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anarchistische Gesellschaft kennt, nicht so plump auf den Leim locken läßt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung.) Der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe ist am Sonn tag wieder in Berlin eingetroffen. Die deutsch-russischen Zollverhandlungen nah men dem „Hamb. Corr." zufolge einen günstigen Verlauf. Ueber die Aussichten der Handwerker-Organisa tionsvorlage äußert sich die klerikale „Köln. Volksztg.", indem sie schreibt, daß die Vorlage im Reichstage kaum etwas zu befürchten habe, da das Centrum und die Con- fervativen sie unter Beihilfe von kleinen Gruppen schon durchbringen würden. Gefährlicher sehe es aber im Bundesrathe aus. Zwar wenn Preußen und Bayern fest blieben, sei nichts zu befürchten, aber das Blatt be sorgt, der Wind könne hier umschlagen, ehe die Vorlage im sicheren Hafen ist. Das Organ des Centrums giebt des Weiteren zu, daß man bisher gewohnt war, nur die Handwerker zu sehen, die für den Jnnungszwang agitir- ten. Jetzt aber könne man die Gegnerschaft gegen die Vorlage doch nicht ganz ignoriren. Diesem Widerstande gegenüber sei es zu empfehlen, den Bogen nicht auf ein mal zu stark zu spannen, sondern zunächst den Zwang, die Staatsaufsicht, die Anforderungen an den Geldbeutel möglichst milder zu gestalten, vor Allem auch die Vor lage nicht noch unnöthig zu verschärfen. Betreffs der Organisation des Handwerks hat der Magistrat von München auf Aufforderung der bay rischen Regierung ein Urtheil abgegeben, in dem es heißt, daß es ihm mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Ge werbetreibenden in der Frage selbst uneinig sind, zweifel haft erscheinen muß, ob auf dem Boden der Vorlage dem Handwerk wirklich genützt werden kann. Auch die Handels- und Gewerbekammer Mittelfrankens hat sich gegen den in Rede stehenden Gesetzentwurf ausgesprochen. Dem Reichstage wird, wie verlautet, bereits zu Be ginn seiner Session ein Gesetzentwurf betr. das Pfand recht der Bauhandwerker, der im Reichsjustizamt nahezu fertiggestellt ist, zugehen. In dem oberschlesischen Orte Hindu! ist es dem Bürger verein durch energisches Vorgehen gelungen, die polnische Propaganda abzuwehren und es nach langen Ver handlungen durchzusetzen, daß alle dortigen Schulen als deutsche erklärt wurden. Auf dem nationalliberalen Parteitage sprach Abg. v. Eynern über die allgemeine Politik. In einer dem Parteitage unterbreiteten Resolution wird befür wortet, daß die Nationalliberalen bereit seien, dem Noth stande der Landwirthschaft Abhilfe zu verschaffen, alle extremen Mittel (Antrag Kanitz rc.) aber verwerfen müßten. In einem gegen die „Nordd. Allgem. Ztg." gerichteten Leitartikel führen die „Hamb. Nachr." aus, es sei nicht die Aufgabe der deutschen Politik, Verständi gungen irgend welcher Art zwischen Frankreich und Italien mit Genugthuung zu begrüßen. Je gespannter die Beziehungen zwischen Italien und Frank- reich seien, um so sicherer sei auf Italien in seiner Eigenschaftals Dreibundgenosse zu rechnen, während anderer seits sich eine Gefahr für den Frieden daraus nicht er- giebt. Die Widerstandsfähigkeit Italiens gegen fran zösische Zumuthungen dürfe nicht auf allzu harte Proben Feuilleton. Das Geheimniß des Pavillons. Criminalnovelle von Theodor Hermann Lange. (Fortsetzung.) Schnell jedoch gewann sein Gesicht die natürliche Farbe wieder und lachend entgegnete er mir: „Nun, hier ist ja Nichts mehr zu verrathen." Er bot seiner Braut den Arm uud wir gingen weiter. Ich war nachdenklich geworden, und Garetti's vermißter Handschuh erinnerte mich wieder lebhaft an den Hand schuh, welcher auf der Parkmauer in Charlottenburg ge