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Entwurf auf und stehe fomit ganz aus dem Boden der christlichen Religion. Durch den zweiten Beschluß der Commiision sei schließlich eine Jnconsequenz in das Ge setzbuch gekommen. Bei den Bestimmungen über Testa mentserrichtung in den Fällen, wo Notar oder Richter nicht mehr zu erreichen sind, ist der Entwurf von der Annahme ausgcgangen, daß es ein privatschriftliches Testa ment nicht gebe. Würde ein solches zugelassen, so könnten jene Bestimmungen, so wie sie jetzt lauten, unmöglich bestehen bleiben. Der Verwaltungsrath der Siedelungsgesellschaft für Südwestafrika hat die Entsendung des Marinestabs arztes a. D. Sander nach Deutsch-Südwestafrika be schlossen und die Gelder zur Anlage von drei Muster farmen bewilligt, von denen zwei bei Windyoek und eine etwas weiter entfernt bei Doornfontein angelegt werden sollen. Ferner soll in Swakopmund ein Unter kunstshaus für Auswanderer, in dem auch zugleich die kaiserliche Post untergebracht werden soll, erbaut und durch Einstellen von mehr Wagen der Verkehr mit Wind hoek erleichtert werden. Ueber den neuen französischen Botschafter am Berliner Hofe, den Marquis de Noailles, hatte sich der „Hamb. Corr." in einem längeren Artikel sehr warm ausgesprochen und seine Ernennung als einen Erfolg der deutschen Diplomatie gefeiert. In den „Neuesten Nachr.", dem Berliner Organ des Fürsten Bismarck, wird dem gegenüber bemerkt, daß es jedenfalls ganz ungewöhnlich sei, den Botschafter einer fremden Macht und zumal Frankreich, in einer solchen Weise zu feiern, noch bevor er einen Fuß nach Berlin gesetzt hat. Im Großen und Ganzen paßt die Ernennung des Marquis de Noailles ganz in die augenblickliche Situation hinein, erwähnt mag noch werden, daß auch von der Ernennung des Prinzen von Arenberg, Pariser Deputaten, eines Vetters des deutschen Reichstagsabgeordneten Prinz Franz von Arenberg, zum Botschafter in Berlin die Rede ge wesen sein soll. So heißt es im „Hamb. Corr." weiter. Darauf wird in den „Neuesten Nachr." entgegnet: Wäre Fürst Bismarck noch an der Spitze des Geschäfts, so würde der Marquis de Noailles mit seinen polnischen Velleitäten (Anwandlungen) wohl nicht Botschafter in Berlin geworden sein, zumal bei der gegen Herrn Her bette gerichteten Action, vielleicht auch bei der Wahl seines Nachfolgers, eine gewisse klerikal-polnische Ecke unserer hohen Aristokratie stark mitgearbeitet zu haben scheint. Ob es sich bei der kurzen Amtsdauer französischer Mini sterien und der absoluten Abhängigkeit der französischen Politik von Rußland der Mühe verlohnt, sich über die Ansichten des französischen Ministers des Auswärtigen Hanotaux, der überdem ausgesprochen englische Neigungen haben soll, weiter den Kopf zu zerbrechen, möge dahin gestellt bleiben. Zum Jnkraftsetzen der Verordnung des Bundesraths bezüglich der Arbeitszeit in den Bäckereien und Conditoreien werden bereits alle Vorbereitungen ge troffen. Es werden zwei Tafeln hergestellt, die an die Besitzer von Bäckereien und Conditoreien zur Vertheilung gelangen sollen. Auf der einen dieser Tafeln sind die Ueberstunden, die gemäß der erwähnten Bundesrathsbe- stimmung über den festgesetzten Maximalarbeitstag hinaus gemacht werden dürfen, mit Durchlochung oder Unter ¬ streichung mit Tinte kenntlich zu machen. Die andere Tafel enthält die in der bundesrathlichen Verordnung getroffenen Bestimmungen über deu Maximalarbeitstag. Beide Tafeln sind vom 1. Juli d. I. ab in den Bäcke reien und Conditoreien derart anzubringen, daß