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der Verführung eines ihrer Beamten zum Vertrauens bruch bezichtigt. Oesterreich-Ungarn. Der Nationalitätenhaß in Oesterreich hat sich wieder in dem Zusammenstoß zwischen Deutschen und Tschechen in Podoly-Grätz bei Troppau geäußert. Deutsche Vereine und tschechische Turner gerieten aneinander, wobei einige Personen leicht verwundet wurden. Das Eingreifen der Gendarmerie verhinderte ernstere Ausschreitungen. Am Abend sammelte sich in Troppau eine Menschenmenge an, die die Rückkehr der tschechischen Turner erwartete. Um das Wiedereintreten von Zusammenstößen unmöglich zu machen, wurde eine Kom pagnie Infanterie abkommandiert, die im Verein mit der Polizei und Gendarmerie die Straßen räumte. Gegen den von Grätz nach Troppau fahrenden Zug wurden in Branka Steine geworfen. Holland. Eine Kunde, die nicht verfehlen wird, in weitesten Kreisen aufrichtige Anteilnahme zu erwecken, kommt aus dem Haag. In ihrem dortigen Schlöffe Het Loo wurde die Königin plötzlich von einem Unwohlsein betroffen, so daß ihr Arzt vr. Rößnigh auf schnellstem Wege herbeigeholt werden mußte, die Königin-Mutter erschien im Automobil. Es handelt sich, wie zunächst allerdings nur gerüchtweise ver- lautete, um eine vorzeitige Entbindung. Es ist aber leider nur gar zu sehr zu befürchten, daß dies Gerücht den Tatsachen entspricht. Demselben Leiden ist die Königin be kanntlich schon vor Jahr und Tag einmal ausgesetzt gewesen, und es hieß damals allgemein, daß jede Hoffnung, sie werde dem Lande einen Thronerben schenken, geschwunden sei. Nun schien ihr dieses Glück doch noch erblühen zu sollen, in ganz Holland herrschte fröhlicher Jubel. Der ist nun verstummt und aller Orten hört man Worte schmerzlichster Teilnahme über das zerstörte Mutterglück von „uns Wil- helmintje". Rutzlanv. Der neue russische Ministerpräsident Stolypin entstammt einer alten russischen Adelssamilie und ist im Jahre 1860 geboren. Seine schnelle Karriere verdankt er dem Umstande, daß er die Aufmerksamkeit des ermordeten Ministers v. Plehwe und des früheren Generalgouverneurs v. Trepow auf sich zu lenken verstand. Ta er bei den Männern durch feine Energie und Rücksichtslosigkeit Bewunderung abnötigte, so kann man sich eine Vorstellung davon machen, was Ruß- land von ihm zu erwarten hat. Es ist ja auch bezeichnend für Stolypin, daß er sich sofort zur Uebernahme des Porte feuilles bereit erklärte, das felbst ein Goremykin nach der Auflösung der Duma nicht mehr im Besitze behalten mochte. Man wird daher gut tun, allen Versicherungen des neuen Ministerpräsidenten, er werde freiheitliche Reformen durch führen, mit einem gewissen Mißtrauen zu begegnen. Das muß man dem neuen Chef andererseits aber lassen, daß er den Vertretern der ausländischen Presse gegenüber großes Entgegenkommen an den Tag legt. Nachdem er einem Pariser Zeitungskorresvondenten versichert hat, Zar und Re gierung würden an der Einrichtung einer Volksvertretung in Rußland sesthalten, bestätigte er dem Vertreter der „Köln. Ztg." seine Erklärung mit dem Hinzufügen l Mit dem Ent schluß, die Duma aufzulösen, war in Peterhos der Wunsch verknüpst, der Volksvertretung mit den Pflichten auch die Rechte im Geiste einer konstitutionellen Monarchie zu er halten und im vollen Maße die bürgerlichen Freiheiten zu verwirklichen, die im Zarenmanisest vom 31. Oktober 1905 versprochen wurden. Dies Ziel solle unter allen Umständen Unterhaltungsteil. Die Spielgefährten. Roman in zwei Bänden von V. Wiesen. 