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1. Mage M Zchönburger Tageblatt. .M 48. Ithtrische Kauernschlinken. Bon Theodor Hermann Lange. Rachdruck verboten. Nun braust auch das Dampfroß durch die weiten Ebenen und langen Gebirgsthäler deS unendlichen Sibiriens. Und binnen kurzem wird sich der Schienen ring vom Ural bis zu den Gestaden des Großen Oceans vollständig geschloffen haben. Schon seit einigen Jahren strömen freiwillig Tausende und Abertausende nach dem »Lande der Thränen und der Seufzer", wo in vielen Städten gleichsam über Nacht Hotels und Bazare in westeuropäischem Stile entstehen. Auch an den stroh bedeckten sibirischen Bauernkneipen rollt der Durchgangs eilzug MoSkau-Tscheljabinsk-Tomsk vorüber. Ob diese Bauernschänken wohl unter solchen Verhältnissen noch lange ihren ursprünglichen, eigenartigen Charakter tragen werden —? Eine sibirische Bauernschänke hat nichts gemein mit den Herbergen unserer Handwerker oder mit den bäuer lichen Wirthshäusern, die sich in den verschiedensten Gegenden Deutschlands und Oesterreichs so leidlich präsentiren. Man findet in den sibirischen Bauern- schä.iken keine Unterkunft, denn wer in Sibirien auf dem Lande zu übernachten gezwungen ist, schläft gegen eine geringe Vergütung im Heim eines bester gestellten Bauern. Am Fenster der sibirischen Bauernschänke steht auch im Sommer keine Blume. Der Gast, der hier vorspricht, erhält auch gegen die beste Bezahlung keinen Imbiß, kein Glas Thee, keinen Kaffee, sondern einzig Schnaps. Schnaps wird in den sibirischen Bauern- schänken von früh bis abend? allein verkauft. Aus schließlich Schnaps trinken die Männer, die im Sommer schon in der vierten Morgenstunde, bevor sie zur Feld arbeit gehen, in der Kneipe erscheinen, Schnaps trinken die Männer, Frauen und Kinder an den langen Winter abenden in denselben Lokalen, die allerdings an den Wochentagen spätestens um 10 Uhr geschloffen sein müssen. Die sibirischen Bau-.rnkneipen sind in der Hauptsache schuld daran, daß Sibirien noch heute Sibirien ist, daß die Bauern zum großen Theil Trunkenbolde und Faullenz-.r sind und daß die Zahl der Verbrecher in jenem fernen Lande noch eine so gewaltige ist. Schon die Concessionirung der Schänke ist die Ursache zahlreicher Trinkgelage. Denn der Branntweinausschank ist in Sibirien vorläufig, einige westliche Gouvernements ausgenommen, noch nicht Staatsmonopol. Will irgend Jemand in einem sibirischen Dorfe eine Schänke errichten, so beruft er zunächst eine Bauernvcrsammlung ein, trak- tirt die Bauern mit gewaltigen Mengen Schnaps und giebt dann Jedem noch einige Flaschen mit nach Hause. Angeblich wollen zunächst die Bauern und der Gemeinde vorsteher von der Errichtung einer Kneipe nichts wissen. Aber eine Anzahl Rubelscheine, die der Unternehmer bereit hält, bringen den Bauern eine höhere Einsicht bei und der Beschluß geht durch. Es wird vom Gmeinde- schreiber, der natürlich noch besonders bestochen werden muß, ein Schriftstück aufgesetzt, vom Schulzen gesiegelt und von den selbständigen Gcmeindemitgliedern unterkreuzt — da die meisten Bauern ja ihren Namen nicht schreiben können. Dann wandert daS Schriftstück durch mehrere behördliche Instanzen und bei jeder neuen Eingabe muß es mit verschiedenen Porträts russischer Herrscher ge schmückt sein. Am beliebtesten bei den russischen Beamten sind von jeher die Porträts der Kaiserin Katharina gewesen, sofern sie sich aus größeren Rubelnot.n be finden. Diese Bilder haben ja den Vorzug, daß die Beamten sie nicht einrahmrn brauchen zu lassen, sondern in der Brieftasche in nächster Nähe des patriotisch schla genden Herzens tragen können. Sobald alle behördlichen Formalitäten erfüllt sind, erscheint ein Abgesandter der Steuerbehörde im Dorfe und frägt die Bauern, ob