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liche Waffe, daß sie deren Einführung auch für ihre Armee vornahmen. Es ist demnach schlechterdings nicht anzunehmen, daß unsere Armeevcrwaltung eine Abschaffung der Lanze planen sollte. Zwischen Rußland und Deutschland sind bekannt lich in Tariffragen Reibungen entstanden, die mög licherweise zur Widereinführung des Verbotes der Be leihung russischer Staatspapiere durch die deutsche Reichs bank führen können. Gewisse, namentlich englische Blätter überschätzen geflissentlich die bestehenden Schwierigkeiten. Diese Blätter glauben, wie der russische „Nord", an scheinend inspirirt, hervorhebt, daß daraus eine Störung des Einvernehmens folgen könne, das für die russisch französische und die deutsche Politik im Orient maßgebend ist. Demgegenüber erklärt der „Nord", daß diese Schwie rigkeiten, sofern sie vorhanden sein sollten, gar keinen Einfluß ausüben können auf das in so glücklicher Weise hergestellte Einvernehmen der festländischen Mächte in allem, was auf die armenische Frage und die Unruhen in Konstantinopel Bezug hat. Der Mitarbeiter eines Berliner Blattes hat Herrn v. Wißmann besucht und fragte ihn u. A., ob er die über Friedrich Schöder in erster Instanz verhängte Strafe billige. Wißmann erwiderte, daß er Schröder für geistig gestört halte. Herr von Wißmann kennt ihn, beiläufig bemerkt, seit langer Zeit und seine Annahme ist demnach jedenfalls beachtenswerth. Der Bundesrath ist für Anfang October cinberufen worden. Auf der Tagesordnung stehen zunächst die Handwerkervorlage und die Novelle zum Arbeiterversiche rungsgesetz, sowie einige kleinere Vorlagen. Der Colonialrath wird außer dem Colonial-Etat auch über Maßregeln zur Abschaffung der Haussklaverei in den Schutzgebieten, zur Regelung der Strafrechtspflege dortselbst und zur Vorbildung der Colonialbeamten zu berathen haben. Ueber die plötzlich seitens der russischen Regierung verfügten Zollerhöhungen Deutschland gegenüber mel det die „Köln. Ztg." aus Petersburg: In weitesten russischen Kreisen bespreche man die Maßregeln mit recht abfälliger Kritik, man empfindet die Rücksichtslosigkeit der russischen Finanzverwaltung, welche vollständig gegen die sonst übliche Art der Verhandlungen zwischen zwei Groß- staaten verstoße, und befürchte deutsche Gegenmaßregeln. Selbst anerkannt deutschfeindlichen Blättern erscheine jede Verhetzung der Heiden Nachbarstaaten in diesem Augen blicke peinlich. „Die „Germania" ereifert sich über eine angebliche Aeußcrung des Prof. Fricke aus Leipzig auf der Des sauer Hauptversammlung des Gustav-Adols-Vereins als Antwort an die Waldenser: „Der König Humbert ist ja Protestant." Ob die Aeußerung so gefallen ist oder nach Wortlaut und Zusammenstellung anders, wis sen wir nicht; das Stenogramm der Versammlung wird das zeigen. Aber jeder Unbefangene und Urtheilsfähige sieht, daß das Wort, wenn es gebraucht worden, nicht als Confessionsbezeichnung zu verstehen ist, sondern ideell. Ein König, der seinem Reiche volle Gewissensfreiheit giebt, was nur protestantisch ist, ein König, der, obgleich Katholik wir auch der Kaiser von Oesterreich, alle con fessionellen Denominationen seines Landes mit gleicher Güte und Gerechtigkeit gesegnet, ein König, der erst vor Kurzem in Turin und in den Thälern Savoyens selbst die Waldenser empfing, aufgesucht und öffentlich gelobt hat wegen ihrer heldenmüthigen Treue, ihres Glaubens und wegen ihrer hervorragenden Ergebenheit für ihren König und für das Vaterland Italien, der ist nicht ul tramontan katholisch, sondern hat einen tiefprotestantischen Zug, und das war jedenfalls der Sinn ver Fricke'schen Aeußerung und die Freude der ganzen Welt, die Dul dung und Frieden will. Der