22> (Fortsetzung.) So war die Trauer Wasils auch nur eine rein äußer- liche, als er ein Jahr später die Nachricht von dem Ableben des Großvaters erhielt. Der Tod des alten Herrn von Waszczewski kam gerade zu rechter Zeit, um der pekuniären Lage des Enkels, welche anfing, unhaltbar zu werden, ein neues Fundament zu geben. Dadurch, daß er als nächster Erbe in den Besitz von Dobrawitz gelangte, hob sich sein bereits stark erschütterter Kredit um ein ganz Bedeutendes. Nun fiel es dem verwöhnten Genußmenschen erst recht nicht ein, sein kostspieliges Leben aufzugeben. Für das Gut wurde ein Verwalter engagiert, demselben unbeschränkte Vollmacht in allen wirtschaftlichen Angelegen heiten erteilt und nur zur Pflicht gemacht, so viel Geld wie irgend möglich herauszuwirtschasten. Der junge Erbe fühlte sich jetzt aus der Höhe und ganz berechtigt, feinen Neigungen die Zügel schießen zu lassen. Das ging eine Weile ganz gut, bis endlich ein Tag kam, an dem Wasil sich eingestehen mußte, daß es nicht weiter so fortgehen könne. — Wo waren die Summen alle ge blieben? Er hätte es selbst nicht zu sagen vermocht. Ver- tändelt — verjeut — unter den Händen zerflossen. — Ein paar Monate noch, und der stark unterhöhlte Bau seiner gesellschaftlichen Stellung brach in sich zusammen. Noch ließ sich vielleicht etwas retten, wenn es auch nicht viel mehr war als der Schein. In Wasils Natur lag neben der Verschwendungs- und Genußsucht ein gewisser Zug kalter Berechnung, sein Leicht sinn hatte ganz bestimmte Grenzen, und die Selbstliebe hielt ihn davon zurück, sich blindlings ins Verderben zu stürzen. In schlimmster Stimmung — die Folge einer wüst durch- schwärmtcn Nacht, in welcher er wieder bedeutende Summen erreicht werden, nötigenfalls sogar unter Einsetzung einer Mililärdiktatur. Und dem Vertreter eines Wiener Blattes erklärte der Ministerpräsident Stolypin: Den getroffenen Maßnahmen wohnt keinerlei reaktionäre Bedeutung inne. Ter Zar will eine feste Regierung zur Herstellung der Ruhe, sowie zur Sicherung der friedlichen Entwicklung des Reiches; aber ein Zurück gibt es nicht. Unstreitig werden Unruhen ausbrcchen, und zwar hauptsächlich in den Provinzen. Sie werden jedoch vorübergehen. Tas dem kaiserlichen Ukas gefolgte Manifest an das Volk wird der Bauernschaft über- Haupt die Gewißheit gegeben haben, daß ihre Wünsche er- füllt werden, wenn sie die Ordnung wahrt. Das Altrussentum beweist, daß es jetzt wieder oben auf und eine Volksvertretung nicht mehr vorhanden ist. Bezeich- nend in dieser Beziehung ist, daß am Dienstag sämtliche Petersburger großen politischen Tageszeitungen konfis ziert wurden mit Ausnahme dreier im Dienste der Regie rung stehenden Organe. Aus diesem schroffen Verhalten gehl auch hervor, daß die Regierung volles Vertrauen auf die Armee setzt. Dieses Vertrauen ist gefestigt worden durch die Entscheidung des Landesverteidigungsrales, der in einer besonderen, für den Zaren bestimmten Denkschrift den Nach weis führte, daß die volle Unterdrückung einer revolutionären Bewegung in Rußland mit Hilfe der russischen Armee durch aus möglich sei. Binnen wenigen Tagen schon soll ein Ukas erscheinen, worin Wahlen zur Duma auf Grund des allgemeinen Stimmrechts ausgeschrieben werden, die Anfang Dezember beginnen sollen. Ter Vizepräsident der verflossenen Reichsduma, Grodes- kul, der den Kreis Charkow vertritt, richtete an eine Anzahl Unteroffiziere in Südrußland folgenden Brief: Die Zeit ist nahe, wo die Regierung die Armee nicht auf ihrer Seite finden wird. Die Armee ist nicht mehr dieselbe, wie vor dem Kriege mit Japan. Wir wissen jetzt, für wen wir all das Elend und die Unwissenheit ertragen, worin wir leben. Mögen die Minister wissen, daß wir Soldaten jetzt bewußt ein Teil der Nation sind und deren Sorgen und Hoffnungen teilen. Es wäre besser, wenn die Offiziere uns jetzt nicht befehlen wollten, auf unsere Familie zu schießen. Der außerordentliche Schutz der Stadt Petersburg besteht darin, daß der Oberkommandierende der Garnison alle Rechte eines Generalgouverneurs besitzt. Er hat das Recht, alle Amtspersonen zu ernennen, einzelne wie ganze Kategorien von Verbrechern dem Kriegsgericht zu überliefern, das Eigentum mit Beschlag zu belegen, falls er Nichterfüllung seiner Bef hle fürchtet, Strafen bis zu drei Monaten Zucht haus zu verhängen, Beamte aller Refforts aus dem Amte zu entfernen, über alle stävtischen und andere öffentlichen Institutionen zu verfügen und die Zeitungsdruckereien