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Äikac !UM ZchönbnM TageblM 240. Sonnabend, den 14. Oktober 1899. — Nachdem lurcits im Jahre 1896 die städtischen Behörden von Crimmitschau, Glauchau und Meerane an das Königliche Finanzministerium ein Bittgesuch wegen Genehmigung zur Errichtung einer elektrischen Bahn gerichtet hatten, hat in diesem Frühjahre der Stadtrach zu Crimmitschau sich mit den Stadtläthen von Glauchau und Meerane und auch mit den betheilig- Ob Landgemeinden in Verbindung gesetzt und ein neues Elttgesuch an die Königlichen Ministerien des Innern und der Finanzen gerichtet und gebeten, daß der Acteen» Sesellschafl sür elektrische Anlagen und Bahnen in Dres den die Genehmigung zu der Erbauung dieser elektrischen Bahn aus der Staatsstraße recht bald ertheilt werde. Die Erbauerin der elektrrschen Bahn hat sich erboten, für den sich nöthig machenden Uebergang über die StaatSeisenbahn bei Oberschindmaas die weitgehendsten Sicherheitsmaßregeln anzubringen. Sie will vor und hinter dem Bahnübergänge Entgleisungsweichcn einbauen, die sich mit dem Herablafscn der Bahnschranken so stellen, daß die elektrische Bahn, falls sie nicht von ihrem Leiter beim Herannahen eines Eisenbahnzuges rechtzeitig angehalten werden könnte, auf ein kurzes Stumpsglris geführt wird und da auf einen Sandhaufen ausläust. Ferner soll durch das Herablasfen der Eisen bahnschranken der elektrische Strom in dem Leitungs drahte auf -ine ziemlich weite Strecke ausschaltbar ge macht werden. Damit würde dem elektrischen Bahn- Wagen seine Triebkraft benommen werden. Drittens sollen bei Tage Warnungssignale und Nacht« Lichtsignale eingebaut werden, die dem Wagenführer das Nahen eines Eisenbahnzuges kundmachen und ihm Halt gebieten. Schließlich soll eine Einrichtung dergestalt getroffen werden, daß Krim Nahen des elektrischen Wagens im Eisenbahnwärterhause ein Läutewerk elektrisch in Be wegung gesetzt wird, das dem Bahnwärter das Nahen des elektrischen Wagens anzeigt. Es sind vor Kurzem Vertreter der betheiligten drei Städte bei den Staats ministerien des Innern und der Finanzen persönlich vor stellig geworden und haben gebeten, eS möchte doch dieser Niveauübergang bei Oberschindmaas, das Ueber- führen der elektnschrn Bahn über die Eisenbahn ge nehmigt werden. Es ist nun diesen Vertretern der Be scheid geworden, daß die Genehmigung des Niveauüber- ganges wohl kaum ertheilt werden könnte, es werde aber den Briten der Stadtgemeinde so viel als möglich Rechnung getragen werden. Die Angelegenheit werde nochmals eingehend geprüft werden, vielleicht lasse sich auch noch ein anderer Ausweg finden. — Der Umbau deS Kirchthurmes in Limbach ist in Angriff genommen worden. Der Thurm zeigte in den letzten Jahren bedenkliche, ja bedrohliche Schwankungen, sodaß dieser Umbau in der Kirchenvifitation von Ende Dccember 1898 angeregt und in späteren Kirchenvor standssitzungen beschlossen wurde. Der Thurm ist jeden falls so alt wie die Kirche, etwa 500 Jahre. Repara turen hat er erfahren in den Jahren 1675, 1744 und 1808, abgesehen von anderen 4 geringeren Ausbesserungen. — Der Ortsausschuß zur Erbauung einer BiSmarck- säule auf drm Kuhberge bei Rttzschla« hielt am Freitag Abend im Hotel Forner eine gut besuchte Versammlung ab, in welcher der Vorsitzende Herr I)r. Neander über den Stand der Angelegenheit im allgemeinen berichtete. Der Schatzmeister Herr Apotheker Eule legte den Kaffen bericht vor. Nach demselben gilt daS Sammelwerk für die Säule in Netzschkau als abgeschloffen. Der Ertrag beziffert sich auf über 4700 Mk. Rechnet man hierzu die feiten der Stadtvertretung zum Ankauf der Kuhberg kuppe bewilligte Summe von 3000 Mk., so ergicbt sich für Netzschkau allein ein Antheil von rund 8000 Mark. Geschäfts-Bericht der städtische« Sparkasse z« Waldenburg auf den Monat September 1899. Einnahme. Kassenbestand am 31. August 1899 9,155.42 Einlagen in 106 Posten ' 13,153.25 Capitalzinsen 1,412.59 Sonstiges (zurückgezahlte Capitalien u. s. w.) 56,231.05 79,952.31 L Ausgabe. Rückzahlungen in 60 Posten 22,376.98 Zinsen an