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der Kaiserin den Arm, während der Kaiser zur Rechten ging. Der Zug stieg die Königin-Treppe hinauf, auf deren Höhe Madame und Frl. Faure die Majestäten erwarteten und sich alsdann dem Zuge anschlossen, der dre einzelnen Räume durchschritt. Im Zimmer Ludwig XIV- ruhten die Majestäten einige Augenblicke aus. Die Personen, welche in der Spiegelgallerie warteten und die Majestäten nicht wieder erscheinen sahen, wollten ihnen entgegengehen. Dadurch entstanden zwei Strö mungen, die eine von Personen, die ankamen, die andre von denen, die herausgehen wollten; es erfolgte dadurch ,ein Gedränge. Die Majestäten und Faure traten nun in die Spiegelgallerie und erschienen hierauf auf dem Balkon des Zentralpavillons. Auf der Terrasse hatten sich etwa 15,000 Zuschauer eingefunden, die dem Kaiser paare enthusiastische Ovationen bereiteten. In dem Ge dränge wurden einige Marmorvasen zerbrochen. Um 7'/» Uhr fand das vom Präsidenten zu Ehren der Majestäten gegebene Diner statt. An demselben nahmen etwa 100 Personen theil, die Alle an derselben Tafel saßen. Zur Rechten des Kaisers saß Madame Faure, während die Kaiserin ihren Platz zur Rechten Faure's hatte; Letzterer und der Zar saßen sich gegenüber. Nach dem Concert begab sich das Zarenpaar um 11*/« Uhr nachts unter großen Ovationen durch die prächtig erleuch teten Straßen zum Bahnhofe, um die Fahrt nach Cha- lons anzutreten. Die Abreise des Präsidenten Faure erfolgte um 11^/« Uhr. Beim Verlassen des Schlosses hatte sich das Kaiserpaar in liebenswürdiger Weise von Madame Faure verabschiedet. Der Kaiser drückte dem Präsidenten in warmen Worten seine Bewunderung aus über die Ausrechthaltung der Ordnung trotz des außerordent lichen Menschenzuflusses und über die gute Haltung des Publikums, besten Zurufe ihn tief gerührt hätten; fchließ- lich bat der Kaiser den Präsidenten, dem Polizeipräfecten seine Anerkennung auszudrücken. Die Musik spielte die russische Hymne und die Marseillaise. Der Kaiser, ent blößten Hauptes, und die Kaiserin blieben bis zum letzten Augenblick an der Thür des Wagens; als der Zug sich in Bewegung setzte, grüßte das Kaiserpaar den Präsidenten, während zahlreiche Anwesende riefen: „Es lebe Rußland!" Aus Paris wird der Voss. Ztg. be richtet: Der Zar sagte Faure, vorerst zwar nur halb amtlich, doch entschieden zu, nächsten Frühling wiederzu kommen und dann 3 Wochen halb incognito ohne Eti kettenzwang in Paris zu verweilen. Auf der Postfahrt nach Versailles kannte Faure den kaiserlichen Beschluß bereits, denn als aus der Menge der Ruf ertönte: „Wie derkommen! Auf Wiedersehen!" Da lächelte Faure bedeutungsvoll und winkte der Menge, wie um ihr zu sagen, Euer Wunsch ist erfüllt. Die Unordnung in Versailles war grauenhaft. Die Eingeladenen wurden trotz ihrer Karten nicht eingelasten und oft mit auser lesener Grobheit behandelt, während bei der allge meinen Sorglosigkeit in der Ausführung der erhaltenen Befehle Tausende von Unberufenen, darunter die frag würdigsten Gestalten beiderlei Geschlechts des Pariser Vorortpflasters eindrangen und überall hingingen, wo sie wollten. Beim Prunkmahl gab es keine erhöhte Kaisertafel. Alle hundert Eingeladenen saßen an ein und demselben Tische. Der Kaiser, der Frau Faure zu Tische führte, reichte ihr diesmal den Arm. Das hatte er bis dahin noch nie gethan, weil der französische Zere monienmeister dies für unzulässig erklärt hatte. Schließ lich wurde es dem Zaren aber langweilig, neben einer Dame verlegen einherzuschreiten, ohne ihr den Arm zu bieten, und er folgte seinem natürlichen Taktgefühl. Alle Kuchen, die beim Empfang im Pariser Stadthaus am Büffet den Gästen vorgesetzt wurden, waren in der kaiserlichen Küche bereitet und vom Zar geschickt worden, weil er — wie er lächelnd sagte — überzeugt war, daß in diesem einen Punkte die russische Küche der fran zösischen überlegen sei. Nun hat der Zar seine gute Stadt Paris verlassen und die