Frauencongreß in Berlin erörterte am Mitt woch die Frage der Thätigkeit der Frau in Handel, Industrie und Gewerbe. Frau Lilli Braun-Berlin ver suchte dabei unter Beifall und Zischen socialdemokratische Propaganda zu machen. ^)eMerrei«L;-Ung« «n. In der Werkstätte der Staatseisenbahngesellschaft in Prag ist ein Ausstand ausgebrochen. Die in Wien Angestellten dieser Gesellschaft, welche von den Prager Genoffen aufgefordert worden sind, ebenfalls in den Ausstand einzutretcn, haben erklärt, sie würden das Er gebniß der Unterhandlung abwarten. Im Fall eine Einigung nicht erzielt würde, würden die Wiener Ange stellten sich dem Ausstande anschließen, andernfalls wür den dieselben die Arbeit wieder aufnehmen. Großes Aufsehen erregt in Wien die plötzliche Pen- sionirung des Directors des naturhistorischen Hof museums, Or. Aristides Brezina. Man bringt dieselbe mit seinen socialistischen Verbindungen in Zusammenhang. Die Socialdemokraten beabsichtigen, Brezina mit einem Reichsrathsmandat zu betrauen. Frankreich. Kaiser Nikolaus genehmigte endgiltigdas Programm für den Empfang und die anläßlich der Anwesenheit des Herrscherpaares zu veranstaltenden Festlichkeiten. Der Aufenthalt des russischen Kaiserpaares in Frankreich ist auf 5 Tage, vom 5. bis 9. October, berechnet. Das bereits veröffentlichte Gesammtprogramm hat gleichfalls die Zustimmung des Kaisers gesunden. Die einzige Ab änderung ist, daß der Kaiser am 7. October den Grund stein zu der Brücke legen wird, welche das vornehmste Bauwerk der Ausstellung im Jahre 1900 bilden wird. Die Brücke wird den Namen Alexander III. führen. Der „Figaro" veröffentlicht einen Brief Gladstone' s, worin dieser einem Mitarbeiter des Blattes versichert, er halte den Sultan für die jüngsten Gemetzel allein für verantwortlich und sei überzeugt, es würden noch weitere Unthaten solgen, bis der Sultan hierdurch alle Aussichten verloren haben werde, seinen Thron zu behaup ten. Er, Gladstone, habe sich stets bemüht, die Ein- müthigkeit Europas mit der Türkei herzustellen. Die geringen Reformen der letzten 26 Jahre seien aber nicht durch Europa, sondern trotz Europa erreicht. Gladstone erörtert das selbstständige Eingreifen Rußlands im Jahre 1870 und das Frankreichs im Jahre 1840 zu Gunsten Egyptens. Die Pariser Blätter bequemen sich zu dem Eingeständ- niß, es sei jetzt erwiesen, daß die diesjährigen franzö sischen Manöver nutzlos gewesen seien. Eine radi- cale Abänderung sei nothwendig, und, wie verlautet, auch geplant. England. Ter Zug mit den russischen Majestäten traf am Mittwoch kurz nach 7 Uhr abends in Ballater ein. Nach der Begrüßung durch die Gemeindebehörden bestiegen der Kaiser und die Kaiserin, der Prinz von Wales und der Herzog von Connäught die Wagen zur Fahrt nach Schloß Balmoral. In diesem Augenblicke flammten auf den umliegenden Bergen Frcudenfeuer auf, die weithin leuch teten. Gegen 8 Uhr traf ein reitender Bote auf Schloß Balmoral ein, welcher das Nahen der russischen Majestä ten meldete. Kurz vor dem Schlöffe hatten sich die Frei willigen des Ortes, ein Detachement der Scots Greys, sowie Hochländer aufgestellt, welche Fackeln trugen und die Sackpfeife spielten. Als die Wagen vor dem Schlöffe angekommen waren, erschien die Königin Victoria an der Thür zur Begrüßung, die eine sehr herzliche war. Wäh rend der Begrüßung der hohen Herrschaften schwenkten die Hochländer ihre Fackeln über den Köpfen. Trotz des schlechten Wetters, das sich erst im Augenblicke der An kunft vor dem Schlosse aushellte, legten der Kaiser und die Kaiserin die ganze Strecke von Ballater bis zum Schlosse im offenen Wagen zurück. Die Blätter feiern das Jubiläum der Königin, welche am 23. d. die längste Regierungszeit aller engli schen