Einleger 71.41 Sonstiges (Ausleihungen u. s. w.) 6.35 Kaffenbestand am 30. September 1899 57,497.57 79,952.31 Eröffnet wurden 17 Einleger-Conten. Erloschen sind 8 Einleger-Conten. Waldenburg, am 6. Oktober 1899. Die Verwaltung der stiidt. Sparkaffe. Unterhaltungsthei!. Sein Erbe. Eine Familiengeschichte. Von M. von Buch. ZZ) (Fortsetzung.) AIS sie mS Haus zurücklchrten, wies Liesclott auf die Treppe und sagte fragend: „Die alte Weiland hat doch noch ihr Stübchen dort oben, wie ist's, wollen wir sie nicht einmal besuchen?" „Wenn Du willst, gewiß. Gieb acht, wer zuerst oben ist." Lachend sprangen beide die Treppe hinaus, jagten an den verschlossenen Zimmern, die einst Charlotte be wohnte, vorüber und bogen in einen schmalen, halbdunklen Gang ein, in den mehrere Thürcn mündeten. An die letzte pochten sie an. Frau Weiland, die auf einem Lehnsessel am warmen Ofen saß, nickte und grüßte freundlich, aber es blieb doch Ungewiß, ob sie die Ankommenden erkannte. „Du weißt doch, wer Lieselott Jaßnitz ist!" schrie ihr der Knabe in« Ohr; die Alte hörte seit längerer Zeit sehr schlecht. „Lieselott?" fragte sie erstaunt. „Charlotte Jaßnitz hieß unsere gnädige Frau, und sie hatte ja auch dunkle Haare und Augen. Wo ist sie? Wie grämte sie sich da mals, als sie hörte, daß Gerhards Mutter so vorzeitig von ihrem Kinde hatte scheiden müssen, und auch sie ver ließ das ihre, und sie verließ es freiwillig." „Und wo ging sie hin?" Fast krampfhaft ergriff Cle mens die Hand der alten Frau. „Wo ging sie hin?" drängte er angstvoll. Die Alte sah ihn an, und plötzlich ging cs wie Er kennen über ihre Züge. „Sie starb, mein Junge, frage Nicht, ich weiß nichts." „Du weißt es doch, Mutter Weiland," bat der Knabe, «sage mir, lebt sie oder ist sic toot?" „Sie ist todt, ja, sie ist gestorben und war doch eine so schöne, gute Frau. Sie hatte den Herrn im Anfang wohl auch lieb, aber er wußte doch nicht recht mü ihr umzugehen; man sollt' es gar nicht glauben, wie jäh zornig er dazumal noch war. Jetzt ist alles anders ge worden." — — Die Alte schien selbst ein Stückchen Vergangenheit, Llamvoll in die blühende Gegenwart hineinzutragen, lieselott ward unheimlich zu Muthe bei ihren Neven; ^rgeblich zupfte sie jedoch Clemens am Aermrl, um die ^dterholtung abzubrechen. . »Wie hübsch Ihr in die grünen Bäume des Parkes hmeinschaut," meinte sie, sich im Zimmer umsehend, um doch auch etwas zu sagen. „Euer Fenster ist das letzte ganzen Hause." »Ja, hier schaue ich in die Bäume und in den Himmel hinein," stimmte Frau Weiland ein, „und weiter will ich ouch nichts sehen. Früher, vor Jahren, da habe ich drüben gewohnt in einer der Kammern, die nach dem Hof hinausliegen. Und als ich da eines Tages am Fen- sier faß, meine Augen waren dazumal gut, bester in der Ferne wie in der Nähe, da sah ich in der Kastanien Ällee die beiden stehen, sie unv ihn, und am nächsten Tage ging sie fort. Es gab mir einen Stich ins Herz, ich hätte eS nicht von ihr gedacht, und in der Kammer mochte ich schon gar nicht mehr bleiben. Aber schlecht war sic darum doch nicht, schlecht war sie nicht, nein, nein." — Sie schüttelte den Kopf hin und her und sah die beiden jungen Menschen groß an. „Clemens, komm, in der Stube ist es heiß zum Er sticken, ich muß hinunter," bat Lieselott; die Alte ver stand sie und nickte ihr zu. „Du bist jung, Dcin Herz pocht schnell, und das macht Dich warm," meinte sic. „Gerade so war es mit ihr. Sie war jung, daS war ihr Fehler, gnad ihr Gott." „Also, meine Mutter lebt?" schrie ihr Clemens noch einmal in die Ohren. „Wer sagt daS, Kind? Ach, ich bin alt, weiß gar nichts mehr und bringe alles durcheinander. Dazumal, als die Rusten und Franzosen ins Land kamen —" Sic versank in ein undeutliche« Murmeln, und schnell zog Lieselott den Gefährten auS der unheimlichen Umgebung. Am Treppengeländer stand der Knabe schwerathmcnd still, die großen, schwarzen Augen brannten in dem seinen, blassen Gesicht, und die schöngeschwungenen Lippen zuckten und bebten. Das junge Mädchen sah ihn mitleidig an. „Du nimmst doch auch alles so schwer, Clemens," sagte