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nach zu keinem bestimmten Resultat gediehen; es besteht wohl auch keine Aussicht dafür, daß bereits beim Wieder zusammentritt des Reichstages die bundesrathlichen Ar beiten über den Entwurf abgeschlossen sein werden; da gegen ist begründete Hoffnung vorhanden, daß der Ent wurf dem Reichstage noch vor den Weihnachtsferien zu gehen wird. Bei der am 5. d. erfolgten Reichstags-Er satzwahl in Mainz wurden für Or. David (Soc.) 4857, Rechtsanwalt Or. Schmidt (Centr.) 2901, Ober- schulrath Soldan (natl.) 1425 und Geometer Wolf (Re- forwp.) 298 Stimmen abgegeben. rOen erreirkz-Ung-ern. In der Wiener Hofburg-Pfarrkirche hat am Donners tag die Vermählung der Erzherzogin Maria Dorothea mit dem Herzog Ludwig Philipp von Orleans statt gefunden. Der Kardinal Fürsterzbischof von Wien vollzog die Weihe der Vermählungsringe und nahm die kirch liche Einsegnung der Ehe vor. Kaiser Franz Joseph, die Königin von Portugal, die Erzherzöge und Erz herzoginnen rc., sowie die gemeinsamen österreichisch-ungari schen Minister wohnten dem feierlichen Acte bei, welchem ein Festmahl im Schlosse folgte. In Oesterreich haben nunmehr auch die Landtags wahlen stattgesunden; dabei hat sich die bemerkenswerthe Thatsache herausgestellt, daß nicht nur Wien, sondern auch die übrigen Bezirke Niederösterreichs fast ganz in den Händen der Antisemiten liegen, die Liberalen ver loren an sie eine größere Anzahl von Mandaten. Die antisemitische Bewegung in Oesterreich befindet sich dem nach im fortgesetzten Wachsthum, während man in Deutsch land eher von einem Rückgänge antisemitischer Bestrebungen reden kann. Frankreich. Die politischen Gegner des Herzogs von Orleans haben seine Hochzeitswoche abgewartet, um die unan genehmsten Geschichten über ihn in alle Winde zu rufen. Sie erzählen u. A. mit peinlicher Genauigkeit, daß er 1889, als er in der Schweiz dem Studium der Kriegs wissenschast oblag, die Bekanntschaft einer kleinen Genfer Schauspielerin Namens Nini Debien machte und mit ihr nach wenigen Tagen bis an die äußersten Grenzen der Vertraulichkeit gelangte. Die Beziehung dauerte wenige Wochen, dann verließ der Herzog plötzlich seine kleine Freundin und reiste nach Paris, um seine Einreihung ins Heer zu verlangen, wofür er zu mehrmonatiger Haft verurtheilt wurde, die er im Gefängniß zu Clairvaux absaß. Amtlich war er damals mit seiner Base verlobt, der Prinzessin Margarethe von Chartres, jetzigen Her zogin von Magenta. Nini war ihm nachgereist; wäh rend seine Braut mit ihrer Mutter im lustigen Gesäng- niß beim Herzog weilte, suchte seine Freundin an der Auhenthür vergebens Einlaß zu erlangen. So kurz das Verhältniß gewesen war, es blieb nicht ohne Folgen. Bald nachdem der Herzog Clairvaux verlassen hatte und nach London gereist war, schenkte Nini einem Knaben das Leben und gab ihm in liebevoller Erinnerung an seinen flatterhasten Vater den Namen Philipp. Als richtige Pariserin suchte sie natürlich an dem Herzog Erpressung zu üben. Der Herzog aber widerstand. Es fügte sich, daß gerade damals auch Rochefort, der vor dem Urtherl des Senats in der Boulanger'schen Straf sache geflohen war, sich in London aufhielt. Nini ging zu ihm und klagte ihm ihre Noth. Der Umsturzmann nahm den kleinen blonden Prinzensprößling in Pflege, während dessen Mutter zur Bühne zurückkehrte. Später erhielt Nini von Personen der Umgebung des Herzogs für ihr Söhnchen eine Jahresrente von 1000 Francs. Das ist Alles, was der Herzog für seinen Erstgeborenen zur linken Hand gethan hat. Der kleine Philipp soll seinem Vater so ähnlich sehen, daß man die Bildnisse des Herzogs aus dem Kindesalter für solche seines Söhn leins hält, daS jetzt 6 Jahre alt ist. „Gaulois" meint, die englische Regierung erkenne an, daß die egyptische Frage nicht endlos vertagt werden könne und daß England bereit sei, sie mit den euro päischen Mächten zu erörtern. 