sie für Hergabe ihrer Unterschrift Geld oder Geldeswerth angenommen haben? Natürlich wird diese GewiffenS- frage auf daS Bestimmteste verneint und nunmehr steht der Eröffnung der sibirischen Schänke nichts mehr im Wege. Der Schänkraum ist in zwei Theile getheilt. Hinter den Schanktisch kann aus dem Trinkraum nicht so leicht Jemand gelangen, denn der Schanktisch ist sehr hoch und mit einer Barriere versehen. Hinter dieser Barriere stehen die banderolirten Flaschen und liegen die Packete mit Cigarren und Cigarretten. Einzelne Cigarren und Cigarretten dürfen vom Wirth nicht verkauft werden, nur Packete von je 10 Stück. Für jedes angebrochene banderolirte Cigarren- oder Cigarrettenpäckchen sind min destens je 2b Rubel Strafe zu entrichten. An der Wand hinter dem Schanktische befindet sich das Patent und das Führungsattest des Wirthes. Die Möbel sind fest angeschraubt oder angcnagelt, um zu verhindern, daß sich die Gäste damit die Köpfe einschlagen. Trotzdem Sonntag, den 26. Februar finden in diesen Kneipen gewaltige Schlägereien statt und viele der Raufbolde ruhen nicht eher, bis sie dem Gegner auch den letzten Fetzen vom Leibe heruntergeriffen haben. In den sibirischen Kneipen darf der Wirth nur selber schänken, kein Personal halten, nicht einmal seine Kinder dürfen ihm beim Bedienen seiner Gäste Helsen und die Frau nur dann, wenn er selbst erkrankt ist In einem unterscheiden sich die sibirischen Kneipen von allen Knei pen der Welt. Der Gast muß nämlich sofort beim Eintritt bezahlen und dann erst wird ihm etwas verab reicht. Credit darf nach polizeilicher Bestimmung keinem Zecher gewährt werden. Creditgewährende Wirthe werden bestraft, verlieren im Wiederholungsfälle die Ausfchanks- berechtigung, Zechschulden können übrigens auch bei Ge richt nicht cingeklagt werden und die controlirenden Steuerbeamten nehmen fortwährend Haussuchungen nach Schuldbüchern für die Gäste, nach Bier, Wein und Tabak, welche die Wirthe nicht führen dürfen, vor. Aber auch in Rußland sind die Gesetze dazu vorhanden, um übertreten zu werden. Seine freie Zeit bringt der Sibirier nur in der Kneipe zu und betrinkt sich meist vollständig. Ist er aus demselben Dorfe, so hat er den Vorzug, daß ihn der Schänker nach Hause führen läßt. Die Betrunkenen aus fremden Dörfern muffen ihren Rausch unter der Bank ausschlasen. Natürlich holen auch sehr häufig die sibirischen Bauernweiber ihre Männer, wenn sie zu lange ausbleiben, aus den Kneipen ab. Erscheint eine solche Frau, meist nicht in rosiger Laune im Gastzimmer, so wird sie — entgegen den Gewohnheiten in Arbeiterkneipen anderer Länder — von dem Ehemann und seinen Zech genoffen mit größter Liebenswürdigkeit begrüßt. Man bittet in wohlgesetzter Rede die Frau Gevatterin, doch ein Gläschen mitzulrinken. Ihre Einwendungen und ärgerlichen Gegenreden prallen wirkungslos ab. Man überbietet sich in Zureden und Schmeicheleien, bis die gänzlich entwaffnete Evastochter das erste Gläschen mit trinkt. Nun ist schon der Bann gebrochen, auS dem einen Glase werden ihrer viele und dann sieht man Mann und Weib singend nach Hause taumeln. Oft kommt es aber vor, daß sie im Schmutz der Dorfstraße liegen bleiben, bis die Nachkommenden ihnen wieder auf die Beine Helsen. Die Schänkräume der sibirischen Kneipen sind Alles, nur nicht sauber. Der viereckige Bau besteht aus Holz, das Dach ist aus geschnittenen Brettern ausgesührt und die Thür des Schänkraums muß immer nach außen münden. Die kahlen Wände sind schwarz und schmutzig und bei Regenwetter liegt der Schmutz aus dem ge dielten Fußboden bis zu zwei und drei Zoll hoch. Hinaus gefegt kann er natürlich nicht werden. Er wird thatsächlich mit Spaten und Schlippen hinaus ge worfen. Die Wirthe dieser sibirischen Bauernschänkcn sind nicht selten