legen hatte. Dazu — wie kam es, daß Garetti sich entfärbte? Sollte er gar mit dem Geheimniß des Parkes in Ver bindung stehen? Und jetzt — ja — auch seine Züge erinnerten mich an eine Person, die schon einmal meinen Lebenspfad ge kreuzt hatte, aber wo? Wieder rief ich mir den entsetzlichen Fall ins Ge- dächtniß, nein, hierbei konnte er Nichts zu thun gehabt haben. Da galoppirte plötzlich vor meinem geistigen Auge jener Reiter an der Mauer des Charlottenburger Parkes vorüber. Er und Garetti — eine überraschende Aehnlichkeit — und doch Täuschung. Hatte ja Garetti selbst erzählt, daß er seit mehr denn vier Jahren Berlin nicht gesehen habe. Zu Hause fand ich einen großen Brief vor. Er trug das Siegel des Berliner Polizeipräsidiums. Ich öffnete und las mit großer Hast. Leider lag auf der ganzen Sache noch das alte Dunkel und ich wurde in dem Schreiben nur aufgefordert, über einen Punkt noch einmal genauere Angabe zu machen und diese einzusenden. Am andern Morgen setzte ich meinen Bericht auf. Auch konnte ich nicht umhin, meine Begegnung mit Garetti, sowie den mich befremdenden Vorfall mit dem Handschuh mitzutheilen. Nachdem ich den Brief beendet, gestellt werden; es könnten leicht Umstände eintreten, welche die italienischen Bedenken gegen die Wiederher stellung einer Art von politischen Protectorats der fran zösischen Republik über das Königreich Italien zurück treten lassen. Das wäre der Anfang vom Ende der Zugehörigkeit Italiens zum Dreibunde. Das neue Lehrerbesoldungsgesetz für Preußen ist im preußischen Cultusministerium nunmehr fertig gestellt worden und wird in diesen Tagen dem Finanzminister zur Prüfung in Bezug auf die finanzielle Seite der Vorlage zugehen. Die im vorjährigen Entwürfe den Volksschullehrern und Lehrerinnen zugedachten Besoldungs- und Gehaltszulagensätze sind beibehalten worden. Eine wichtige Bestimmung in dem Lehrerbesoldungsgesetz ist die Frage der Dienstalterskassenverbände, wodurch ein Ausgleich in der Belastung der Städte, die verhältniß- mäßig mehr ältere als jüngere Lehrer haben, herbeige führt werden foll. Das Cultusministerium wird im Uebrigen Alles thun, um dem Gesetz zunächst eine große Mehrheit im Abgeordnetenhause zu sichern und mit der Autorität dieser Mehrheit dann die Vorlage im Herren hause durchzubringen. Der Ausschuß des Centralverbandes deutscher Industrieller hat unter dem Vorsitz des bayerischen Reichsraths und Commerzienraths Haßler-Augsburg in Berlin eine Sitzung abgehalten. Ueber den ersten Punkt der Tagesordnung, Entwurf eines Handelsgesetzbuches, referirte Generalkonsul Ruffel, worauf nach kurzer Dis- cussion folgender Antrag des Referenten einstimmig zur Annahme gelangte: „Der Ausschuß des Centralverbandes deutscher Industrieller erkennt in dem Entwurf des Han delsgesetzbuches eine durch das Inkrafttreten des Bürger lichen Gesetzbuchs erforderlich gewordene, in Fassung und Anordnung wohlgelungene Arbeit. Er beauftragt das Directorium, die eingegangenen Abänderungs- und Er gänzungsanträge der Reichsregierung zur geneigten Prüfung und thunlichsten Berücksichtigung zu überweisen." So dann referirte General-Secretär Bueck über die Hand werkervorlage. Der Ausschuß erklärte sich in längeren Thesen gegen die Zwangsorganisation des Handwerks. Er erachtet den Zusammenschluß von Berufsgenossen zur Wahrung ihrer berechtigten Interessen als wünschens- werth und hält demgemäß die Innungen als Vereini gungsorgane für diejenigen, die ein Gewerbe handwerks mäßig betreiben, für zweckmäßig und nützlich, jedoch nur soweit auch sie auf voller Freiwilligkeit beruhen und nicht berechtigt werden, einen zwingenden Einfluß irgend wel cher Art auf die außerhalb des