Eine Art Tropen helm, Jagdjoppe mit grünen Aufschlägen und Achselstücken, an dem grünen Kragen zwei vergoldete Tigerknöpfe, dazu lederne Reithose und lange gelbe Reitstiefel. Und die „Hel denbrust" zierte die amerikanische goldene Medaille. Er er zählte Von den unglaublichsten Heldentaten, die er in Süd- wcstafrika vollbracht haben wollte. „Aber so wie Sie sieht doch kein Afrikakrieger aus," wagte ein Mittweidaer Schutz mann dem Renommisten entgegenzuhalten. „Das verstehen Sie nicht; ich wage die Uniform vom Regiment südwestafri kanischer Raubtierjäger," entgegnete der Held, der frühere Kutscher und Stallschweizer und nachmalige Tierbändiger nämlich. Aber er fürchtete doch hier schon die Folgen seiner „Vcrkohlerci" und schüttelte schleunigst Mittweidas Staub von seinen Reitstiefeln. Drum ging er nach Dresden und beschloß, sich in einen „echten" Südwestafrikaner zu verwandeln. Doch, seine „Mittel" reichten nicht zu einer neuen Uniform. Also mußte die „Raubtierjägerregiments- Uniform" weiter herhalten. Es gelang ihm aber, sich Formu lare zu Militärpapieren zu verschaffen. Diese füllte er mit verschiedenen Namen aus; z. B. als „Sergeant der südwest, afrikanischen Steppenpolizei", und „ausgezeichnet mit dem Feldzugskreuz l. Klasse mit Schwertern" und ähnlichem Un sinn. Schließlich fertigte er sich ein Dekret an, in der er zum berittenen Stadtgendarm von Dresden ernannt wird. Damit unternahm er weitere Gastspielreisen und machte Dorf und Stadt unsicher. Einen Oekonomic-Scholaren z. B. prellte er um ein Fahrrad. Eine Dienstmagd verliebte sich auf der Stelle sterblich in den Helden und opferte ihm einen Teil ihrer Ersparnisse. Nach seiner eigenen Aussage waren in Dresden „die Weiber ja ganz verrückt auf nuch; ich wurde viel umschmeichelt und von Fraucngunst gefeiert." Einer Küchm lockte er 69 Mk. und einer Zigarcttcnarbciterin 10 Mk. "b- Damit ging er nach Meißen, um hier seinen Streichen „kr°ne aufzusetzen. Mit seiner „Raubtierjägerregiments- v'" v"d seiner glühenden Erzählcrphantasie machte er -a Meißner einen solchen Eindruck, daß er bald überall Hahn, ^rbe war. Am Stammtisch und in ^elfach wurde er zu Tisch gebeten und schließ lich verlobte er st^ Bürgerstochter. Die Leutchen waren ganz narrisch, und die glücklichen Schwiegereltern waren nicht wemg N'z auf den zukünftigen „berittenen Stadt- gendarm." ^a, als er andeutete, er könne doch in seiner Raubtierjägerregrm ent^,niform nicht gut Verlobung feiern, kleidete ihn eine fürsorgliche Dante seiner Braut Vom Scheitel bis zur Zeh' neuem, Und als er nach Dresden fuhr, gab ihm sein zukünftiger Schwiegervater noch 200 Märkchen mit zur An schaffung der Gendarmene-Umform. Tatsächlich kaufte er sich in Dresden auch eine solche der emem Trödler. So neu ausstafsiert und mit einer Südwestafrika-Medaille mit zwei Gefechtsspangen aus der Brust, stellte er sich seiner Braut in Dresden vor und verblieb noch einige Tage in Meißen. Doch diese Herrlichkeit sollte nicht lange dauern, denn durch irgend einen Umstand war doch ein Fünkchen Mißtrauen er wacht und eine Nachfrage bei der Dresdner Polizei-Direktion brachte den ganzen Schwindel an den Tag. Vor Gericht, wohin man den „bösen Buben" zitierte, entschuldigt er sich: „Die Leute wollten es ja nicht anders, da habe ich