die An gestellten mit Leichtigkeit von ihren Inhalte Kenntniß zu nehmen im Stande sind. Das Zuckersteuergesetz, sowie das Gesetz zur Be kämpfung des unlauteren Wettbewerbs, das Gesetz, betr. den Abgabentarif für den Kaiser Wilhelm-Kanal, sowie die Verordnung, betr. die Kautionen der bei der Militär- und Marineverwaltung angestellten Beamten sind nun mehr im Reichsgesetzblatt zur amtlichen Veröffentlichung gelangt. Der Vorstand der deutschen Colonialgesellschast behandelte in seiner in der deutschen Colonialausstellung zu Berlin unter Vorsitz des Herzogs Johann Albrecht zu Mecklenburg abgehaltenen Sitzung wesentlich interne Angelegenheiten. Von allgemeinerem Interesse ist folgen der Antrag, welcher angenommen wurde: Der Vorstand wolle für Inangriffnahme der erforderlichen Vorarbeiten zur Lösung der Bewässerungsfrage in Südwestafrika 20,000 Mark unter folgenden Bedingungen bewilligen, daß 1., die erwähnten Vorarbeiten sich nicht auf ein bestimmtes Project erstrecken, sondern im Allgemeinen auf die Frage, wie die Bewässerung Deutsch-Südwest afrikas nach den Erfahrungen, welche man in der Kap- colonie gemacht hat, am zweckmäßigsten einzurichten ist, daß 2., die kaiserliche Regierung sich an den Kosten des Unternehmens ebenfalls, und zwar mit einem Betrage von mindestens 20,000 Mark betheiligt, daß 3., der Colonialgesellschaft im Falle der Bildung einer Gesell schaft für die Bevölkerung Südwestafrikas Antheilscheine in Höhe des geleisteten Beitrages gewährt werden. Da gegen wurden alle Anträge auf Schaffung eines deutschen Colonialhauses zum Zwecke des Betriebes der aus den deutschen Colonien stammenden Producte nach längerer Debatte abgelehnt. In der Generalversammlung der deutschen Colonialgesellschaft lag zunächst ^in Antrag vor, daß die Colonialgesellschast sich selbst an colonialen Unter nehmungen solle betheiligen können; der Antrag wurde angenommen. Die Gewerbedeputation des Berliner Magistrats hat den Erlaß eines Ortsstatuts beschlossen, durch welches die Krankenversicherungspflicht auf die Hausin dustrie ausgedehnt wird. Polnisch-socialistische Parteikneipen, deren es bis vor Kurzem nur 2 gab, haben sich in Berlin in letzter Zeit stark vermehrt. Sie sind schlimme Heim stätten polnisch-socialistischer Agitation. »OMerreih»LLng»»n. Trotzdem die osficiellen Beziehungen zwischen Oester reich und Ungarn die denkbar besten sind, vertragen sich doch ganze Volksschichten der beiden Reiche nicht bester wie Katze und Hund mit einander. Daher kam es nicht nur, daß österreichische national-antisemitische Studenten unlängst laute Demonstrationen gegen die un garische Millenniumsfeier erhoben, sondern darauf ist auch die heftige Debatte im Abgeordnetenhause zurückzu- sühren, die sich über die Maßregelung der betreffenden Studenten entwickelte. Besonders war es der bekannte Or. Lueger, welcher sich in sehr heftigen Angriffen gegen Ungarn erging und hervorhob, daß sich die gemaßregelt ten Studenten bei ihren Demonstrationen nur in Wah rung ihres guten Rechtes befunden hätten. Die Regie' rung hätte sich gegen die Millenniumsfeier neutral ver- halten müssen; wer österreichischen Patriotismus habe, dürfe nicht zur Ausstellung nach Budapest gehen. Jeder Deutsche, der mit den Judomagyaren paktire, sei ein Verräther an der Nation, nichtswürdig und ehrlos. Der Regierungsvertreter wandte demgegenüber ein, daß die Regierung ihr Verhältniß zu Ungarn durchaus loyal äuffaste und nichts zulasten könne, was die freundschaft lichen Beziehungen zu stören geeignet