wie die Schulen bis zur Dauer von einem Monat zu schließen. Tie Privatsitzungen der gewesenen Dumamitglieder, die in Wiborg, Finnland, abgehalten wurden, sind verboten worden. Wie in Petersburg, so herrscht äußerlich auch in Moskau Ruhe, wo die Garnison gleichfalls verstärkt wurde. In aller Stille werden von den verschiedenen Arbeiterorganisationen inzwischen die Vorarbeiten für den Generalstreik fortge setzt. Die Moskauer Bahnhöfe werden sämtlich von starken Polizei- und Truppen-Abteilungcn scharf bewafft, ebenso die nächsten Bahnstationen. Gepanzerte Züge mit geheizten Lokomotiven stehen bereit. Haussuchungen und Maffen- arretierungen dauern fort. Moskauer Finanzkreise halten einen Zusammenbruch für unvermeidlich. Der Präsident des Ministerrates und Minister des Innern Stolypin hat unter dem 24. Juli an die Generalgouver neure, Gouverneure, Präfekten und an den Kaiser lichen Statthalter des Kaukasus folgendes Telegramm gerichtet: „Gemäß den vom Kaiser erteilten Weitungen und zum Zwecke der vollen Vereinheitlichung der Tätigkeit der örtlichen Behörden mache ich Ihnen die Mitteilung, daß die Regierung von Ihnen eine unverzügliche und bestimmte Unterweisung der Ihnen unterstellten Behörden verlangt, damit die Ordnung schnell, sicher und ohne Mißgriffe wieder hergestellt wird. Ruhestörungen müssen unterdrückt und revolutionäre Anwandlungen mit allen Mitteln niedergehalten werden. Die gesetzlichen Maßnahmen, die Sie ergreifen, sind genau zu erwägen. Der Kampf richtet sich gegen die Feinde der Gesellschaft und nicht gegen die Gesellschaft felbst. Infolgedessen sind Unterdrückungsmaßnahmen in großem Stile nicht zu billigen. Ungesetzliche und dunkle Handlungen, die Unzufriedenheit statt Beruhigung schaffen, dürfen nicht geduldet werden. Tie Absichten des Kaisers sind uner schütterlich. Tie Regierung ist fest entschlossen, durch Be seitigung und Aenderung der alten, ihrem Zweck nicht mehr entsprechenden Gesetze auf gesetzlichem Wege Hilfe zu schaffen. Tas alte Regime wird eine Verjüngung erfahren. Toch muß die Ordnung vollständig aufrechterhalten werden. Sie müssen aber in dieser Hinsicht eigene Initiative zeigen, da auf Ihnen die Verantwortung ruht. Ein entschiedener und energischer Wille, der sich in dieser Weise betätigt, wird von dem besseren Teile der Gesellschaft zweifellos unterstützt werden. England. Tie Interparlamentarische Vereinigung in London, der auch mehrere Parlamentarier der bürgerlichen Parteien Deutschlands beiwohnen, wurde von dem liberalen Minister präsidenten Englands Campbell-Bannerman im Auftrage des Königs Eduard mit einer Ansprache begrüßt, die wahre Stürme des Widerspruchs und ungewöhnliches Aussehen er regt hat. Das letztere deshalb, weil durch sie zum ersten Male ein regierender Fürst bedingungslos für den Ab rüstungsgedanken eintrat. Der Vertreter Ungarns Apponyi bezeichnete die bezüglichen Versicherungen sofort als eine direkte Botschaft König Eduards. Hierbei muß indessen daran erinnert werden, daß England trotz lebhaftester Propaganda für den Abrüstungsgedanken mit den eigenen Rüstungen zu Wässer und zu Lande kräftig fortsährt. Ter Widerspruch und die Entrüstung rührt daher, daß der englische Ministerpräsident in ganz persönlicher und eines leitenden Staatsmannes un angemessener Weise die inneren Verhältnisse Rußlands er- örterte und seine Rede in die Worte ausklingen ließ: Die Duma ist tot, es lebe die neue Duma! Diese Taktlosigkeit hat man dem Minister in Petersburg gehörig übel genommen, und auch die Londoner Blätter schreien Zeter und Mordio über den nichtswiffenden Ministerpräsidenten, der täppisch die seinen Bande zerreiße, die England zur Herbeiführung einer Annäherung an Rußland mühsam geknüpft habe. Der russische Botschafter in London soll beim Auswärtigen Amte daselbst bereits Vorstellungen wegen der Rede des Ministerpräsidenten Campbell-Bannerman erhoben haben. Aus dem Mul-entale. *Waldeubnrg, 25. Juli. Seitens der kgt. Amtshaupt- mannschast Glauchau