350 Bettelbriefe, die an den Zaren während seines Pariser Aufenthalts eingingen, wurden von der russischen Botschaft der Pariser Regierung übergeben, damit die Bittsteller, soweit sie Berücksichtigung verdienen, aus dem Hunderttausendfranken-Geschenk des Zaren befriedigt werden. JtaUen. So schwer man sich auch in Italien dazu verstehen mag, die Feindseligkeiten in Abessinien von Neuem aufzunehmen, so wird doch nichts anderes übrig bleiben, als eine endgiltige Entscheidung mit Waffenge walt herbeizuführen. Die abessinischen Heeresmafsen rücken nämlich nach Norden vor und sind der Grenze des italienischen Interessengebietes in Afrika nicht mehr fern. Offiziös werden diese Hiobsposten freilich noch ganz entschieden in Abrede gestellt; die allgemeine Meinung geht jedoch dahin, daß ein neuer Krieg unvermeidlich ist. ^panierr. Einen lehrreichen Einblick in die Kriegsführung der Spanier auf Cuba gewährt ein Telegramm, dem zufolge starke Jnsurgentenbanden das Fort Guiamaro angriffen, dessen Commandant die Vertheidigung aufgab. Die spanischen Truppen, deren Führung später ein Haupt mann übernahm, setzten sich jedoch wieder in den Besitz des Forts, wobei die Aufständischen angeblich starke Ver luste erlitten. Hieraus geht zunächst hervor, daß die Insurgenten trotz aller spanischen Siege sogar die Haupt stadt in recht bedenklicher Weife zu bedrohen scheinen. Sehr gut ist die Wendung, dessen Commandant die Ver- theidigung aufgab. Das heißt: der Brave lief fort und seine Truppen folgten dem schlechten Beispiel ihres Führers einfach nach. Daß letzteren die Schuld trifft, geht schon daraus hervor, daß später ein Hauptmann mit denselben Soldaten das Fort wieder zu erobern vermochte, was doch schwieriger ist, als die bloße Vertheidigung. Lürtei. Aeußerlich ist in Konstantinopel noch alles ruhig, man nimmt aber vielfach und anscheinend nicht ohne Grund an, daß diese Ruhe die Stille vor dem Sturme ist; denn trügen nicht alle Anzeichen, so bereiten sich ent scheidende Dinge am goldenen Horn vor. Trotz der Controlle Seitens der Vertreter der europäischen Mächte am Hofe des Sultans setzt die Regierung ihre geheimen Rüstungen fort; neuerdings ist es auch offenbar gewor den, daß die türkische Bevölkerung aus den Waffenmaga- zinen alle nur erhältlichen Waffen zusammenkauft. Daß die Armenier angesichts dieser Vorgänge gleichfalls auf ihre Sicherheit Bedacht nehmen, ist selbstverständlich. In eingeweihten Kreisen befürchtet man, daß die Intervention der Mächte zu spät kommen werde, um blutige Straßen kämpfe, in denen Hunderte und Tausende ihr Leben lassen dürften, vorzubeugen. Schleunige Anstalten thun jedenfalls dringend noth, wenn nicht ein Massenmord stattfinden soll, dem gegenüber die bisherigen Metzeleien nur Kinderspiel waren. Daß auch unter den Türken eine weitverbreitete Gährung herrscht, beweisen die fort gesetzten Verhaftungen osmanischer Unterthanen, denen revolutionäre Umtriebe zur Last gelegt werden. Auch die Studentenverhaftungenhaben neuerdings wieder in größerem Umfange Platz gegriffen. Die Türkei gewährt, um es mit einem Wort zu sagen, das Bild des Jammers und der Unsicherheit wie kein andrer Staat der civilisirten Welt. Auf höhere Ordre sollen die türkischen Militär-Bil dungsanstalten