Jnnungsverbandes ver bleibenden Gewerbetreibenden auszuüben. Der Verbands tag erachtet die Zwangsinnungen, sowie die Organi sation, der sie als Grundlage dienen sollen, umso weniger für annehmbar, als Unterscheidungsmerkmale zwischen den Gewerbetreibenden festgestellt werden sollen, die ge eignet sind, den Einzelnen in der freien Bethätigung seiner Kräfte und Fähigkeiten in einer, der wirthschaft- lichen Entwickelung unserer Zeit nicht entsprechenden Weise einzuengen und zu behindern. Mit Rücksicht auf die wesentlich überwiegenden Bedenken gegen den Entwurf beschließt der Centralvcrband, das Directorium zu beauf tragen, an den Bundesrath das Ersuchen zu richten, trug ich ihn selbst nach dem Bahnhof. ES waren nur noch einige Tage bis zu der Doppelhochzeit und der Ge danke, nicht verhindert zu haben, daß die Schwester meines nächsten Freundes allem Anscheine nach den Armen eines Verbrechers überliefert werde, peinigte mich entsetzlich. Und wiederum durfte ich noch Niemanden von meinem Argwohn überhaupt nur das Geringste ahnen lassen. War Garetti unschuloig, um so besser, war er es aber, wie es schien, nicht, so mußte alles aufgeboten werden, um in dieser kurzen Spanne Zeit ihn zu entlarven und ein unschuldiges Mädchen vor der Gemeinschaft mit ihm zu retten. In Köln hatte ich mich noch nicht an die Polizei ge wandt und ich zögerte auch, diesen Schritt zu thun. Alles mußte eben vermieden werden, was irgend wie meine Pläne gegen Garetti verrathen konnte und hätte ich mein Geheimniß meinem Freunde mitgetheilt, nicht nur würde er mich für wahnsinnig gehalten haben, sondern ich wäre auch seiner Freundschaft verlustig gegangen und hätte außerdem einen grellen Mißton in zwei glückliche Familien geworfen, wenn sich meine Vermuthungen nicht bestätigen sollten. Nachmittags suchte mich mein Freund auf. Mein stilles, in mich gekehrtes Wesen machte ihn stutzig, ich schützte Kopfschmerzen vor, es mochte ihm aber nicht ent gehen, daß etwas drückendes auf meiner Seele lasten müsse. „Weißt Du," sagte er nach einer kleinen Pause, „ich habe noch Verschiedenes für meinen zukünftigen Haus halt einzukaufen. Du sollst mich begleiten. Dabei wirst Du am sichersten Deinen Kummer, wenn eS nicht blos Grillen und Mucken sind, verscheuchen. Außerdem soll ich Dich noch von Garetti grüßen." „Von Garetti?" fragte ich mit sichtlichem Erstaunen. „Nun alter Philosoph, was fehlt Dir denn eigentlich nur heute? Ich kann gar nicht begreifen, welcher böse Geist Dich über Nacht so verwirrt haben mag. Gestern noch ein allerliebster Mensch, von dem Jeder ganz ent zückt war und nun auch noch nicht einmal vierundzwan- dem von der preußischen Staatsregierung vorgelegten Ent wurf über die Zwangsorganisation des Handwerks die Zu stimmung zu versagen. Schließlich referirte General- Secretär vr. Brenner über die Novelle zum Handelsgesetz, mit der sich der Centralverband einverstanden erklärte. «Oesterreich-Ungarn» Die Lage im nordböhmischen Streikgebiet ist zur Zeit ruhig. Eine allgemeine Klärung im ganzen Gebiet wird vom Montag ab erwartet. Das Decret über die wegen der erfolglosen Aus gleichsverhandlungen nöthig gewordene Auflösung des ungarischen Reichstages ist durch den Kaiser Franz Joseph bereits vollzogen worden. Die Neuwahlen werden Ende October beginnen. Frankreich. Paris steht im vollen Schmuck, der Millionen ge kostet, und erwartet seinen großen russischen Freund. Die Sicherheitspolizei befindet sich in fieberhafter Thätig- keit, die Pariser Garnison ist verstärkt worden, es ist alles geschehen, um schlimme Zwischenfälle zu vermeiden. Das Menschengedränge ist lebensgefährlich. Die Sani- tätscolonnen, welche die Straßen durchziehen, haben