wird der Pfaffroda-Remser Kommuni kationsweg wegen Massenschüttung in Pfaffrodaer Flur auf der Strecke zwischen dem Orte Pfaffroda und dem Weidens- dorf-Neukirchener Kommunikationswege vom 25. bis 29. d. i im Spiel verloren hatte — machte sich Wasil eines Morgens ^die verzweifelte Lage seiner Vermögensverhälinifle klar und kam zu dem Entschluß, die jetzige Lebensweise aufzugeben, heimzureisen und selber die Bewirtschaftung von Dobrawitz zu übernehmen. Wer weiß, ob nicht alles fauler Zauber war, was ihm der Spitzbube von Verwalter immer von schlechten Erträgen vorschwindelte. Es sollte doch mit dem Kuckuck zugehen, daß ein solches Gut nichts hergab, wenn man es nur gehörig ausprcßte. — Langweilig war das Leben auf dem Lande allerdings; aber schließlich hier ver lor er auch nicht viel. Immer das ewige Einerlei, aus dem Restaurant in den Klub und umgekehrt. Die kleine Fifi vom Ballett würde vielleicht ein paar Krokodilstränen weinen — pah, was weiter. Er hatte das Mädel satt wie alles übrige. Wasils Entschluß war gefaßt; eine Woche später reiste er nach Dobrawitz ad. Das geschah zu einer Zeit, als die ersten graugrünen Saatspitzen auf den Feldern sproßten und an den alten Linden im Schloßgarten sich die harzigen Blattknospen öffneten. — Jetzt war das Korn geschnitten, und das Laub der Bäume begann sich herbstlich zu färben. Die Helle Vormittagssonne schien aus den Kiesweg, der zum Schlöffe sührte, und zeichnete das Muster der eisernen Torflügel darauf. Wasil von Waszczewski kehrte von feinem Spazierritt heim. Er pfiff dem Stalljungen, übergab ihm das Pferd und stieg die Stufen der Freitreppe hinauf. Dabei streifte sein Blick die geborstenen Sandsteinlöwen, welche einst zu beiden Seiten des Eingangs Wache gehalten hatten, jetzt aber abgebröckelt und unkenntlich geworden waren. Ueberall Rückschritt und Verfall. — Aergerlich hob der Mann die Reitpeitsche und schlug nach einer Libelle, die sich auf dem breiten Löwenrückrn sonnte. Auch draußen auf den Feldern hatte es schlecht ausge- sehen. Nachlässige Ackerung, geringe Ernte. Und ein Teil davon schon im voraus an den Juden verkauft. Verdammte Geschichte! Wasil schritt durch die weite Vorhalle, in der jeder Schritt dröhnte, seinem Arbeitszimmer zu. Dort warf er sich aus ) das Sosa, zündete eine Zigarette an und kreuzte die weißen, schlaffen Hände unter dem tiesvunklen Haar. Mißmutig und gelangweilt folgte sein Blick den feinen Dampfringen, ^bis sie sich auflösten und in nichts zerflossen. Es klopfte, erst leise, dann etwas lauter. Die Mamsell, welche schon zur Zeit des seligen Barons die Wirtschaft be sorgt hatte, steckte den Kopf durch die Tür. „Ein Brief für den gnädigen Herrn." Wasil runzelte die Stirn; er liebte eS nicht, gestört zu ; werden. „Sind die Postsachen heut' so früh angekommen?" fragte er, ohne hinzusehen. „I wo, nein. Den Brief hat ein Junge gebracht. Ich glaube, aus Tanninken, sagte er." „Es ist gut, dort hinlegen, auf den Tisch. Und in einer halben Stunde das Frühstück, Frau Grabe." „Sehr wohl, gnädiger Herr." Die rundliche Gestalt mit der blauen Latzschürze verschwand. Wasil dehnte sich, gähnte mehrmals und streckte dann lässig die Hand nach dem weißen Couvert aus. Er hatte es nie sehr eilig, den Inhalt der an ihn einlaufenden Briefe zu erfahren; denn gewöhnlich waren es Rechnungen oder lästige Mahnungen ungeduldiger Gläubiger. Aber dies schmale, zierliche Ding sah eigentlich anders aus. Ohne seine bequeme Stellung zu verändern, öffnete Wasil das Couvert. Ein Briefbogen mit gepreßtem Rand, wie man ihn in billigen Papeterien findet, fiel heraus. Die hübsche, saubere, aber noch unausgeschriebene Handschrift glich der eines Schulmädchens. Er las: „Lieber, lieber Wasil! Seit wir uns gestern Abend trennten, habe ich an nichts anderes denken können als nur an Dich! Geht es Dir ebenso? Ich schreibe diese Zeilen in aller Frühe, um Dir mitzuteilen, daß Papa schon alles weiß. Ich habe ihm gleich gesagt, daß wir uns lieben. (Fortsetzung folgt.)