ehemalige Berbannte, darunter auch hochgebildete Leute. Aber wenn irgend den Menschen die Verhältnisse abstumpfen, so ist dies in Sibirien der Fall, das unter der vollständigen Herrschaft des Schnapses steht. Ganser HMsktjM zum Hrästdeuteuwechsel. Von Georg Paulsen. Rachdruck verboten. Der Palast in den „Elysäischen Feldern" in Paris, wel cher der Wohnsitz des Präsidenten der Republik ist, liegt im schönsten Theil von Paris, an der ebenso prächtigen, wie interessanten Straße, die von dem Eintrachts-Platze an der Seine zu dem Triumphbogen führt, durch welchen man zum Boulogner Holz gelangt. Paris ist nicht reich an großartigen, gebietenden Palästen, aber übersät mit anmuthigen palais artigen Gebäuden, und dieses ganze Quartier, in welchem der Präsidentensitz liegt, ist damit bevölkert. Der Elysee-Palast ist mehr angenehm, als effectvoll, in mancher Beziehung wird er von der benachbarten russischen Botschaft übertroffen. Aber als es sich darum handelte, einen Amtssitz für das Oberhaupt der Republik zu schaffen, hatte man keine andere Wahl. Der alte französische Königspalast, der Louvre, eingeschachtelt in wenig ansehnliche Straßen, ist Museen- und Bureauzwecken gewidmet, die Ruinen des von Napoleon III. bewohnten und von den Communisten im Frühjahr 1871 niedergebrannten Tuillerien-Palastes sind von der Erde verschwunden, nachdem endgiltig von dem Wieder aufbau des Cäsarensitzes abgesehen war. Das alte Palais Royal, früher Wohnsitz der Orleans, paßt heute nicht mehr für einen solchen Zweck, in anderen Palais waren parlamen tarische Körperschaften rc. untergebracht, und so griff man zum Elysee-Palast, in dem allerdings Napoleon III. sich ebenfalls recht gern ausgehalten hat. Die Einrichtung des selben erfolgt auf Staatskosten. Jeder Präsident hat das Recht, und übt es auch aus, bei seinem Amtsantritt persönliche Wünsche sich erfüllen zu lassen. So kann ein Präsidenten wechsel allein in Folge von Neutapezirungen rc. im Präsidenlen- palaft Hunderttausende kosten. Bei Felix Faure's Amtsan tritt sind etwa 800,000 Mark für Renovirungen und Neu anschaffungen verausgabt worden. Wie schon oben angedeutet, liegt dicht beim Präsidenten palast der Concordien-Palast — m der großen Revolution stand hier an Stelle des heutigen Obelisks die Guillotine; 1899. daran stößt der Garten des einstigen Tuillerien-Palastes gegenüber liegt — auf der anderen Seite der den Platz be grenzenden Seine — das Sitzungsgebäude der unruhigenDepu- tirtenkammer, das Palais Bourbon (nicht weit davon in der Rue Lille die deutsche Botschaft) von hier führt die Ru» Royale zur Madeleine-Kirche, die eher wie ein Museum aus sieht, und zu den großen, menschengefüllten Boulevards. Am Platze steht unter den Standbildern der großen französischen Städte die mit Trauerflor ausgestattete Statue der Stadt Straßburg, ganz in der Nähe nach der Rue Rivoli zu dis Statue der Jungfrau von Orleans. Das ist das Terrain, auf welchem sich die Pariser Straßen skandale meist abspielen, die Mafien der Tumultuanten können sich entwickeln und der wenig rücksichtsvollen Polizei (mit unter will sie aber nichts sehen) einigen Widerstand leisten. Der jeweilige Präsident der Republik kann also die Stim mungen seiner Pariser genau verfolgen. Wird hier die Polizei des Spektakels Herr, so können sich die Massen im mer noch über die Seine fort in die wirren Gaffen des Studentenviertels und über die Boulevards fort in die ost recht unsauberen nördlichen Viertel werfen. Wer aus dem eleganten Paris der Boulevards, des Elyseeviertels und be nachbarter Quartiere herauskommt, wird überhaupt Augen machen. In jeder deutschen Stadt, die etwas auf sich hält, ist's saubrer. Vom Triumphbogen bis zum Concordien-Platze sind 1871 auch die deutschen Truppen marschirt. Der