sei. Alle Millen- niumsfeierlichkeiten gipfelten in der Huldigung für den Monarchen und fanden im Beisein der Vertreter sämmt- licher befreundeten Mächte statt. Die Negierungsauffas sung trug schließlich den Sieg davon. So unerfreuliche Debatten aber, wie die beschriebene, werden sich leider noch oft, und wie zu erwarten steht, in nach verschärfter Weise abspielen. Frankreich. Kein andres Land giebt bereitwilliger und mehr Geld für seine Armee aus, als Frankreich. Gegenwärtig plant der französische Kriegsminister eine Verjüngung des Offizierbestandes des Heeres in großem Maßstabe. Die Altersgrenze soll um mehrere Jahre herabgesetzt werden. Dies giebt natürlich eine große Menge von Pensionen, die das Budget stark belasten müssen; aber der Kriegsminister kann sicher sein: man bewilligt ihm, was er verlangt im Interesse der Schlagfertigkeit des Heeres mit an Einstimmigkeit grenzender Majorität. Der Ministerrath beschloß, am Sonnabend in der Kammer eine Vorlage einzubringen, welche Madagas kar von jetzt ab als französische Colonie erklärt. Die Vorlage bezweckt, den internationalen Schwierigkei ten ein Ende zu setzen. Es wird keinerlei Veränderung in der Regierung und in der inneren Verwaltung der Insel herbeigesührt. Die französischen Gesetze werden nach der erfolgten Erklärung in Madagaskar zur An wendung gelangen. Die Königin behält ihren Titel, so wie die mit ihrer Stellung verbundenen Vortheile und Ehrenrechte unter der Souveränetät Frankreichs. Äutztand. Auf dem Chodynskyfelde bei dem Petrowsky-PalaiS in Moskau waren seit Freitag Abend mehrere hundert tausend Menschen versammelt, um an der Vertheilung der Gedenkkrüge und Speisen am Sonnabend theilzu nehmen. Als die Vertheilung begann, entstand ein fürchterliches Gedränge, wobei 331 Männer, Arauen und Kinder erdrückt und 459 verwundet wurden. Der Kaiser läßt 1000 Rubel an jede verwaiste Familie zahlen und die Begräbnißkosten auf feine Rechnung nehmen. (Vergl. Telegr.) Türkei. Wegen der Vorgänge auf Kreta scheint ein ge meinsames Vorgehen der Mächte erfolgt zu sein, da ein über Paris eingegangnes Telegramm zu berichten weiß, daß das Vorgehen der Mächte auf Kreta im Ein vernehmen mit dem Sultan geschehe und die Pforte dabei mitwirke. Diese Thatsache habe die Beruhigung herbeigesührt, die sich auf Kreta zu zeigen beginne. Bei den Kretensern selbst scheint die Ueberzeugung von der Ohnmacht der Pforte vollkommen festzustehen, sie lehnten Feuilleton. Eine vornehme Mau. Roman aus der Neuzeit von Karl Wartenburg. (Schluß.) Epilog. Die Todtenvögel kreisen in weiten Zügen über ein blutgetränktes Gefilde. Golden scheint die Sonne und in ungetrübter Bläue wölbt sich der Himmel über dem Schlachtfeld von Men- tana. Da liegt sie auf zerstampfter Matte die todes wunde Jugend Italiens, die dem Rufe des großen Pa trioten von Caprera gefolgt war. Furchtbar hat jenes Gewehr, welches das Oberhaupt Roms gesegnet, unter ihr gewüthet. Wie die Aehren, welche die Sense deS Schnitters ge troffen, so liegen sie hingemäht in langen Reihen und aus der zerschossenen Brust sickert langsam das rothe Blut, während die Wangen immer bleicher, die Züge immer starrer und die Augen immer umflorter werden. Pupurn glänzt es im Grase; es ist die Schwester der Rose von Puebla, die da emporschießt, das blutigrothe Vergißmeinnicht von Mentana. Wie der heisere Schrei der Todtenvögel herunter tönt zu den sterbenden Kindern Italiens! Wo das Aas ist, da sammeln sich die Adler. Dort oben im Strahl der Abendsonne glänzen die Adler