Reise nach Darmstadt angetreten. Allmählich beginnen die Pariser aus ihrem Freudentaumel zu er wachen und nach Gewißheit zu verlangen, was der Zar denn nun eigentlich der Republik gebracht habe, was diese nicht schon besessen hätte. Die Ausführungen Peters burger Blätter, daß überhaupt kein geschriebener Vertrag zwischen den beiden Reichen bestehe, wagen die französi schen Blätter ihren Lesern garnicht mitzutheilen. Man erzählt nur, daß ein förmlicher Zweibund bestehe, der den Frieden sichere. Was sich die Franzosen aber unter „Sicherung des Friedens" denken, läßt sich aus einer Aeußerung des „Temps", eines der maßvollsten Pariser Blätter, entnehmen, in der es heißt: Der Zar erklärte: Ich komme treu unvergeßlichen Traditionen, um eine Nation zu begrüßen, mit der uns so kostbare Bande vereinigen. Die „Traditionen" so meint der „Temps", weisen auf Alexander III. zurück, und besten Politik ist das Einvernehmen mit Frankreich „für alle wiederher stellenden Werke eines billigen Friedens" gewesen. Deut licher kann ein offiziöses Blatt nicht aussprechen, daß zur Erhaltung des Friedens die Zurückgabe Elsaß-Lothrin- gens an Frankreich gehört. Deutlicher noch spricht der Pariser „Rappel": Rußlands Freundschaft hat hoffent lich ein anderes Ergebniß als die Erhaltung des ab scheulichen bewaffneten Friedens. Wenn der Zar gut gehört hat, so weiß er, daß die leidenschaftlichen Schreie, die ihn drei Tage lang begleiteten, in diesem kurzen Satz, der alles sagt, zusammengefaßt werden können und müssen: „Sire, Frankreich ist bereit!" Bei der Parade in Chalons, die glänzend verlief, standen 3090 Offiziere, 66,756 Mann, 18,679 Pferde, 1060 Geschütze und Fahrzeuge. Die Abreise des Zaren paares erfolgte unter begeisterten Kundgebungen. Am Ende des zu Ehren des Kaiserpaares gegebenen Früh stücks brachte der Präsident Faure folgenden Trinkspruch aus: „Ew. Majestät verlassen uns jetzt nach einem Aufenthalt, welcher in den Annalen unserer beiden Länder eine unaus löschliche Erinnerung hinterlassen wird. Wie das Lächeln einer glücklichen Vorbedeutung, wird der Zauber der An wesenheit Ihrer Majestät der Kaiserin in holder Weihe die sem Besuch verbunden bleiben. In Paris wurden Ew. Majestäten von der ganzen Nation begrüßt, in Cherbourg und Chalons wurden Ew. Majestäten empfangen von Dem, was dem Herzen Frankreichs am theuersten ist, seinem Heere und seiner Marine. Die französische Armee begrüßte hier Ew. Majestät. An jedem der häufigen Gedenktage ihrer ruhmreichen Vergangenheit tauschen die französischen See leute und Soldaten mit ihren Brüdern in Rußland die Be zeugung des herzlichen Verhältnisses und ihre Wünsche für einander aus. Heute bitte ich Ew. Majestät im Namen der französischen Armee und Marine, für Ihre Waffen zu Wasser und zu Lande die feierliche Bekräftigung unwandelbarer Freundschaft zu empfangen. Ich trinke auf das russische Heer und die Marine und erhebe das Glas zu Ehren Ihrer Majestäten des Kaisers und der Kaiserin." Hierauf erhob der Kaiser das Glas, stieß mit dem Präsidenten an und erwiderte: „Bei Unserer Ankunft im Hafen von Cherbourg hatte Ich Gelegenheit, ein Geschwader der französischen Kriegsflotte zu bewundern, heute, im Begriffe, Ihr schönes Land zu ver lassen, hatte Ich den Genuß des imposantesten militärischen Schauspieles, indem Ich der Truppenschau auf dem ge wohnten Uebungsgelände beiwohnte. Frankreich kann stolz auf seine Armee sem, und Sie haben Recht, zu sagen, Herr Präsident, daß die beiden Länder durch unwandelbare Freundschaft verbunden sind. Ebenso besteht zwischen unse ren beiden Heeren ein tiefes Gefühl der Waffenbrüderschaft. Ich erhebe das Glas zu Ehren Ihrer Wehrmacht zu Wasser und zu Lande und trinke auf das Wohl des Präsidenten der französischen Republik!" Die anwesenden russischen Offiziere riefen während des Kaisertoastes zweimal Hurrah! Guglaud. Die Flucht des Sultans Said Chalid nach Dares- salaam auf dem deutschen Kreuzer „Seeadler" läßt den