Bogen war da mals verbarrikadirt; die Unserigen marschirten herum. Auch heute ist für Wagen und Reiter der Zugang durch Ketten gesperrt, Fußgänger können passircn. Erst nach der Revanche soll Alles wieder frei sein. Aus dem eleganten Paris wendet sich der Weg, auf dem der Sarg des verstorbenen Präsidenten geführt ward, in den ältesten Theil der Stadt, über die Seine fort auf die Seine- Insel zur alten, weitberühmten Notre-Dame-Kirche, ein Denk mal längst entschwundener Jahrhunderte. Hier auf der Seine- Insel stand schon der Palast des späteren römischen Kaisers Julianus Apostata, hier zwangen ihn seine Legionen, den Purpur zu nehmen. Vor der Kirche erhebt sich ein Denk mal Karls des Großen, die Franzosen reclamiren ia gern „vbarloswaAno" als einen der Ihrigen. Nun, Denkmäler kann man errichten, aber nicht die Geschichte zerstören. In der Umgebung der Notre-Dame-Kirche ist in den letzten Jahren viel abgebrochen und geändert. Immerhin wird ein Deutscher, der in diese Viertel kommt, noch reichlich oft Ge legenheit haben, die Hände üver den Kopf zusammenzuschlagen. Das Gleiche gilt vom Norden. Auf dem Montmartre und am Kirchhos Psre Lachaise wurden im blutigen Mai 1871 die Communisten Hundertweise, an eine Mauer gestellt, niedergeschofsen. Präsident Faure will auf dem Psre Lachaise ausruhen. Der Tod giebt Allen gleiches Gastrecht. Aus Sem Guchseulande. — Aus dem Königreich Sachsen sind im letztver- stoffenen Jahre 1068 Personen ausgewandert und von deutschen Häsen aus über See befördert worden, darunter waren nur 418 weiblichen Geschlechts. Alle bis aus 3 fuhren über Bremen oder Hamburg. Von ihnen gingen die allermeisten, nämlich 803, nach den Vereinigten Staaten von Amerika, 7 nach Britisch Nordamerika, 3 nach Mexiko und Centralamerika, 4 nach Westindien, 61 nach Brasilien, 68 nach Argentinien, 2 nach Peru, 9 nach Chile, 7 nach anderen südamerlkanischen Staaten. Nach Afrika wanderten aus 68, darunter 28 weibliche Auswanderer, nach Asien 11, nach Australien 25. Ver- hältnihmäßig groß erscheint die Zahl der Sächsinnen, die nach Afrika ausgewandert sind. — Der Bundesbezirk Glauchau des Kgl. Sachs. Mili- tärvereinsbundeS begeht in diesem Jahre sein 25jährigeS Jubiläum und wird aus diesem Anlässe Sonntag, den 11. Juni in Hohenstein-Ernstthal die Bezirksvcrsammlung mit einer Jubiläumsfeier verbinden. Zu dieser Feier wllen auch die Damen der Kameraden eingeladen werden. Die Vorbereitung des Festes ist vom Bezirke einem be sonderen Ausschüsse übertragen worden. — In der Löbtauer Landfriedensbruchsache vertheidigt sich jetzt das osficielle „Dresdner Journal", das seiner Zeit den Thatbestand nach der Anklageschrift seststellte, gegen die Angriffe der socialdemokratischen Presse. Zum Schluffe der Richtigstellung heißt eS: Nachdem wir hier mit unser letztes Wort zum Löbtauer Falle gesprochen haben, bemerken wir noch, daß Diejenigen, die sich aus Anlaß dieses Falles beleidigendcr Angriffe auf das „Drsd. Jour." schuldig gemacht haben, sich hierfür an Gerichtsstellc zu verantworten haben werden. — Die vorläufig festgestellten Einnahmen der Säch sischen Staatseisenbahnen im Monat December 1898 betragen 10,192,153 Mk. (-f- 102,487 Mk.), wovon 2,801,835 Mk. (-s- 190,780 Mk.) auf den Personen- verkehr, 6,166,011 Mk. (— 157,345 Mk. auf den Güterverkehr entfallen; aus sonstigen Quellen stammen 1,224307 Mk. (-j- 69,052 Mk.). Die Gesammtein- nahmen vom 1. Januar bis 31. December v. I. be tragen 125,816,114 Mk. (-s- 6,874,518 Mk.). Hier zu trugen der Personenverkehr 31,396,288 Mk. (-s- 2,318,409 Mk), der Güterverkehr 74,444,407 Mk. (-1- 3,400,247 Mk), sonstige Quellen 13,975,419 Mk. (-s- 1,155,862 Mk.) bei. — Die Ständeverfammlung hatte aus dem letzten Landtag eine Revision der Sächsischen Baugesetzgebung