Herrscher übertrifft, in enthusiastisch gehaltenen Glückwunschartikeln. Eine offizielle Feier findet auf Wunsch der Königin nicht statt. Türkei. Wie aus Konstantinopel gemeldet wird, verschlechtert sich die Lage im mittleren und südlichen Makedonien. In der letzten Zeit haben vier thessalische Aufrührer banden die Grenze überschritten. Die täglich stattfinden den Kämpfe verlaufen für die Freischärler gleich ungün stig. Bei Florina erlitten die türkischen Truppen eine Schlappe. Der Wali von Saloniki hat Verstärkungen erbeten. In den nächsten Tagen sollen 8 Bataillone aus Kreta in Saloniki eintreffen. Die Behörden von Elaffona haben zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. In der Kirche des armenischen Viertels der Vorstadt Haskjöi soll nach türkischen Angaben in Zwischenräumen einer Doppelmauer eine große Menge von Waffen und Munition aufgefunden worden sein. Wie aus amtlichen türkischen Quellen verlautet, ent behren die Darstellungen englischer Blätter, als ob die Armenier oder gar alle Christen in der Türkei in näherer Zukunft einen Ueberfall seitens der Muhame- daner zu gewärtigen hätten, jeder Begründung und gelten hier als böswillige Ausstreuungen. Ebenso unbe gründet seien die Behauptungen englischer Blätter, daß die aus der Hauptstadt in die Heimat gesandten Armenier in Waffen ermordet uud die verhafteten Armenier von den Polizeiposten systematisch mißhandelt worden seien. Rutzi-rud. Der Petersburger Correspondent der „Köln. Ztg." meldet, daß während der Anwesenheit des Zaren in Wien und Breslau von diesem eine Menge wichtiger Verän derungen im Offiziercorps, sowie in verschiedenen Ministerien angeordnet worden seien. Feuilleton. Das Geheimnitz des Pavillons. Criminalnovelle von Theodor Hermann Lange. (Fortsetzung.) An den Wänden standen mehrere alterthümliche Schränke und die breiten Treppenstufen, welche wir Hinaufstiegen, waren mit abgenutzten Teppichen belegt. Oben ange langt, traten wir in ein Zimmer ein, dasselbe, an dessen Fenster ich den Alten zuerst bemerkt hatte. Die Möbel, welche arg bestaubt waren, verdienten kaum noch diesen Namen. Vollständig wurmstichig, drohten sie schon bei leichter Berührung in sich zusammenzubrechen, und der Aufforderung, Platz zu nehmen, folgte ich aus diesem Grunde nicht. Wie ich erfuhr, fungirte der Alte erst seit einem Jahre als Kastellan in dem übrigens sonst unbewohnten Hause. Der jetzige Besitzer, ein Herr von Brandenfells, der auf seinen Gütern in Oesterreichisch- Schlesien lebte, hatte es von einem nahen Verwandten, der hier als Junggeselle und Menschenfeind seine Tage beschlossen, geerbt. Herrn von Brandenfells war es je doch bis jetzt nicht möglich gewesen, für dasselbe einen Käufer zu finden. Der Alte hatte unterdessen einem Schranke ein Schlüssel bund entnommen und hieß mich, ihn durch den Garten nach dem Pavillon, der sich am äußersten Ende desselben befinden sollte, zu begleiten. Nachdem wir die steinerne Treppe herabgestiegen waren und durch die Hinterthür das HauS wieder verlaffen hatten, schritten wir zuerst durch einen wohlgrpflegten Gemüsegarten, den ein höheres Stocket von dem großen in vollständiger Unordnung be findlichen Garten, dem sogenannten Parke, trennte. Die Wege waren mit Unkraut bewachsen, der Buchsbaum schien schon seit Jahren mit der Scheere keine Bekannt schaft mehr gemacht zu haben, auf den Rasenplätzen wucherten Disteln und Nesseln. Von einem dichten Kranz stattlicher Kastanien umgeben, stand der Pavillon am Ende des Parkes, etwa gegen dreihundert Schritte vom Wohnhause entfernt. Ich war nicht wenig erstaunt, ein Gebäude vor mir zu sehen, das noch keine zehn Jahre alt sein mochte und auf jeden Beschauer einen anheimelnden Eindruck aus üben mußte. Der