nach preußischem Muster reorganisirt werden. Angeblich ist auch eine Berücksichtigung des christlichen Elements für die türkische Armee in Aussicht genommen. Amerika. Ausgelassene Freude herrscht in der New-Aorker City. In der Nacht zum Mittwoch hatten sich vor jedem Ge schäftshause einer größeren Zeitung, wo die aus dem ganzen Lande eintreffenden Nachrichten der Menge durch Lichtbilder an den Fenstern bekannt gemacht wurden, Tausende von Menschen eingefunden, die die Siege oer ! Gutgeltparteien mit lautem Jubel begrüßten. Jeden Augenblick wurden vaterländische Lieder angestimmt. Durch die Stadt ziehen Musikbanden; auf einzelnen Balkonen spielen Musikbanden auf. Aehnliche Kundge bungen der Freude werden von zahlreichen Punkten der i Vereinigten Staaten gemeldet. Der Eindruck ist überall der, als ob man einen Sieg über einen gefährlichen Feind davongetragen hätte. Erregte Demokraten und Volks parteiler haben sich in zahlreichen Ortschaften zu Thät- lichkeiten Hinreitzen lassen, als die ihrer Partei ungünstigen Nachrichten bekannt wurden. Ans dem MuldemhnLe ^Waldenburg, 6. November. Der Winter klopft bereits recht vernehmlich an die Thür. Vergangene Nacht ging das Thermometer bis auf 5 Grad O unter Null herab; an Bäumen und Sträuchern hatten sich un- , zählige Eiskrystalle angesetzt. 4,*— In der Nacht zum 4. d. wurde hier bekanntlich in östlicher Richtung ein Feuerschein wahrgenommen. Wie heute das „CH. Tgbl." berichtet, ist um jene Zeit in Dreiwerden bei Mittweida ein zur Weidenmüllerschen Holzstofffabrik gehöriges Gebäude abgebrannt. *— Der Kaninchenzüchterverein für Altstadtwalden- bürg und Umg. beabsichtigt, wie wir hören, im Früh jahr nächsten Jahres, und zwar am 28. Februar, 1. und 2. März eine allgemeine Kaninchen-Ausstellung zu veranstalten. Feuilleton. Auf irrem Pfade. Roman von Hans Dornfels. (Fortsetzung.) Er war kein Naturschwärmer, aber er besaß doch zu viel angeborenen Schönheitssinn, um sich dem Zauber des anmuthvollen, von der niedersinkenden Abenddämme rung zart abgetönten Landschaftsbildes zu verschließen . . . . und in Ermangelung eines besseren, wenn man einstweilen zu resigniren gezwungen ist .... er zuckte über sich selbst die Achseln. „Bitte, wo liegt Liebenau?" wandte er sich dann, noch einige Schritte vorgehend, au einen alten Mann, der auf dem Felde neben der Straße Kartoffeln aushackte. Der Angeredete richtete sich auf und deutete an dem Städtchen vorüber auf den Strom zu: „Da, gerade über die drei hohen Pappeln hinweg ... es ist kaum eine Stunde Entfernung." „Ich sehe nur Wald." „Den Park vielmehr; er ist sehr groß und schön und verdeckt von hier aus Dorf und Gut. Sehen Sie nur schärfer hin, die Spitze des Schloßthurmes ragt zwischen den Wipfeln hervor." „Ganz recht ... und das Dorf da links?" „Ist Seifersdorf, es gehört zu Liebenau, dort Plohn auch und dann weiter Haselwitz, Kranz, Grünfurth und Bergel und drüben Steinkirch —" „Wie es scheint, ist so ziemlich alles Sichtbare nur Liebenauer Terrain," fiel Will ein, der dem zeigenden Finger längst nicht mehr folgte. „Na, Alles gerade nicht," antwortete der Mann, ohne den leisen Ton des Neides in dieser Unterbrechung herauszuhören. „Dazwischen liegen ja noch die Gemeinde felder und Damlitz, das der Frau v. Rohr gehört, und das Frischower Gut des Grafen Peterwitz. Aber mächtig groß ist die Herrschaft Liebenau, Alles was wahr ist, und nichts mehr davon verpachtet," fügte er mit einem Anflug naiven Stolzes hinzu. „Nur ein Mann wie unser Baron kann das Alles so bis ins Kleinste übersehen und regieren. „Ihr Baron?" „So nennen