sie eben verkohlt, so gut ichs konnte." Wirkt das nicht erheiternd? Und unwillkürlich fragt man sich, wie's nur möglich ist. Doch möglich ist heute alles, namentlich wenn Uniform mit im Spiele ist oder irgend ein Titel. Das lehrt uns auch die Geschichte der nun endlich nach langen Nachforschun gen entlarvten „Gräfin Maria Sturdza" in Dresden. Jetzt hat mans raus, sie ist keine Gräfin, sondern eine Abenteurerin, die schon vieles auf dem Kerbholze hat. Sie ist eine ehemalige Bukarester Kabarett-Tänzerin und Sängerin, die schon in Wien als angebliche Hofdame der verstorbenen österreichischen Kaiserin Elisabeth vornehmsten Juwelenfirmcn Geschmeide und Gold sachen im Werte von weit über 100,000 Kr. entlockt haben soll. Und in Dresden konnte sie als Gräfin auftreten, in Dresden, wo man doch sonst so vorsichtig gegen alles Fremde ist. Aber, kommt ein glänzender Name oder Titel in Frage, dann allerdings öffnen sich die Arme der Geschäftsleute, die die „Gnädigste" voller Ehrfurcht begrüßen und froh sind, von so vornehmer Kundschaft beehrt zu werden. Und solche „Reinfälle" passieren nicht zum ersten mal. Doch in Dres den erstirbt man nahezu in Ehrfurcht vor einem Titel. Da gibts Kratzfüßchen um Kratzfüßchen, und Herr oder Frau Ober .... vorne und hinten. Nachher aber immer ein Ge schrei. Und kommt ein neuer „Stern", dann hat man noch nichts gelernt von früheren „Reinfällen". — — Allerdings in anderen Sachen ist Dresden oftmals voran. So wird es auch mit dem zukünftigen Krematorium in Dresden sein. Dessen Anlage wird so großartig werden, wie man sie in ganz Europa bis jetzt nicht zum zweiten male findet. Schon die Höhe der Baukosten deutet drauf hin. Das unter Anwendung aller Neuerungen auf dem Ge biete der Feuerverbrennungstechnik ausgestattete Krematorium soll neben dem Tolkewitzer Friedhof, allerdings auf einem getrennten Grundstücke, errichtet werden. Die architektonisch geschmackvoll ausgestattete, der Bestimmung des Gebäudes entsprechende Front des Krematoriums wird nach der Elbe zu zu stehen kommen. Das hinter dem Krematorium ge legene Terrain soll als geeigneten Ruhepunkt für das Auge ein größeres Wasserdassin erhalten. Der gegenwärtig sich an den Friedhof anlehnende Waldbestand soll soweit als möglich gelichtet werden, um die aufzustellenden Urnen nach künstlerischen Gesichtspunkten in dem stehenbleibenden Hain verteilen zu können. Also ein Urnenhain! Daneben find auch Blumenanlagen vorgesehen, sodaß Dresden einen neuen, ganz eigenartigen Schmuck erhält. Schade nur, daß die „Aschewerdung" sich nur Leute leisten können, die „Asche" haben. Wer keine hat, muß draußen bleiben. Es gibt mehr Leute ohne „Asche", als man sich träumen läßt. In einem früheren Briefe hatte ich schon einmal das hiesige „Asyl für Obdachlose" erwähnt. Wie überaus segensreich diese Einrichtung bisher gewirkt hat, ersehen wir aus seinem soeben erschienenen Jahresbericht. Im Jahre 1907 wurden darin 23,236 Personen ausgenommen. 875 Männern wurde Arbeit verschafft. 3960 Obdachlose wurden in den Vereinswerkstätten für Schneider- und Schuhmacher- arbeiten beschäftigt. In den 27 Jahren seit Bestehen des Asyls wurden im ganzen 533,485 Obdachlose beherbergt. Ein düstres Bild von Großstadtelend. Wie überall, so macht sich auch hier in Dresden die Ar beitslosigkeit bemerkbar. Einen ungefähren Begriff, wieviel arbeitslose Menschen es in Dresden gibt, konnte man er halten, wenn man jetzt beim Anbruch des Frühlings die ge schlossene Wärmstube des Gewerkschaftskartells aufsuchte. 