sic vorwurfsvoll. „Mir dämmert eine entsetzliche Ahnung," stönte er. „Aber die Frau ist ja kindisch," suchte sie ihn zu be ruhigen. „Sie sprach bald von Gerhards Mutter, bald von Deiner, man wußte gar nicht, was sie meinte." „Du wirst wohl verstanden haben, was auch ich da raus zu verstehen meine," sagte er, dar Gesicht von ihr wendend. „Und wenn Deine Mutter Dich wirklich freiwillig verlosten hätte," hier schauerte ihr Zuhörer förmlich zu sammen, „so hast Du doch einen Vater, der Dich doppelt und dreifach dafür liebt," tröstete Lieselott. Er nickte stumm. „Wirklich, Clemens," fuhr sie fort, „ich habe machmal lachen müsfen, wenn ich Deinen Vater um Dich sah, der gar nicht wußte, was er dir alles LiebeS und Gutes an- ttzun sollte. Sieh mal, bei mir ist es in der Kind heit nicht ohne Schläge abgcgangrn, und ich bin doch ein Mädchen; Du hast wohl nie die Hand des Vaters gefühlt?" „Im Zorn nie, nur in Liebe." „Das dachte ich mir," lächelte das junge Mädchen. „Bisher hast Du also nicht vermißt, warum grämst Du Dich um die Mutter, die Du gar nicht kennst?" Er seufzte nur und schwieg, Lieselott würde wohl nicht verstehen, was ihn quälte. Da hörte er Thürcn klappen und aufgchen und sah im Eingang die leicht gebeugte Gestalt seines Vaters. Mit einem Satz war er neben ihm und schlang die Arme um den Alten. „Mein lieber, lieber Vater," sagte er und bemerkte nicht einmal, daß Frau von Jaßnitz neben ihm stand. „Mein guter Junge," meinte Hollbracht, ihm zärtlich über die weiche Wange streichelnd. Er wandte sich an Frau von Jaßnitz. „Nun sehen Sie den Burschen. Zu Zeiten ist er maßlos unbändig, aber ein gute« Herz hat cr doch. Er ist nun mal die Freude meines Lebens; ein bißchen Thorheit muß man uns beiden eben zugute halten." Gegen Abend war die kleine Gesellschaft im Garten zimmer versammelt, die Fenster waren offen, Roscnduft zog ein. Clemens hatte eS schon beim Vater durchge setzt, daß Gerhards Geburtstag diesmal im großen Kreise gefeiert werden sollte, und nun machte er und Lieselott allerhand Pläne für den wichtigen Tag. Frau von Jaßnitz überlegte unter heimlichem Gähnen, zu welcher Stunde sie ihren Gatten erwarten dürfte; Holl bracht suchte sie zwar zu unterhalten, aber er lauschte doch immer wieder zu Clemens hinüber und freute sich, daß der Junge im Gedanken an da» Fest so glück lich war. „Du solltest uns etwas singen, Lieselott," schlug die Mutter vor. Sie hatte sich soeben überzeugt, daß der Zeiger der Stutzuhr wenig über acht Uhr wieS, und daß füglich nicht an baldigen Aufbruch zu denken war. Lieselott wollte sich zwar sträuben, unter Hinweis, daß sie nicht» auswendig zu singen wisse, doch Hollbracht zeigte auf das kleine Notenschränkchen, da« neben dem altväterischen Instrument stand, und Clemens mußte suchen helfen. Endlich fand sie in dem gefüllten Kasten ein vergilbtes Notenblatt, daS ihr zufagte. „So ein altmodisches Ding, jetzt sind die Klaviere alle ganz anders," sagte sie lachend, als sie vor dem Spinett saß und die Tasten anschlug. Sie hatte recht, das Instrument war veraltet, doch die Saiten hatten sich nicht verzogen, und nun, mit welch eigenthümlichcm, halb heiserem Klange drangen die dünnen Töne durch die Stille. Nicht gerade schön, aber ergreifend, unendlich wehmüthig, wie die langverhaltene, zitternde Klage eines wunden Menschenherzens. Nach einigen Accorden setzte die frische, junge Stimme ein: Die Liebe schöpft die Seligkeit Aus der Tiefe des rinnenden Stromes der Zeit. Sie trägt sie hinein in die trübe Welt, Ein jeder sein reichlich Maß erhält. Nur wenigen wird Glück und Heil Aus jenem Wundertrank zu theil, Die meisten mischen ihm im Nu Die eignen Leidenschaften zu. So wird getrübt er, wird er schal, Und statt der Freude bringt er Qual. Die Liebe aber ist voll Huld, Sie ahndet nicht der Menschen Schuld, Und ewig sie schöpft die Seligkeit Aus der Tiefe des rinnenden Stromes der Zeit. Hollbracht fagtc nicht, ob er das Lied wiedererkannte, er hörte still zu, dabei flog ein Schatten über feine Züge, der sie hart und streng erscheinen ließ. (Fortsetzung folgt.)