Engländern, die Deutschland gar zu gern etwas am Zeuge flicken möchten, keine Ruhe. Das englische Ge schwader vor Sansibar würde infolge dieser Flucht Said Chalids verstärkt und man befürchtet, daß sich die Eng länder, welche nunmehr in den ostafrikanischen Gewässern sich in der Uebermacht befinden, Gewaltthätigkeiten gegen das deutsche Geschwader daselbst begehen könnten. Sollte das geschehen, so würden schwere Conflicte nicht aus bleiben können und man ist aus diesem Grunde in weiteren Kreisen nicht ohne Sorge. Daß Deutschland bei der Ueberführung Saids sich in der Ausübung seines guten Rechtes befand, unterliegt keinem Zweifel, auch wurde offiziös bekannt gegeben, daß das deutsche Con- sulat in Sansibar in vollkommener Uebereinstimmung mit der Reichsregierung gehandelt habe. Englischerseits suchte man es trotzdem so darzustellen, als wenn sich das Consulat Ueberschreitungen seiner Machtbefugnisse hätte zu Schulden kommen lasten, wofür die Rectification desselben von berufener Stelle nicht ausbleiben würde. Den englischen Grundsätzen würde es nun kaum unähn lich sehen, wenn der Oberstcommandirende des englischen Geschwaders vor Sansibar in sich den Beruf entdecken sollte, diese Rectification auszuüben. Jedenfalls wird man dem Verlauf der Dinge vor Sansibar mit Auf merksamkeit zu folgen haben. Türkei. Während aus Kreta wieder vollständig anarchische Zu stände herrschen, ist in Konstantinopel die Er haltung der Ruhe bisher noch gelungen. Bezüglich der ausgewanderten Armenier sind sehr detailirte Vor schriften erlassen worden, die ihre Rückkehr nach längerem Aufenthalt im Auslande in die Türkei unmöglich machen. Die Mächte sind nach wie vor entschlossen in der türki schen Frage ihre abwartende Stellungnahme beizubehalten. Rußland, Frankreich und England (?) sollen die Ver einbarung getroffen haben, inhalts deren die Pforte durch eine Note zur schleunigen Einführung von Re formen ausgefordert werden soll. Aus dem Muldeuthale. * Waldenburg, 10. October. Zuweilen sieht man Kinder, welche aus der Wiese gepflückte, schön lilaröth- liche, sechstheilige Blumen im Munde haben, die dem Gartenkrokus in Wuchs und Gestalt gleichen. Es sind dies die jetzt um Michaelis und später blühenden Herbstzeitlosen (oder Morgenblumen unserer Altdeutschen) und es ist Pflicht, die Jugend zu warnen, diese jetzt blühenden, vor der Entwickelung der drei hellgrünen Blätter hervorgebrochenen Blumen aus Gedankenlosigkeit oder Bequemlichkeit in den Mund zu stecken. Eine schmälere Abart blüht im Frühlinge und eine andere mit gefüllten dunkelrothen oder auch weißen Blumen wird cultivirt. Wurzel, Schaft und Samen (der im Frühjahr reist) enthalten das Colchicum, ein Alkaloid, das auf die Unterleibsorgane wirkt, ja selbst tövtet. *— Gegenwärtig werden für die Grundstücksbesitzer Hauslisten ausgetragen, in welche alle männlichen und weiblichen Hausbewohner einschließlich Dienstboten, Unter- miether, Schlafstellenmiether, juristische Personen u. s. w. behufs Einschätzung zur Einkommensteuer nach dem Stande am 12. dieses Monats aufzuführen sind. Jede Hausliste enthält auf der ersten Seite eine genaue Anweisung zur richtigen Ausfertigung. Wir wollen nicht unterlasten, unseren Lesern die Lektüre dieser Anweisung dringend zu empfehlen, da bei unvollständigen oder gar unrichtigen Angaben für die Betheiligten nur höchst unliebsame Differenzen entstehen können. *— Mit Rücksicht auf die jetzt stattfindende Einbe rufung der zum Militär ausgehobenen Mannschaften wollen wir nicht Unterlasten, dieselben auch an dieser Stelle an rechtzeitige Abmeldung bei den Wohnortsbe hörden, sowie an Berichtigung etwa noch rückständiger Steuerbeträge zu erinnern. Verbleiben solche in Rück stand, so pflegen die Steuerbehörden wegen Einziehung derselben die Militärbehörden zu requiriren und dies ist dann für die betreffenden jungen Leute gewiß keine an genehme Empfehlung. *— Flügelaltare waren früher in oen Kirchen unserer Gegend nichts