13 Wochen lang ist sie in Betrieb gewesen und stieg die Zahl ihrer Besucher von 21,038 im Winter 1906/07 auf 25,433 im Winter 1907/08, also um 4395. Im Durchschnitt kamen also auf den Tag 358 Besucher und in den strengen Kältetagen war ihre Zahl noch größer; so am 14. Januar 662. Außerdem wurden div. Lebensmittel an die Besucher der Wärmstube verteilt; im verflossenen Winter kamen zur Verteilung: 5225 Vierpfundbrote, 60 Zentner Kartoffeln, 2 Tonnen Heringe, 150^z Pfund Schweinefleich, 150 Pfund Bohnen, 100 Stück Suppcntafeln und 1100 Stück Zigarren. Dabei ist zu bedenken, daß die Wärmstube bisher keinerlei Unterstützung aus öffentlichen Mitteln erhielt; die Aufwen dungen wurden nur von Arbeitern für ihre arbeitslosen Kollegen aufgebracht. F. A. Esche. Smükrlkbm. Leibesübungen sind der Jugend und dem Alter ein großes Bedürfnis. Der Mensch braucht siezu seiner Vervollkommnung, zur Erhaltung seiner Gesundheit und Kraft. Von den Ger manen rühnien die alten Schriftsteller die gewaltige Kraft und Größe, die zu erlangen die alten Germanen unermüd lich bestrebt waren. Leibesübungen sind zu allen Zeiten und von allen Völkern betrieben worden. In Dentschland ent stand zuerst im Mittelalter ein planmäßiger Betrieb der Lei besübungen. Mit dem Verfall der Turniere indessen büß ten die ritterlichen Leibesübungen erheblich an Gestalt und Umfang ein. Die Notwendigkeit der geregelten Leibes übungen für das Volk wiesen in der folgenden Zeit Ver schiedene, mehr oder weniger bekannte Männer nach. Ver einzelt wurden auch Anfänge zu deren Einführung gemacht. Dabei blieb es aber. Man war sich der zu beschreitenden Bahnen ungewiß. Unter den Philantropen der »eueren Zeit (Mitte des 18. Jahrhunderts) war es Basedow, ein Hamburger, der den hohen erzieherischen Wert der Leibesübungen erkannt hatte und zu würdigen verstand. Sein eifrigstes Bestreben war die Verbesserung des Erziehungswesens der Schule, das viele Mängel aufwies. Der körperlichen Erziehung der Kinder vor allen Dingen muffe mehr Aufmerksamkeit zugewendet werden. 1774 errichtete Basedow in Dessau eine „Muster schule", deren Leiter er bis 1778 war. Unterstützt in seinen Bestrebungen von vielen Männern seiner Zeit blieben ihm aber, wie später auch dem Vater der deutschen Turnerschaft, Enttäuschungen nicht erspart. Ein Zeitgenosse Basedows, I. Fr. Guts Muths, führte als erster Turnlehrer Deutschlands das System des deut schen Turnens praktisch (Vieth theoretisch) durch. Der Turn sache war neue Bahn gebrochen. Die wahre Bedeutung der Turnsache für die Erziehung des Volkes, ihre wahre Lebensfähigkeit erhielt sie aber erst durch Jahn, den Turnvater der deutschen Turnerschaft! Wer kennt ihn nicht, den Alten im Barte? Jeder rechte Turner weiß seinen Lebcnsgang. Es gab einmal keine deutsche Turnsache mehr, 20 Jahre lang und mehr. Aber sie ist wiedergekomwen mit dem Er wachen des nationalen und politischen Lebens in Deutsch land, Anfang der zweiten Hälfte der vierziger Jahre. Da erwachte wieder der Sinn für Jahns Schöpfung. 