wir ihn eben . . . eigentlich hängt doch die ganze Gegend von ihm ab, die Einen wegen der Waldstreu und des Holzes und der Wegebauten und so weiter, die Anderen der Arbeit halber -- und die Hand werker und Kaufleute in der Stadt. Er bezieht nichts von Breslau oder Berlin, wie die anderen Herren, son dern läßt lieber die Einheimischen etwas verdienen. Das kommt Allen zu gut. Ein sehr vernünftiger, gnädiger Herr. Auch die Zuckerfabrik verdanken wir ihm . . . das ist ein Edelmann!" „Serviles Bauernvolk!" brummte Will Jensen ver ächtlich in den dunklen Schnurrbart, gab dem Manne eine Zigarre, wofür sich dieser höflich, aber nicht unter würfig bedankte und schlug den Rückweg ein. Für das Städtchen war der Feierabend gekommen. Strickende Frauen und rauchende Männer saßen auf den grüngestrichenen Holzbänken neben den Häusern. Junge Mädchen gingen Arm in Arm durch die Gassen und blickten mit neugieriger Verschämtheit nach dem Fremden, der in seiner stolzen Schönheit und weltstädtischen Ele ganz ihre naive Bewunderung erregte. Frau Sieche hatte bereits gegen die Stammgäste geplaudert. Ein Dutzend neugieriger Augen starrten Will entgegen, als er das Herrenstübchen betrat. Vordem hätte er darüber gelacht, sich ein Vergnügen daraus gemacht, die biederen Pfahlbürger, ohne daß sie es gewahren, zu verhöhnen, aber er war nicht mehr der gleiche übermüthige Will, wie vor drei Jahren. So ignorirte er die schüchternen Versuche, ihn in ein Ge spräch zn verwickeln und suchte bald nach dem Esten sein Zimmer auf. Er warf sich auf das altväterische Sopha, sein Ernst ging in Mißmuth über. Wahrlich, er hatte auch wenig Ursache, mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Ein so gewiegter Rechner . . . und das widrige Geschick warf mit empörender Beharrlichkeit falsche Faktoren in seine scharfsinnigsten Kalkulationen! Damals, mit des Onkels Tode hatte es begonnen. Welche Hoffnungen hatte er nicht auf Margarethen« Verbindung mit Tieffen bach gesetzt, und so gut wie keine war in Erfüllung ge gangen ! Die Firma Scherings Erben war gelöscht, das Geschäft einem Anderen verkauft, er ohne ein Wort der Entschuldigung übergangen worden. Der Baron hatte wohl Interesse für seine Pläne gezeigt, auch ein bedeutendes Kapital dafür hergegeben, ihm aber einen gleichberechtigten Nebendirigenten zur Seite gestellt, dessen schwerfällige Pedanterie, wie Will sich ausdrückte Andere nannten es Gewissenhaftigkeit — seinen kühnen Flug auf allen Seiten hemmte. Es war zu Mißhellig- keiten gekommen, welchen er mit seinem Austritt ein schnelles Ende bereitete. Damals glaubte er sich noch bewundert und begehrt ob seiner Persönlichkeit und seiner Talente, aber er mußte sehr bald gewahren, daß der plötzliche Bruch mit dem Baron ihm seinen Nimbus zum größten Theile geraubt hatte. Die großen Kaufmanns häuser verschlossen sich ihm, die reichen Väter heirats fähiger Töchter schienen ihn nicht mehr zu kennen. Eine untergeordnete Stellung verschmähte er natürlich; eine verantwortungsreiche bot sich ihm nicht. Endlich fand er eine solche, doch als Chef eines großen industriellen Unternehmens, das freilich bekanntermaßen auf bedenk lich schwachen Füßen stand. Hier hoffte er ein geeig netes Feld zu freier Entfaltung gefunden zu haben . . . aber schon nach knapp zwei Jahren war es auch damit zu Ende, das Fallissement nicht länger hinzuhalten. Ging auch seine Mannesehre unverletzt daraus hervor, so sprach man es doch unverhohlen aus, er habe durch seine übergenialen Maßnahmen jenen Sturz nur be schleunigt, wo nicht gar verschuldet. (Fortsetzung folgt.)