jetzt schon alle Hände voll zu thun. Der überreiche Straßen putz zeugt vielfach von Geschmacklosigkeit. Das Zaren paar ist am Sonnabend Abend nach herzlicher Verabschiedung von der Königin Viktoria von Balmoral nach Portsmouth gereist. Von hier aus wird am heutigen Montag früh die Fahrt nach Cherbourg fort- gesetzt. Die Pariser „Libre Parole" hebt hervor, wie zartfühlend der Zar seine Reise durch das Reichsland angeordnet habe. Der Zug erreicht Noveant um halb 2 Uhr morgens, vermeidet Metz und durchfährt Lothringen ohne Aufenthalt und ohne amtliche Begrüßung. Andere Blätter erzählen, die elsaß-lothringische Bevölkerung be reite eine ausdrucksvolle Kundgebung vor. Bei der Durch fahrt des Zaren wolle sie sich am Bahngeleise und an allen Stationen aufstellen und Fackeln, Laternen und Fahnen in den russischen Farben, die zugleich die fran zösischen seien, schwingen. (Commentar überflüssig!) Belgien. Der belgische Kongostaat betheiligt sich an der eng lischen Sudanexpedition. Das wären allerdings Bun desgenoffen, die einander vollständig werth sind. Italien. Der Kriegsminister erhielt angeblich eine Liste der vom Negus Menelik in Abessinien gefangen gehaltenen italienischen Soldaten. Es befinden sich Inhalts derselben 1 General, 6 Kapitäne, 30 Lieutenants und 11 Unterlieutenants in den Händen Meneliks, außerdem etwa 1000 Unteroffiziere, Korporale und Soldaten. Ob und wann die bedauernswerthen Gefangenen die Heimat Wiedersehen werden, ist noch immer ganz ungewiß. Wngland. Die Blätter besprechen die Ueberführung des Prä tendenten Said Chalid nach Dar-es-Salam. Mit einer diplomatischen Note der Regierung an das deutsche Auswärtige Amt wagt kein einziges zu drohen; man weiß eben zu gut, daß England im gleichen Falle nicht anders gehandelt hätte. Die „Times" hofft, die deutsche Regierung werde den Botschafter in Sansibar rectificiren, zig Stunden brummig wie ein Bär. Hast Du wieder Einsiedler-Gedanken oder ist Dir etwa gar die todte Charlottenburgerin diese Nacht im Traum erschien? Ich habe Dich mit hierher genommen, daß Du lustig und guter Dinge sein sollst, bei meiner Hochzeit will ich fröh liche Gesichter sehen!" „Ist denn Garetti nicht mehr hier?" fragte ich in ge dehntem Tone. „Nein, ins Wasser ist er natürlich nicht gegangen. Du siehst jedoch heute aus, als wenn Du Anwandlungen verspürtest, von der Rheinbrücke herabzuspringen. Garetti hatte nämlich gestern Abend bei seiner Rückkehr einen Brief vorgefunden, der ihn aufforderte, sofort zu seinem Banquier nach Brüssel zu kommen, da wichtige Geschäfte vorliegen. Garetti gedenkt aber, wie er mir bei seiner Abreise versicherte, spätestens übermorgen Abend wieder bei uns zu sein." „Also nach Brüssel ist er gefahren?" „Ja, nach Brüssel," rief mein Freund ärgerlich aus, „und Dein Verstand ist jedenfalls auch aus Dir und auS Köln herausgefahren, sonst schnittest Du nicht so wunder liche Gesichter und fragtest so konfus. Aber in Allem Ernst sei's Dir jetzt gesagt, wenn Du mit mir gehen willst, dann laß Derartiges." Um nicht auffälliger in meinem Benehmen zu werden, gab ich mir alle Mühe, sorglos und heiter zu erscheinen und es gelang mir ziemlich. Eine Einladung für den Abend lehnte ich jedoch ab und blieb auf meinem Zimmer. Garetti's Thun ließ mich immer stutziger werden. Ich schrieb sogleich einem zweiten Brief nach Berlin, den ich noch für den Nachtzug aufgab. Schon den dritten Abend traf ein geheimer Kriminalbeamter aus der Haupt stadt ein, der von dem Vorfall vollständig unterrichtet war. Hierbei hatte ich auch zum ersten Male in meinem Leben Gelegenheit, ein Verbrecher-Album zu sehen, welche» mir der Beamte vorlegte. (Fortsetzung folgt.)