Pavillon enthielt drei Zimmer, eines zu ebener Erde und zwei eine Treppe hoch. Das Dach war platt und des Morgens sowie des Abends ein an genehmer Aufenthalt. Die Zimmer waren neu möblirt und durch die Kastanienbäume vor den Strahlen der Sonne geschützt. Der Preis, welchen der Alte für die Zeit von zwei Monaten als Miethe forderte, war eine sehr niedriger, so daß ich schnell mit ihm Handels einig wurde und schon für die nächste Woche meinen Einzug versprach. Etwa eine Stunde später befand ich mich wieder in meiner Wohnung in Berlin, die mir jetzt allerdings doppelt unausstehlich erschien. Die nächsten Tage widmete ich noch der Besorgung verschiedener kleiner Geschäfte, packte meine Bücher und Sachen zusammen und bewerk stelligte dann zur festgesetzten Zeit meinen Umzug, der glücklich von Statten ging. Ich fühlte mich in meiner neuen Behausung gleich vom ersten Tage an heimisch. Die Ruhe, welche mich von allen Seiten umgab, wirkte vortheilhaft auf Körper und Geist, ja sogar noch weit schneller als ich gehofft, schritt meine Arbeit vorwärts. Mein Studir- und Wohnzimmer befand sich eine Treppe hoch, das im Erdgeschoß gelegene Zimmer benutzte ich nicht. Von der Welt bekam ich rein gar Nichts zu sehen. Nach dem Wohnhause hin versperrten die Bäume jede Aussicht und nur von einem Fenster des an meine Arbcitsstube stoßenden Zimmers konnte ich über die an dieser Seite sehr niedrige Park mauer blicken. Aber da bot sich jedenfalls nicht das Geringste dar, war mich hätte fesseln können. Felder, vom nahen Walde begrenzt, schloffen sich hier an den Park an und auf dem einsamen Wege, welcher diese Aecker durchlief, zeigte sich selten ein Mensch. So nahe ich einer Großstadt auch war, ich sührte hier ein Leben, als wenn ich meilenweit von jedem menschlichen Wesen entfernt wohnte, ein Ein siedler hätte sicher keinen ungestörteren Ort sich wählen können. Mit dem Alten kam ich nicht allzuviel in Be rührung und auf meine wiederholten Fragen, aus welchem Grunde der Pavillon ein so modernes Innere und Aeußere trage, das mit seiner übrigen Umgebung gar nicht Har moniken wolle, erhielt ich nie die gewünschte Aufklärung, denn die Angaben des Alten waren so kurz, unzusammen hängend und theilweise verworren, daß ich es zuletzt auf gab, ihn weiter zu befragen. Nur so viel hatte ich aus ihm herausgeholt, daß der frühere Besitzer in einer Stunde, in der sein Menschenhaß erloschen sein mußte, den Ent schluß gefaßt hatte, sein altes Haus abbrechen zu lassen und in der Zeit des Neubaues sich in dem Pavillon aufzuhalten, den er zu diesem Zwecke hatte aufführen lassen, da er sich bei fremden Leuten einzumiethen ent schieden geweigert hatte. Es war jedoch diese Idee von keiner Dauer gewesen, denn er hatte sein alteS Haus nie verlaffen. Kurz vor dem Tode des Griesgrams hatte ein armer Verwandter von ihm den Pavillon einige Zeit bewohnt, aber auch dieser hatte wieder den Aufent halt unter Menschen vorgezogen. Das war das Ganze, was ich über den Pavillon in Erfahrung bringen konnte. Nach Berlin mußte ich zwar öfters fahren, um in den Bibliotheken diese oder jene Autorität zu befragen, aber im Uebrigen hielt ich mich nie in der Residenz auf, sondern kehrte schnell wieder nach meiner Einsiedelei zurück. Ein kleiner Vorfall unterbrach mein stilles Dasein. Ich bemerkte nämlich, nachdem ich ungefähr 14 Tage den Pavillon bewohnt hatte, daß auf dem einsamen Feld weg bisweilen ein junger und höchst eleganter Reiter auf- und abritt, und stets seine Augen auf dem Park und auch auf meiner Wohnung ruhen ließ. Bisweilen nahm der Reiter auch ein Augenglas zur Hand, um, wie eS schien, diesen oder jenen Gegenstand mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten. (Fortsetzung folgt.)