Frankreichs und unter ihrem Fittich schreibt Frankreichs General: Das Chassepot hat sich vortrefflich bewährt. Bei Gott, das hat eS, diesen armen, schlechtbewaffne ten Knaben gegenüber, die mit nackter Brust sich in die Bajonette der französischen Regimenter stürzten. Dort liegt auch einer im Grase, dem das Blei des Chassepot die Brust zerrissen. Er starrt hinauf zur Sonne, während die Linke sich krampfhaft in den Nasen eingewühlt hat und seine Rechte auf der zerschossenen Brust ruht. Seine Zunge klebl an seinem Gaumen, die furcht baren Qualen des Durstes auf den Tod Verwundeter peinigten ihn. Und niemand, der ihm einen Tropfen Wasser reicht. Der Aasgeier dort oben, der über seinem Haupte schwebt, das einzige lebende Wesen in seiner Nähe. Da, horch, da raschelt es dicht an seinem Ohre. Eine dunkle Gestalt im Ordensgewand der Jesuiten schlägt das Buschwerk zurück und beugt sich über den Sterbenden. „Wasser" stöhnt der zum Tod Getroffene, ein junges, italienisches Blut, ein Knabe von kaum sechzehn Jahren, und seine Blicke heften sich gierig an die Feldflasche, die an einer Schnur von der Schulter des Priesters hängt. Es ist einer der Feldprediger, deren mittelalterlicher Fanatismus die Soldaten des Vatikans zu jenen Gräuelthaten ausstachelte, die den Tag von Mentana zu einem der geschändetsten in der Geschichte der Menschheit machen. „Wasser . . ." stammelt noch einmal die trockene, brennend heiße Lippe des Ver wundeten. Der Priester streckt ihm das Kruzifix entgegen. „Thue Buße und beichte . . . Der Zorn des Herrn ist auf die Rotte Corah gefallen und wird sie vertilgen, wie Feuer die Stoppeln." Oh! das sind die düsterglühenden Augen des Pater Augustin aus der Kirche St. Eustache zu Paris, das ist dieselbe unheimliche Stimme, die einst zu Clotilde das grausame Wort über Klärchen sprach und das Kind ein Kind der Sünde nannte. Und zum dritten Male murmelt der Mund des Ster benden: „Waffcr . . ." und die ganze Kraft feines Lebens sammelt sich in seinen Augen, die an der Feld flasche des Priesters hängen. „Erst thue Buße und beichte, auf daß Du nicht da hinfährst als ein abgefallener Jerobeam, der sich auflehnte gegen die heilige Ordnung Jehovahs." Eine Fluth fanatischen Zornes strömt aus dem Munde des Priesters, dessen Hand daS Bild des Gekreuzigten hält. O, welche Gräuel hat das Bild des Erlösers nicht schon sehen müssen, welche Schandthaten sind in seinem Schatten verübt worden. „Thue Buße — und ich will Dir das Wasser deS ewigen Lebens reichen", spricht der Priester. Da rafft sich der Sterbende noch einmal empor und den Mann im Priestergewande, dessen Herz härter denn Felsen ist, der sür den Verschmachtenden keinen Tropfen Labung hat, mit der Hand zurückstoßend, stöhnt er: „Sei verflucht . . .", ein rother Strom entquillt seinen Lippen, seine Augen brechen, er sinkt zurück, noch ein Zucken über dem Körper — und seine Seele ist bei Gott! In einem Kloster Roms sitzt ein wahnsinniger Mönch in seiner einsamen Zelle. Der Orden Jesu, dem er angehört, hat ihn diesem Kloster zur Obhut übergeben. Die Mönche sagen, daß er emst ein berühmter Kan zelredner zu St. Eustache m Paris gewesen und daß er seiner Abstammung nach ein Deutscher sei. Sein Wahnsinn ist, nach dem Ausspruch der Aerzte, unheilbar. Er behauptet stets von einem glühenden Durst gequält zu sein und das einzige Wort, das er spricht heißt: Wasser. Aber er trinkt nicht — und nur mit äußerster Mühe können ihm die dienenden Brüder etwas Wein cinflößen. Er wird voraussichtlich nicht lange mehr leben.