1859 gab cs noch 100 Turnvereine, die sich erhalten hatten, worunter sich auch der Turnverein Waldenburg befand. Heute vereinigt die Deutsche Turnerschaft 7787 Vereine mit 808,525 männlichen und 39,765 weiblichen Mit gliedern. Die Zahl der Gaue beträgt nach der neuesten Statistik 290. Dabei gibt es immer noch 106 gaulose Vereine (einschl. der 34 deutschen Turnvereine im Auslande). Betrachten wir das allgemeine Ergebnis der Zählung in unserem XIV. Kreise. Zur Turnerschaft gehören im XIV. Kreise 1145 Vereine (26 Gaue) mit 132,105 männlichen Vereinsangehörigen über 14 Jahre. Die Zahl der Zöglinge betrug 24,026. Geturnt wurde an 114,641 Abenden mit 3,372,789 Teilnehmern, die Frauenabteilungen ausgeschlossen. Fraucnabteilungcn zählt unser Kreis 357 mit 11,771 Mitgliedern. Ins Heer eingetreten sind aus 1020 Vereinen 4980 Mit glieder. (Insgesamt ins Heer eingetreten sind von der deut schen Turnerschaft 30,260 Turner.) Nach den Erhebungen vom 1. Januar 1908 betrug die Zahl aller über 14 Jahre alten männlichen Vcreinsange- hörigen des Turnvereins Waldenburg 108. Davon Vereins angehörige über 17 Jahre 86, von 14—17 Jahren (steuer frei) 22. Ins Heer eingetreten find 4 Mitglieder (1904: 7, 1905: 6, 1906: 6). Leider nimmt die Zahl der im Verein turnenden weib lichen Mitglieder mehr und mehr ab. Seit dem 1. April 1905 turnten 18 Personen, heute sind es deren kaum 12. Obwohl im allgemeinen die Zahl der insgesamt turnenden Frauen und Mädchen, die der Turnerschaft angehören, in der letzten Zeit die gleiche geblieben ist, also kein Rückgang oder Fortschritt zu verzeichnen ist, so hat doch hierin Walden burg keine besonderen Verhältnisse. Eine Schuld an dem Rückgang ist weder dem Leiter, noch sonst Jemandem zuzu schreiben. Einzig und allein ist es die in Waldenburg Platz gegriffene unzutreffende Anschauung über die Verhältnisse. Vor der gemeinsamen Aufgabe der deutschen Turnerinnen sollten doch alle Standesunterschiede zurücktreten. Auf zum 11. Deutschen Turnfest nach Frankfurt a. M.l Nach den Vorerhebungen sind bis jetzt aus allen deutschen Turnganen rund 42,500 Festteilnehmer angemeldet. Die Zahl der tatsächlichen Festteilnehmer wird sich aber nach den gemachten Erfahrungen bedeutend erhöhen. Aus Sachsen sind vorläufig 5000 Turmer zur Teilnahme angemeldet. I« den Tagen vom 18. bis 22. Juli d. I. wird in Frankfurt a. M. ein Fest gefeiert werden, wie noch keins gefeiert wor den ist. Um, wie die „Deutsche Turnzeitung" sagt, endlich unsrer vaterländischen Turnsache die langverdiente Anerkennung als wichtiges nnd treues Glied in der Entwickelung der deutschen Volkskraft und Wehrhaftigkeit an höchster Stelle zu verschaffen, halte der Ausschuß einmütig beschlossen, Se. Majestät den deutschen Kaiser um Uebernahme des Protek torates über das Deutsche Turnfest in Frankfurt a. M. zu bitten. Der Kaiser hat von der Uebernahme des Protek torates abgesehen; dasselbe wird der Kronprinz voraussichtlich übernehmen, wozu der Kaiser sein Einverständnis ausge sprochen hat. Uebrigens hat Frankfurt schon einmal ein Turnfest über nommen, nachdem es zu übernehmen Berlin abgelehnt hatte. An dem Feste, das freilich durch die unglückselige Feuer werkskatastrophe einen traurigen Abschluß fand, beteiligten sich in den Tagen vom 24. bis 28. Juli 1880 über