Seltenes; einen prächtigen Flügelaltar besitzt heute noch die Marienkirche zu Zwickau. So hatte auch die frühere Kirche im benachbarten Grumbach, — die jetzige ist in den Jahren 1816 unv 1817 neuer baut, — ein Flügel-Altarwerk, welches gegenwärtig in der Thurmoorhalle der Kirche aufbewahrt wird: dasselbe stammt aus der Zeit um 1500. Der Mittelschrein mißt 1 Meter im Geviert. Auf den vorderen Flügeln finden sich folgende geschnitzte, farbige, theilweise vergoldete Figuren: h. Bischof, Apostel Jacobus d. Ae., h. Barbara, h. Dorothea, Johannes d. T-, h. Anna, h. Christophorus, h. Rochus, h. Marga retha, h. Katharina; auf den Rückseiten finden sich fol gende Gemälde: Begegnung der Maria und Elisabeth, h. Sebastian; auf dem Hinteren linken Flügel: h. Mag dalena; auf der Rückseite: der leidende Herr. Auch die Kirchen zu Langenchursdorf, Neukirchen, Niederwinkel und Oberwiera sind noch im Besitze von Flügel-Altarwerken, die sämmtlich aus der Zeit kurz vor Einführung der Reformation stammen dürften. — In StelM bei Zwickau ist an Stelle der im Frühjahre 1895 abgebrochenen Kirche ein neues schmuckes Gotteshaus unter Oberleitung der Architekten Gräbner und Schilling-Dresden gebaut worden. Kommenden Monat dürfte die neue Kirche eingeweiht werden. — In Penig wurde zu allgemeiner Ueberraschung am Donnerstag eine ziemliche Anzahl — man spricht von 16 — Verhaftungen vorgenommen. Einige Ge schäftsleute, Bäcker und andere Personen, darunter sogar ein wohlhabender Eisenbahnschaffner, wurden hinter Schloß und Riegel geschafft und dürften dort auch längere Zeit verbleiben müssen, denn sie gehören sämmtlich zu einer großen Diebes- und Hehlerbande, die schon Jahre lang dort Spuren ihrer Thätigkeit hinterlassen hat. Man weiß jetzt endlich/ wem man die in letzter Zeit so oft gemeldeten Diebstähle von Getreide, Kartoffeln, Gänsen, Futter, Bier u. s. w. zuzuschreiben hat. Ziegelheim, 10. October. Vergangene Mittwoch ist Herr Guts- und Gasthossbesitzer Ad. Weber zum Feuer löschdirector und Herr Restaurateur Kaufmann und Agent Louis Heinicke als Vertrauensmann der Landwirthschaft- lichen Berussgenostenschaft neu-, bez. wiedergewählt worden. — Schon mehrfach sind in der Gemeindekiesgrube von Stübutg bei Rochlitz Scherben wahrgcnommen worden, die sich als Bruchstücke von Todtenurnen kenn zeichneten. Eine nähere Untersuchung ergab, daß die Kiesgrube sich an Stelle eines Urnenfeldes befindet, welches durch Anlage der Grube, eines hinter derselben sich befindlichen, jetzt eingegangenen Weges, sowie auch z. T. der anliegenden Aecker augenscheinlich ganz zerstört ist. Die in neuerer Zeit vorgefundenen Scherben ge hören Urnen von ganz verschiedener Größe und Mache an. Zumeist bestehen die Scherben aus einer sehr leicht gebrannten ungeschlemmten Thonmaste; diese Urnen haben außen eine sandige Kruste, während sie innen mit einer glatten schwarzen dünnen Schicht bedeckt sind. Die größte Urne dieser Art, von der sich besonders Theile des oberen Randes fanden, muß eine Oeffnung von circa einen halben Meter gehabt haben. Zwischen den Trüm mern derselben lag ein eiserner Gegenstand, der ganz die Form einer Spinnspindel hat, nur daß er etwa« kleiner (26 em) als die gewöhnliche Holzspindel ist. Außerdem fanden sich auch Scherben aus einer lehmigen Maste, die ebenfalls nur sehr leicht gebrannt waren; Bruch gelblichroth. Diese Scherben fanden sich nur in ganz kleinen Stücken, da die betreffenden Urnen wohl schon an ihrem eigentlichen Standort zer fallen waren. Manche Scherben, besonders gelbbraune, waren außerordentlich dünn, andere auffallend stark. Ornament konnte an keinem Bruchstück nachgcwiesen werden; nur an einem Randstück lief eine Reihe von grob eingedrückten Fingertupfcn hin. Auch in andern Sandgruben der dortigen Gegend sind schon mehrfach Urnenscherben gefunden worden; es wäre deshalb sehr zu wünschen, daß bei Arbeiten an solchen Stellen ganz besonders auf einschlägige Funde geachtet würde, da sie .....